Jetzt schauen wir nur uns die Gefährderlagesituation in Berlin an: Wir haben rechtsextremistische Gefährder im unteren einstelligen Bereich – eins bis drei. Wir haben extremistische Gefährder im Linksextremismus im hohen zweistelligen Bereich und im Rahmen des Islamismus im dreistelligen Bereich. Wenn man jetzt die Sicherheitsbehörden im Stärke- und Kräfteansatz dementsprechend einmal im Einsatz betrachtet, dann muss man feststellen: Ja, wir haben rechtsextremistische Straftaten, aber die Gefahr geht nicht allein vom Rechtsextremismus aus – der muss mit aller Konsequenz bekämpft werden, da haben Sie uns an Ihrer Seite –
die Gefahrenmomente in dieser Stadt gehen ganz massiv vom Linksextremismus und vom islamistischen Terro
Daher mein Appel: Wie gesagt, wir arbeiten gerne konstruktiv – das wissen Sie, Herr Kollege Zimmermann – seit Jahren im Innenausschuss zusammen. Sie wissen uns in der Extremismusbekämpfung an der Seite. Ich wünsche mir weiterhin eine sachliche Debatte und keine emotional aufgeblasene.
Meine sehr verehrten Kollegen von Links und Grün! Machen Sie nicht so weiter, dass Sie Unsicherheit in der Berliner Polizeibehörde schüren, machen Sie nicht so weiter, dass Sie Unsicherheit in den Staatsanwaltschaften schüren, machen Sie nicht so weiter, dass Sie Unsicherheit im Berliner Verfassungsschutz schüren, stärken Sie mit uns die Sicherheitsbehörden, das sind Sie uns schuldig. – Ich danke Ihnen!
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nunmehr Frau Tomiak das Wort. – Bitte schön, Frau Kollegin!
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben heute den 20. August 2020. Vor genau sechs Monaten und einem Tagen wurden beim rechtsextremen Anschlag in Hanau zehn Menschen getötet, viele weitere wurden verletzt. Vor sechs Tagen brannte die Berliner Kneipe „Morgen wird besser“ in Lichtenberg. Der jüdische Besitzer ist seit geraumer Zeit im Visier von Rechtsextremisten. Der rechtsextreme und antisemitische Anschlag in Halle, bei dem zwei Menschen getötet und viele weitere dem Tod nur knapp entkommen sind, ist nicht einmal ein Jahr her. Im letzten Jahr wurde der CDUPolitiker Walter Lübcke von bekannten Rechtsextremisten ermordet. Vor vier Jahren kam es in Lichtenberg zu einem rassistischen Übergriff in einer Edekafiliale, an dessen Folgen das Opfer starb. Im selben Jahr ereignete sich der rechtsradikale Anschlag in einem Einkaufszentrum in München, bei dem neun Menschen getötet wurden.
All das sind die bekanntesten Fälle rechtsextremer Gewalt und Morde der vergangenen vier Jahre. Es sind nicht alle, denen wir gedenken müssten. Wir sprechen hier alleine von den letzten vier Jahren. Nachdem der NSU im Jahr 2011 enttarnt wurde, wurde bekannt, wie der Staat sehenden Auges rechtsextreme Mörder walten ließ. Von Staatsversagen war die Rede, von Unvorstellbarkeit, von Aufarbeitung, von Konsequenzen und von einem Nie wieder. Wir als Gesellschaft, unsere Behörden und auch
wir als Politik tun uns immer noch und weiterhin schwer, tatsächlich vollumfänglich anzuerkennen, wie tiefgreifend die Konsequenzen aus dem NSU hätten sein müssen. Stattdessen wiederholen wir bei jedem neuen Anschlag, bei jedem neuen Mord eine Inszenierung: Bestürzung, Trauer, Wut, Unvermögen.
