Protokoll der Sitzung vom 05.11.2020

Ausländische Gefährder und Salafisten sind zum Schutz der Bevölkerung umgehend abzuschieben, und zwar auch nach Syrien und in den Irak.

[Beifall bei der AfD – Beifall von Andreas Wild (fraktionslos)]

Wir müssen endlich unsere Grenzen schützen, um zu verhindern, dass – wie im Fall des Attentäters von Nizza – Terroristen unter Berufung auf Asyl ungehindert einreisen können, um Anschläge zu begehen. Islamistische Hasskriminalität im Netz ist konsequent zu verfolgen.

Der Horror der letzten Tage und Wochen zeigt eines überdeutlich: So wie bisher kann es nicht weitergehen. Dieses Mal dürfen wir nicht in alte Routinen zurückfallen, kaum dass die Toten bestattet sind, sondern wir müssen es anders und besser machen. Das sind wir den Toten schuldig, und das sind wir unserer Bevölkerung schuldig, die zu schützen, unsere wichtigste Aufgabe ist. – Vielen Dank!

[Beifall bei der AfD – Beifall von Andreas Wild (fraktionslos)]

Für die SPD-Fraktion folgt gleich Herr Abgeordneter Zimmermann. – Bitte schön, Herr Kollege!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um es gleich am Beginn klarzustellen, Herr Kollege: Falls Sie die angebliche Kooperation der Senats mit fundamentalistischen Verbänden so gemeint haben sollten, dass Sie dem Senat eine Komplizenschaft mit Mord und Terror vorwerfen, dann muss ich das entschieden zurückweisen. Das ist eine Fundamentalopposition, die nicht angebracht ist.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Ich nehme aber an, Herr Kollege, Sie haben das vielleicht so nicht gemeint. Aber Sie haben vielleicht versucht zu stimulieren, dass in den sozialen Medien oder sonst wo diese These kolportiert wird, und deswegen ist es wichtig zu betonen, dass ein solcher Vorwurf absurd und in keiner Weise begründbar ist.

Die jüngsten furchtbaren Anschläge von Paris bis Wien lösen zuallererst Trauer und Mitgefühl aus. Wir trauern um die Opfer, und wir fühlen mit den Angehörigen. Wir sollten auch hier im Hause – der Präsident hat es schon getan – gemeinsam zum Ausdruck bringen, dass wir in Berlin an diesen schweren Tagen solidarisch an der Seite unserer europäischen Freunde stehen.

[Beifall bei der SPD, der CDU, der LINKEN, den GRÜNEN und der FDP]

Danach stellt sich aber sofort Entsetzen ein über die Kaltblütigkeit, die Menschenverachtung, die Brutalität dieser Täter und die bittere Erkenntnis, dass es immer wieder junge Männer gibt, die mit ihren religiösen Wahnvorstellungen und ihrem Hass zu eiskalten Killern werden. Auch wenn sie möglicherweise allein handeln und der IS die Tat hinterher nur für sich reklamiert, ist die salafistische Bedrohung mitten in Europa nach wie vor erheblich, und wenn die Debatte hier heute einen Sinn machen soll, dann sollten wir ernsthaft über die Gegenstrategien reden – nicht mit Verunsicherung, sondern ausgerichtet an vernünftigen Strategien politischer wie polizeilicher Art.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Herr Kollege! Ich darf Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Woldeit von der AfD zulassen.

Nein, Herr Kollege! Ich möchte hier im Zusammenhang ausführen, weil das zu wichtig ist. – Nach unserer Überzeugung ist nämlich bei diesen Strategien ein dreifacher Ansatz zu verfolgen. Als erstes ist es unverzichtbar, die Täterprofile genau zu untersuchen. Dabei will ich mich nicht lange mit der Persönlichkeitsstruktur dieser Leute aufhalten: vielfach unterentwickelte soziale Bindungen, mangelnder Kontakt zu Frauen, Abwertung, vielfach Verachtung von Frauen, hohes Aggressionspotenzial und hohe Bereitschaft zur gewalttätigen Lösung von Konflikten.

Wichtiger ist hier die Betrachtung der religiösen Radikalisierungsprozesse. Wie werden gläubige Moslems zu Dschihadisten, die hoffen, als Märtyrer ins Paradies zu kommen? – Der Wiener Imam, der zu Dialog und Verständigung aufruft, warnt davor, dass die Gefängnisse in ganz Europa Brutstätten der Radikalisierung seien. Ich fürchte, das ist ernst zu nehmen. Der Wiener Attentäter, den alle Gutachter und Bewährungshelfer falsch eingeschätzt haben, wollte zwar vorher ins IS-Kampfgebiet ausreisen, dürfte sich aber im Gefängnis in Richtung auf die Terrortat weiter radikalisiert haben. Auch in islamistischen Moscheevereinen hier bei uns sind teilweise solche Prozesse zu beobachten, wie z. B. in der FussiletMoschee in Moabit. Wir haben sie geschlossen, aber damit ist natürlich das Problem noch nicht beseitigt. Jedenfalls ist klar: Das Wissen über die Profile der Täter und der Austausch der europäischen Sicherheitsbehörden über die Radikalisierungskarrieren müssen intensiviert werden. Da hat die „FAZ“ von gestern vollkommen recht.

