Protokoll der Sitzung vom 10.02.2000

Wenn man jetzt den Haushalt anschaut und in seiner Gesamtheit wägt, muss man natürlich einmal auf die Haushaltsrisiken eingehen, die in dem Haushaltswerk in längeren Zeiträumen stecken. Ich will zuerst den Anstieg der Versorgungslasten nennen, der vor uns liegt. Wenn man diese Zahlen kennt, wird man die Frage, wann wir zu einer Nettoneuverschuldung von null oder gar zu einer Schuldenrückzahlung kommen, ganz anders diskutieren.

(Zuruf des Abg. Rapp REP)

Zwei Zahlen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Im Jahr 2000 betragen die Versorgungslasten des Landes 4 Milliarden DM; im Jahr 2010 werden sie 7,9 Milliarden DM betragen. Das ist eine Verdoppelung innerhalb der nächsten zehn Jahre. Das heißt, wir müssten jetzt einen Haushalt verabschieden, der die Neuverschuldung wirklich nach unten fährt. Ob wir das in sechs oder sieben Jahren schaffen, ist allein wegen der Versorgungslasten keine fiktive, abstrakte Sommerlochdiskussion, sondern eine für die Zukunft des Landes Baden-Württemberg entscheidende Diskussion.

(Abg. Moser SPD: Das ist richtig!)

Nehmen Sie ein anderes Haushaltsrisiko. Sie haben sich ja angewöhnt, im Rahmen der „Finanzierungsgesellschaft öffentliche Bauten“ immer mehr Baumaßnahmen sozusagen auf Kredit zu finanzieren. Das gilt für das Behördenbauprogramm, das gilt für das Bauprogramm Forschungsförderung, Emissionsschutz, Nachfolgebelegung militärischer Liegenschaften, und es gilt insbesondere für das Sonderprogramm Straßenbau.

Wir haben in diesen Bereichen einen Finanzierungsaufwand von 258,4 Millionen DM im Jahr 2000 und von 286,4 Millionen DM im Jahr 2001. Diesem Finanzierungsaufwand stehen aber schon Schulden von insgesamt 4 Milliarden DM gegenüber, wenn ich alles addiere. Das heißt, auch hier steckt ein Zukunftsrisiko im Haushalt.

Wenn man Stuttgart 21 nimmt, wo man auch, wenn man alles zusammennimmt und die mögliche Vorfinanzierung der Bahnstrecke Stuttgart – Ulm hinzunimmt, bei über 2 Milliarden DM liegt, und wenn man die Messe mit 275 Millionen DM nimmt – das alles ist ja noch nicht Teil des Haushalts, ist aber für die Regierung eine beschlossene Sache –, sieht man, welche zusätzlichen Risiken sich in dem Haushaltswerk für das Land Baden-Württemberg insgesamt befinden.

Da reden Sie, Herr Kollege, von der Steuerreform in Berlin. Ich kann Ihnen nur sagen: Die 44 Milliarden DM, um die die Steuerzahler in einem längeren Zeitraum netto entlastet werden, sind nach meiner Überzeugung, selbst wenn man auf eine gute Selbstfinanzierung hofft, was wir tun, das, was man gerade noch verantworten kann. Aber das, was Sie vorgeschlagen haben, müssen Sie sich einmal wirklich in Zahlen vorstellen.

Die Vorschläge unterscheiden sich vor allem beim Spitzensteuersatz. Die Regierung in Berlin will einen Spitzensteuersatz von 45 %, Sie wollen einen von 35 %.

(Abg. Dr. Stefan Scheffold CDU: Beim ganzen Tarif!)

Die zehn Prozentpunkte Unterschied machen aber eine zusätzliche Nettoentlastung um 30 Milliarden DM aus, die Sie bislang – zumindest in öffentlichen Vorschlägen – nicht finanziert haben. Das heißt im Klartext: Was Sie vorschlagen, würde für das Land Baden-Württemberg, weil die Einkommensteuer zu 42,5 % eine Ländersteuer ist – es gibt auch einen hohen kommunalen Anteil –, eine erhebliche zusätzliche Last bedeuten. Das müssen Sie dazusagen, wenn Sie darüber so blauäugig sprechen und sagen, die Vorschläge der Bundesregierung seien halbherzig oder nicht mutig genug.

Übrigens eine kurze Bemerkung zum Mittelstand. Ich glaube, Sie liegen da falsch. Dass die Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer angerechnet werden kann, stellt eine deutliche Entlastung des Mittelstands dar. Das gilt übrigens auch für den Vorschlag, den Eingangssteuersatz jetzt doch auf 15 % zu senken. Diejenigen, die bisher bei einem Steuersatz von unter 25 % liegen – das sind viele Handwerksbetriebe –, profitieren also von der Entlastung beim Eingangssteuersatz noch einmal zusätzlich.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Da müssten Sie noch einmal ein bisschen genauer ran, Herr Kollege, wenn Sie kritisch darüber reden wollen.

