Protokoll der Sitzung vom 22.03.2000

(Zuruf des Abg. Hans-Michael Bender CDU)

Ihre Antwort auf dieses Problem ist, und zwar zuerst und als einzige, wir hätten „verkappte“ Asylbewerber. Sie vermischen diese Frage mit der Asylbewerberdebatte

(Zuruf der Abg. Renate Thon Bündnis 90/Die Grü- nen)

und mit der Ausländerdebatte, wie sie die CDU bei ihrer unsäglichen Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft zum Schaden des Landes geführt hat.

(Abg. Haasis CDU: Wer redet über Zuwanderung? – Gegenruf der Abg. Renate Thon Bündnis 90/Die Grünen)

Nein, ich will auf etwas anderes hinaus. Sie, Herr Haasis, sind der Präsident des Württembergischen Sparkassen- und Giroverbands. Herr Oettinger hat heute Morgen behauptet, die CDU bekomme Spenden, weil sie die Unternehmerpartei sei. Das will ich nicht unbedingt in Abrede stellen. Ich frage mich nur: in welchem Sinne? Und welche Unternehmen können sich versprechen, dass ihre Interessen wahrgenommen werden?

(Abg. Haasis CDU: Ein so dummes Geschwätz habe ich selten gehört! – Gegenruf der Abg. Rena- te Thon Bündnis 90/Die Grünen – Zuruf der Abg. Ingrid Blank CDU)

Hören Sie doch einmal hinein in die Unternehmen, Herr Kollege Haasis. Hören Sie doch einmal in die verantwortlichen Unternehmen hinein, in die Unternehmen, die zukunftsfähige Produktionen und Dienstleistungen in Deutschland anbieten. Reden Sie doch einmal mit denen über die Fragen der Ausländer und der Ausländerintegration. Die haben nicht eines der Probleme, die Sie angesprochen haben, sondern die haben das Problem, dass wir eine liberale, eine menschliche Lösung in diesem Land und offene Grenzen haben und durch die sozialen und integrativen Leistungen in Deutschland selber dafür sorgen, dass die Ausländer integriert werden. Sie haben aber nicht das Problem der Begrenzung, der Steuerung und der Rückführung. Verstehen Sie, da macht es schon einen Unterschied, zu fragen, welche Politik den Unternehmen, der Wirtschaft in diesem Lande wirklich nützt. Der Hauptgrund, warum Sie mit dieser Frage nicht zurechtkommen und das dann immer den Schlenker kriegt, den die ausländischen Mitbürger und Mitbürgerinnen hier bei uns wirklich fürchten müssen, ist, dass Sie Modernität und Menschlichkeit wirklich nicht zusammenbringen können. Weder wissen Sie genau, was modern ist – und das treibt Sie –, noch wie man die moderne Entwicklung in menschlichen Verhältnissen organisieren kann.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei Ab- geordneten der SPD – Abg. Haasis CDU: Hoffent- lich weiß er selber, was er wollte!)

Das Wort erhält Herr Abg. Käs.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe in der ersten Runde von Herrn Kollegen Maurer gehört – jetzt geht er gerade hinaus –, das Thema sei eigentlich kein Thema. Das offenbart einen gehörigen Verlust des Kontakts zu den Problemen der Bürger draußen. Man muss sich nur einmal umschauen, wie die Realität in den Kindergärten oder in den Einschulungsklassen ist; das ist ja vorhin schon angeklungen. Da gibt es 16 oder 17 Sprachen in einer Kindergartengruppe oder einer Grundschule. Wenn man dann hört, das sei kein Thema, muss man sich in der Tat fragen, wie realitätsfremd der Vertreter einer Partei, die auf Bundesebene in der Regierung sitzt, eigentlich sein kann.

Das ist selbstverständlich ein Problem. Ich kann jedem nur empfehlen, sich einmal in die Brennpunkte des Geschehens zu begeben und mit jungen Leuten zu sprechen, die die multikulturellen Auseinandersetzungen jeden Tag führen und erleiden müssen. Wenn man hier eine vernünftige Politik machen will – und das setzt voraus, dass man die Prob

leme überhaupt zur Kenntnis nimmt und als Thema realisiert –, kann man nicht die Augen vor diesen Tatsachen verschließen und sagen: Wir machen jetzt eine Politik der gesteuerten Zuwanderung, damit nicht die Habenichtse, sondern nur die Reichen, Wohlhabenden und gut Ausgebildeten nach Deutschland kommen. Im Kindergarten ist es nämlich völlig egal, ob der Vater eines Kindes wohlhabend ist oder arm ist. Es gibt einfach die Integrationsprobleme. Bei den Verhältnissen, die hier geschildert worden sind, gibt es eine Desintegration.

Nun hat Herr Kollege Pfister, den ich mittlerweile auch nicht mehr sehe,

(Zuruf des Abg. Brechtken SPD)

auf die UNO-Studie verwiesen und gesagt, es wäre völlig abenteuerlich, wenn man gegen die Einwanderung argumentieren würde. Man muss aber die UNO-Studie genau zur Kenntnis nehmen. Dann stellt man fest, dass sie sagt: Es gibt eine schiefe Altersstruktur und zu wenig junge Leute in Deutschland.

