Protokoll der Sitzung vom 20.02.2001

Da stellt sich noch schärfer als bei der Pränataldiagnostik, die es ja gibt, die Frage der Selektion, des Kindes nach Wahl. Die Pränataldiagnostik ist im Prinzip nicht viel anders. Da entnimmt man Zellen vom Embryo im Mutterleib zu einem Zeitpunkt, zu dem noch eine Abtreibung möglich ist. Das ist eigentlich nichts anderes, nur zu einem späteren Zeitpunkt. Man hat es im Grunde genommen mit artverwandten Dingen zu tun.

Eines ist klar: Nach herrschender Auffassung steht das geltende Embryonenschutzgesetz der Präimplantationsdiagnostik entgegen. Wir müssen auf der einen Seite auf diesem Feld wirklich alles tun, damit es nicht so kommt, dass Leben generell durch Befruchtung im Reagenzglas hergestellt wird, um es anschließend zu testen und bei Nichtgefallen zu selektieren und zu vernichten. Das darf nicht passieren.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Auf der anderen Seite kann es natürlich Situationen geben, in denen ich eine derartige Präimplantationsdiagnostik nicht von vornherein für unzulässig halten würde. Ich denke zum Beispiel an Familien mit hohen genetischen Risikofaktoren. Bei denen ist es natürlich hart, zu sagen: „Ihr könnt überhaupt keine Kinder haben.“ Es wäre aber auch unverantwortlich, sie sozusagen ständig probieren zu lassen mit der Folge, dass sie keine gesunden Kinder bekommen oder keine gesunden Kinder bekommen können und das Ganze mit hohem Risiko behaftet ist. Sollten wir also Familien, von denen wir wissen, dass eine hohe genetische Belastung und ein hoher genetischer Risikofaktor bestehen, nicht die Möglichkeit eröffnen, ein Kind zu bekommen, das die schwere Erbkrankheit nicht hat? Diese Frage müssen wir uns, glaube ich, schon offen und auch mit einer positiven Tendenz zugunsten dieser Familie stellen. Da geht es dann darum, konkrete Grenzen und Indikationen für die Zulässigkeit einer Präimplantationsdiagnostik festzulegen.

Jetzt komme ich weg von der Fortpflanzungsmedizin. Ein weiteres Gebiet, das ich nur noch kurz ansprechen möchte, ist der Bereich der biotechnologischen Erfindungen und damit der Umsetzungsprozess, in dem wir uns ja befinden, was den harten rechtlichen Rahmen angeht, der Umsetzungsprozess, was die EU-Richtlinie über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen angeht. Das Gesetzgebungsverfahren ist in vollem Gang. Wir aus BadenWürttemberg haben allen Grund, auf einen schnellen Fortgang der Arbeiten an dieser Richtlinie zu drängen, weil gerade auch bei uns im Land die Unternehmen natürlich Klarheit brauchen, wie weit der rechtliche Schutz reichen soll. Sie wissen, nach der Richtlinie könnten der menschliche Körper und die bloße Entdeckung eines seiner Bestandteile einschließlich seiner Gene nicht Gegenstand von Patenten sein. Aber das ist natürlich zunächst einmal leicht gesagt und dann schwer in ein konkretes Gesetz umzugießen. Wir müssen aber alles tun, um dieses Gesetz zu beschleunigen.

Lassen Sie mich einen letzten Bereich thematisieren. Es wurden der Schutz der Daten und die Möglichkeit von Gentests im Bereich des Versicherungsrechts und des Arbeitsrechts angesprochen. Meine Damen und Herren, es ist gar keine Frage: Man kann sich kaum sensiblere Daten vorstellen als diese persönlichen Daten, die mittels Gentests über einen Menschen gewonnen wurden. Deswegen ist für mich auch völlig klar, dass für die Forschung an Personen oder die Verwendung entsprechender Daten immer die Einwilligung des Betroffenen notwendig ist und dass auch ein bewusster Verzicht auf solche Erkenntnisse und solches Wissen möglich sein muss, dass auch das Recht auf Nichtwissen schützenswert bleibt.

Wir werden in letzter Zeit natürlich verstärkt mit der Frage konfrontiert: Was machen wir, wenn Versicherer auf solche Tests drängen, wenn Arbeitgeber auf solche Tests drängen, die ja in einzelnen Ländern Versicherungsunternehmen schon jetzt verboten sind? Zum Beispiel in Schweden und in den Niederlanden ist Versicherungsunternehmen das Verlangen von Gentests verboten. Der Bundesrat hat die Bundesregierung im letzten Jahr aufgefordert, einen Gesetzentwurf mit spezifischen Regeln vorzulegen, nach denen es auch bei uns den Versicherern verboten ist, eine Genomanalyse zur Voraussetzung für den Abschluss eines

(Minister Dr. Ulrich Goll)

Vertrags zu machen. Schwieriger ist die Frage: Was macht man mit Erkenntnissen aus bereits vorgenommenen Untersuchungen? Kann man die vollständig ausschließen? Damit haben wir wieder eine Frage, bei der es um die Grenzziehung geht.

