Protokoll der Sitzung vom 17.09.2020

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Laut einer Bertelsmann-Studie von Anfang des Jahres verdienen Frauen in ihrem gesamten Erwerbsleben halb so viel wie Männer. Kinderlose Frauen konnten in den letzten Jahren etwas aufschließen, bei Müttern ist dagegen eine deutliche Minderung des Lebenserwerbseinkommens zu beobachten. Bei Vätern gibt es so gut wie keine Auswirkungen nach der Geburt eines Kindes. Die Gründe sind bekannt: Ungleichbehandlung, Teilzeitbeschäftigung oder komplette Abwesenheit vom Arbeitsmarkt aufgrund von Erziehungsarbeit oder Pflege von Angehörigen. Während Männer im Haupterwerbsalltag mehrheitlich Vollzeit arbeiten, ist dies bei Frauen nicht der Fall.

Es gab in den letzten Jahren viele Fortschritte, durch die Coronakrise gibt es aber berechtigte Sorgen, wieder weit dahinter zurückzufallen. Bei der Bewältigung dieser Krise rückt die Gleichstellung leider in den Hintergrund. In dieser Pandemie verlieren nach ersten Beobachtungen Frauen häufiger den Job als Männer. Sie reduzieren coronabedingt häufiger die Arbeitszeit, um Betreuung und Homeschooling der Kinder durch ausfallende Kitas und Schulen zu übernehmen. Zudem sind sie häufiger von häuslicher Gewalt betroffen als Männer.

Frauen sind in dieser Krise Heldinnen und Verliererinnen zugleich. Frauen stellen in den zuletzt hochgelobten systemrelevanten Berufen die Mehrheit. Wer einkaufen geht, ein Kind in die Betreuung gibt oder Pflege braucht, trifft mehrheitlich auf Frauen. Leider gilt häufig, dass diese Jobs schlecht bezahlt oder auch latent unterbesetzt sind. Des Weiteren bestehen berechtigte Sorgen, dass sich traditionelle Rollenmuster wieder verfestigen und die Gleichstellung zurückgeworfen wird. Bei all den Fortschritten im Hinblick auf die Gleichstellung scheint es in dieser Ausnahmesituation etwas zu selbstverständlich,

dass die Frauen zu Hause bleiben und sich um die Kinder und den Haushalt kümmern.

Die Lage der Alleinerziehenden ist in Anbetracht aller genannten Punkte noch einmal dramatischer. Dort haben wir es mit mentalen und finanziellen Belastungsproben zu tun. Wenn die Schule oder die Kita zu ist, gibt es häufig keine andere Wahl, als die Arbeitszeit zu reduzieren. Dies bringt kurzfristig Einkommenseinbußen mit sich und erschwert langfristig den beruflichen Aufstieg. All dies führt später zu geringeren Renten und Altersarmut.

Die Politik hat die Aufgabe, Rahmenbedingungen zu schaffen, die dem entgegenwirken, sonst werden wir uns vielleicht in ein paar Jahren fragen, wo denn all die weiblichen Führungs- und Fachkräfte sind, die wir so sehr brauchen. Wenn uns erst dann auffällt, dass sie als Heldinnen des Alltags immer noch den Haushalt schmeißen, ist es zu spät.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Um handeln zu können und Bedarfe zu erkennen, braucht es eine solide Faktenlage. Deshalb fordern wir mit dem vorliegenden Antrag den Senat auf, eine „wissenschaftliche Studie zur Erforschung der geschlechtsspezifischen Auswirkungen der Coronapandemie für Berlin“ zu beauftragen. Unsere Stadt hat Bedarf an einer guten Analyse. Berlin ist die Hauptstadt der Alleinerziehenden. Zudem arbeiten bei uns Frauen vielfach in Branchen, die durch Corona besonders stark betroffen wurden. Zum einen gibt es Arbeitsbereiche, in denen die coronabedingte Arbeitslosigkeit besonders stark auftritt, wie zum Beispiel im Tourismus-, Kultur- oder Dienstleistungssektor, zum anderen möchte ich aber auch noch einmal betonen, dass die in den letzten Monaten vielfach gelobten systemrelevanten Berufe im Gesundheitsbereich, in der Pflege, im Erziehungswesen oder im Einzelhandel mehrheitlich von Frauen ausgeübt werden.