Was die verschiedenen Taten eint, ist, dass sie aus menschenverachtenden Motiven begangen werden. Ob Rassismus, Antisemitismus, Klassismus, Frauenverachtung oder Verschwörungsmythen letztlich der ausschlaggebende Punkt waren, ist dabei fast nicht entscheidend. Denn diese Ideologien spielen zusammen. Sie sind wie Bauklötze, die man beliebig ineinanderstecken und stapeln kann. Genau aus diesem Grund ist es so wichtig, die Problematik, die hinter jeder der Taten steckt, individuell zu analysieren, aber die Muster, die sich zeigen, auch als diese wahrzunehmen und anzuerkennen. Denn nur, wenn wir das Problem und seine Vielschichtigkeit als solche anerkennen, werden wir etwas dagegensetzen können.
Es ist beschämend und inakzeptabel, dass wir bisher weder gesellschaftliche noch politische Mehrheiten in ausreichende Veränderungen übersetzen konnten. Eine umfassende Aufarbeitung von rechtsextremen Strukturen, von historischen Kontinuitäten in Politik, Justiz und unseren Behörden hat nie stattgefunden. Doch diese Strukturen, diese Ideologien wirken bis heute. Gesellschaftlich hat sich Deutschland darauf geeinigt, dass es sich nicht schickt, dass zu thematisieren – das hat sich auch heute gezeigt –, obwohl es so bitter nötig ist.
Leidtragende sind diejenigen, die auch in der gesellschaftlichen Debatte oft zum Hassobjekt werden: Die Ausländer, die verdammten Feministinnen, die Schwulen, die Armen, die Kranken und Abhängigen. Auch wenn dieses Wir gegen Die aus der Mitte der Gesellschaft immer wieder befeuert wird: Es ist ein Trugschluss. Gemeint sind wir alle, jeder von uns hier im Saal ist gemeint, der sich gegen Menschenfeindlichkeit und Faschismus stellt, der für eine freie und offene Gesellschaft kämpft und nicht den Nazis nach dem Mund redet.
Gerade das zeigt auch die Anschlagsserie in Neukölln. Seit 2016 – eigentlich schon früher, das wurde ausgeführt – haben wir es mit einer Serie von Brandanschlägen, Übergriffen, Bedrohungen, Sachbeschädigungen und Diebstählen zu tun. Betroffen sind engagierte Bürgerinnen und Bürger, Bezirkspolitikerinnen und -politiker, Gewerbetreibende. Ermittlungserfolge, die zu einer Verurteilung der Täter führen würden, gibt es bisher nicht. Aber was es gibt sind Pannen: Ermittlungsfehler, Organisationschaos, Namensverwechslungen, Zuständigkeitsverwirrungen und letztlich viele Opfer, die sich alleine gelassen fühlen, und einen Bezirk, der von einem stetigen Vertrauensverlust in unsere Behörden geprägt ist.
Wie soll sich dieses Gefühl auch nicht einschleichen? Zuletzt wurde bekannt, dass eine Befangenheit der ermittelnden Staatsanwälte im Raum steht, dass die Hinweise dazu sowohl der Polizei als auch der Justiz bekannt waren, aber nicht gehandelt wurde. Ist es tatsächlich die fehlende Sensibilisierung, Ignoranz gegenüber den Opfern und Betroffenen? Allein die Tatsache, dass eine Befangenheit im Raum steht, hat eine enorme Sprengkraft und dass es jetzt quasi nebenbei herauskommt, dass es sich hierbei um gegebenenfalls bekannte Vorgänge handelt – es muss doch bei der Vorgeschichte der Serie klar sein, dass wir sicherstellen müssen, dass die zuständigen Stellen von Justiz und Polizei transparent gegenüber jedem Vorwurf erhaben sein können. Ich bin der Generalstaatsanwältin Koppers daher dankbar, dass sie genau dies erkannt und entsprechend konsequent gehandelt hat.