Die Folgeprobleme der schiefen Altersstruktur kann man unterschiedlich lösen. Man kann die Grenzen für eine Einwanderung öffnen und sich die Kinder und die nachwachsende Generation hereinholen, sie also einkaufen, oder man macht – da haben die Bundesregierung und Kohl 16 Jahre lang herumlaboriert, aber letztendlich versagt – eine andere Sozialpolitik. Da hat man zu kurz gegriffen, die Rentenbeiträge erhöht usw. Auch davon ist die Rede in der UNOStudie.

Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat eine andere Hausaufgabe nicht gemacht; da hat sie versagt, und da wird jetzt offensichtlich auch die rot-grüne Bundesregierung versagen. Sie hat nämlich vergessen, eine sinnvolle Sozialpolitik zu machen, zum Beispiel die Rentenversicherung auf ein Fundament zu stellen, das unter den gegebenen demographischen Verhältnissen funktionieren kann.

Wir haben solche Vorschläge unterbreitet, und die Diskussion draußen geht schon weit über das hinaus, was man jetzt von Rot-Grün oder Schwarz-Gelb hört. Denken Sie ruhig einmal über die kapitalgedeckte Rentenversicherung nach. Das ist ein Modell, das durchaus tragfähig ist.

Bei Herrn Pfister, der jetzt Hochqualifizierte hereinholen will, fehlt mir völlig die Antwort – damit sind wir bei der Sozialpolitik und bei der Tatsache, dass wir selbstverständlich eine nationale Aufgabe haben, Herr Hildebrandt – auf die Frage „Wie bekommen wir 4 Millionen Arbeitslose in Deutschland – und das sind nicht nur Deutsche – überhaupt erst einmal in Arbeit und Brot?“

(Beifall bei den Republikanern)

Das ist die primäre Aufgabe, der sich alle Regierungen stellen müssen. Ich wehre mich auch dagegen, diese Diskussion mit dem Argument wegwischen zu wollen, da werde Sozialpolitik irgendwie national eingefärbt. Meinetwegen wird sie international eingefärbt; das ist mir völlig egal. Wir haben zunächst einmal eine Aufgabe hier im Lande, und diese haben wir national zu lösen. Es ist eine Aufgabe der Sozialpolitik, 4 Millionen Arbeitslose in Ar

beit und Brot zu bringen, und das kann man nicht mit dem Import irgendwelcher Arbeitskräfte wegwischen.

(Beifall bei Abgeordneten der Republikaner)

Hier muss man also eine klare Position beziehen.

Lassen Sie mich zum Schluss noch ganz klar etwas zur Frage des Zuwanderungsstopps sagen. Die Situation an den Brennpunkten und die Gettoisierung sind genannt worden. Wenn wir hier Ruhe hineinbringen wollen und wenn wir keine Gettoisierung wollen, müssen wir zunächst einmal dafür sorgen, dass nicht dann, wenn wir ein Problem vielleicht lokal oder örtlich lösen können, neue Probleme an anderer Stelle dadurch wachsen, dass die Zuwanderung weitergeht. Es kann keine Lösung sein, die Grenzen offen zu lassen, wenn wir die Integrationsprobleme bei uns zu Hause noch nicht gelöst haben. Deshalb keine Begrenzung der Zuwanderung, sondern ein Stopp der Zuwanderung mit der Chance, dass wir wenigstens für die fremden Menschen, die hier sind, eine vernünftige Integrationslösung finden können.

Dann der nächste Schritt: All jene, die sich hier nicht integrieren wollen und die die von Ihnen so präferierte multikulturelle Gesellschaft nur dazu nützen, eine multikriminelle Gesellschaft aufzubauen, und all jene, die nicht integrationswillig sind, müssen konsequent abgeschoben werden. Das ist unsere Forderung. Deswegen gehört zum Zuwanderungsstopp ein Rückführungsgesetz.

Danke schön.

(Beifall bei den Republikanern)

Das Wort erhält Herr Innenminister Dr. Schäuble.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Lassen Sie mich als Innenminister von Baden-Württemberg, der ja für diese schwierige, heikle Thematik auch eine besondere Verantwortung trägt, zu dem ganzen Komplex „Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung“ einige Anmerkungen machen.

