Protokoll der Sitzung vom 23.03.2000

Das war doch sinnlos. Jetzt, ein gutes Jahr danach, müssten Sie doch einmal auf die Idee kommen, hier etwas zu tun, weil sich Ihre Maßnahmen nicht positiv auf den Arbeits

markt ausgewirkt haben. Es hat eben nicht mehr sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse gegeben.

Abschaffung des halben Steuersatzes für Erlöse aus Betriebsveräußerungen! Auch so eine Ungerechtigkeit im Vergleich zu anderen, zu Großen. Für viele war das letzten Endes die Altersversorgung. Sie haben gesagt: „Das ist einmal der Punkt, der zureichen muss, damit ich im Alter kein Sozialfall werde.“ Jetzt holt sich das Finanzamt die Hälfte des Geldes, wenn es nach Ihnen geht, und derjenige, der eigentlich das Vermögen seines Betriebes dafür einsetzen wollte, um sich den Lebensabend finanziell zu sichern, kämpft dafür. Es ist ein völliger Blödsinn, so etwas zu machen.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Abgeordneter, ich bitte Sie, zum Ende zu kommen.

Ja. – Das, was Sie hier machen, ist eine Produktion von Sozialfällen und keine vernünftige Politik.

Ich sage nachher noch etwas zu diesem Thema.

(Beifall bei den Republikanern – Abg. Nagel SPD: Ist nicht notwendig!)

Das Wort erhält Herr Finanzminister Stratthaus.

(Abg. Brechtken SPD: Ich habe gedacht, der hätte schon geschwätzt, der Finanzminister! Ich habe gedacht, der Finanzminister hätte schon ge- schwätzt!)

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Nachdem ich für meine Sachlichkeit gelobt worden bin,

(Abg. Nagel SPD: Wer war denn das?)

möchte ich nun Frau Erdrich-Sommer nicht ins Unrecht setzen und versuchen, wirklich so sachlich wie möglich zu bleiben.

Um gleich vorweg den wichtigsten Satz zu sagen: Wir brauchen eine Steuerreform und eine Steuersenkung zum 1. Januar 2001. Baden-Württemberg und seine Landesregierung werden dazu beitragen, dass eine solche Steuersenkung und eine Steuerreform kommen. Wir unterscheiden uns da von der Opposition in der letzten Legislaturperiode des Deutschen Bundestags, die eine Steuerreform nicht zugelassen hat. Wir werden eine zulassen. Wir haben ein gutes Konzept. Wir wissen, dass wir Kompromisse machen müssen. Das ist keine Frage.

Das war mal das Wichtigste vorweg.

Zweitens: Es ist gesagt worden, die Wirtschaft sei dafür. Das stimmt nicht ganz, wie sich auch aus den heutigen Zeitungen ergibt. Nur: Es ist natürlich immer die Frage, Herr Dr. Puchta, von welchem Erwartungshorizont Sie ausgehen. Die Wirtschaft hat von der SPD überhaupt nichts erwartet. Deswegen ist sie mit kleinen Schritten schon sehr zufrieden.

(Heiterkeit – Beifall bei der CDU – Zuruf des Abg. Dr. Puchta SPD)

Es ist in der Tat so. Das ist so etwa wie der Effekt des nachlassenden Schmerzes: Wenn es sehr wehgetan hat, ist der nachlassende Schmerz bereits ein Vorteil.

(Zurufe)

So ist das zurzeit mit der Wirtschaft. Das ist überhaupt keine Frage.

(Beifall bei der CDU)

Sie, Frau Erdrich-Sommer, haben vorhin gesagt, Herr Mayer-Vorfelder hätte die Schlachten von gestern geschlagen. Das mag sein. Aber wir leiden heute noch unter den Verletzungen und den Wunden dieser Schlachten, die uns Herr Lafontaine geschlagen hat. Ich behaupte: Wenn die Petersberger Beschlüsse Gesetz geworden wären, hätten wir heute einige Hunderttausend Arbeitslose weniger.

(Zuruf des Abg. Dr. Hildebrandt Bündnis 90/Die Grünen)

Insofern sollten Sie sich nicht wundern, dass wir über die Schlachten von gestern sprechen.

Ganz schick habe ich das Argument von Herrn Rapp gefunden, der behauptet hat, die CDU unter Kohl hätte einen Vorschlag gemacht, den sie eigentlich gar nicht gewollt hätte, und hätte sich dafür beschimpfen lassen; die SPD hätte sich dafür eingesetzt, dass er abgelehnt wird. Herr Rapp, Sie sehen zu viele ausländische Kriminalfilme.

(Heiterkeit – Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/DVP)

So ist das Leben meines Erachtens in Wirklichkeit nicht. Sie müssen zu den seriösen deutschen Filmen zurückkehren. Das Argument ist zu kompliziert.

(Zuruf des Abg. Rapp REP – Abg. Brechtken SPD: Kohl, Weyrauch: deutsche Filme zum Thema Ma- fia! „Don Kohlione“!)

Ein Weiteres: Natürlich wundert man sich, dass diese Bundesregierung einen Vorschlag bringt, über den man diskutieren muss; denn das, was sie bisher gebracht hat, hat das nicht vermuten lassen. Das Steuerentlastungsgesetz hat in Wirklichkeit die Wirtschaft mit 15 Milliarden DM belastet.

