Protokoll der Sitzung vom 17.09.2020

[Beifall bei der CDU]

Sie glauben doch nicht im Ernst, Herr Schneider, dass „Neue Wege für Berlin“ Ihnen diese vorgelegte Stellungnahme abkaufen wird, in der Sie sich für ihre regelmäßig verfehlten Ziele beim Wohnungsbau müde feiern und nicht einmal im Ansatz eine Perspektive für die Erschließung neuer sozialer und ökologisch nachhaltiger Stadtquartiere aufzeigen, wie sie von den Bürgerinnen und Bürgern gefordert wird.

Schon die Debatte gestern im Stadtentwicklungsausschuss und auch der heutige Redebeitrag von Ihnen, Frau Spranger, haben gezeigt, die Gemeinsamkeiten Ihrer SPD mit dem Rest der Koalition sind doch mehr als aufgebraucht, wenn sie denn je vorhanden waren. Das gilt insbesondere für die großen Maßstäbe der Stadtentwicklungspolitik. Das gilt für die wichtigen Entwicklungslinien für Berlins Zukunft.

Ich kann Sie nur noch einmal aufrufen, nehmen Sie den Weckruf der Volksinitiative ernst. Nehmen Sie die ambitionierten Ziele und Vorschläge ernst. Ich finde, Berlin ist bereit für mehr. Berlin ist bereit, neue Wege zu gehen. Leider kann ich auf Ihrer Seite weder den Willen noch den nötigen Mut erkennen. Es braucht beides. Es braucht Willen, und es braucht Mut. Was dann mobilisiert werden kann, und ich kenne Ihre Bedenken, was die quantitative Größenordnung eines solchen Förderprogramms angeht, was die bauleitplanerischen Herausforderung angeht. Ja, es ist eine Kraftanstrengung. Wir sehen in diesen Corona

zeiten mehr denn je, was möglich ist, wenn Wille und Mut vorhanden sind. Ich sehe bei Ihnen aber weder Willen noch sehe ich Mut. Von neuen Wegen kann bei Ihnen nicht die Rede sein.

[Beifall bei der CDU – Beifall von Andreas Wild (fraktionslos)]

Denken Sie ernsthaft über neue Wege nach. Überdenken Sie Ihre Politik der Sackgassen. Lassen Sie uns den Schwung der Volksinitiative nutzen. Lassen Sie uns in einem breiten Bündnis für Wohnungsneubau – und ein Runder Tisch wäre, Herr Senator, schon ein Anfang – , lassen Sie uns hier aus dem Abgeordnetenhaus mit einer klaren, unterstützenden Stellungnahme dieses Signal an die Volksinitiative senden, ein Signal der Dialogbereitschaft und ein Signal der Unterstützung. Schaffen Sie, Herr Senator, die Voraussetzungen für einen solchen Runden Tisch. Schaffen Sie ein diskriminierungsfreies Umfeld für eine offene und ehrliche Diskussion über die Neuausrichtung der Berliner Wohnungspolitik. Wir werden uns dem als CDU ganz sicher nicht verweigern. Es wäre ganz im Sinne der Volksinitiative und der 63 000 Unterzeichner. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU – Beifall von Andreas Wild (fraktionslos)]

Vielen Dank, Herr Kollege! – Für die Linksfraktion hat der Kollege Dr. Nelken das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dem Ziel der Volksinitiative, mehr Sozialwohnungen für Berlin, pflichten hier fast alle Fraktionen im Hause bei. Dass anspruchsvolle Neubauprogramme für geförderte und damit mietpreis- und belegungsgebundene Wohnungen fortgeschrieben und möglichst ausgebaut werden sollen, ist Konsens, unabhängig davon, was der Kollege Evers gerade dargelegt hat.

