Protokoll der Sitzung vom 02.02.2000

(Abg. Deuschle REP: Aber der Mittelstand nicht! – Abg. Wieser CDU: Das ist die Partei des Groß- kapitals!)

dass aber der Mittelstand bzw. kleine und mittlere Unternehmen erhebliche Steueraufschläge hinzunehmen haben. Das wird bei der Übergabe von Firmen zu weiteren Problemen führen.

Meine Damen und Herren, der Abbau der jahresdurchschnittlichen Arbeitslosenzahl um 27 000 ist der stärkste Rückgang in der gesamten Bundesrepublik. Jetzt frage ich, wo die fortschrittliche Wirtschaftspolitik der SPD-regierten Länder ist. Wir hoffen, dass durch eine weiterhin prosperierende Wirtschaft die Zahl unter 300 000 sinkt und wir die Arbeitslosenquote im Jahre 2000 auf 6 % drücken können.

(Abg. Wieser CDU: Sehr gut!)

Wie Sie wissen, belastet uns die Arbeitslosigkeit junger Menschen ganz besonders. Junge Menschen sollten dringend den Einstieg in den Arbeitsmarkt finden. Das Angebot von Lehrstellen ist deshalb von großer Bedeutung. Es gibt überhaupt niemanden, der sich mehr darum bemüht, Ausbildungs- und Lehrstellen zu finden, als das Wirtschaftsministerium in Baden-Württemberg.

(Abg. Wieser CDU: Doch, der Döring!)

Wir können darauf hinweisen, dass wir im Vergleich zum Vorjahr einen Zuwachs von 3,4 % Ausbildungsplätzen haben. Das Lehrstellenangebot wurde nicht durch eine Zwangsabgabe erreicht, sondern stattdessen wurde auf die Bereitschaft der Akteure im Bündnis für Ausbildungsplätze gesetzt – und dies sehr erfolgreich.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der CDU)

Es ist wirklich allen Unternehmen zu danken, die hierbei ihre gesellschaftspolitische Verantwortung übernommen haben. Die Förderung der überbetrieblichen Ausbildung,

wofür die Mittel im Rahmen des vorliegenden Doppelhaushalts erhöht werden konnten, und der Ausbildungsverbünde sowie das Programm für Lehrlinge aus Konkursbetrieben waren hierbei von Bedeutung. Angesichts der weiter steigenden Zahl der Schulabgänger dürfen wir in unseren Anstrengungen natürlich nicht nachlassen.

Besonders positiv war für uns, meine Damen und Herren, die erfreuliche Entwicklung im Tourismus. Die Tourismusförderung konnte strukturell verbessert und im Volumen erhöht werden. Durch die gezielte Projektförderung werden neue Attraktionen mit überregionaler Anziehungskraft unterstützt.

Da dieser wichtige Dienstleistungsbereich besonders arbeits- und lohnintensiv ist, sollte die Regierung in Berlin dringend ihre Politik überdenken, unsere Bundesratsinitiative vom letzten Jahr aufgreifen und die Abschaffung der Trinkgeldbesteuerung sowie die Halbierung des Mehrwertsteuersatzes für Dienstleistungen mit Nachdruck vorantreiben.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Zum vorliegenden Doppelhaushalt – –

(Glocke des Präsidenten)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Brinkmann?

(Abg. Scheuermann CDU: Das ist aber unkollegi- al! – Abg. Pfister FDP/DVP: Setzen, Brinkmann! – Abg. Brinkmann SPD: Dann sagen Sie die Wahr- heit! – Heiterkeit)

Zum vorliegenden Doppelhaushalt möchte ich zum Schluss zwei zentrale Punkte ansprechen.

Meine Damen und Herren, der Verkauf der Landesanteile an der Energie Baden-Württemberg AG sichert die Zukunftsfähigkeit des Landes in einem sich international entwickelnden Energiemarkt. Ein großer strategischer Partner war unabdingbar. Die Liberalisierung des Strommarkts war und ist für unsere energieintensiven Branchen im Land von großer Bedeutung. Die Preise konnten erheblich gesenkt werden. Herr Brinkmann, Herr Dr. Witzel und einige andere, die seit Jahren predigen, dass die Verbraucher keinerlei Preisreduktionen zu erwarten hätten, haben sich alle gründlich getäuscht.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP)

Diese Unkenrufe konnten alle widerlegt werden. Auch für die Normalverbraucher sanken die Preise um bis zu 10 %.