Wir werden – zweitens – mit Abwehrmaßnahmen keinen Erfolg haben, wenn wir die Strategie des IS nicht kennen. Da lohnt es sich, die IS-eigene Propaganda anzugucken. Ziel der IS-Aktivisten in Europa ist die Grauzone. 2015, nach der Errichtung des Kalifats, haben sie die „extinction of the greyzone“ gefordert; es sei die Zeit gekommen, noch mehr Zerwürfnis in die Welt zu bringen und allerorten die Grauzone zu zerstören. Damit meinen sie die Indifferenz der Ungläubigen, also all die aus ihrer Sicht vergnügungssüchtigen, dekadenten Hedonisten, die weder beim Kreuzzug der vermeintlich christlich geführten Strategie mitmachen noch sich dem Dschihad anschließen, die also weder das eine noch das andere machen. Damit meinen sie vor allem aber auch alle, die sich in Europa einem friedlichen, reformatorischen, europäischen Islam zuordnen lassen. Sie bekämpfen alle Heuchler, die den Kampf gegen die Ungläubigen nicht unterstützen, also Millionen von muslimischen Bürgerinnen und Bürgern. Diese Strategie, die der IS seit 2015 verfolgt, ist also auf die völlig terroruninteressierten Muslime im Westen ausgerichtet und auf die erwünschte Gegenreaktion von Muslimgegnern, um noch mehr Spaltung und Zerwürfnis in die Gesellschaft zu tragen.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Hier zeigt sich, dass die Polemik gegen den Islam als Ganzes und die von manchen betriebene Radikalisierung in der Mitte der Gesellschaft voll nach hinten losgeht, weil sie – ohne dass sie das wollen, quasi aus Versehen – die Logik des islamischen Staates bestätigen.

[Zuruf von der AfD]

Wenn wir eine wirksame Gegenstrategie aufbauen wollen, dann geht das nur mit den muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern in Deutschland und nicht gegen sie. Ihre Widerstandskraft gilt es zu stärken gegen die Gewaltprediger des fanatischen Islamismus. Ihnen muss die Botschaft gelten. Die fundamentalistische Religion hat jede Daseinssicherheit in Tradition, Sitte und Kultur verloren. Islamismus ist, wie Navid Kermani feststellt, Islam ohne islamische Kultur.

[Ronald Gläser (AfD): Dann schieben Sie die Leute doch ab!]

Bei diesem Dialog über den gegenseitigen Respekt und die Achtung der Lebensentwürfe und des Glaubens oder Nichtglaubens des jeweils anderen kommt den Verbänden des friedlichen Islam eine wichtige Rolle zu. Wenn wir gemeinsam Hass und Gewalt eindämmen wollen, müssen muslimische Jugendliche lernen, dass wir in einem säkularen Rechtsstaat leben, dass Frauen und Männer die gleichen Rechte haben und dass Homosexuelle heiraten können.

[Harald Laatsch (AfD): Dann fangen Sie damit mal an!]

Das dritte Handlungsfeld ist natürlich die Sicherheitspolitik, von der Prävention bis zur Strafverfolgung. Hier führen manche Formulierungen zu der Frage: Befinden wir uns eigentlich im Krieg? Nach den Anschlägen in Paris 2015 befand zum Beispiel Herfried Münkler: Wir leben weder im Krieg noch im Frieden. – In Syrien und im Irak ist inzwischen die Staatenbildung des IS durch Militär unterbunden worden. Sind wir im Krieg? – Ich meine, wir sollten den IS in Europa nicht zur Kriegspartei erklären, denn es geht um Verbrechensbekämpfung, die Instrumente von Polizei und Nachrichtendiensten und die Resilienz der Gesellschaft. Das sind die Themen, die uns beschäftigen müssen. Ich warne in diesem Zusammenhang vor einer allzu martialischen Rhetorik.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Beifall von Christian Gräff (CDU)]

Der Fall Amri hat sehr deutlich gemacht, wo bei uns in Bund und Ländern Schwachstellen bei der Terrorbekämpfung lagen. Ich betone „lagen“, denn seither, seit 2016, hat sich in Deutschland im Bund und in den Ländern einiges getan.

