Protokoll der Sitzung vom 10.12.2020

[Zurufe von der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN: Ooch!]

sondern dass Sie es weiterhin aus teils ideologischen Gründen ablehnen.

[Frank-Christian Hansel (AfD): Wie bei uns!]

Bezeichnend ist folgende Zuschrift, die ich am Montag von einer Berlinerin erhalten habe. Mit Erlaubnis des Präsidenten möchte ich daraus zitieren:

Lieber Herr Dregger! Bitte setzen Sie sich dafür ein, dass Herr Müller endlich konsequente Maßnahmen umsetzt und sie auch kontrolliert. Das Krisenmanagement ist eine Farce. Es geht hier nicht um Befindlichkeiten, sondern um Gesundheit, Leben, Bildung und Wirtschaft in Berlin. Dafür müssen die Zahlen runter, und zwar schnell. Es braucht einen strikten Lockdown und anschließend gutes Kontakttracing, sonst wird Berlin schon im Januar 2021 das Bergamo Deutschlands.

Zitat Ende.

In der Tat ist es bis heute nicht nachzuvollziehen, warum das grüne Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg so lange die Unterstützung der Bundeswehr abgelehnt hat.

[Unruhe bei und Zurufe von der LINKEN und den GRÜNEN]

Dadurch ist für die Eindämmung der Pandemie wertvolle Zeit verloren gegangen, und das ist unverantwortlich. Ebenso wenig ist zu verstehen, warum sich die Digitalausstattung der Berliner Schulen so langsam so wenig ändert, um Distanzunterricht in unseren Klassen – ab Klasse 8 und folgende – zu ermöglichen. Wir haben entsprechende Vorschläge gleich zu Beginn der Pandemie gemacht – passiert ist wirklich wenig.

Ein Weiteres ist mir wichtig: Wir müssen mehr Überzeugungsarbeit leisten. Es geht nicht nur darum, die richtigen Entscheidungen zu treffen, sondern es geht auch darum, die Skeptiker ernst zu nehmen und zu überzeugen. Die Akzeptanz auch für einschneidende Maßnahmen ist hoch – das zeigen ja alle Umfragen –, aber wir brauchen auch diejenigen, die das Problem negieren, denn Infektionsschutz funktioniert nur, wenn alle mitmachen, auch die Kritiker.

[Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Diesen Kritikern sage ich: Seien wir doch ganz ehrlich zu uns selbst. Wir alle – ich eingeschlossen – fragen uns doch immer wieder: Gibt es einen besseren Weg? Können wir Einschränkungen vermeiden? Wie können wir die Schäden bei Unternehmen und Arbeitsplätzen besser umgehen? – Diese Überlegungen waren ja auch der Grund dafür, dass wir in den vergangenen Wochen von einem noch härteren Lockdown Abstand genommen haben. Gemeinsam waren wir der Hoffnung, dass die getroffenen Maßnahmen ausreichen, um unser Gesundheitssystem nicht zu überfordern.

[Torsten Schneider (SPD): Von wem reden Sie jetzt?]

Aber an die Skeptiker gewandt: Wir dürfen uns nichts vormachen. Bei allen Bedenken in Hinblick auf die

(Silke Gebel)

Aussagekraft von Infektionszahlen, die mich immer wieder erreichen, und die ohne Zweifel auch plausibel sind – eines steht doch klar und deutlich fest: Die Zahl der Intensivpatienten kommt nicht aus dem Nichts. Sie wächst mit der Zahl der Neuinfektionen, und deshalb muss die Zahl der Neuinfektionen runter, damit auch die Zahl der Intensivpatienten runtergeht.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Das exponentielle Wachstum der Zahl der Neuinfektionen haben wir gestoppt, aber die Pandemie ist nicht unter Kontrolle. Anders als im Frühjahr ist es bislang nicht gelungen, die Zahl der Neuinfektionen nennenswert zu senken. Die Zahl der Coronapatienten befindet sich auf einem Höchststand. Die intensivmedizinischen Kapazitäten werden immer weiter ausgelastet. Insbesondere beim medizinischen Personal kommen wir an die Leistungsgrenze. Manche Krankenhäuser können keine Intensivpatienten mehr aufnehmen.