Allein die AfD wünscht sich einen etwas anderen Weg. Mit dem Titel „Subjektförderung“ wollen Sie Vermieter fördern und den Mieter zum Geldboten machen? Aber da sind Sie ziemlich allein. Alle anderen Parteien haben sich inzwischen dazu bekannt, dass der Wohnungsmarkt, dass die gewinnfixierte private Wohnungswirtschaft, das soziale Wohnungsproblem nicht lösen wird, sondern dass wir einen öffentlichen und öffentlich geförderten Wohnungsbau dringend brauchen und er auch weiterentwickelt werden soll. Das ist meines Erachtens von allen, sowohl im Ausschuss als auch hier vertreten worden.

Die Vertrauensleute der Volksinitiativen sagen, dass zwar viel gebaut wurde, das sagen Sie selbst, aber 95 Prozent des privatwirtschaftlichen Wohnungsbaus für große Teile der Berliner unerschwinglich sind. Inzwischen gibt es

(Stefan Evers)

Neubauwohnungen, die in der Erstvermietung jenseits von 20 Euro pro Quadratmeter liegen und dabei keine Luxuswohnungen in Charlottenburg oder am Wannsee sind, sondern ganz normale Standardwohnungen über Supermärkten in der Innenstadt, an verlärmten Straßen und Bahntrassen sind. Über 20 Euro werden verlangt. Also einfach nur bauen, bauen, bauen, löst das soziale Wohnungsproblem nicht.

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Katrin Schmidberger (GRÜNE)]

Die Sprecher und Sprecherinnen der Initiative beklagen selbst die anhaltende Abnahme des Bestandes an Sozialwohnungen. Die Gründe und Zusammenhänge für diese Entwicklung kennen vielleicht nicht alle Unterzeichner, die Initiatoren aber bestimmt. Es ist ein systemisches Ergebnis einer Fördersystematik mit entgrenzten Herstellungskosten, einem aberwitzigen Förderaufwand und nur befristeten Bindungen. Das hat uns in diese Situation geführt. Deshalb ist es verwunderlich, dass unter dem Titel „Neue Wege für Berlin“ der alte Weg wieder vorgeschlagen wird, ein Weg der in die Sackgasse und Berlin in diese beklagenswerte Lage geführt hat.

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Bettina Domer (SPD), Iris Spranger (SPD) und Katrin Schmidberger (GRÜNE)]

Es sind Milliarden Euro in den alten sozialen Wohnungsbau geflossen, aber die Sozialmieten sind von der Zielgruppe nicht mehr bezahlbar, und die Sozialbindungen laufen jedes Jahr in Größenordnungen aus. Ein Zurück auf diesen Holzweg kann es nicht geben. Eine Vertrauensperson der Volksinitiative, Peter Kurth, war damals Finanzstaatssekretär und Finanzsenator, als die schwarzrote Regierung aus dem Sozialwohnungsbau ausgestiegen ist. Er kennt das wohnungswirtschaftliche und haushalterische Desaster des alten Berliner Sozialwohnungsbaus eigentlich viel zu gut, um dieses Revival zu fordern. Ich habe überhaupt nicht verstanden, wie er auf diese Frage in der Anhörung reagiert hat.

Staatliche Wohnungsbauprogramme, Herr Evers, mit großem Mittelaufwand, Bauen im Akkord, ist keine kluge und nachhaltige kommunale Wohnungspolitik. Viel hilft halt nicht immer viel. Das ist nicht nur in der Medizin so, sondern auch beim Wohnungsbau. Wenn die sozialen Eigenschaften dann befristet sind, wird es gänzlich absurd. Wenn Milliarden investiert werden, ohne dass ein dauerhafter sozialer Wohnungsbaubestand herauskommt, ist es keine sinnvolle Politik und absurd.

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Katrin Schmidberger (GRÜNE)]

Jetzt, Herr Evers, ja, auch diese Koalition fördert den sozialen Wohnungsbau. Ja, auch in den aktuellen Förderprogrammen ist die Sozialbindung endlich. Sie ist endlich. Wie schnell 30 Jahre vorbei sind, wird uns dieser Tage permanent vor Augen geführt. Aber diese Koalition praktiziert ein finanzielles, städtebauliches und woh

nungswirtschaftliches Augenmaß bei der Wohnungsbauförderung. Natürlich haben wir im Augenblick sogar noch den Umstand zu verzeichnen, dass wegen der Bedingungen die Inanspruchnahme nur durch die Wohnungsbauförderung vor allem von städtischen und einigen Wohnungsbaugenossenschaften erfolgt. Aber das ist natürlich keine Lösung.