Wir brauchen deshalb dieses Forschungsprojekt, um kurz-, mittel- und langfristige Auswirkungen der Pandemie im Hinblick auf die soziale und ökonomische Situation von Frauen in unserer Stadt noch besser einschätzen zu können. Auf Basis der Erhebung können wir entscheiden, welche Maßnahmen die Politik zusätzlich ergreifen kann, um den Auswirkungen der Pandemie entgegenzuwirken. Es ist nicht akzeptabel, dass die bisherigen Errungenschaften der Gleichstellung aufgrund dieser Pandemie um Jahre zurückgeworfen werden. Die Problemlagen gehören klar benannt und müssen angegangen werden. Dafür stehen wir als rot-rot-grüne Koalition. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

(Katrin Vogel)

Für die AfD-Fraktion hat das Wort Frau Abgeordnete Auricht.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Wissenschaftliche Studie zur Erforschung der geschlechtsspezifischen Auswirkungen der Coronapandemie für Berlin“ – dem voraus ging sicherlich eine wissenschaftliche Studie, wie man durch unverhältnismäßige Coronamaßnahmen die Wirtschaft an die Wand fährt und demokratische Grundrechte ausgehebelt.

[Beifall bei der AfD]

Ich glaube nicht, dass es für die Berliner wichtig ist, darüber zu forschen, ob nun Frauen, Männer, Diverse oder sonstige Gruppen besonders von der Coronaverordnung betroffen waren. Fest steht, alle Branchen, die durch den verordneten Lockdown runterfahren mussten, waren und sind betroffen und damit auch alle Menschen. Wichtiger wäre eine Studie darüber, wie wir diesen Menschen helfen können und wie wir die Maßnahmen endlich beenden können.

[Beifall bei der AfD – Bravo! von der AfD – Zuruf von Carsten Schatz (LINKE)]

Wozu brauchen die Berliner diese Studie? Wozu verschwenden Sie heute unsere Zeit und später die Zeit von Wissenschaftlern für eine Studie, bei der Sie das Ergebnis gleich in die Begründung mit reinschreiben? Was soll denn da noch wissenschaftlich und ergebnisoffen untersucht werden, wenn die Erkenntnisse schon feststehen?

[Beifall bei der AfD]

Und jetzt kommen Sie wieder mit der alten Kiste der strukturellen Benachteiligung von Frauen. Ernsthaft: Warum beantragen Sie eigentlich keine Studie, die sich kritisch mit der Arbeit der Regierung während der Coronakrise auseinandersetzt?

[Beifall bei der AfD]

Warum beantragen Sie keine Studie über das Krisen- und Kommunikationsmanagement der Berliner Verwaltung? Warum beantragen Sie keine Studie über die bisher so schlechte Bezahlung von Pflegekräften, Logistikarbeitern und all der Menschen, die plötzlich systemrelevant wurden? Warum beantragen Sie keine Studie darüber, welche Vorsorgekultur wir künftig in Berlin brauchen? Wieso interessiert Sie die Vulnerabilität von Produktions- und Lieferketten nicht? – Es kann doch nicht egal sein, dass elf versorgungsrelevante Wirkstoffe aus China kamen, dass wir viel zu geringe Lagerbestände im Großhandel haben, und hinzu kommen Lieferketten rund um den gesamten Planeten.

[Beifall bei der AfD – Beifall bei den fraktionslosen Abgeordneten]

Wieso fehlten Schutzausrüstungen für diejenigen, die sie am nötigsten brauchten, und weshalb gab es wochenlang Streitigkeiten zwischen dem Berliner Senat und der Kassenärztlichen Vereinigung?

[Carsten Schatz (LINKE): Wozu brauchen wir auf einmal Schutzausrüstungen?]

Warum keine Studie über die Auswirkungen, als die Menschen ihre Angehörigen in den Pflegeheimen nicht besuchen durften? Waren diese Eingriffe wirklich nötig? Warum gibt es keine Studie darüber, wie verhältnismäßig alle diese Maßnahmen waren? Warum mussten die gesamte Wirtschaft und das öffentliche Leben stillstehen? Wieso beantragen Sie keine Studie darüber, welche Vorhaltekapazitäten im Krankenhausbereich erforderlich sind und wie das Land Berlin künftig seinen Verpflichtungen zu Investitionskostenfinanzierung nachkommen will?

[Anne Helm (LINKE): Geben Sie irgendwann auch Antworten?]

Warum keine Studie darüber, wie gut Sie die Krise dafür nutzen, um die Missstände endlich zu beheben?

All diese Fragen wären es wert, in einer Studie analysiert zu werden. Was aus der sogenannten Coronapandemie eine Coronakrise gemacht hat, waren die überzogenen Eindämmungsmaßnahmen in Bund und Ländern.

[Bravo! und Beifall bei der AfD]

Konnte man bis März dafür noch Verständnis haben, gab es Wochen und Monate keine Evidenz mehr für ein Killervirus. Es wurde und wird immer noch der Panikmodus geschürt und allen vor Augen geführt, wie eine scheinbare stabile Demokratie mit wenigen Federstrichen Grundrechte zu opfern bereit ist.