Die Lage ist ernst. Sie gefällt uns nicht. Wir dürfen die Augen nicht vor der Realität verschließen. Daher kann es nicht Ziel verantwortlichen politischen Handelns sein, die Dinge laufen zu lassen. Wir müssen vor der Lage handeln, nicht ihr hinterherlaufen, und das müssen wir denjenigen klar und deutlich sagen, die zweifeln, ob der eingeschlagene Weg richtig ist.

Ganz offen: Ich leide, wenn ich in meinem Wahlkreis oder anderswo mit den Gastronomen spreche und sehe, wie sie kämpfen. Ich leide mit ihnen, wenn sie mir sagen, dass sie in den letzten Monaten erheblich in Infektionsschutzmaßnahmen investiert haben in der Hoffnung, aber auch in der Erwartung, dann ihren Betrieb offen halten zu können. Das gilt genauso für viele andere Betriebe, für die Kultur, die Messe- und Veranstaltungswirtschaft. Nicht wenigen steht die Verzweiflung ins Gesicht geschrieben. Nicht wenige sind verärgert, und wer wollte es ihnen verdenken. Ein Hin und Her, ein Vor und Zurück in den Entscheidungen ist Gift für unsere Unternehmen. Es kommt darauf an, ihnen keine falschen Hoffnungen zu machen, die dann enttäuscht werden, sondern es kommt darauf an, dass wir ihnen eine realistische Perspektive eröffnen, die für sie Planungsgrundlage ist, der sie vertrauen können und die ihnen auch das Licht am Ende des Tunnels weist.

Das sehen auch angesehene Wirtschaftsforschungsinstitute so. So hat der Präsident des ifo-Instituts, Clemens Fuest, gesagt, dass bei einem „Weiter so“ die Infektionszahlen offensichtlich nicht sinken, und daher sei ein konsequentes Schließen als Investition zu betrachten, um noch größere Schäden zu vermeiden. Er präferiert also auch aus Sicht der zahllos betroffenen Unternehmen, schnelle, konsequente und wirksame Infektionsschutzmaßnahmen, die die Infektionskurve rasch senken. Er spricht sich gegen die Fortsetzung der derzeitigen Hängepartie aus, die zwar das exponentielle Wachstum der

Infektionskurve gestoppt, aber diese nicht nachhaltig gesenkt hat.

Dahinter steht die Einsicht, dass sich die Unternehmen überall dort schneller erholen werden und können, wo das Infektionsgeschehen schnell unter Kontrolle gebracht werden kann. Daher fordere ich den Senat und die Koalition zu entschlossenem Handeln auf. Entschlossenes Handeln der politisch Verantwortlichen ist jetzt gefragt. Unser Handeln darf und kann sich nicht danach richten, ob unsere Entscheidungen bequem sind, ob sie kritisiert werden. Sondern Maßstab für unser Handeln kann und muss allein sein, was notwendig und richtig ist, um die Krise aller zu meistern.

[Beifall bei der CDU]

Eine alte Lebensweisheit sagt: Die dunkelste Stunde ist die vor dem Sonnenaufgang. – Ich bin überzeugt, dass dies auch auf unsere Situation zutrifft. Die größte Hoffnung am Ende des Tunnels liefern die unterschiedlichen Impfstoffe, die kurz vor der Zulassung stehen. Damit gibt es wieder Perspektiven, unser gesellschaftliches, soziales und wirtschaftliches Leben unter neuen, besseren Rahmenbedingungen organisieren zu können.

Unsere Entscheidungen hier in Berlin haben gravierende Auswirkungen auf die Gegenwart und Zukunft unserer Stadt. Setzen auch Sie Vernunft in den Mittelpunkt Ihrer Entscheidungen, meine Damen und Herren von der Koalition, dann haben Sie uns an Ihrer Seite! Lassen Sie uns vor der Größe der Herausforderungen, die vor uns stehen, nicht entmutigen! Zusammen können wir sie bestehen. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Für die SPD-Fraktion hat nunmehr Herr Saleh das Wort. – Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen! Meine sehr geehrten Herren! In den vergangenen Monaten hat die gesamte Gesellschaft, haben wir alle erhebliche Anstrengungen unternommen, um dem

