Protokoll der Sitzung vom 17.09.2020

[Beifall und Heiterkeit bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

In der vergangenen Woche hat es auch ein persönliches Treffen mit Herrn Seehofer anlässlich eines anderen Termins gegeben, aber selbstverständlich haben wir auch darüber gesprochen. Herr Seehofer hat in der vergangenen Woche noch gesagt: 150 und keine weiteren. – Da hat sich dann doch eine Veränderung in der Sichtweise ergeben, und ich glaube, dass das das Ergebnis von politischem Druck ist. Es ist schade, dass es dieses politischen Drucks bedurfte, denn wir sehen, dass wegschauen die Probleme nicht gelöst. Wegschauen und hoffen, das löse sich von alleine, funktioniert nicht. Wir haben es dort mit einer humanitären Katastrophe zu tun.

Wir haben es dort mit einer Situation zu tun, die die Europäische Union in massiver Weise herausfordert. Manche sagen ja, die Europäische Union versage an dieser

(Senator Andreas Geisel)

Stelle. Ich glaube eher, es ist ein Beispiel dafür, was passiert, wenn es die Europäische Union nicht gäbe,

[Frank-Christian Hansel (AfD): … wenn es die AfD nicht geben würde!]

ein Beispiel dafür, wenn wir keine europaweite Lösung finden würden, weil es die EU nicht gäbe. Dann hätten wir lauter solche Probleme. Die Herausforderung dort ist riesengroß, und es gibt durchaus noch europäische Länder, die wegschauen und glauben, so würde sich das Problem lösen oder so könnte man das Problem an Griechenland delegieren, und Griechenland könnte dann sehen, wie es damit klarkommt.

All das funktioniert nicht. Die Probleme haben sich in den vergangenen Jahren verschärft. Auch in diesem Jahr, in dem Berlin immer wieder darauf hingewiesen hat, dass es Kapazitäten hat, mit denen konkret geholfen werden könnte, haben sich die Probleme verschärft, bis es jetzt zu dieser Eskalation kam. Dass Deutschland Menschen jetzt unmittelbar hilft, ist gut und richtig. Es zeigt, dass jetzt richtig entschieden wurde. Berlin steht bereit, um dort Hilfe zu leisten. Ich glaube aber, dass dort seitens der Bundesregierung noch viel in Richtung Europäische Union zu tun ist.

Vielen Dank Herr Senator! – Die Fragestunde ist damit für heute durch Zeitablauf erledigt.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 3

Volksinitiative

„Neue Wege für Berlin“

Volksinitiative gemäß Artikel 61 Abs. 1 der Verfassung von Berlin Drucksache 18/2711

hierzu:

Antrag der AfD-Fraktion auf Annahme einer Entschließung Drucksache 18/3016

Dringliche Beschlussempfehlung des Ausschusses für Stadtentwicklung und Wohnen vom 16. September 2020 Drucksache 18/3017

Antrag der Fraktion der CDU auf Annahme einer Entschließung Drucksache 18/3018

Der Dringlichkeit hatten Sie bereits eingangs zugestimmt. Die dringliche Beschlussempfehlung und die beiden Anträge liegen Ihnen vor. Die Anhörung der Vertrauenspersonen der Volksinitiative ist gemäß § 61 Abs. 1 Satz 3 der Verfassung von Berlin im Ausschuss für Stadtentwicklung und Wohnen erfolgt.

Wir kommen nun zu der nach § 9 Abs. 2 Satz 2 Abstimmungsgesetz vorgesehenen Aussprache im Plenum. Für die Besprechung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die Fraktion der SPD und hier die Kollegin Spranger. – Bitte schön!

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen, sehr verehrte Herren! Liebe Unterstützerinnen und Unterstützer der Volksinitiative! Dass wir im Ausschuss für Stadtentwicklung jetzt innerhalb eines halben Jahres die zweite Volksinitiative anhören durften, zeigt, wie wichtig Fragen der Stadtentwicklung und nach der Zukunft der Wohnraumversorgung für die Berlinerinnen und Berliner sind. Über 60 000 Menschen haben sich der Volksinitiative „Neue Wege für Berlin“ angeschlossen. Für dieses Engagement gebührt der Initiative und allen Unterschreibenden unser Respekt.