Ich will kurz etwas zur Alternative sagen, Herr Finanzminister, die es ja auch gegeben hat. Das hat meine Fraktion in ihren Haushaltsanträgen beschrieben. Wir haben, obwohl wir zusätzliche Investitionsschwerpunkte bei Ökologie und Schule, zum Teil auch bei Familie, gesetzt haben,

beantragt, in den beiden Haushaltsjahren zusätzlich 127 Millionen DM zum Zurückzahlen der Schulden zu verwenden. Da wir den EnBW-Erlös mit 2 Milliarden DM sofort zur Rückzahlung verwenden wollen, könnten wir ab dem Haushaltsjahr 2001 jährlich 120 Millionen DM zusätzlich zur Senkung der Nettoneuverschuldung verwenden. Ein wichtiger Punkt bei unseren Haushaltsvorschlägen – darin unterscheiden wir uns von den Kolleginnen und Kollegen von der SPD – ist: Wir wollten diese 120 Millionen DM Jahr für Jahr zur weiteren Absenkung der Nettoneuverschuldung nehmen und haben dies rechnerisch ausgewiesen.

Übrigens, Herr Teufel: In zehn Jahren bedeutete der Weg, den wir gehen wollen, dass wir über die Zinseszinseffekte, die mit den 120 Millionen DM verbunden sind, zusätzlich 1,58 Milliarden DM Zinsbelastung vermieden und dass wir damit also nochmals zusätzlich um diesen Betrag weniger Schulden hätten. Da kann ich für meine Fraktion nur an die Landesregierung gerichtet sagen: Konsolidieren, meine Damen und Herren, lohnt sich real im Haushaltsergebnis in den nächsten Jahren.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen – Zuruf des Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen)

Ich möchte noch einen Punkt ansprechen, der auch die Schulministerin mit betrifft. Wir werden ja mit diesem Doppelhaushalt eine Art Abschied von den bisherigen Haushaltsberatungen haben, weil mit den Globalbudgets, die wir einführen, Haushaltsberatungen in der Zukunft ganz anders aussehen werden. Wir müssen über Kennziffern sprechen, wir müssen Evaluationsberichte untersuchen, und das Verhältnis von Finanzausschuss und Fachausschüssen wird sich verändern. Wir müssen nur noch festlegen, wie groß das Budget sein wird und anhand welcher Kriterien, Raster und Überlegungen wir dies als Landtag dann richtig bemessen wollen.

Ich mahne übrigens an, dass wir alle im Landtag uns auch in diesem Sinne auf den nächsten Doppelhaushalt vorbereiten, weil dies eine Veränderung und letztlich auch eine Weiterbildung der Finanzpolitik und der politischen Arbeit in diesem Haus notwendig macht. Ich rege an, bei allen Fraktionen einmal gemeinsam darüber nachzudenken, wie man dies am besten tun kann. Noch einmal die klare Botschaft: Das war der letzte Haushalt, der so beraten werden kann wie der, den wir diesmal haben.

(Beifall des Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen – Zuruf des Abg. Kluck FDP/DVP)

Wir haben bei den Hochschulen positive Beispiele für die Budgets, denen wir als Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auch ausdrücklich zugestimmt haben. Ich finde es aber interessant, Herr Teufel, dass wir in diesem Bereich zunehmend budgetieren, aber die Konsequenzen bei der Administration auf Ministerialebene eigentlich noch nicht gezogen haben.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Kommt noch!)

Ja, dann machen wir aber mal! – Ich kann nicht verstehen, dass die Verantwortung nach unten gegeben werden soll – was richtig ist –, gleichzeitig aber oben weiterhin der

gleiche Vollzugsaufwand bestehen soll. Sie können niemandem erzählen, dass so eine Dezentralisierung vorgenommen wird.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Dann will ich einen Punkt ansprechen, der die Schulen angeht. Ich finde, dass wir mit diesem Prozess der dezentralen Verantwortung im Finanziellen, aber auch im Inhaltlichen vor unserem Schulwesen nicht Halt machen dürfen. Es ist absolut falsch, überall mit neuen Managementmethoden und anderen neuen Methoden effektivere Arbeit erreichen zu wollen, es aber bei der Schule nach wie vor so gehen zu lassen, wie es immer gegangen ist, weil man da nichts ändern will. Deswegen, Frau Ministerin Schavan, glauben wir, dass die Schulen autonomer werden müssen, und zwar nicht nur in bestimmten Detailfragen, die sie jetzt halt zusätzlich zum Alten selbst entscheiden können, sondern sie müssen prinzipiell autonomer werden. Wir meinen, dass in der nächsten Zeit auch Budgets für die Schulen, und zwar sowohl was Sachmittel als auch was Stellen betrifft, eingeführt werden müssen, sodass die Schulen selbst entscheiden – auch darüber, welche Lehrer sie einstellen

(Abg. Wieser CDU: Und entlassen!)

und welche Schwerpunkte sie zusätzlich zu den Rahmenlehrplänen setzen, damit Flexibilität und letzten Endes auch ein gewisser Wettbewerb zwischen unseren Schulen Markenzeichen des baden-württembergischen Schulwesens insgesamt werden können.

