Der Verlauf dieser Krise hat uns gelehrt, dass wir den rationalen, vorsichtigen und wissenschaftlich fundierten Kurs beibehalten müssen. Mut und Wagnis in einer Pandemie sind die fahrlässige Inkaufnahme unkalkulierbarer Risiken. Wir dürfen nicht vergessen, dass jeder Fehler nicht nur Menschenleben gefährdet, sondern uns auch um Monate zurückwerfen und in den nächsten Lockdown zwingen kann, den niemand will. Hierfür gibt es international inzwischen hinlänglich bekannte Beispiele, deshalb müssen wir – so schmerzlich es manchmal sein mag – weiterhin den Weg der Rationalität und der Vorsicht gehen.
Auf diesem Weg ist es selbstverständlich auch die Aufgabe des Senats, die Notwendigkeit einzelner Vorschriften und Maßnahmen stetig zu hinterfragen und, soweit möglich, Vorgaben zu lockern. Die Grundlage dieser Lockerung darf aber niemals ein naives Vorpreschen in Armin-Laschet-Manier sein.
Vielmehr müssen wir mit Augenmaß vorgehen. Der Kultursenator hat am letzten Montag im Kulturausschuss die zeitnahe Reduzierung des Mindestabstands in Theatern, Opern und Konzerthäusern auf einen Meter angekündigt, um das Schachbrettprinzip bei der Belegung von Sitzplätzen zu ermöglichen und somit eine deutlich höhere Auslastung zu gewährleisten. Ich begrüße diese Entscheidung ausdrücklich.
Gleichzeitig müssen und werden wir finanziell weiterhin ans Limit gehen, um das Überleben der Berliner Kulturlandschaft in Gänze zu sichern. Während einige Parteien ausschließlich Institutionen der sogenannten Hochkultur im Blick haben und andere vornehmlich elitäre Liebhaberprojekte pflegen, kommt es aus sozialdemokratischer Sicht darauf an, das kulturelle Angebot in der ganzen Breite und Tiefe für die Berlinerinnen und Berliner zugänglich zu erhalten.
Nun möchte ich auch noch einige Sätze zum Antrag der FDP-Fraktion verlieren. Es war einst Willy Brandt, der vor gut 50 Jahren in seiner ersten Regierungserklärung den Satz prägte, „mehr Demokratie“ zu „wagen“, und damit einen neuen, mutigen Politikstil einläutete. Nun freuen wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten uns natürlich immer, wenn Willy Brandt zitiert wird, und die FDP möchte nun also – so zumindest der Titel des Antrags – „endlich wieder mehr Kultur wagen“.
[Sibylle Meister (FDP): Sehr gut! – Zurufe von Mario Czaja (CDU), Paul Fresdorf (FDP) und Danny Freymark (CDU)]
Das Ziel ist zunächst einmal aller Ehren wert, und ich denke, uns alle verbindet der Wunsch, möglichst bald wieder in gut gefüllten Theater- und Konzertsälen zu sitzen – nur ist jetzt der falsche Zeitpunkt, um Wagnisse einzugehen und damit Menschenleben zu gefährden. Die Begründung Ihres Antrags beenden Sie im Übrigen mit dem folgenden bemerkenswerten Satz – ich zitiere –:
Kein Kultursenator kann den Menschen in Berlin die Einschätzung ihres individuellen Lebensrisikos abnehmen.
Mit diesem Satz verkennen Sie in fataler Weise die Grundproblematik dieser Pandemie. Nur, weil eine Person gesund ist und das Risiko hinnehmen mag, sich mit dem Virus anzustecken, heißt das doch noch lange nicht, dass diese Person sämtliche Schutzvorkehrungen außer Acht lassen und ein beliebig hohes Infektionsrisiko eingehen darf, –
denn jede infizierte Person kann wiederum zur Gefahr für das Leben anderer Menschen werden, die beispielsweise unter Vorerkrankungen leiden und ein schwaches Immunsystem haben. Es ist unsere Aufgabe, auch diese Menschen in der Gesellschaft zu schützen.