(Zuruf des Abg. Brinkmann SPD)

Da brauchte man nicht einmal zu Yello Strom zu wechseln.

Meine Damen und Herren, soziale Marktwirtschaft ist etwas Positives. Was Sie zum Teil anstreben, scheint mir mehr eine Art Planwirtschaft zu sein. Erfreulich ist, dass in Baden-Württemberg auch in diesem Jahr der Primärenergieverbrauch deutlich mehr als im Bundesdurchschnitt zu

rückgegangen ist. Der Gesamtenergieverbrauch, die Relation zwischen Primärenergieverbrauch und Wirtschaftswachstum, ist um 3,3 % gesunken. Energieeffizienz und Energieeinsparung werden weiter vorangetrieben, und es werden hier, falls Gelder vorhanden sind, selbstverständlich auch noch Mittel aufgestockt. Unter anderem möchte ich das Altbausanierungsprogramm nennen.

(Zuruf des Abg. Brinkmann SPD)

Allerdings sehen wir im Moment keine Notwendigkeit, direkte Subventionen für regenerative Energien zu gewähren. Der Bund gibt in Zukunft 99 Pfennig für eine Kilowattstunde Solarstrom aus. Ich denke, das reicht an Subventionen, zumal vom ZSW gesagt wurde, dass langfristig eine Kilowattstunde für 70 Pfennig produziert werden könne.

Meine Damen und Herren, die Verbraucherzentrale – das möchte ich noch zum Schluss sagen – hat sich in den vergangenen Jahren durch Umstrukturierung massiv auf neue Gegebenheiten des Marktes umstellen müssen. Ich muss sagen: Als verbraucherpolitische Sprecherin meiner Fraktion bin ich froh, dass die Verbraucherzentrale dies außerordentlich positiv bewerkstelligt und überstanden hat und die Neustrukturierung auch für die Verbraucher sehr gut gelungen ist. Deshalb ist es positiv, dass die Zuschüsse an die Verbraucherzentrale zur Verbesserung der technischen Ausstattung, die für eine zeitgemäße Beratung unabdingbar ist, aufgestockt wurden.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Das Wort erhält Herr Abg. Deuschle.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das Wirtschaftsministerium erwartet, dass im Jahr 2000 die konjunkturelle Aufwärtsbewegung wieder an Tempo gewinnt und ein Wirtschaftswachstum von rund 3 % erreicht werden kann. Ob dadurch die Arbeitslosigkeit abgebaut werden kann, vor allem die strukturell bedingte Sockelarbeitslosigkeit, muss bezweifelt werden, da wir eine höhere Beschäftigungsschwelle als andere Länder haben. Sollten wir hier jetzt keine Erfolge erzielen können, gehen wir mit einem sehr hohen Sockel an Arbeitslosen in die nächste Rezession.

Was sind die Gründe dafür, dass wir in Baden-Württemberg mit 2 % eine höhere Beschäftigungsschwelle, das heißt ein Wirtschaftswachstum, bei dem neue Arbeitsplätze geschaffen werden können, haben, die erheblich über der in den USA mit rund 0,4 % liegt? Dazu ist ein kurzer Blick auf die unterschiedlichen Beschäftigungsordnungen notwendig. Da gibt es hauptsächlich zwei Modelle: das deutsche oder baden-württembergische Modell einer Hochproduktivitätsordnung, dem ein angelsächsisches oder auch skandinavisches Modell einer Hochbeschäftigungsordnung gegenübersteht.

Unsere Ordnung ist vom Normalarbeitsverhältnis geprägt. Sie ist industriell orientiert, setzt weitgehend auf die Trennung von Erwerbs- und Hausarbeit und wird noch durch einen Flächentarifvertrag abgesichert.

Das angelsächsische Hochbeschäftigungssystem ist dagegen dadurch charakterisiert, dass verschiedene Aufgaben, die bei uns zum Beispiel unter Hausarbeit organisiert sind, zur Erwerbsarbeit zählen, dass der Dienstleistungssektor stärker ausgebaut ist und dass es mehr individuelle Arbeitsverträge und auch betriebliche Vereinbarungen gibt.

Sind nun die Amerikaner auf das Zeitalter des digitalen Kapitalismus, wie Peter Glotz dies nennt – –

(Abg. Roland Schmid CDU: Oh!)

Peter Glotz ist Ihnen doch hoffentlich bekannt. Er ist ein intelligenter Sozialdemokrat – davon gibt es nicht so viele, aber immerhin –, der in Erfurt Wegweisendes geschaffen hat.

