ein Stück ursprünglich-ungebändigter, unmittelbarer Demokratie, das geeignet ist, den politischen Betrieb vor Erstarrung in geschäftiger Routine zu bewahren.
Das stellte schon das Bundesverfassungsgericht 1985 in seiner Brokdorf-Entscheidung fest, und wenn ich uns hier alle so sehe, dann kann uns das doch nur ganz guttun.
Wenn ich mir die 5 000 Demonstrationen pro Jahr in Berlin so anschaue, dann ist da auch etwas dran. Wir können in der Gesamtschau festhalten: Die allermeisten Demonstrationen sind friedlich, auch wenn gern immer wieder einzelne Beispiele herausgegriffen werden. Daran haben die Bürgerinnen und Bürger einen großen Verdienst, und sie haben auch von uns mehr Vertrauen verdient. Aber auch die Berliner Polizei hat dazugelernt, hat dafür einen wichtigen Beitrag geleistet. Die Strategie der West-Berliner Polizei in den Sechzigerjahren, man müsste das nach der Leberwursttaktik behandeln: einmal reinstechen und gucken, was an beiden Seiten herauskommt, gibt es zum Glück nicht mehr, sondern die Deeskalationsstrategie hat sich bewährt und wurde auch in schwierigen Einsätzen beibehalten und fortentwickelt.
Deswegen – auch wenn es manchmal schwerfällt, denn es können einem ja nicht alle Themen der Versammlungen gefallen – ist es entscheidend, dass der Rechtsstaat und die Polizei die Versammlungsfreiheit schützen und nicht ein einzelnes Thema. Das sollten auch wir tun, und deswegen ist es heute an der Zeit, die Versammlungsfreiheit zu stärken.
Wenn wir uns den Entwurf anschauen, der von der rotrot-grünen Koalition vorliegt, kann ich nur sagen: Wir stärken das Recht auf friedliche Demonstrationen. Wir stärken die Deeskalation, das differenzierte Vorgehen
gegen einzelne Störerinnen und Störer, die Kooperation zwischen Polizei und Versammlungsteilnehmerinnen und -teilnehmern. Wir stärken auch das wichtige Recht auf Gegendemonstration. Wir setzen Urteile des Bundesverfassungsgerichts um, und wir zeigen klare Kante bei Hass und Gewalt.
Das Versammlungsrecht ist laut Bundesverfassungsgericht auch deshalb so wichtig, weil nur so zwischen den Wahlen in der Öffentlichkeit die kollektive Meinungskundgabe ermöglicht wird. Wir können dieser Tage froh sein – Kollege Kohlmeier hat auf seine Biographie verwiesen –, wenn wir knapp 1 000 Kilometer weiter östlich schauen, wo Menschen für freie, faire Wahlen und auch für Versammlungsfreiheit auf die Straße gehen müssen. Dann können wir froh sein, dass wir in Berlin ein so gutes Zusammenspiel zwischen Bürgerinnen und Bürgern, die ihre Meinung kundtun, und dem Staat haben. Dieses Vertrauen gilt es zu stärken und auszuweiten, auch in Pandemiezeiten.
Wir wollen das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit verantwortungsvoll schützen, und deswegen werden wir die Kooperation, das Gespräch zwischen Versammlungsbehörde und Demonstrierenden stärken und verpflichtend machen. Wir werden auch Demonstrationen auf privat betriebenen Flächen zulassen, wenn sie als öffentlicher Verkehrsraum gestaltet sind. Das ist, wenn Sie so wollen, unser Beitrag zu der Frage, wem diese Stadt gehört. Wer in dieser Stadt unterwegs ist und privat Flächen betreibt, muss damit leben, dass Leute dort ihre Meinung äußern können, wenn es den eigenen Geschäftsbereich nicht zu stark einschränkt. Deswegen ist es gut, dass wir hier Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt haben und sagen: Auch Private müssen in dieser Stadt Demonstrationen zulassen.
Wir gehen großzügiger mit der Bannmeile um; auch das ist wichtig. Wir schaffen die öffentliche Ordnung als Tatbestandsmerkmal ab – das hat ja gerade sogar die AfD eingefordert.
Wir machen aber auch klar, dass wir an bestimmten Orten in dieser Stadt keine Nazi-Demos, die Hass und Gewalt schüren, dulden werden. Dazu gehören sowieso schon das Holocaust-Mahnmal, aber auch die Denkmäler für die Ermordung von Sinti und Roma und Homosexuellen im Tiergarten. Dazu gehört der Blücherplatz; dazu gehört in dieser Gedenkstadt Berlin eine Reihe von Orten, wo wir die Würde der Opfer des Nationalsozialismus nicht verletzt sehen wollen und deswegen dort das Verbot von Demonstrationen erleichtern.
Noch zu einem Missverständnis, das hier insinuiert wurde: Ich glaube, wir werden Ihre Fragen, Herr Dregger, und auch die anderen Fragen der Opposition in den Ausschüssen klären können. Ihre Kritik war weniger am Versammlungsfreiheitsgesetz festgemacht, sondern ihre Kritik ging ins allgemeine Narrativ der rot-rot-grünen Koalition und hat gezeigt, dass Sie in der Sache wahrscheinlich doch keine echte Kritik an diesem Gesetz haben.