Coronavirus zu trotzen. Nach Monaten, nach Wochen der Hoffnung, der verfrühten Leichtigkeit befinden wir uns nun wieder voll in der Coronakrise. Ja, die Situation ist sehr schwierig. Sie ist bitter, sie ist todernst. In Deutschland sterben täglich 600 Menschen, Großmütter, Tanten, Onkel, Eltern, geliebte Menschen. Um uns herum werden immer neue Gebiete zu Risikogebieten – längst nicht mehr nur im Ausland. Deutschlandweit gibt es inzwischen mehrere Hundert Städte, Kreise und Bezirke, die als Hotspots eingestuft werden. Große Gebiete in Sachsen sind betroffen, Orte, die nur ein paar Hundert Kilometer von uns entfernt liegen. In manchen Regionen liegt die

(Burkard Dregger)

Sieben-Tage-Inzidenz bei 600. Das heißt, von

100 000 Einwohnerinnen und Einwohnern werden pro Woche 600 Menschen infiziert. Der Wert muss dringend runter. Der Wert muss runter auf die verabredete Zielmarke von 50 Personen. Auch wir liegen in Berlin zu hoch. Mit gravierenden Konsequenzen: Fast ein Viertel unserer Intensivbetten ist mit Covid-19-Patienten belegt.

[Anne Helm (LINKE): Mehr!]

Das ist zu viel. Pflegerinnen, Pfleger und Ärzte stoßen an ihre Kapazitätsgrenzen, teilweise können sie nicht mehr. Das ist das Schlimme an dieser Situation. Die Pandemie ist nicht neu. Sie geht schon fast ein Jahr, ein ganzes Jahr.

[Gunnar Lindemann (AfD): Und noch immer nichts gelernt!]

Die kommenden Monate entscheiden, wie wir in Deutschland und in unserer Heimatstadt Berlin gemeinsam aus dieser Pandemie herauskommen. Die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten – allen voran der Regierende Bürgermeister –, die Bundesregierung und die Bundeskanzlerin sehen das genauso. Die Kanzlerin fleht, appelliert. Ja, wir brauchen verstärkte Maßnahmen. Ja, wir brauchen in den nächsten Wochen einen echten Cut, so sehr es auch weh tut. Hunderte neue Tote am Tag sind eine moralische Verpflichtung, eine Verpflichtung, dass wir alles in unserer Macht Stehende tun müssen, um diese Pandemie endlich zu überwinden.

Wir müssen uns darauf einstellen, dass der Einzelhandel bald eingeschränkt wird. Wir müssen uns darauf einstellen, dass auch die Schulen noch drastischer reagieren müssen. Jeder unnötige Kontakt ist einer zu viel.

[Zuruf von Gunnar Lindemann (AfD)]

Deswegen ist es gut, dass die Winterferien verlängert werden. Deswegen ist es gut, dass jetzt versucht wird, auf Kontakte, die unnötig sind, zu verzichten.

[Gunnar Lindemann (AfD): Bildung ist unnötig? Das ist traurig!]

Es geht leider nicht anders.

Dass alle Maßnahmen, die wir in Berlin beschließen, in enger Abstimmung mit den anderen Ländern passieren, ist richtig. Dieses einheitliche Arbeiten, das Michael Müller seit Anfang der Pandemie eingefordert hat, ist richtig und notwendig. Es kann nicht sein, dass jeder für sich selbst eine Sau durch sein eigenes Dorf treibt. Wir wissen, dass diese harten Einschnitte viele ganz besonders hart treffen, gerade Unternehmerinnen und Unternehmer, die Gastronomie, die vielen Hunderttausende Menschen, die im Tourismus, in der Kultur und in der Veranstaltungsbranche tätig sind.

[Marc Vallendar (AfD): Die wählen Sie nicht mehr!]

Bei ihnen geht es neben der Gesundheit immer auch um die wirtschaftliche Existenz. Deswegen haben wir gerade

den Haushalt noch einmal aufgestockt. Herr Dregger, Sie haben es erwähnt, aber Sie müssen auch sagen, dass es diese Koalition war, die von Beginn der Pandemie an immer gesagt hat: Wir satteln drauf, damit am Ende die Unternehmen überleben. – Wir haben wie

der 500 Millionen Euro bedarfsgerecht eingebaut, damit wir in der Pandemie auf das Geld zurückgreifen können, damit Unternehmen, damit die Kultur überleben.

[Zuruf von Gunnar Lindemann (AfD)]

Diese Koalition war das und nicht Sie, Herr Dregger.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Wir müssen sicherstellen, dass niemand durch Corona in die Armut fällt, und das werden wir auch tun – mit aller Kraft.