[Beifall bei der AfD – Beifall bei den fraktionslosen Abgeordneten]

Gut, dass sich das viele Frauen und Männer nicht mehr gefallen lassen. Schlecht, dass Bundes- und Landesregierung nur, um ihr Gesicht zu wahren, nicht bereit sind, die wirtschafts- und gesellschaftsschädlichen Fehler ihrer überzogenen Maßnahmen zu korrigieren. Fragen Sie doch mal Mitarbeiter der Eventbranche, des Messegeschäfts, der Hotellerie, des Gastgewerbes, der Flugreisebranche, aus Industrie, Handwerk, Kunst, Kultur und Sport, was sie von geschlechtsspezifischen Auswirkungen der Coronapandemie halten! Ich kann es Ihnen verraten: gar nichts.

[Beifall bei der AfD – Beifall bei den fraktionslosen Abgeordneten]

Die wollen einfach wieder ihr Leben zurückhaben. Nicht geschlechtsspezifische Unterschiede lassen sie nachts

nicht schlafen, sondern überzogene und spätestens seit April und Mai nicht mehr nötige Eindämmungsmaßnahmen. Die wollen ihr Geld wieder für ihre Familien verdienen können.

[Beifall bei der AfD – Anne Helm (LINKE): Sie scheinen ziemlich ahnungslos!]

Aber wo Schatten ist, da ist auch Licht: Durch die Coronakrise wurde der deutschen Wirtschaft ein derartig nachhaltiger Schaden zugefügt, dass viele Ihrer Ponyhofprojekte nicht mehr bezahlbar sein werden und hoffentlich auch diese überflüssige Studie nicht.

[Beifall bei der AfD]

Fangen Sie endlich wieder an, Politik für die Berliner zu machen! Diese Studie braucht kein Mensch, und ich kann Ihnen sagen: Unsere Bundestagsfraktion hat einen Untersuchungsausschuss beantragt, der all diese Fragen beantworten wird. Wir warten mit Freude auf die Ergebnisse. – Vielen Dank!

[Bravo! und Beifall bei der AfD – Zurufe von Torsten Schneider (SPD) und Georg Pazderski (AfD)]

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort Frau Abgeordnete Kofbinger.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das war ja wieder ein Murks – aber gut, lassen wir das. Darauf möchte ich jetzt nicht eingehen. Ich habe nur vier Minuten und begründe eigentlich nur, warum wir eine Studie zur geschlechtsspezifischen Auswirkungen haben wollen: Da sind Männer mitgemeint. Die meisten verstehen das nicht im konservativen Sektor. Frau Vogel hat das dankenswerterweise mal ausgesprochen: Geschlecht heißt alles Mögliche; es können Männer sein, es können Frauen sein und Menschen, die sich weder noch zuordnen. – Das ist war mit geschlechtsspezifischer Studie gemeint. Also sind alle drin, und das ist doch das, was Sie wollen: Sie wollen doch, dass alle da drin sind.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Wir machen das so, denn, wie wir schon gehört haben, hat Corona einige Auswirkungen. Ob es dieses Virus gibt oder nicht – es hat Auswirkungen, und das wollen wir mit dieser Studie jetzt mal erforschen lassen. Das ist eine super Idee, und all diese Sachen der Vorrednerin, die kann sie selber beantragen, denn Sie sind ja eine eigene Partei.

[Georg Pazderski (AfD): Tut das eigentlich weh?]

Also können Sie selber beantragen, welche Studie Sie machen wollen und welche Untersuchungsausschüsse. Wir machen das nicht; wir sind einfach wissenschaftlich orientiert.

[Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN – Beifall bei der SPD – Lachen bei AfD und FDP]

Ja, so ist das! Und darauf sind wir sehr stolz. Während Sie hier nämlich nur Blödsinn abseiern, haben wir uns entschlossen, hier wissenschaftlich vorzugehen. Und ich finde es schön, dass wir heute eine Sofortabstimmung darüber haben, damit wir gleich loslegen können, diese Sachen zu erforschen.

Es gibt sehr viele Fragen; sie wurden von meinen Kolleginnen Schmidt und Çağlar schon ausführlich genannt. Wir wollen im Prinzip wissen – um es ganz einfach zu machen, dass das auch alle verstehen: Wohin ist die Kohle gegangen? Wer hat das Geld bekommen? Wer profitiert davon? – Das interessiert uns, und das werden wir mit dieser Studie herausfinden.

Was wollen wir mit den Ergebnissen machen? – Wir wollen dort, wo Männer benachteiligt sind, ausgleichen – und jetzt kommt es; das wird Ihnen auf der rechten Seite nicht gefallen – und dort, wo Frauen benachteiligt sind, auch ausgleichen. Aber was dabei herauskommt, welche Gruppe benachteiligt ist, dass wissen wir nicht. Denn deshalb machen wir ja diese Studie.

[Beifall von Carsten Schatz (LINKE)]