Protokoll der Sitzung vom 31.01.2001

Ich darf noch einen Gesichtspunkt des Kollegen Goll aufnehmen. Darüber können wir gerne noch einmal diskutieren; Sie machen ja eine Anhörung, vielleicht auch einmal mit Anstaltsleitern. Wir haben immer wieder das Problem, dass in den Anstalten Sexualstraftäter einsitzen, die dringend einer Therapie bedürften, aber sich weigern, sich einer solchen Therapie zu unterziehen.

(Zuruf des Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grü- nen)

Natürlich, Herr Kollege Oelmayer. Da hat die Möglichkeit, dass dann, wenn sie sich einer solch notwendigen Therapie nicht unterziehen, bei einer verbleibenden erheblichen Gefährlichkeit diese nachträgliche Anordnung der Unterbringung ausgesprochen werden kann, sicherlich auch eine gute präventive und motivierende Wirkung.

Ich will ganz herzlich dazu einladen, dass dieser Gesetzentwurf in diesem Hause einen breiten Konsens finden möge. Ich darf ausdrücklich versichern: Es geht um wenige schlimme Ausnahmefälle. Wir sind uns des außergewöhnlichen Vorgehens – das räume ich durchaus ein – sehr wohl bewusst, aber sowohl Kollege Goll als auch meine Wenigkeit lassen uns davon leiten. Wir wollen bei diesen schlimmen Folgen, die wir schon erleben mussten, vor unserem Gewissen alles getan haben, um solch entsetzliche Taten zu vermeiden. Deshalb bitte ich um Zustimmung.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Das Wort erhält Herr Abg. Bender.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das Gewalt- und Sexualstraftäterge

setz von 1998 hat bekanntlich wichtige Fortschritte für den Schutz der Allgemeinheit vor rückfälligen Straftätern gebracht. So kann jetzt bereits nach dem ersten Rückfall die Sicherungsverwahrung angeordnet werden. Dennoch: Bei manchen Rückfalltätern lässt sich erst im Laufe einer zum Teil langjährigen Haftverbüßung und nicht schon zum Zeitpunkt ihrer Verurteilung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorhersehen, dass sie nach ihrer Haftentlassung erneut schwere Straftaten begehen werden. Das ist ohne weiteres nachvollziehbar, und wir haben auch zwei kennzeichnende Beispielsfälle vom Herrn Innenminister gehört.

Der vorliegende Gesetzentwurf „Straftäter-Unterbringungsgesetz“ will deshalb eine Lücke im Schutz der Allgemeinheit vor gefährlichen Straftätern schließen. Diese Lücke besteht, weil die Sicherungsverwahrung nach § 66 des Strafgesetzbuchs nur im Erkenntnisverfahren und nicht nachträglich angeordnet werden kann.

Die Landesregierung hat sich zunächst um die Einführung einer nachträglichen Sicherungsverwahrung im Strafrecht bemüht. Der Herr Innenminister hat die Schritte der Landesregierung geschildert, denen sich auch Bayern und Hessen seinerzeit – 1998 – bis zum vergangenen Jahr angeschlossen hatten. Diese Schritte sind im Bundesrat gescheitert.

Wir haben auch von der klaren Aussage des Bundesjustizministeriums gehört, das die Bundesgesetzgebungskompetenz für eine nachträgliche Sicherungsverwahrung für nicht gegeben erachtet.

Meine Damen und Herren, bei der gegebenen Gesetzeslage müssten wir jedes Mal erst abwarten, bis der rückfallgefährdete Täter nach Verbüßung seiner Haftstrafe ein weiteres Verbrechen begangen hat. Dies würde bedeuten, den Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger für Leib und Leben bewusst aufs Spiel zu setzen. Dies kann aus rechtsstaatlicher Sicht nicht hingenommen werden.

Andererseits muss – ebenfalls aus rechtsstaatlicher Sicht – ein Weg gefunden werden, der die Gesetzeslücke schließt und dabei den mit der Straftäterunterbringung verbundenen unzweifelhaft schweren Eingriff in das Grundrecht der persönlichen Freiheit rechtfertigt.

Meine Damen und Herren, der vorliegende Gesetzentwurf stellt strenge Kautelen auf, wie sie rechtsstaatlich aus der Sicht der CDU-Fraktion in der Tat geboten erscheinen. In § 1 des Gesetzentwurfs ist die Zielgruppe strikt eingegrenzt auf die zu zeitiger Freiheitsstrafe verurteilten Straftäter, bei denen durch die Verurteilung die formalen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung de lege lata vorliegen, bei denen das Gericht aber zum Zeitpunkt des Urteils noch nicht den Hang des Betroffenen zu weiteren schweren Straftaten bzw. seine Gefährlichkeit für die Allgemeinheit erkennen konnte.