Doch auch die aktuellen neuen Erkenntnisse aus Neukölln sind nicht das Einzige, das uns umtreiben muss. Es gibt weiterhin den ungeklärten Mord an Burak Bektaş, der 2012 getötet wurde und dessen Mahnmal immer wieder geschändet wird. Der Mörder von Luke Holland, der 2015 getötet, wurde verurteilt, doch selbst ein Zimmer mit Nazidevotionalien reichte nicht aus, um gegebenenfalls einen rechtsextremen Hintergrund feststellen zu können.
Wir haben ein Problem bei der Polizei, dem Verfassungsschutz und der Justiz und das lässt sich eben nicht mit Einzelfällen abtun. Wir haben ein Problem, wenn Opfer rassistischer Gewalt abgeschoben werden und ihnen ihre Rechte somit versagt werden. Wir haben ein weiteres Problem, wenn es sich bei dem Täter um einen Polizisten handelt. Es gibt eines, womit bürgerliche Kommentatoren und auch einige, die hier im Haus gesprochen haben, eben recht haben: Ja, diese Fälle sorgen dafür, dass das Vertrauen in unsere Sicherheitsbehörden verlorengeht, aber wie plump und stumpf muss man sein, um zu denken, dass die Diskreditierung von Berichterstattung und legitimer Kritik das verlorene Vertrauen zurückgewinnen würde.
Vertrauen muss man sich erarbeiten. Das müssen auch unsere Sicherheitsbehörden und alle Innenpolitiker dieses Landes verstehen. Wer Opfer wird, wer immer wieder sekundäre Viktimisierung erlebt, wer Gewalt durch Institutionen, die einen schützen sollen, erfährt, der wird sich nicht damit zufrieden geben können, wenn das Problem einfach für beendet erklärt wird. Wie auch? Vielmehr müssen wir daran arbeiten, Vertrauen zu verdienen. Das geht nur mit brutaler Transparenz, Ehrlichkeit und aufrichtiger Bereitschaft, sich konstruktiv den eigenen Problemen zu stellen, um besser zu werden. Wir können hier so viel gewinnen, und doch entscheiden wir uns bisher
stets für den Weg des geringsten Widerstandes auf Kosten derer, die wir am meisten schützen müssten.
Wir können und müssen besser werden. Das geht mit konkreten Maßnahmen. Die aktuellen Fälle in Bezug auf die Staatsanwaltschaft müssen vollumfänglich aufgeklärt werden. Jeder noch so kleine Zweifel muss ausgeräumt werden. Wir müssen uns sicher sein können, dass die Staatsanwaltschaft hier keine Fehler gemacht hat. Und wenn doch, dann braucht es Konsequenzen und eine Sicherstellung, dass so etwas künftig nicht mehr vorkommen kann. Es braucht die weitere Aufarbeitung der bisher ungeklärten Fälle durch die BAO Fokus. Dass es weiterhin auch unaufgeklärte schwere Straftaten im Kontext Neukölln gibt, ist nicht akzeptabel. Klar, niemand kann vorgeben, Ermittlungserfolge zu erzielen, aber wir können nicht zufrieden sein und werden nicht nachgeben, bis die Täter gestellt und verurteilt sind.
Bezüge nach Hessen, die zuletzt bekannt geworden sind, müssen vollumfänglich aufgeklärt werden. Hier muss es Ermittlungen auch über Landesgrenzen hinweg geben. Wir freuen uns, dass zudem unser Vorschlag zur Einsetzung von Sonderermittlern endlich umgesetzt wird. Wichtig ist jetzt aber, dass wir die Rahmenbedingungen für die Untersuchungen so gestalten können, dass diese tatsächlich wirkungsmächtig werden. Wir brauchen zudem eine schnellere und gründlichere Auswertung beschlagnahmter Datenträger. Falls Ausstattung oder Expertise fehlen, müssen wir das wissen, um handeln zu können. Alle Personen, die ins Visier rechtsextremer Täter kommen, auf Feindeslisten geführt werden, müssen frühzeitig gewarnt und angemessen aufgeklärt werden.