Zunächst darf ich einfach feststellen: Nach wie vor kommen viele Ausländer nach Deutschland und auch nach Baden-Württemberg. Wichtig ist aber auch, zu wissen, dass – jedenfalls in den letzten zwei, drei Jahren – mehr Ausländer Baden-Württemberg verlassen haben, als zu uns gekommen sind. Das ist ein Ergebnis unserer guten Rückführungspolitik, die wir seit Jahren hier in Baden-Württemberg betreiben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Der Kollege Maurer, der bedauerlicherweise nicht mehr anwesend ist, hat vorhin davon gesprochen – da hat er Recht –, dass auch der Asylkompromiss aus dem Jahr 1993 ein ganz entscheidender Fortschritt bei der Zugangsbegrenzung war. Ich darf nur anfügen, damit die Geschichte auch im Nachhinein wahrhaftig bleibt, und zwar an die Adresse der SPD: Es wäre ein Segen gewesen, wenn dieser Asylkompromiss früher gekommen wäre. Dann wäre uns unter anderem das Thema der Republikaner seit 1992 im Landtag von Baden-Württemberg erspart geblieben.

(Beifall bei der CDU – Demonstrativer Beifall des Abg. Krisch REP – Abg. Krisch REP: Bravo! Bra- vo! Bravo! – Weitere Zurufe von den Republika- nern – Zurufe von der SPD, u. a. Abg. Brechtken: Das hängt mehr mit eurer eigenen Politik vor Wahlkämpfen zusammen! – Abg. Eigenthaler REP: Da sehen Sie, wie wichtig wir sind! – Unru- he)

Das sage ich an die Adresse der SPD. An der Wahrheit kommt kein Kollege vorbei, auch keiner von der SPD.

(Abg. Christine Rudolf SPD: Aber Sie haben sie gepachtet, oder wie?)

Tatsache ist: Die Abläufe sind bekannt. Sie wissen das ganz genau. Offensichtlich haben Sie da ein bisschen ein schlechtes Gewissen.

(Abg. Brechtken SPD: Aber wir von der SPD ha- ben uns durchgesetzt! – Zuruf des Abg. Hehn CDU)

Wahr ist aber auch: Immer noch kommen – bezogen auf Deutschland und nicht nur auf Baden-Württemberg – pro Jahr über eine halbe Million Ausländer nach Deutschland, und darunter eben zu viele, an denen wir eigentlich kein Interesse haben. Es kann also gegenwärtig – diese Feststellung ist lapidar, aber zutreffend – nicht darum gehen, noch mehr kommen zu lassen, sondern es kann nur um eine Begrenzung der Zuwanderung nach Deutschland und nach Baden-Württemberg gehen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Abg. Hehn CDU: So ist es! – Zuruf des Abg. Brinkmann SPD)

Begrenzen können wir aber nur, wenn die Zahl derjenigen, die gegen unseren Willen kommen, gesenkt wird. Deshalb müssen diejenigen, die ehrlich von einem Zuwanderungsbegrenzungsgesetz sprechen – darauf lege ich jetzt die Betonung; nicht alle sind hier ehrlich, weil manche auch etwas ganz anderes damit verbinden –,

(Abg. Hans-Michael Bender CDU: Richtig!)

wollen, dass das Individualgrundrecht auf Asyl abgeschafft und durch die so genannte Institutsgarantie ersetzt wird. Dabei trifft auch dieses Wort „Institutsgarantie“ ja eigentlich wiederum nicht ganz den Kern; denn es suggeriert ja durch den Wortbestandteil „Garantie“, dass die Flüchtlinge besser gestellt würden als bisher. Das Gegenteil ist der Fall, weil es im Grunde genommen eine Abschaffung des Individualgrundrechts wäre und nichts anderes. So deutlich muss man dies sagen. Nur bei einer so genannten Institutsgarantie können Sie dann auch auf die vorhin angesprochene und von Herrn Kollegen Pfister erwähnte Quotierung kommen.

Deshalb muss man ganz deutlich sagen: Wer ein Zuwanderungsbegrenzungsgesetz will, der muss das Individualgrundrecht auf Asyl abschaffen wollen. Sonst lässt er zu denen, die ohnehin schon kommen, noch eine bestimmte Größenordnung weiterer Menschen zusätzlich nach Deutschland kommen. Das ist genau das, was wir nicht brauchen können.

(Beifall bei der CDU)

(Minister Dr. Schäuble)

Nur bin ich – und das ist der Unterschied jedenfalls zum Kollegen Goll als Justizminister –

(Abg. Deuschle REP: Aha!)

wie, glaube ich, die meisten von uns innerhalb der CDU der Auffassung, dass es nach aller Voraussicht nicht realistisch ist, anzunehmen, dass wir in absehbarer Zeit vom Individualgrundrecht auf Asyl zu dieser so beschriebenen Institutsgarantie kommen. Ich sehe nicht die dafür notwendige Mehrheit.

Es mag wohl wahr sein, dass im Anschluss an den Amsterdamer Vertrag irgendwann eine Entwicklung auf uns zukommt, die zu einer europäischen Harmonisierung der Ausländer- und Asylpolitik führen wird. Aber nach dem heutigen Stand, März 2000, steht dies offensichtlich in den Sternen. Damit ist, meine sehr verehrten Damen und Herren – dies auch an die Adresse des verehrten Koalitionspartners –, jedenfalls in dieser Phase der Diskussion über ein Zuwanderungsbegrenzungsgesetz der Boden entzogen. Nichts anderes trifft zu.