Des Weiteren: Von dem betreffenden Straftäter muss eine erhebliche gegenwärtige Gefahr für eine erneute Gewaltbzw. Sexualstraftat ausgehen. Das heißt, es müssen entsprechende Indizien vorliegen, insbesondere dass der Straftäter – ich zitiere aus dem Gesetzentwurf – „im Vollzug der

Freiheitsstrafe beharrlich die Mitwirkung an der Erreichung des Vollzugsziels... verweigert, namentlich eine rückfallvermeidende Psycho- oder Sozialtherapie ablehnt oder abbricht.“

Die aus rechtsstaatlichen Gründen gebotenen strengen verfahrensrechtlichen Voraussetzungen sind in § 3 des Gesetzentwurfs beachtet. Die Entscheidung über die Unterbringungsanordnung muss durch ein Kollegialgericht – Strafvollstreckungskammer beim Landgericht – erfolgen, und zwar grundsätzlich in öffentlicher Verhandlung und ausnahmslos unter notwendiger Mitwirkung eines Anwalts bzw. eines Rechtsbeistands.

Die Prognose über das gegenwärtige erhebliche Gefährdungspotenzial des Straftäters hat sich auf zwei Sachverständigengutachten zu stützen – wir haben es gehört –, von denen mindestens eines von einem externen Sachverständigen abgegeben werden muss.

Schließlich unterliegt die Unterbringungsanordnung jederzeitiger Überprüfbarkeit durch das Gericht. Sie muss mindestens alle zwei Jahre von der Strafvollstreckungskammer überprüft werden.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich auf die im Rahmen des Anhörungsverfahrens sowohl vom Anwaltsverband Baden-Württemberg als auch vom Weißen Ring geäußerten Bedenken und Zweifel am Gesetzentwurf eingehen. Diese Bedenken und Zweifel beziehen sich im Wesentlichen auf die gesetzgeberische Kompetenz des Landes, allerdings auch auf die materielle Verfassungsmäßigkeit des Gesetzentwurfs.

Zu Letzterem: Der Anwaltsverband erachtet den Gesetzentwurf als verfassungswidrig, weil der Eingriff in die grundrechtlich geschützte Freiheit unverhältnismäßig sei. Die geplante Regelung sei nicht geeignet, das mit dem Gesetzentwurf verfolgte Ziel zu erreichen, nämlich die Bevölkerung vor drohenden Gefahren zu schützen. Der Anwaltsverband begründet dies unter Hinweis auf die Vielzahl von Ersttätern mit der zahlenmäßig geringen Relevanz.

Meine Damen und Herren, auch wenn – der Herr Innenminister hat es schon ausgeführt – die geplante Regelung voraussichtlich und Gott sei Dank nur in wenigen Fällen Anwendung finden wird, so ist doch jeder einzelne Fall, in dem eine erneute schwere Straftat dadurch vermieden werden kann, ein Argument für den Gesetzentwurf und nicht gegen ihn. Jede einzelne Rückfalltat ist eine zu viel!

Bei der verfassungsrechtlich gebotenen Abwägung der Rechtsgüter muss die qualitative Wertung Vorrang vor der quantitativen haben. Ich verweise insoweit auch auf das Rechtsgutachten des Freiburger Verfassungsrechtlers und Polizeirechtsexperten, Professor Würtenberger, der nach umfassender Prüfung aller verfassungsrechtlichen Gesichtspunkte zu Ergebnissen kommt, die im Gesetzentwurf, soweit ersichtlich, auch berücksichtigt sind.

Professor Würtenberger kann auch darin gefolgt werden, dass die geplante Regelung nicht, wie kritisiert wird, auf ein allgemeines Gefährdungspotenzial abstellt, das in der Tat nach § 5 Abs. 1 Satz 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) eine Präventivhaft nicht recht

fertigen würde. Ansatzpunkt des Gesetzentwurfs ist vielmehr das Vorhandensein einer erheblichen gegenwärtigen, also konkreten Gefahr für eine neue schwere Straftat. Das heißt: konkrete Gefahrenabwehr.

