Protokoll der Sitzung vom 09.03.2017

Tagesordnungspunkt 5 war die Priorität der Linken unter der lfd. Nr. 3.5.

Ich komme nun zu

lfd. Nr. 6:

Zweiundzwanzigstes Gesetz zur Änderung des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes

Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 18/0166

Erste Lesung

In der Beratung beginnt die Fraktion der CDU. – Herr Kollege Dregger, bitte schön, Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Es wird Zeit, dass wir die ersten Schlussfolgerungen aus dem schrecklichen Terroranschlag auf dem Breitscheidplatz ziehen. Wir haben die Aufklärung in den zuständigen Fachausschüssen, dem Innenausschuss, dem Rechtsausschuss und dem Verfassungsschutzausschuss, vorangetrieben. Und wir wissen jetzt, dass der verbrecherische Attentäter ein bekannter Gefährder war, der im Visier unserer Sicherheitsbehörden stand. Er ist phasenweise observiert und telefonüberwacht worden. Wir wissen aber auch, dass er nicht der einzige Gefährder war.

Unsere Sicherheitsbehörden haben heute etwa 550 Gefährder in Deutschland im Visier, davon über 70 allein in Berlin. Um einen Gefährder rund um die Uhr observieren zu können – sieben Tage die Woche, 24 Stunden am Tag –, benötigen wir 30 Mitarbeiter. Wollten wir alle 550 Gefährder in Deutschland rund um die Uhr observieren, benötigten wir dafür 16 500 Mitarbeiter.

[Carsten Ubbelohde (AfD): Oder einen Ausreisebefehl!]

Diese Kräfte sind nicht annähernd vorhanden. Ich bin der Meinung, dass es unsere Verantwortung ist, die Observierungsteams personell erheblich zu verstärken. Und ich fordere Sie, Herr Innensenator, auf, dies in Ihrer rot-rotgrünen Linkskoalition durchzusetzen. Dafür haben Sie unsere Unterstützung!

[Beifall bei der CDU]

Wir können und wir müssen aber auch mehr tun, um Gefahren von sogenannten Gefährdern abzuwehren. Zum einen muss es unser Ziel sein, vollziehbar ausreisepflichtige Gefährder unverzüglich abzuschieben. Hier ist jede Härte geboten, die unsere Verfassungsordnung zulässt, auch Abschiebegewahrsam und Abschiebehaft. Der Attentäter vom Breitscheidplatz befand sich nur wenige Tage in Abschiebehaft. Er wurde daraus entlassen, weil seine Abschiebung mangels Kooperation der tunesischen Regierung nicht innerhalb von drei Monaten möglich erschien. Und in einem solchen Fall sieht § 62 Abs. 3 Satz 4 Aufenthaltsgesetz die Entlassung aus der Abschiebehaft vor.

Hier müssen wir auf Bundesebene auf einer Änderung dieser Bestimmung drängen. Es muss möglich werden,

vollziehbar ausreisepflichtige Gefährder dann in Abschiebegewahrsam zu nehmen, wenn die Abschiebung voraussichtlich innerhalb von zwölf Monaten vollzogen werden kann. Da wir auch hierzu von Ihnen, sehr geehrter Herr Innensenator, nichts gehört haben, wird die CDUFraktion hierzu einen Antrag für eine Bundesratsinitiative an das Abgeordnetenhaus einbringen. Wenn wir das erreichen, sinkt die Zahl der überwachungsbedürftigen Gefährder, die dann nicht durch Observierungsteams aufwendig überwacht werden müssen, sondern in Abschiebehaft genommen werden können, um bis zu 20 Prozent.

Ein Weiteres ist erforderlich: Wir müssen uns intelligenter technischer Mittel bedienen, um die Überwachung von Gefährdern zu erleichtern und um unsere Observierungsteams zu entlasten. Es müssen nicht in allen Situationen Observierungen rund um die Uhr stattfinden. Lageabhängig kann es auch geboten sein, technische Maßnahmen für die ständige Überwachung ihres Aufenthaltsortes einzusetzen. Daher schlagen wir vor, in das Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für die Überwachung von Gefährdern mithilfe elektronischer Fußfesseln aufzunehmen. Die Initiative hierzu hat bekanntlich der Bundesinnenminister de Maizière ergriffen, und er hat zu Recht deutlich gemacht, dass es in der Verantwortung der Bundesländer liegt, jetzt die notwendigen gesetzgeberischen Voraussetzungen zu schaffen.

[Beifall bei der CDU]

Mehrere Bundesländer haben diese Initiative bereits aufgegriffen. Auch hierzu ist leider von der rot-rot-grünen Linkskoalition nichts wahrzunehmen. Daher haben wir das jetzt übernommen. Wie für den von uns geforderten Ausbau der Videoüberwachung gilt auch für die elektronische Fußfessel: Es ist kein Allheilmittel. Sie kann den Personalaufwuchs der Observierungsteams nicht überflüssig machen und ersetzen, sondern sie ergänzt den Personalaufwuchs. Deswegen ist es notwendig, dass wir beides vornehmen und nicht nur einen Teil dieser Maßnahmen.