Insofern möchte ich Ihnen entgegnen: Der Schutzauftrag der Verfassung gebietet es auch dem Kultursenator, das individuelle Infektionsrisiko zu reduzieren. Wenn Ihr Kollege, Ihre Kollegin, Ihr Vater, Ihre Mutter sich gegen einen Opernbesuch entschieden haben, weil einem von ihnen auch das halb besetzte Opernhaus zu voll erscheint, dann ist Ihre scheinbar individuelle Entscheidung, es doch zu riskieren, eben nicht Ihr individuelles Lebensrisiko. Mit anderen Worten: Sie können gar nicht allein für sich das Risiko kalkulieren. Jede scheinbar individuelle Einschätzung reicht über den Einzelnen hinaus. Das ist die Krux an dieser Pandemie.
Sie argumentieren nun, dass der Senat den Einzelnen allein dadurch aus der Verantwortung sich und anderen gegenüber nachgerade entlasse, indem er politische Fürsorgepflicht der Bevölkerung gegenüber wahrnehme, und Sie fordern, dass er sich zurückziehe, damit seine Schäfchen in Kulturveranstaltungen wieder Verantwortung lernen. Das muss man als FDP wohl so formulieren. Ohne jetzt eine staatstheoretische Debatte ableiten zu wollen, muss ich Ihnen sagen, dass ich mich der Argumentation aus den genannten Gründen nicht anschließen kann.
Fraglos halte auch ich den Wert der Kultur sehr hoch und bin für eine möglichst zeitnahe Lösung des Dilemmas; dass wir aber jetzt schon so weit wären, dass es – wie Sie es in Ihrem Antrag schreiben – gesicherte Standards gäbe, die nur irgendwie zu implementieren seien, und dann läuft es schon, halte ich für ein Gerücht. Hier gibt es noch einiges zu verstehen und entsprechend auszuarbeiten, wie der Besuch einer Kulturveranstaltung – vor allem jetzt im beginnenden Winterhalbjahr in geschlossenen Räumen – tatsächlich zu einem kalkulierbaren Risiko werden kann.
Dies allein den Veranstaltern zu überlassen, wäre ziemlich unfair ihnen gegenüber. Hier muss es darauf ankommen, sie zu entlasten, ihnen einen Standard zu schaffen. Wenn jeder individuell seine Standards ausbildet, dann sind das allerdings keine, und wenn sie noch so gut ausgeklüngelt sind.
Wie sehr die Verantwortlichen in den Kulturinstitutionen die Herausforderung annehmen und das verantwortbar Mögliche auch wagen wollen, zeigte sehr schön die gestrige Anhörung im Ausschuss für Europa- und Bundesangelegenheiten, Medien. Dort kündigte das Leitungsduo der Berlinale an, das Filmfestival im kommenden Jahr pünktlich stattfinden zu lassen unter den Bedingungen einer – so wörtlich – „neuen Normalität“.
In eine ähnliche Richtung geht auch das Hoffnung machende Zitat, mit dem ich enden will. Es war die „New York Times“, die kürzlich schrieb, dass die Berlin Art Week zur ersten bedeutsamen internationalen Veranstaltung der Kunstwelt seit März wurde. Ich denke, darauf können wir Berlinerinnen und Berliner durchaus stolz sein.
Wir werden weiterhin alle erdenklichen Anstrengungen unternehmen, um aus der aktuellen Situation das Beste zu machen, und wir werden mit den Berliner Kulturschaffenden im ständigen Austausch bleiben und sie weiterhin mit allen Kräften unterstützen, auch wenn wir dafür finanziell ans Limit oder sogar darüber hinaus werden gehen müssen. Wir werden Berlins Kultur sicher durch die Krise bringen. – Ich danke für die Aufmerksamkeit!
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Berlin fasziniert als Metropole und hat einige Schätze zu bieten. Dazu gehört zwar nicht der Senat, aber in jedem Fall die Kulturszene unserer Stadt.
Diese Kulturszene ist durch die Pandemie akut bedroht. Es herrscht – um das Motto der Demonstration in der letzten Woche aufzugreifen – Alarmstufe Rot. Wenn ich meinem Vorredner so zugehört habe und die Themenformulierung der Koalition in den Blick fasse, dann entsteht das Bild: Sie fühlen sich als der Schülerlotse, der die Kulturkinder an die Hand nimmt, um sie am Zebrastreifen über den Coronadamm zur anderen Straßenseite zu führen. Nun gibt es aber ganz unterschiedliche Schützlinge. Dass die Berliner Philharmoniker oder der Friedrichstadt-Palast die Krise überstehen werden, ist dank staatlicher Zuschüsse so wahrscheinlich wie erfreulich. Doch was ist mit den anderen, die nicht so privilegiert sind? Wer überhaupt und welche Art von Kulturszene diese Krise überstehen wird, ist heute noch gar nicht genau zu sagen. Wir stehen erst mittendrin, für Entwarnung oder gar Selbstlob besteht noch gar kein Anlass. Und ich erwarte daher mehr Demut angesichts der Kulturakteure in dieser Stadt, die bangen, hoffen und ausharren.