Zur gesetzgeberischen Kompetenz des Landes: Nicht ganz nachzuvollziehen ist die Kritik, dass der Entwurf zwischen strafrechtlichen und polizeirechtlichen Anknüpfungspunkten hin und her lavieren würde, weshalb im Zweifel keine Gesetzgebungskompetenz für das Land gegeben sei. Aber der Gesetzentwurf sieht die Unterbringung besonders rückfallgefährdeter Täter eindeutig auf polizeirechtlicher Grundlage als Maßnahme zur Gefahrenabwehr vor. Strafrechtliche Anknüpfungspunkte bringt er lediglich im Zusammenhang mit der rechtsstaatlich gebotenen strikten Eingrenzung der Zielgruppe auf Sexual- und Gewaltstraftäter und mehr nicht!

Meine Damen und Herren, man kann über die Kompetenz des Landesgesetzgebers zugegebenermaßen streiten. Man kann auch bei der hier in besonderer Weise gebotenen Abwägung zwischen den in Betracht kommenden Rechtsgütern rechtswissenschaftlich zu anderen Ergebnissen kommen. Die CDU-Fraktion kann dies nicht mit letzter Sicherheit ausschließen. Wir sehen jedoch in den Ergebnissen des Gutachtens von Professor Würtenberger eine hinreichend verlässliche Entscheidungsgrundlage. Fehlende letzte Sicherheit nehmen wir in Kauf. Dies sind wir bereit zu tun, weil für uns der Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor jeder einzelnen Gewalt- und Sexualstraftat Vorrang hat.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Das Wort erhält Herr Abg. Bebber.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Nach der Wertung der angehörten Organisationen ist die vorgelegte Regelung nicht geeignet, das Ziel zu erreichen, die Bevölkerung vor drohenden Gefahren zu schützen. Wir haben deshalb die Vorstellung, dass wir diese Organisationen und weitere Sachverständige zu einer öffentlichen Anhörung zusammenrufen müssten, um mit ihnen zu erörtern, wie der Gesetzentwurf so gestaltet werden kann, dass das Ziel, die Bevölkerung vor gefährlichen Straftätern zu schützen, erreicht werden kann. Bisher haben wir allerdings noch keine positive Resonanz gefunden. Ich hoffe darauf, dass wir uns noch einig werden, eine solche Anhörung mit dem Ziel durchzuführen, dass, wie gesagt, ein Gesetz herauskommt, mit dem die uns gemeinsam wichtige Zielsetzung erreicht werden kann.

Herr Innenminister, wir sind mit Ihnen der Meinung, dass jede Straftat der von Ihnen geschilderten Art eine zu viel ist und es sich lohnt, dafür ein gesondertes Gesetz zu machen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir wissen auch, dass die von der Bundesregierung 1997/ 98 verschärfte Regelung gerade bezüglich der potenziell gefährlichen Straftäter möglicherweise nicht ausreicht.

Sie haben Fälle genannt, bei denen ich nicht weiß, ob die Straftäter nach den neuen bundesgesetzlichen Regelungen nicht doch hätten festgehalten werden können. Obwohl wir da noch keine weiteren Erfahrungen in der Praxis haben, sind wir bereit, ein zusätzliches Landesgesetz mitzutragen.

Es gibt verfassungsrechtliche Bedenken. Diese sollte man mit den Sachverständigen erörtern und ausräumen.

Uns geht es im Wesentlichen noch darum, dass von den Angehörten nach unserer Auffassung starke Argumente vorgebracht worden sind, weshalb das Gesetz in der Praxis möglicherweise nicht zieht. Da haben nicht nur der Weiße Ring, sondern auch andere Organisationen das Bedenken geäußert, dass die Prognosen, die von Sachverständigen erstellt werden müssen, der Schwachpunkt des Gesetzes sind. Man müsste überlegen, wie das anders organisiert werden kann. Wenn der Weiße Ring – das ist, wie Sie gesagt haben, eine Organisation, die sich vorwiegend um die Opfer kümmert – sagt, dass die vom Gesetz verlangte Prognose „nach Meinung unserer Experten“ – so das Zitat – „so gut wie unmöglich ist“, dann müssen wir das ernst nehmen. Nichts wäre nämlich schlimmer, als wenn wir jetzt mit der Erwartung der Öffentlichkeit, dass wir diese Täter greifen könnten, ein Gesetz verabschiedeten und der Erfolg hinterher ausbliebe.

Es heißt weiter in der Stellungnahme des Weißen Rings:

Eine akute Gefahr der Straftatenbegehung lässt sich mit den bisher bekannten kriminologischen Prognoseverfahren nicht vorhersagen, wenn es nicht um kranke oder berauschte Täter geht.