Wir brauchen ein neues Fördersystem, denn die derzeitige Förderung bringt uns eben in dieser Situation nicht weiter. Ich will jetzt gar nicht über die Frage Beschwerdestelle reden. Ich will nur eines zu den Grundstücken hier sagen, weil die Zeit abläuft. Die CDU hat eine beachtenswerte Klarstellung vorgenommen, dass auch sie nicht mehr für den Verkauf landeseigener Grundstücke ist. Das begrüßen wir ausdrücklich. Aber, Kollege Evers, auch das Erbbaurecht ist nicht die Lösung aller Probleme, denn wenn der Erbbauzins für die Landesgrundstücke höher ist als die Zinsen bei einer Fremdfinanzierung beim Kauf, haben Sie ein Nachfrageproblem. Das haben wir gerade. Insofern glaube ich, dass wir alle zusammen noch viel zu tun haben.

Was uns bestimmt nicht weiterhilft und keine nachhaltige Lösung ist, ist der Weg in die alte soziale Wohnraumförderung zurück. Wir brauchen eine neue Förderung. Dafür braucht es Kreativität. Ich denke, dass wir einen Anfang gemacht haben. Vielleicht beteiligen Sie sich an dieser Entwicklung. – Danke!

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Vielen Dank! – Für die AfD-Fraktion hat der Abgeordnete Laatsch das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich gratuliere der Initiative zum Erreichen des Quorums von 20 000 Unterschriften und stimme dem Ziel, mehr Wohnraum für Berliner zu schaffen, dem Grunde nach zu. Wir gehen allerdings andere und wirklich neue Wege. Herr Nelken war so freundlich, das schon teilweise zu beschreiben, denn das Bauen neuer und mehr Wohnungen wollen wir doch alle, bis auf Links und Grün. Auch die Beschleunigung der Verfahren ist nicht wirklich neu. Nahezu jede Oppositionspartei hat sich seit 2016 in wechselnden Zusammenhängen dafür ausgesprochen.

Wirklich neu ist nur die Konstellation, die hier zusammen agiert. Bei dieser Initiative treten SPD, CDU und FDP zusammen auf. Ich frage mich, ob dies ein Hinweis auf eine künftige Koalition ist. Denn die aktuelle Koalition ist eindeutig und für jedermann erkennbar verbraucht. In diesem Sinne: Nichts Neues beim Wohnungsbau, aber durchaus neue Hinweise auf eine künftige Regierung!

(Dr. Michail Nelken)

100 000 neue Wohnungen sollen entstehen, pro Jahr 12 500, dabei zeigt sich Rot-Rot-Grün schon heute außerstande, die eigenen Ziele zu verwirklichen. Wie soll ein solches zusätzliches Kontingent verwirklicht werden, wo doch im Zuge von Corona die Abwicklung von Bauanträgen nicht, wie zu erwarten wäre, vereinfacht und verkürzt worden ist, sondern die Laufzeiten sogar noch ausgeweitet wurden? Die Frage ist auch, wo gebaut werden soll. Auf bereits bestehenden Planungen aufzusetzen, bringt keinen zusätzlichen Wohnraum. Nur ganz neu erschlossene Maßnahmen machen für das Ziel einer verbesserten Versorgung wirklich Sinn. Die Entwicklung neuer Baugebiete dauert in Berlin allerdings ein bis zwei Jahrzehnte. Derweil werden die bestehenden restlichen ca. 90 000 Sozialwohnungen großenteils aus der Bindung fallen. Neubau und Wegfall von Sozialwohnungen rechnen sich so gegeneinander auf.

Dazu muss man wissen, dass Berlin 1,1 Millionen sozialwohnungsberechtigte Haushalte hat. Die bereits erwähnten 90 000 Sozialwohnungen sind dagegenzustellen. Eine auch nur zehnprozentige Versorgung aller Anspruchsberechtigten ist völlig illusorisch. Die Linke hat das erkannt. Sie hat das verstanden und nimmt die Abkürzung über den Mietendeckel. Warum bauen, wenn man auch die Verfassung brechen kann?