Ich glaube aber, man muss zunächst einmal deutlich sagen: Wir werden bei uns nie zulassen können, dass im Versicherungsrecht und im Arbeitsrecht solche Tests verlangt werden. Man wird immer mit guten Gründen dagegen sein müssen. Man wird auch sehr vorsichtig mit vorhandenen Untersuchungsdaten umgehen müssen. Auch da wäre ich für eine sehr zurückhaltende Linie, und zwar aus dem Grund: Wir müssen auch rechtlich deutliche Grenzen setzen, zum Beispiel in der Fortpflanzungsmedizin, bei den Versicherungen und im Arbeitsleben. Wir müssen rechtlich deutliche Grenzen setzen, damit auch Vertrauen entsteht und gegenüber diesem ganzen Komplex keine irrationalen Ängste aufgebaut werden.

In diesem dann gesteckten Rahmen, glaube ich, können wir genug tun, um der Forschung die notwendigen Freiräume für die Zukunft zu eröffnen. Vielleicht gelingt es ja, auch in diesem Haus zu einem Konsens über die Möglichkeiten der Forschung zu kommen. Wir wissen ja nicht erst seit letzter Woche, dass sich die Menschen nach neuesten Erkenntnissen in genetischer Hinsicht offenbar nur um 0,01 % unterscheiden. Wenn ich jetzt den rechtspolitischen Sprecher der SPD-Fraktion anschaue, muss ich sagen: Das hätte ich nicht geglaubt, Herr Bebber: Wir unterscheiden uns nur in 0,01 % unserer Gene.

(Abg. Bebber SPD: Ich glaube es auch nicht! – Abg. Dr. Walter Müller SPD: Da muss noch etwas anderes sein! – Abg. Pfister FDP/DVP: Das muss ein Zahlendreher sein: Es muss 10,0 heißen!)

Im Durchschnitt vielleicht.

(Abg. Hans-Michael Bender CDU: Das bestätigt aber die These vom Kollegen Kretschmann!)

Wenn man überlegt, meine Damen und Herren, wie dicht wir alle genetisch beieinander liegen, dann bin ich zuversichtlich, dass wir auch die anspruchsvolle Debatte über die Zukunft der Gentechnik mit einem Konsens zu Ende bringen werden.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Meine Damen und Herren, damit ist Punkt 3 der Tagesordnung erledigt.

Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:

Aktuelle Debatte – Konsequenzen des Geburtenrückgangs für die Entwicklung Baden-Württembergs – beantragt von der Fraktion Die Republikaner

Ich will noch einmal, obwohl es jetzt schon das dritte Mal ist, auf die Spielregeln der Aktuellen Debatte nach unserer Geschäftsordnung hinweisen. Für die einleitenden Erklärungen der Fraktionen und für die Redner in der zweiten Runde gilt jeweils eine Redezeit von fünf Minuten. Die beiden Redezeiten können nicht verbunden werden. Ich

möchte die Mitglieder der Landesregierung ausdrücklich bitten, sich auch an den vorgegebenen Redezeitrahmen zu halten. Bei den bisherigen Debatten hat die Landesregierung jeweils länger als eine Fraktion geredet.

Schließlich möchte ich auf § 60 Abs. 3 der Geschäftsordnung verweisen, wonach im Rahmen der Aktuellen Debatte die Aussprache in freier Rede zu führen ist. Ich möchte die Landesregierung bitten, sich auch insoweit an unsere Geschäftsordnung zu halten.

Das Wort erhält Herr Abg. Krisch.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! „Konsequenzen des Geburtenrückgangs für die Entwicklung Baden-Württembergs“, das ist ein sehr komplexes Thema. Es beinhaltet Fragen der Zuständigkeit der Europäischen Union über die Zuwanderung, und es betrifft weltweite Wanderungsbewegungen. Ich darf darauf hinweisen, dass die Bundesregierung durch das Bundespresseamt am 5. Februar Positionen unserer Fraktion zu diesen Punkten ausdrücklich bestätigt hat.

Das Thema betrifft auch die Integrationsförderung und alle Probleme, die damit verbunden sind. Vor allem aber betrifft es die Aushöhlung des Begriffs „Familie“, auch durch die Parteien im Bundestag. Artikel 6 des Grundgesetzes verlangt den Schutz von Ehe und Familie. Er definiert damit Familie als Eltern und Kinder und nicht in dem Sinn: Familie ist da, wo Kinder sind.

Meine Damen und Herren, seit etwa 1970 gibt es die Forderung nach einem Hausfrauengehalt. In den letzten 30 Jahren ist dieser Begriff weiterentwickelt worden auch unter dem Gesichtspunkt: Beendet den Geburtenrückgang. Ich verweise auf Arbeiten von Hatzold, Leipert und Opielka, die schon 1998 allen Bundestagsparteien ihr Konzept „Familiengeld“ vorgelegt haben. Leider ist das nur ein Randthema der Politik geblieben und nie zum Kernthema geworden.