Abschließend, meine Damen und Herren von der Linkskoalition: Sie müssen sich jetzt so langsam aus der Parallelwelt Ihrer lebensfremden Parteizirkel verabschieden!

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der AfD – Zuruf von der LINKEN: Genau!]

Sie müssen lernen, auf die realen Gefahren für die Sicherheit unseres Landes zu reagieren, angemessen zu reagieren.

[Thorsten Weiß (AfD): Erklären Sie das mal Frau Merkel!]

Und Sie müssen die Sicherheit für unser Land als Kernaufgabe unseres Staates an erste Stelle stellen. – Herzlichen Dank!

(Präsident Ralf Wieland)

[Beifall bei der CDU]

Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kollege Dörstelmann das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Dregger! Die Terrorismusbekämpfung und -abwehr hat unverändert – und das bleibt auch so – höchste Priorität, aus besten Gründen. Eine Grundvoraussetzung, um sie zu gewährleisten, ist die vernünftige und reibungslose Zusammenarbeit der Behörden auf allen Ebenen, zwischen Europa und dem Bund, zwischen dem Bund und den Ländern.

Am 1. Februar 2017 haben der Bundesminister der Justiz und der Bundesminister des Innern den Entwurf für eine Novellierung des BKA-Gesetzes vorgelegt, indem sie unter anderem schnell und entschlossen auf den schrecklichen Anschlag vom 19. Dezember 2016 reagiert haben. Sie beziehen sich in Ihrem Antrag, den Sie nun vorlegen, vor allem auf die elektronische Aufenthaltsfeststellung, die in dem Entwurf in § 56 geregelt werden soll und die sich vor allem darauf bezieht, dass Gefährder lokalisiert werden können. Ich sage es an der Stelle vorweg: Wir werden die Terrorismusbekämpfung nicht mit einer einzelnen Maßnahme wirklich erfolgreich bestreiten können, und wir werden im Einzelnen in der Erörterung noch sehen, wie sinnvoll die elektronische Fußfessel – so wird sie ja genannt – an dieser Stelle ist und welchen Beitrag sie überhaupt leisten kann.

Sie haben Ihren Antrag darauf gegründet, dass § 56 entsprechende Maßnahmen vorsieht, und sie haben ihn in § 25b als Vorschlag für das ASOG nachgebildet – im Wesentlichen wortgleich. Ich denke, an dieser Stelle muss man eines sehen: Die Novellierung des BKAGesetzes war nicht allein durch den Anschlag geboten. Da wurde schnell gehandelt – das habe ich bereits gesagt. Sie war auch geboten, weil das Bundesverfassungsgericht im April des vergangenen Jahres unter bestimmten Vorgaben die Neuregelung insgesamt gefordert hat. Das war die Entscheidung vom 20. April 2016 zu den verbundenen Verfahren 966/09 und 1140/09. Das Bundesverfassungsgericht hat hierbei klare Leitsätze aufgestellt, aus denen sich bestimmte Vorgaben auch für uns hier ergeben. Das ist zum einen der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Ich glaube, dass eine Maßnahme wie die elektronische Fußfessel bei Gefährdern verhältnismäßig sein kann. Das ist gar nicht der Punkt.

Das Bundesverfassungsgericht hat auch gesagt, dass es individuellen Rechtsschutz geben muss bei einschneidenden Maßnahmen. Wir haben es hier zwar nicht mit einer freiheitsentziehenden, aber freiheitsbeschränkenden Maß

nahme zu tun, die vorgeschlagen wird. Das setzt Bestimmtheit voraus. Ich habe mir die Formulierungen in den nun vorgeschlagenen Neuregelungen angesehen. Dort ist die Rede davon, wenn

bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass diese Person innerhalb eines übersehbaren Zeitraums... eine Straftat... begehen wird

vor allem nach § 129a StGB –, dann habe ich Zweifel, dass hier dem Bestimmtheitsgrundsatz entsprochen wurde. Das Gleiche ist bei der Formulierung, dass individuelle Merkmale „eine konkrete Wahrscheinlichkeit“ annehmen lassen – das steht im zweiten Teil dieses Gesetzentwurfs –, „dass diese Person“ solche Straftaten „begehen wird“.

Der Gefährderbegriff selbst ist das Problem an dieser Stelle. Möglicherweise sind wir nicht so gut beraten, auf diese einzelne Maßnahme zu setzen. Wichtig ist, dass wir schnellstmöglich eine Identifizierung der Personen haben, um die es geht. Das muss Vorrang haben. Wichtig ist, dass die Maßnahmen auch durch entsprechende Kräfte umgesetzt werden können. Der Hinweis darauf, dass eine Nonstop-Observation bei der Anzahl der Gefährder wahrscheinlich nicht zu leisten ist, ist vollkommen richtig. Aber es gibt noch viele Dinge, die wir verbessern können. Das werden wir auch tun.