Natürlich müssen die Schulen selbst Lehrer einstellen können. Das geht übrigens nur, wenn die Lehrer Angestellte sind. Damit sind wir bei einer Frage, die Sie ja anscheinend sehr bedrückt.

(Abg. Wieser CDU: Oh, Herr Kuhn! Darüber ha- ben Sie noch nicht richtig nachgedacht!)

Ich glaube, dass die Qualität unserer Schulen von einem Lehrerarbeitsmarkt, den wir ja gar nicht haben – wir haben eine sozialistische Bewirtschaftung von Lehrerstellen, aber keinen Arbeitsmarkt –, de facto und realiter nur profitieren kann.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Ich glaube auch, dass ein gewisser Wettbewerb unter den Schulen nur im Interesse der Beschäftigten sein kann, weil er Frust aus den Schulen herausnimmt und im Interesse der „Kunden“, nämlich der Kinder und der Eltern, liegt, die ja von unserem Schulsystem insgesamt profitieren sollen.

(Abg. Wieser CDU: Sie lade ich mal an meine Schule ein, da können Sie diskutieren!)

Deswegen mache ich weitere Vorschläge. Warum legen wir zum Beispiel nicht die Verwaltung von Schulen in die Hand von Leuten, die dafür, nämlich für die Managementfunktion, ausgebildet sind? Warum sind wir so dumm, die am besten ausgebildeten Pädagogen für das herzunehmen, was sie gerade nicht mehr können, nämlich die Verwaltung von Schulen?

(Beifall bei Abgeordneten des Bündnisses 90/Die Grünen)

Wir schlagen also vor: kaufmännisch klar strukturierte Verwaltung der Schulen und die Pädagogen zur pädagogischen Leitung der Schulen, aber dafür, wofür sie zuständig sind und wovon sie auch wirklich etwas verstehen.

Ich glaube auch, dass sich Schulen, die einzelne Budgets haben, die selbst verantwortlich sind, bei bestimmten neuen Themen innovativer verhalten können, weil sie freier sind. Ich will ein Beispiel nennen, das Thema Multimedia an den Schulen. Das geht jetzt nach dem Muster: Jede Schule soll ihre Computer haben, Laptops in die Grundschule usw. Das ist alles recht und gut. Aber was damit geschieht, ob sich dadurch der Unterricht verändert, das ist eigentlich kein breites Thema.

Ich behaupte: Wenn Schulen selbstständig ihre Budgets haben, dann werden sie sehr schnell die Frage stellen: Wie viel Unterricht können wir mit den neuen Technologien machen? Wie viele Lehrer werden dadurch entlastet für eigentliche pädagogisch innovative Arbeit? Wir werden dann nicht die Struktur haben, dass alle nebeneinander das Gleiche machen, obwohl neue Informationstechnologien den Kindern zum Beispiel bei der Rechtschreibung, zum Beispiel beim Rechnen natürlich sehr viel helfen können.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen – Abg. Wie- ser CDU: Wer entscheidet das denn jetzt, Herr Kollege?)

Herr Wieser, ich verstehe ja, dass Sie ein Mann des alten Schulsystems sind. So sehen Sie aus. So haben Sie immer gewirkt. Das ist doch ganz logisch.

(Beifall und Heiterkeit beim Bündnis 90/Die Grü- nen – Abg. Mühlbeyer CDU: Sprüchemacher!)

Aber wir sind halt für das neue Schulsystem, und das ist ein Unterschied, Herr Kollege Wieser.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Abg. Kuhn, gestatten Sie eine Zwischenfrage des „Altlehrers“ Wieser?

(Allgemeine Heiterkeit)

Das muss ich wohl. – Herr Wieser, bitte.

Herr Kollege Kuhn, wer entscheidet denn über die Deputatsnachlässe, über die pädagogischen Konzepte, die Sie vorgestellt haben: das Kultusministerium oder die Schulen vor Ort? Erklären Sie das mal dem erfahrenen „Altpädagogen“, der das seit 30 Jahren mit seinen Kollegen diskutiert.

Daran, wie Sie die Frage gestellt haben, merke ich – und deswegen bin ich für Ihre Frage dankbar –, dass Sie mich gar nicht verstanden haben.

(Abg. Wieser CDU: Das stimmt! Sie verstehe ich schon lange nicht mehr! – Unruhe)