Dabei ist die Frage nach dem Überleben kommender Generationen und die Frage, wie wichtig uns das Überleben unserer Nation, unseres Volkes ist, von größter Bedeutung. Wir haben gerade eine wichtige Debatte zum Thema Ethik erlebt. Ich glaube, die Grundfrage des Überlebens unseres Volkes muss mindestens den gleichen Stellenwert haben.

(Beifall bei den Republikanern)

Denn eine alternde Gesellschaft destabilisiert diese Gesellschaft. Eine alternde Gesellschaft bedeutet Abnahme der Innovation, weil die Erfinder, die Unternehmer und die Arbeiter nie geboren werden. Eine alternde Gesellschaft bedeutet eine höhere Pro-Kopf-Verschuldung und damit eine Auflösung unseres sozialen Netzes. Die alternde Gesellschaft kann unseren Sozialstaat in der jetzigen Form nicht beibehalten. Es wird zur Explosion der Gesundheitskosten und zum Kollaps des Rentensystems kommen.

Es gibt Politiker, die der Meinung sind: Ersatzmigration, also Ersatz nicht geborener eigener Kinder durch Ausländer, ist die Lösung. Wir sind anderer Meinung.

(Abg. Heiler SPD: Das ist aber eine Überra- schung!)

Wir sehen als einzige Lösung einer Verjüngung unserer Gesellschaft eine völlig neue Familienpolitik. Elternverantwortung und Kinder dürfen nicht wirtschaftliche Nachteile bewirken, wie es heute ist,

(Beifall bei den Republikanern)

und auch keinen Verlust an Lebensqualität. Damit ist Familie nicht nur Privataufgabe, sondern eine existenzielle Frage unserer Solidargemeinschaft, eine Staatsaufgabe, ja ein Staatsziel.

Damit widerspreche ich ganz energisch den Aussagen des Herrn Ministerpräsidenten, der in diesem Punkt eine völlig andere Position bezogen hat.

(Abg. Schuhmacher CDU: Na ja! – Abg. Sabine Schlager Bündnis 90/Die Grünen: Was? – Zuruf des Abg. Heiler SPD)

Er hat.

Meine Fraktion hat das Konzept des Deutschen Arbeitskreises für Familienhilfe in Freiburg aufgegriffen und umgearbeitet. Wir haben ein vierstufiges Erziehungsgehalt vorgesehen. Das Konzept heißt „Zukunftsgeld“. Die mir zur Verfügung stehende Redezeit erlaubt keine Detailerläuterungen.

(Abg. Heiler SPD: Gott sei Dank!)

Aber ich kann sie Ihnen schriftlich vorlegen.

Das Problem dieses Konzepts liegt in der Finanzierung. Dafür dürften etwa 60 Milliarden bis 100 Milliarden DM erforderlich werden.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Milliarden?)

Aber wenn wir berücksichtigen, dass uns Misswirtschaft bei Bund, Ländern und Kommunen 100 Milliarden DM im Jahr kosten, dass sich Korruption, Subventionsbetrug und Ähnliches in Deutschland und in Europa auf eine Größenordnung von 50 Milliarden DM belaufen, dass uns die Arbeitslosenunterstützung etwa 100 Milliarden DM kostet und dass noch Kosten wie etwa im Zusammenhang mit dem Kosovo-Krieg entstehen, dann relativieren sich Kosten für ein lebenserhaltendes Zukunftsgeld.

Meine Fraktion wird in der nächsten Legislaturperiode neue Initiativen zu diesem Thema einbringen. Wir bitten Sie sehr, das Thema Zukunftsgeld dann im Landtag mit uns durchzuziehen, um die Überalterung der Gesellschaft endlich zu beenden und Schritte vorzunehmen, die zu einer Verjüngung unserer Gesellschaft führen.

(Beifall bei den Republikanern)

Das Wort erhält Frau Abg. Blank.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Konsequenzen des Geburtenrückgangs auch für Baden-Württemberg: Es ist richtigerweise gesagt worden, dass es sich hierbei um ein sehr vielschichtiges Problem und somit auch um eine Querschnittsaufgabe für die Politik handelt. Es gibt sowohl familien

politische als auch ordnungs-, sozial-, wirtschafts- und bildungspolitische Ansätze. Im Gegensatz zu den Republikanern haben wir dies aber nicht erst in der letzten Sitzung vor dem Ende der Legislaturperiode erkannt. Vielmehr betreiben wir diese konsequente Familienpolitik seit Jahren.

(Lachen bei den Republikanern – Abg. Deuschle REP: Mit welchem Erfolg?)

Mit welchen Ergebnissen? Das Land Baden-Württemberg hat die höchste Geburtenrate und verfügt über die besten Familienstrukturen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Zurufe der Abg. Deuschle REP und Capezzuto SPD)