[Zuruf von der AfD]

Informationen zu beschaffen, sie richtig auszuwerten und die Erkenntnisse unmittelbar und zügig an die relevanten

Sicherheitsbehörden zu steuern, um erkennbare Gefahren abzuwehren, das ist die entscheidende Voraussetzung, um – wenn man so will – vor die Lage zu kommen, um die Gefahren abwenden zu können.

Aus Österreich hörten wir gestern, dass es wohl der Vorgänger des Innenministers, ein Innenminister der FPÖ – Ihrer Freunde, nehme ich an – war, der den Verfassungsschutz in Österreich dermaßen geschwächt hat, weil er irgendwelche Vorwürfe gegen die hatte, dass sie nicht dazu gekommen sind, ihre Erkenntnisse, die sie über den Attentäter von Wien aus der Slowakei hatten, an die Polizei weiterzureichen.

[Zuruf von Heiko Melzer (CDU) – Christian Buchholz (AfD): Lächerlich! Lächerlich! – Weitere Zurufe von der AfD]

Ich sage nur: Wir müssen darauf achten, dass alle ihre Funktion erfüllen können. Ihre Freunde in Österreich haben nicht dazu beigetragen. Leider!

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Ronald Gläser (AfD): Wien wird von der SPÖ regiert!]

Wir handeln in Berlin und im Bund. Wir haben zum Beispiel, wie in anderen Bundesländern auch, ein neues Analysetool zur besseren Einschätzung von Gefährdern eingerichtet. Damit haben wir die Auswertung von vornherein verbessert und die Chance erhöht, tatsächlich die Gefahrenlagen zu erkennen. Wir haben die Polizei erheblich gestärkt mit dem Ausbau personeller Kapazitäten zur Verbrechensbekämpfung im Bereich Islamismus. Wir haben das verdoppelt seit 2016.

[Harald Laatsch (AfD): Lächerlich!]

Und wir haben im Gemeinsamen Abwehrzentrum des Bundes und der Länder zur Abwehr von Terrorismus eine verstärkte und verbesserte Kooperation vereinbart. Das wird sich auszahlen.

Wir werden in Berlin alles tun, um ein Höchstmaß an Sicherheit vor terroristischen Anschlägen zu gewährleisten. Das ist unser Ziel, das ist unser Bestreben, und wir haben bis jetzt auch schon durch konkrete Maßnahmen gezeigt, dass wir dies voranbringen.

[Zuruf von Christian Buchholz (AfD) – Franz Kerker (AfD): Was Sie alles voranbringen!]

Ihr Vorschlag ist: Alles zumachen und alle abschieben,

[Thorsten Weiß (AfD): Ja!]

egal ob es eine geklärte Staatsangehörigkeit gibt, ja oder nein, egal ob die Staaten im Nahen Osten sie annehmen oder nicht.

[Marc Vallendar (AfD): Der von der A 100 hätte in Finnland sein müssen! Der hätte gar nicht hier sein dürfen!]

Sollen wir die über dem Gebiet abwerfen, oder was? – Das ist die Frage, die im Konkreten beantwortet werden muss, aber niemals in dieser pauschalen Weise, wie Sie das tun.

[Franz Kerker (AfD): Mit solchen Reden verlieren Sie Ihre Wähler!]

Wir werden das im Detail und verantwortlich beantworten, um ein Höchstmaß an Sicherheit zu gewährleisten. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Zunächst einmal hat jetzt für eine Zwischenbemerkung der Abgeordnete Bachmann von der AfD-Fraktion noch einmal das Wort.

Sehr geehrter Herr Kollege Zimmermann! Ich habe Sie mitnichten der Komplizenschaft mit dem Terrorismus bezichtigt, und wenn Sie mir genau zugehört hätten, hätten Sie diese Behauptung auch gar nicht in den Raum gestellt. Was ich Ihnen allerdings vorgeworfen habe, ist die Kooperation mit fundamentalistischen, legalistischen Verbänden, und ich kann Ihnen dafür auch ein Beispiel nennen.

Ich habe 2018 nach der Kooperation des Senats mit DITIB gefragt. DITIB ist der verlängerte Arm des autoritärfundamentalistischen türkischen Regimes. Als Antwort erhielt ich, dass der Senat mit DITIB kooperiert bei der religiösen Betreuung muslimischer Inhaftierter, dass er am Berliner Beirat für die Betreuung muslimischer Inhaftierter teilnimmt. Weiter gibt es ein Projekt im Rahmen des Landesprogramms „Demokratie. Vielfalt. Respekt.“ des Vereins Violence Prevention Network, und dieses Projekt kooperiert seinerseits mit einer DITIB-Moschee – damit aber noch nicht genug. Darüber hinaus ist DITIB auch noch Mitglied im Berliner Islamforum

[Aha! von der AfD]