Sind also die Amerikaner für dieses Zeitalter besser gewappnet als wir? Die Entwicklung der Kommunikationstechnologie wird, so sagt uns Glotz voraus, ein weiteres Auseinanderdriften unserer Gemeinschaft zur Folge haben und eine Vollbeschäftigung in der gewohnten Form immer unmöglicher machen.

Glotz spricht auch davon, dass wir eine beschleunigte Gesellschaft erhalten, die dadurch gekennzeichnet ist, dass zwei Drittel der Bevölkerung, die so genannten Beschleuniger, die Chancen von Internet und anderem offensiv nutzen, gut bezahlte Arbeitsplätze haben und mit den Eliten anderer Länder global kommunizieren.

(Abg. Schmiedel SPD: Das Thema ist der Landes- haushalt!)

Herr Kollege Schmiedel, ich muss hier schon auf solche Fragen eingehen. Dass Sie das natürlich nicht verstehen, ist eine andere Sache. Deswegen können Sie heute von meinem Diskussionsbeitrag einiges lernen, Herr Kollege.

(Beifall bei den Republikanern – Abg. Roland Schmid CDU: Einbildung ist auch eine Bildung!)

Daneben gibt es ein Drittel der Bevölkerung, das mit den technologischen Anforderungen nicht mehr fertig wird. Diese Menschen sind zum Teil arbeitslos und werden psychisch krank. Wir Republikaner fordern Sie, Herr Minister, und die Landesregierung insgesamt, eigentlich auch die SPD, auf, sich mehr dieser Menschen anzunehmen und diese Menschen nicht als Modernisierungsverlierer zu denunzieren und in die Ecke zu stellen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den Republikanern – Abg. Veronika Netzhammer CDU: Das macht doch auch nie- mand!)

In Baden-Württemberg existiert ein Arbeitsplatzdefizit bei sozialen und personenbezogenen Dienstleistungen, nicht, wie Herr Kuhn von den Grünen fälschlicherweise heute Morgen gesagt hat, bei den unternehmensbezogenen Dienstleistungen. Hier sind wir recht gut organisiert. Dass hier bei den personenbezogenen Dienstleistungen ein Defizit besteht, liegt daran, dass diese Dienstleistungen nicht so produktiv sind wie die der Industrie oder die produktionsnahen Dienstleistungen.

Daraus folgt, dass persönliche und soziale Dienstleistungen im Gesundheits- und Sozialwesen, in der Unterhaltungsund Freizeitindustrie nur dann als Erwerbsarbeit organisiert werden können, wenn sie entweder staatlich mitfinanziert oder niedriger bezahlt werden. Welches Konzept, Herr Wirtschaftsminister, haben Sie, um diese wohl nicht wegzudiskutierende Dienstleistungslücke bei öffentlichen und privaten Dienstleistungen und auch im Gaststättengewerbe zu schließen?

Dies ist umso dringlicher, als der Strukturbericht zur wirtschaftlichen und beschäftigungspolitischen Lage der IHK Stuttgart und der IG Metall ergeben hat, dass allein in der Region Stuttgart über 212 000 Menschen gering qualifiziert sind und deren Arbeitsplätze kurz- und mittelfristig stark gefährdet sind.

So mussten Sie ja, Herr Minister, auch in der Antwort auf eine Große Anfrage von uns einräumen, dass zwischen 1992 und 1999 die Zahl der Beschäftigten mit Abitur und Berufsausbildung zwar leicht zugenommen habe, aber bei Haupt- und Realschülern ohne Berufsausbildung oder mit nur geringer Ausbildung ein starker Beschäftigungsabbau von immerhin 240 000 Stellen zu beobachten war.

Interessanterweise hat sich dieser starke Arbeitsplatzabbau sowohl im produzierenden Gewerbe als auch bei den einfachen Dienstleistungen vollzogen. Wenn man nun weiß – was Sie ja auch eingeräumt haben, Herr Wirtschaftsminister –, dass das verarbeitende Gewerbe mit über 220 000 ausländischen Arbeitnehmern der Hauptarbeitgeber für diese Zuwanderer ist, ergibt sich hier durchaus eine gewisse Dramatik.

Statt gut ausgebildete Arbeitskräfte ins Land zu holen, leistet sich Baden-Württemberg eine Sozialhilfezuwanderung, meine Damen und Herren.