Darüber muss man reden. Da muss eine Lösung gefunden werden. Wenn man das Gesetz nicht im Wortlaut ändern muss, dann aber möglicherweise die Praxis bei den Sachverständigen.

Ein weiteres Bedenken wird vom Weißen Ring, auch von anderen unterstützt, vorgebracht: Die Täter passen sich an. Wenn sie wissen, dass nur dann, wenn sie in Therapie gehen und sich im Vollzug wohl verhalten, hinterher eine positive Prognose gestellt werden kann, dann wird es zu einer Scheinanpassung kommen. Es muss überlegt werden, wie solche Reaktionen bei den Tätern im Strafvollzug vermieden werden können bzw. wie das Verfahren so angelegt werden kann, damit das nicht passiert.

Der Leiter der Vollzugsanstalt Bruchsal sagt zum Beispiel: Es ist eigentlich nicht sinnvoll, wenn derjenige, der als Psychologe oder Psychiater die Behandlung im Vollzug durchgeführt hat, gleichzeitig Gutachter sein soll. Das leuchtet mir ein; denn wenn das Gutachten entsprechend ausfällt und der Betreffende weiter behandelt werden soll, dann darf das nicht durch den gleichen Behandler geschehen, der vorher gesagt hat: „Du musst aber hier in Sicherungsverwahrung bleiben.“ Zumindest treten dann gehörige Schwierigkeiten auf. Darüber muss man reden. Es muss eine Lösung gefunden werden, wie dieses Problem, das hier aufgezeigt wird, umgangen wird bzw. wie das Problem nicht entstehen kann. Dazu brauchen wir die Anhörung.

Unser Appell an Sie ist deshalb: Führen Sie gemeinsam mit uns eine Anhörung von Organisationen und Fachleuten durch. Dabei geht es übrigens um Fachleute, die bisher noch nicht angehört worden sind. Psychologen und Psychiater sind zu diesem Thema bisher überhaupt noch nicht gehört worden. Wir halten deren Anhörung für notwendig.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort erhält Herr Abg. Oelmayer.

(Abg. Brechtken SPD: Schon wieder? Kriegst du heute eine Zulage? – Abg. Behringer CDU: Dauer- redner!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir zwei Vorbemerkungen.

Die erste Vorbemerkung betrifft das Verfahren. Es will mir nicht so recht einleuchten, Herr Innenminister und Herr Justizminister, dass Sie in dieser Eile jetzt dieses Gesetz durch den Landtag ziehen wollen, obwohl – ich betone das –, jedenfalls nach meiner Kenntnis – aber vielleicht liegen Ihnen ja andere Kenntnisse vor; dann würde ich Sie bitten, diese dann auch zu offenbaren –, keine konkreten Anhaltspunkte dafür bestehen, dass es jetzt darauf ankommt, dass das Gesetz noch im Monat Februar im Landtag beschlossen wird.

(Abg. Deuschle REP: Das ist doch klar!)

Als Abgeordneter, Herr Innenminister, schätze ich es sehr, wenn ich Anhörungsergebnisse von Verbänden, von Organisationen, vom Weißen Ring, von Richtern, von Staatsanwälten und von vielen anderen, deren Stellungnahmen Sie ja eingeholt haben, bekomme. Viele haben, vielleicht auch aufgrund der Zeit, noch nicht Stellung genommen. Ich schätze es sehr, dass man sich darauf beziehen kann und dass man sich ein Bild von dieser rechtspolitisch sicherlich nicht einfachen Frage, wie Sie ja selbst eingeräumt haben, machen kann.

Die Stellungnahmen dieser Verbände sind unserer Fraktion gestern Abend zugegangen. Das heißt, es muss einen Anlass geben, warum Sie das Gesetz in dieser Eile im Landtag verabschieden wollen. Denn wenn das noch in dieser Wahlperiode geschehen soll, dann muss es am 20. oder 21. Februar geschehen. Wann da eine sinnvolle und eine umfassende Anhörung zu den rechtspolitischen und verfassungsrechtlichen Fragen auf der einen Seite und zu der Frage, ob dieses Gesetz überhaupt in dem Sinne greift, wie Sie sich das vorstellen, auf der anderen Seite stattfinden soll, weiß ich nicht. Aber diese Fragen sollten tatsächlich – da will ich den Antrag der SPD-Fraktion gern unterstützen – in einer Anhörung geklärt werden. Die Antwort auf die Frage, warum Sie all dies nicht in einer Anhörung klären wollen, haben Sie bisher nicht gegeben.