Herr Kollege Dr. Juhnke! Ich darf Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ubbelohde von der AfD-Fraktion zulassen.
Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Juhnke! Halten Sie es in Anbetracht der Faktenlage nicht für zutreffender, dass die Problematik unter anderem im Kulturbereich weniger durch die Pandemie entstanden ist als durch die pandemiebedingten Maßnahmen?
Ich kenne ja Ihre Haltung dazu. Die changiert zwischen einem Ernstnehmen der Krise und einem Leugnen des ganzen Themas Corona. Sie haben dazu keine Position. Sie bemühen dazu auch keinerlei wissenschaftliche Erkenntnisse.
Von daher ist es natürlich völliger Unfug, wenn Sie in irgendeiner Weise die ganze Thematik hier unter den Tisch wischen wollen.
Ich muss sagen: Dieses Auf-die-leichte-Schulter-nehmen hilft niemandem, auch nicht den Kulturinstitutionen, den Besuchern und den Künstlern. Von daher, glaube ich, ist das unqualifizierter Unsinn, den die AfD zu diesem Thema ständig von sich gibt.
[Beifall bei der CDU und der FDP – Beifall von Frank Jahnke (SPD) und von Sabine Bangert (GRÜNE) – Martin Trefzer (AfD): Das ist nicht so!]
Aber bleiben wir beim Thema, und zwar beim Thema Fördermittel für Kulturakteure. Auch Berlin hat gehandelt, und es hat – zugegebenermaßen nach heftigen Anlaufschwierigkeiten – auch zügig gehandelt – keine Frage. Das Geld ist angekommen und hat fürs Erste auch vielen geholfen. Darüber können wir uns freuen. Inzwischen müssen wir aber feststellen: Das Geld ist verfrühstückt. Das war nichts Singuläres; das haben auch andere Bundesländer gemacht. Es gab ganz unterschiedliche Ansätze und Wege, und es gab auch Länder wie Bayern oder Baden-Württemberg, die die Nase ein bisschen vor Berlin hatten, z. B. beim Thema fiktiver Unternehmerlohn. Ich hätte mir das auch im Bund gewünscht – das wurde auch viel kritisiert –, aber das Bundesfinanzministerium hat hier ein Veto eingelegt.
Der Bund hat übrigens – das wurde schon erwähnt – die Kulturmittel um 50 Prozent angehoben. Das ist eine ganze schlanke Milliarde. Das war übrigens das einzige Programm bundesweit, das ausschließlich für Kulturzwecke initiiert wurde. Das ist schon eine bemerkenswerte Summe, und das ist auch gut und richtig so, denn die Kulturförderung ist und bleibt eine Gemeinschaftsleistung.
Bleiben wir beim Geld: Wie viel wird zukünftig zur Verfügung stehen? – In Berlin wird ja noch gerechnet, aber Finanzminister Scholz hat auf Bundesebene bereits eine Neuverschuldung angekündigt. Und obwohl Scholz ja
sonst für die Strategie der SPD steht, im Wahlkampf rechts zu blinken, um dann links abzubiegen, was in Berlin vermutlich von Frau Dr. – Rüge – Giffey kopiert werden soll, hat dieser besagte Scholz – vielleicht um Frau Esken zu beruhigen – aus der Mottenkiste als Wunderformel, die alles erklärt und rettet, den Keynesianismus herausgeholt. Ich will jetzt gar nicht darauf eingehen, dass das eine volkswirtschaftliche Theorie von vorgestern ist, möchte aber sagen, dass sich der Bund das leisten kann wegen voller Taschen.
Und warum hat er die Taschen voll? – Genau, wegen des von Links viel gescholtenen Kapitalismus. Es ist die Marktwirtschaft mit ihren Steuergeldern, die das alles bezahlt, was viele vergessen.