[Beifall und Heiterkeit bei der AfD – Beifall von Jessica Bießmann (fraktionslos) und Andreas Wild (fraktionslos)]

Die Schlangen vor politischen Mietwohnungen sind ja auch schon, wie in der DDR geübt, eine gewisse Form von Beschäftigungsprogramm. Wie viele Menschen standen in der DDR tagsüber während der Arbeitszeit – ich habe mir das selber des Öfteren angeguckt – vor irgendwelchen Lebensmittelläden oder vor anderen Kaufhallen, um ihren täglichen Bedarf zu decken? Das war der Standard.

[Ronald Gläser (AfD): Da wollen die wieder hin!]

Genau, da wollen die wieder hin. – Denn Beschäftigung ist ja eine wichtige Sache. Das heißt ja nicht unbedingt, dass man etwas produziert, sondern dass man irgendwas zu tun hat, und wenn es denn Schlangestehen ist.

Uns gilt allem guten Willen der Initiative zum Trotz dieser Weg als nicht realistisch. Auch diverse Beschleunigungsmaßnahmen sind bereits Bestandteil der Bauordnung und werden von der Koalition mit ständig neuen Regularien unterlaufen. Gesprächskreise und ein Neubaubündnis gab es bereits in der letzten Legislatur. Jetzt ist Handeln angesagt. Der Zug für Gespräche ist weitgehend abgefahren. Bedürftige Mieter brauchen nun endlich unsere Unterstützung. Daher ist der richtige Weg die Subjektförderung. Danke, Herr Nelken, dass Sie schon Teile davon erläutert haben, wenn Sie es auch nicht wirklich verstanden haben!

[Beifall und Heiterkeit bei der AfD – Beifall von Jessica Bießmann (fraktionslos) und Andreas Wild (fraktionslos)]

Was bedeutet Subjektförderung?

[Zuruf von Katrin Schmidberger (GRÜNE)]

Schreien Sie nicht so herum! – Subjektförderung bedeutet, dass wir nicht erst Häuser bauen, damit sich Menschen Mieten leisten können, sondern wir geben ihnen Zuschüsse zu den Mieten, damit sie sich sofort mit Wohnraum versorgen können. Also nicht erst zehn oder 15 oder 20 Jahre warten, um in die große Lostrommel mit 1,1 Millionen Menschen hineinzukommen und vielleicht eine Wohnung zu erwischen – 1,1 Millionen zu eins, das ist die Chance –, sondern sich direkt mit Wohnraum versorgen, und zwar am freien Wohnungsmarkt, und dafür den Menschen direkt das Geld in die Hand geben, damit sie sich das leisten können!

[Beifall bei der AfD – Beifall von Jessica Bießmann (fraktionslos) und Andreas Wild (fraktionslos) – Bravo! von der AfD – Zurufe von der LINKEN]

Ungeachtet dessen muss die Wohnungswirtschaft von der sozialistischen Leine gelassen werden. Sie muss endlich in die Lage versetzt werden, für Wohnraum zu sorgen, und das völlig ungehindert. Die Randbebauungen des Tempelhofer Feldes, wie von der Initiative gefordert, geht für uns übrigens nicht ohne erneute Befragung des Souveräns.

[Beifall bei der AfD –

Beifall von Jessica Bießmann (fraktionslos)

und Andreas Wild (fraktionslos)

Was ganz sicher nicht zu einer Verbesserung der Wohnraumversorgung für Berlin führt, ist die völlig sinnlose Schleuseraktivität des Senates. Bei einem Fehlbestand von 100 000 Wohnungen etwas von „sicherem Hafen“ und „Wir haben Platz“ zu formulieren, ist fahrlässig.

[Beifall bei der AfD –

Beifall von Jessica Bießmann (fraktionslos)

und Andreas Wild (fraktionslos)

Bravo! von der AfD –

Er hat den Senat