Zusätzlich müssen wir auch strukturell besser werden. Dafür brauchen wir eine parlamentarische EnqueteKommission, die unter Einbeziehung von Betroffenen und Verbänden ausmachen kann, wo wir uns strukturell besser aufstellen müssen, wo Probleme liegen, und Vorschläge erarbeitet, wie diese abgestellt werden können.
Unser Ziel muss es sein, das Vertrauen der Betroffenen wiederzuerlangen. Das wird harte Arbeit, gerade für die Institutionen, Behörden und Politiker, die sich der Aufarbeitung bisher konsequent verweigert haben. Es wird nicht einfach, und es wird nicht schnell gehen, doch dieser Weg ist der einzig richtige. Lassen Sie ihn uns zusammen gehen! – Vielen Dank!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte Vorrednerin! Ich habe ein Problem damit, zu erkennen, welchen Staat bzw. welches Bundesland Sie in einzelnen Teilen Ihrer Rede hier gerade beschrieben haben. Ich lebe hier seit über 64 Jahren und hatte immer das Gefühl, in einem demokratischen Rechtsstaat zu leben. Ich kenne zahlreiche Angehörige der Polizei Berlin und der Staatsanwaltschaft Berlin persönlich. Was Sie hier beschrieben haben, gibt es in dieser Form nicht.
Frau Generalsstaatsanwältin Koppers hat gestern auch klar gesagt, dass es keinen Verdacht gibt, dass Staatsanwälte in irgendeiner Form mit politischen Rechtsextremisten kooperiert haben oder ihnen auch nur nahestehen. Es geht letztlich darum, hat sie uns erklärt, dass über entsprechende Äußerungen in Chatprotokollen nicht oder nicht rechtzeitig Meldung in die oberen Etagen der Justiz gemacht wurde. Was gestern beschrieben wurde, sind Fehler in der Justiz, aber es ist weit davon entfernt, hier ein Justizskandal zu sein. Deswegen erschreckt es mich, dass ich den Eindruck gewinnen musste, dass Sie dies hier dazu aufblasen wollten.
Für die Freien Demokraten darf ich jetzt ganz klar erklären: Jede Form von politischem Extremismus hat in dieser Stadt Berlin keinen Platz. Justiz und Polizei müssen bezüglich politischer Einflussnahme über jeden Zweifel erhaben sein. Deswegen muss der Senat unverzüglich für Aufklärung sorgen, und zwar sachlich, neutral und politisch unabhängig. Es wird den Opfern, z. B. der rechten Gewalt in Neukölln, nicht gerecht, wenn die Anschlagsserie hier als emotionaler Aufreger im Vorwahlkampf von irgendeiner Seite instrumentalisiert wird.
Das würde diese Stadt nur weiter spalten, statt den Bürgerinnen und Bürgern Berlins, egal woher sie stammen, Sicherheit zu geben. Gewalt, egal aus welcher politischen Motivation heraus, ist kein legitimes Mittel in unserem demokratisch verfassten, freiheitlichen Rechtsstaat und muss – ich betone – mit aller Kraft bekämpft werden.
Täter politischer Gewalt dürfen in Berlin keine Lobby haben, weder in Neukölln noch in FriedrichshainKreuzberg,
Eine Lobby brauchen aber eben diese Sicherheitsbehörden selbst, nämlich die Lobby in Form einer Berliner Landesregierung, die vollständig und ohne Wenn und Aber hinter den Ermittlern und Zugriffskräften steht, wenn sie ihren gesetzlichen Auftrag erfüllen. Ganz klar, da gehört es sich nicht, wenn z. B. in den Berliner Haushaltsberatungen bereits beschlossene Planstellen beim Verfassungsschutz im letzten Moment wieder, nicht zuletzt von der Linksfraktion, die diese Debatte heute angestoßen hat, gekappt werden.
Wenn ich einem Arbeiter die Schaufel wegnehme, kann ich ihm danach nicht vorwerfen, er würde nicht tief genug graben.