[Beifall bei der SPD – Beifall von Anne Helm (LINKE) und Katrin Schmidberger (GRÜNE)]

Ich habe es schon beim letzten Mal gesagt, aber ich empfinde es als wichtig, das noch einmal zu betonen: Anders als bei einem normalen Antrag debattieren hier nicht nur die Fraktionen, und es wird nicht nur zwischen Koalition und Opposition gesprochen. Bei dieser Rederunde geht es auch um einen Austausch zwischen der Zivilgesellschaft und uns Parlamentarierinnen und Parlamentariern. Hier treffen direkte Demokratie und repräsentative Demokratie aufeinander. Nicht ohne Grund ist das in der Tagesordnung vor den Prioritäten der einzelnen Fraktionen angesiedelt. – Die Volksinitiative hat sich mit vier zentralen Forderungen an das Abgeordnetenhaus gewandt, deshalb möchte ich wie schon gestern im Ausschuss auch darauf eingehen.

Die erste Forderung betrifft die Ausweitung der Förderung des Baus von bezahlbarem Wohnraum. Diese Forderung teilen wir als SPD-Fraktion ganz klar. Die Wohnraumförderung ist ein wichtiger Baustein für die Wohnraumversorgung. Wir haben sie als SPD-Fraktion 2014 unter Rot-Schwarz eingeführt. Seitdem wird die Förderung kontinuierlich ausgebaut, auch wenn es hier sicher noch mehr zu erreichen gilt. Unsere im Koalitionsvertrag vereinbarten Neubauziele für die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften konnte die Verwaltung nicht einlösen. Wir erachten es als dringend notwendig, sinnvolle Projekte nicht auf die lange Bank zu schieben und es nicht zu unnötigen Verzögerungen kommen zu lassen.

[Beifall bei der SPD]

Wohnungsneubau ist in einer wachsenden Stadt, in der es kaum noch Leerstand gibt, keine Betonpolitik, wie gern vorgeworfen wird, sondern Sozialpolitik.

(Senator Andreas Geisel)

Bei der zweiten Forderung gehen die Vorstellungen der Initiative an einer Stelle für uns in der SPD-Fraktion und der rot-rot-grünen Koalition etwas zu weit: Es ist richtig, dass öffentliche Grundstücke für landeseigene Wohnungsbaugesellschaften und für Genossenschaften zur Verfügung gestellt werden müssen. Damit sind aber keine Verkäufe an Dritte gemeint – höchstens im Erbbaurecht. Das haben wir gestern gemeinsam im Ausschuss debattiert. Anstatt Grundstücke zu verkaufen, betreiben wir in Berlin eine Bodenvorratspolitik. Aktive Liegenschaftspolitik ist ein wichtiges Instrument der Daseinsvorsorge.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Die Volksinitiative fordert – drittens – die Ausweitung und die Ausweisung von Entwicklungsgebieten. Auch hiermit gehen wir weitgehend konform. Wir haben im Stadtentwicklungsplan Wohnen genau solche Gebiete ausgewiesen. Hierzu zählen unter anderem die ElisabethAue und die Areale in Buch, die in dem Forderungspapier benannt werden. Eine Besonderheit betrifft das Tempelhofer Feld. Auch hierzu haben wir uns als SPD klar positioniert,

[Heiko Melzer (CDU): Und in der Koalition nicht durchgesetzt!]

natürlich mit einem neuen Volksentscheid. Darüber sollten wir ernsthaft nachdenken, denn am Rande des Feldes wäre wohl Wohnungsbau in begrenztem Maße möglich.

[Beifall bei der SPD – Beifall von Katrin Schmidberger (GRÜNE) und Sebastian Czaja (FDP) – Torsten Schneider (SPD): Ja!]

Die letzte Forderung betrifft die Verfahren in der Verwaltung. Damit es nicht mehr zu Verzögerungen kommt, haben wir als SPD-Fraktion 2018 die Wohnungsbauleitstelle und die Clearingstelle gefordert, und sie wurden eingerichtet. Hierzu bitten wir den Senat um regelmäßige Berichte, auch das haben wir gestern miteinander besprochen, und so wird es passieren. Auch einem Runden Tisch mit allen bauwilligen Akteuren, die sich gemeinsam mit uns, mit der Verwaltung für eine bezahlbare und langfristige Wohnraumversorgung einsetzen wollen, stehen wir offen gegenüber. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Vielen Dank! – Für die CDU-Fraktion hat der Kollege Evers das Wort.

[Iris Spranger (SPD): Maske! Maske! – Stefan Evers (CDU): Nein, ich sehe wirklich so aus!]