An dieser Stelle sage ich, dass wir hinsichtlich der Bestimmtheitsgrundsätze, denen wir folgen müssen, diese von Ihnen aufgeworfenen Formulierungen dringend überprüfen müssen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Beifall von Marcel Luthe (FDP)]

Für die AfD-Fraktion jetzt Herr Woldeit.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Dörstelmann! Dass man noch etwas tun muss, steht außer Frage. Die Frage ist nur, ob Sie es tun. Die vergangenen Beratungen im Innenausschuss haben meiner Ansicht nach ein anderes Bild gezeigt.

Nach drastischen Ereignissen ist es ein häufiger Reflex der Politik, härtere Gesetze zu fordern. So will man zeigen, dass die Politik reagiert, ihre Handlungsfähigkeit unter Beweis stellt und somit die Bürger beruhigen. Meistens ist es jedoch lediglich notwendig, bereits vorhandenes Recht konsequent anzuwenden und umzusetzen. Allerdings sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass es in der Tat manchmal notwendig ist, die Gesetzgebung im Rahmen einer bestimmten Bedrohungs- und

Gefährdungslage anzupassen. Beispielsweise begegnete man dem linksextremistischen Terror der Roten Armee Fraktion in den Siebzigerjahren mit zahlreichen Gesetzesänderungen. Hier zeigte der Staat Stärke. Dieser Kampf gegen den Terror wurde gewonnen.

[Beifall bei der AfD]

Heute bedroht uns der islamistische Terror. Unser Land und unsere Stadt haben sich seit dem September 2015 essenziell verändert. Wir müssen der Wahrheit ins Auge sehen: Für die Bürger dieses Landes besteht eine andere Gefährdungs- und Bedrohungssituation als noch vor einigen Jahren. Wer dies seit spätestens dem 19. Dezember 2016 immer noch nicht einsieht, ist blauäugig, ein Träumer und nimmt die Realität nicht wahr.

[Beifall bei der AfD]

Im vorliegenden Gesetzentwurf geht es um eine sinnvolle Anpassung des Allgemeinen Gesetzes zum Schutz der öffentlicher Sicherheit und Ordnung in Berlin – kurz: ASOG – mit entsprechenden Maßnahmen, um der neuen Sicherheitslage zu begegnen. Um es vorweg zu nehmen: Wir unterstützen diesen Antrag, wenngleich wir bei der Beratung im Ausschuss einzelne Punkte im Hinblick auf ihre konkrete Umsetzbarkeit besprechen müssen. Kontaktaufnahme, da weiß ich noch nicht, wie wir das im Detail regeln wollen.

Wenn man mit der Situation konfrontiert ist, dass sich laut Senatsangaben Gefährder in einer hohen zweistelligen Zahl in der Stadt aufhalten – Kollege Dregger sagte, 70 bis 80 würden geschätzt –, wenn der Senat wiederum erklärt, dass man aufgrund personeller Defizite nicht in der Lage ist, diese Gefährder ausreichend zu überwachen, dann muss man erstens erkennen, dass die bisherige Personalpolitik bei den Sicherheitsbehörden vollkommen versagt hat, und zweitens zumindest die rechtlichen Rahmenbedingungen schaffen, um dieser Lage Herr zu werden. Die im vorliegenden Entwurf geforderten Maßnahmen wie der Einsatz der elektronischen Fußfessel, Ausgangs- und Aufenthaltssperren sowie Kontaktverbote sind in der Tat weitgehende Maßnahmen. Aber die sind angesichts der heutigen Lage notwendig.

Um welche Personengruppe handelt es sich, wer kommt dafür überhaupt infrage? Hier geht es doch nicht um Personen, die kleine Diebstahldelikte begehen wollen, hier geht es um Personen, die im Verdacht stehen, schwerste Straftaten und Anschläge zu planen. Der Status eines Gefährders wird doch nicht willkürlich vergeben.

[Udo Wolf (LINKE): Doch!]

Nach dem Terroranschlag vom Berliner Breitscheidplatz sollte auch dem letzten Politiker klar geworden sein, dass die Zeit des Lamentierens vorbei ist. Wir brauchen jetzt auch die rechtliche Anpassung an die aktuelle Gefährdungssituation.

[Beifall bei der AfD]

Wir als Politiker sind verpflichtet, den Bürgern unseres Landes, unserer Stadt wieder Sicherheit zu geben, die Sicherheit, mit seiner Familie einen Weihnachtsmarkt oder ein Shopping-Center unbeschwert besuchen zu können. Deshalb auch mein dringender Appell an die Damen und Herren von der Regierungskoalition: Setzen bitte auch Sie in der Debatte um die innere Sicherheit die richtigen und notwendigen Schwerpunkte!

[Canan Bayram (GRÜNE): Machen wir doch schon!]