Eins möchte ich noch mal klarstellen zur Vermummung: Momentan ist es dem Gesetz nach nicht erlaubt, als Hühnchen verkleidet auf eine Landwirtschaftsdemonstration zu gehen, sondern das müsste nach dem Legalitätsprinzip von der Polizei verfolgt werden. Das lockern wir.
[Heiko Melzer (CDU): Hühnchenparty! – Marc Vallendar (AfD): Die ganzen Hühnchen im Schwarzen Block!]
Darum geht es uns: der Polizei, den Strafverfolgern mehr Flexibilität zu ermöglichen. Wir werden Gewalttaten auf Versammlungen weiterhin konsequent verfolgen. Es ist auch so, dass das Strafgesetzbuch und die StPO natürlich anwendbar sind bei Versammlungen.
Und ich kann Ihnen eines sagen: Auch noch einmal vielen Dank an diejenigen, die sich sehr stark in die Erarbeitung dieses Gesetzes eingebracht haben! Das sind die innen- und die rechtspolitischen Sprecherinnen und Sprecher der Koalitionsfraktionen, die Hochschule für Wirtschaft und Recht, die wir befragen konnten und die uns aus wissenschaftlicher Sicht einige Freiheiten mehr aufgeschrieben hat, das ist die Senatsverwaltung für Inneres und Sport, die unter Hochdruck in Pandemiezeiten auch noch geholfen hat, und das ist namentlich Sebastian Schlüsselburg, der so viel Fleiß an den Tag legte, der es möglich machte, so ein umfangreiches und gutes Gesetz beraten zu können.
Ich möchte noch eines sagen: Wir haben in Pandemiezeiten die Versammlungsfreiheit eingeschränkt. Zu Recht gibt es zurzeit Auflagen wie den Abstand und die Maske, wenn kein Abstand eingehalten werden kann. Daran müssen wir uns halten. In geschlossenen Räumen sind Versammlungen zu Recht reduziert. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Berlinerinnen und Berliner, es wird andere Zeiten geben, auch nach dieser Pandemie. Wir haben viel über Freiheiten diskutiert, die wir einschränken mussten. Ich kann Ihnen sagen: Mit diesem Versammlungsfreiheitsgesetz wird es nach der Pandemie mehr Freiheiten geben als davor. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
auch wenn es für einen Liberalen ungewöhnlich ist. Nach diesem Gesetzentwurf können Versammlungen unter anderem verboten werden, wenn sie geeignet sind, den öffentlichen Frieden zu stören. Das war schon früher möglich. Man brauchte aber Mut zum Handeln. Weil offensichtlich die Befürchtung besteht, dass dieser einigen Leuten abhandengekommen ist, bleibt nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes zumindest die Hoffnung, mit dieser Ausformulierung könnte Innensenator Geisel ein Verbot von sogenannten Hetzdemos wie dem alQuds-Tag in Zukunft leichterfallen.
Ich möchte in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass die meisten – insgesamt 10 von 16 – Bundesländer sich darauf beschränken, sich auf das Versammlungsgesetz des Bundes zu berufen. Es stellt sich daher die Frage: Brauchen wir überhaupt eine eigene Regelung?
Denn das Bundesversammlungsrecht ist hinlänglich. Es ist sowohl aus Sicht potenzieller Demonstrationsteilnehmer als auch aus Sicht der eingesetzten Sicherheitskräfte sinnvoll, dass im gesamten Bundesgebiet das gleiche Recht zur Anwendung gelangt. Schon mit dem LADG wurde die Axt an das einheitliche Recht bei öffentlichen Veranstaltungen gelegt. Der Innensenator musste dann zurückrudern und sagte schließlich: Das LADG gilt nur für Berliner Landesbeamte. Wenn der Bundespolizist oder der Hamburger Beamte da mal ein bisschen härter rangeht, dann ist das Gesetz überhaupt nicht gültig. – Das ist ziemlich bedenklich. – Ich habe hier noch eine ganze Liste. Diese werden wir dann im Ausschuss zusammen in Ruhe abarbeiten.
Hier wurde dieses Gesetz verschiedentlich als ganz großer Wurf bezeichnet. Ich habe überlegt, wie ich diesen Wurf klassifizieren soll.
Nein! Ich spreche bereits mit Herrn Schlüsselburg. – Herr Schlüsselburg! Ich habe eine Weile überlegt, wie ich diesen Entwurf klassifizieren soll. Sie müssen wissen, dass ich unter anderem ein Fan der Serie „Don Camillo und Peppone“ bin. Da gibt es diese herrliche Szene, in der der kommunistische Bürgermeister Peppone einen sauschlechten Traktor aus der Sowjetunion geschenkt bekommt.
Das Ding hat nicht einen Quadratmeter Land gepflügt, und trotzdem mussten die roten Genossen aus dem Dorf diesen Traktor wie das goldene Kalb umtanzen. – Ich finde den Entwurf wirklich nicht gelungen. Aber ich finde es klasse, wie Sie Ihre zwei Partner aus der Koalition hier wieder zum Tanzen gebracht haben.
Vielen Dank! – Zu diesem Tagesordnungspunkt haben die fraktionslosen Abgeordneten Luthe und Wild nach § 64 Abs. 2 der Geschäftsordnung jeweils einen Redebeitrag angemeldet. Die Redezeit beträgt jeweils bis zu drei Minuten. Es beginnt Herr Luthe. – Sie haben das Wort, bitte schön!
Lieber Kollege Friederici! Natürlich muss das sein, denn es muss auch einmal jemand diese Koalition loben.