Der Weg war in der Tat schon zu weit, sonst wäre ich noch zurückgegangen, um meine Maske aufzusetzen. – Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal den Trägern der Volksinitiative und den Vertrauensleuten einen ganz herzlichen Glückwunsch dazu, dass mehr als 63 000 Unterschriften für eine Neuausrichtung der Berliner Wohnungspolitik gesammelt werden konnten – Unterschriften, die sehr eindeutig zu verstehen sind, nämlich gegen linke Klientelinteressen und für eine gemeinwohlorientierte Stadtentwicklung! Das ist ein starkes Signal und ein gutes Zeichen für die direkte Demokratie in unserer Stadt.

[Beifall bei der CDU]

Das ist vor allem deswegen ein gutes Zeichen, weil es dieser Volksinitiative nicht darum ging, gegen diesen oder jenen zu mobilisieren, lautstark Stimmung zu machen oder aus gesellschaftlicher Polarisierung Kapital zu schlagen. Dieser Volksinitiative ging es vor allen Dingen um einen konstruktiven Ansatz. Es wurden 63 000 Unterschriften für eine Wohnraumoffensive gesammelt, von der ganz Berlin, von der wir alle profitieren können.

Wir als CDU unterstützen das ambitionierte Ziel der Initiatoren, ein Förderprogramm für 100 000 neue und für den Normalverdiener bezahlbare Wohnungen ins Leben zu rufen, ein Bündnis für den Wohnungsneubau ins Leben zu rufen, wie es in anderen großen Städten erfolgreich vorgelebt wird. Wir unterstützen den Ansatz, dafür alle Partner der Wohnungswirtschaft ins Boot zu holen, statt private und öffentliche Investitionen gegeneinander auszuspielen. Wir als Berlin brauchen beides, wenn wir die Herausforderungen der wachsenden Metropole meistern wollen. Wir als CDU haben dafür einen Masterplan Wohnen entwickelt, und ich freue mich, dass dieser in weiten Teilen – sicherlich nicht vollumfänglich, aber doch in weiten Teilen – mit den Zielen und den von der Volksinitiative vorgeschlagenen Maßnahmen übereinstimmt.

[Zuruf von Torsten Schneider (SPD)]

Wir haben von Anfang an den Dialog mit dieser Volksinitiative gesucht. Wir haben dort, wo es Gegensätze gab, darüber gesprochen, wir haben sie ausgeräumt, überwunden. Wir haben unterschiedliche Akzente betont. Wir sind sehr offen miteinander umgegangen, aber wir haben immer das Gespräch und den Kontakt zu dieser Volksinitiative gesucht. – Herr Scheel! Ich finde es wirklich peinlich und blamabel, dass Sie den Gesprächswunsch der Volksinitiative ausgeschlagen haben.

[Beifall bei der CDU – Beifall von Sebastian Czaja (FDP)]

Wenn das die Wertschätzung ist, die seitens der Linken der direkten Demokratie, die Ihrerseits der Bürgerbeteiligungen in Berlin entgegengebracht wird,

(Iris Spranger)

[Tim-Christopher Zeelen (CDU): Nur dann, wenn es passt!]

Ganz offensichtlich! – dann zeigt das, dass Bürgerbeteiligung für Sie nur dann interessant und maßgeblich ist, wenn sie in den Plan passt.

[Sebastian Czaja (FDP): Ich hätte da noch ein Beispiel! – Paul Fresdorf (FDP): Ich auch!]

Ich bedaure, dass die rot-rot-grüne Koalition den Weckruf zu verschlafen droht, der mit dieser Volksinitiative und ihrem Erfolg verbunden ist. Sie behaupten zwar – liebe Frau Spranger! –, die Ziele der Volksinitiative zu unterstützen, aber Sie als Koalition drücken sich in Ihrer Stellungnahme um jedes eindeutige Bekenntnis zu den vorgeschlagenen Maßnahmen. Sie tun das, weil Sie den Paradigmenwechsel scheuen – den Paradigmenwechsel weg von ideologischer Verhinderungspolitik hin zu einer auf Neubau ausgerichteten gemeinwohlorientierten Wohnungspolitik für alle Berliner. Selbst wenn Sie als kleiner Teil der Koalition vielleicht sogar dafür zu gewinnen wären – ich habe Ihnen ja aufmerksam zugehört –, Sie finden in der Koalition in rot-rot-grüner Mehrheit nicht mehr die Kraft dafür. Die Linkspartei gibt weiter den Takt vor, nach dem Sie in der SPD tanzen, und ich finde das persönlich mehr als bitter, bitter für Sie, aber vor allem auch für die Zehntausenden Unterzeichnerinnen und Unterzeichner der Volksinitiative.

[Beifall bei der CDU]