Zur Ökosteuerreform: Sie haben vorhin von den Arbeitnehmern und den Pendlern gesprochen. Sie müssen auch einmal von den Rentnern, den Sozialhilfeempfängern und den Studenten reden, die Sie immer anführen. Die werden von der Ökosteuer voll getroffen, ohne irgendeine Entlastung zu haben. Und beim 630-DM-Gesetz haben Sie sich auch nicht gerade mit Ruhm bekleckert.

Was nun Eichel vorgeschlagen hat, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Es ist die Frage, ob es ein großer oder ein kleiner Schritt in die richtige Richtung ist.

(Abg. Nagel SPD: Schon wieder! – Abg. Dr. Puch- ta SPD: Mit Siebenmeilenstiefeln!)

Es ist ein großer Schritt halb schräg nach vorn. Ganz die richtige Richtung ist es nicht, aber es ist ein Schritt, der in etwa in die richtige Richtung geht.

(Minister Stratthaus)

Lassen Sie mich zunächst einmal das Konzept der Bundesregierung aus meiner Sicht analysieren. Ich möchte versuchen, das ganz sachlich zu machen.

Die Körperschaftsteuer soll auf 25 % gesenkt werden. Das ist ohne Frage ein großer Fortschritt. Heute beträgt sie 40 % oder 30 %, je nachdem, ob die Gewinne ausgeschüttet werden oder im Unternehmen bleiben.

Dann soll das so genannte Halbeinkünfteverfahren greifen, das heißt, Gewinne, die ausgeschüttet werden, die also mit 25 % besteuert sind, werden beim Empfänger zur Hälfte besteuert. Da wird es bereits problematisch. Die Eigentümer von Aktien zum Beispiel – und wir wollen ja, dass viele Menschen Aktien für ihre Altersvorsorge kaufen – haben ganz eindeutig dann Nachteile, wenn sie einen niedrigen Steuersatz haben. Jeder, der einen Steuersatz unter 40 % hat, stellt sich bei diesem Halbeinkünfteverfahren schlechter als mit der bisherigen Regelung. Das trifft also ohne Frage genau die kleinen Leute. Sie werden vielleicht sagen: „So viel kann das nicht sein“. Nach Aussage der Bundesregierung sind es immerhin 5 Milliarden DM, die dadurch an Dividendenversteuerung durch kleine Leute mehr eingenommen werden, um die Steuerfreiheit für Höherverdienende zu finanzieren.

(Zuruf des Abg. Brinkmann SPD)

Wir können darüber diskutieren, aber das ist so.

Das Nächste betrifft die Unterscheidung zwischen den einbehaltenen und den ausgeschütteten Gewinnen. Hier spielt, wie ich meine, die Ideologie eine große Rolle. Warum? Ich gehe davon aus, dass meine Annahme richtig ist. Sie wollten im Grunde genommen die hohe Steuerbelastung aller Leistungsträger, nicht nur die der gewerblich Selbstständigen, sondern auch die der Arbeitnehmer, der Beamten, nicht nachdrücklich senken. Sie wussten aber genau, dass Sie etwas tun müssen, damit Deutschland im internationalen Wettbewerb mithalten kann. Deswegen haben Sie diese künstliche Unterscheidung zwischen Unternehmen und Unternehmern gemacht. Sie entlasten die Unternehmen, damit sie im Wettbewerb mithalten können; der Unternehmer soll davon aber nichts haben. Das ist meines Erachtens der Hauptgrund, der letzten Endes dahinter steckt. Sie haben dies durch die Bevorzugung der einbehaltenen Gewinne erreicht.

Vor allen Dingen wollen Sie etwas Weiteres erreichen. Der größte Teil der Unternehmen sind Personengesellschaften und Einzelgesellschaften, Unternehmen, bei denen die Person des Unternehmers und das Unternehmen identisch sind. Das gefällt Ihnen nicht. Deswegen wollen Sie mit dem Steuerrecht eine neue Unternehmensstruktur erreichen. Sie wollen meines Erachtens mit dem Steuerrecht mehr selbstständige Personenunternehmen in die Form der Kapitalgesellschaft treiben. Ich halte das für äußerst problematisch.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Das tun sie auch gar nicht!)

Zum Zweiten diskriminieren Sie den ausgeschütteten Gewinn. Ich sehe das nicht ganz ein. Bei Ihnen steckt – ich habe das schon einmal gesagt – die Vorstellung dahinter,

der Unternehmer sei ein Playboy, der den Gewinn ausschüttet, um ihn dann irgendwo zu verjubeln. Das mag es auch geben; aber der größte Teil der Unternehmer wird seine Gewinne, sofern er sie nicht für seinen persönlichen Lebensunterhalt braucht, doch wieder investiv anlegen. Ob das nun unbedingt im eigenen Unternehmen sein muss, wage ich zu bezweifeln.

Betrachten Sie einfach einmal unsere Kapitalmärkte! Es wachsen doch vor allen Dingen die modernen Technologien. Die Biotechnik, Internet und solche Dinge wachsen, während es eine Reihe von alten Unternehmen gibt, die gut verdienen und große Gewinne haben, aber keine Wachstumschancen sehen. Es ist doch ein Widersinn, das Geld bei diesen alten Unternehmen einzusperren, während es die neuen Unternehmen bräuchten. Wir lehnen die Diskriminierung der Ausschüttung auch aus diesem Grunde ab.

(Abg. Dr. Stefan Scheffold CDU: Sehr gut!)

Ich bin der Überzeugung: Sie ist falsch.

Ein Weiteres: Infolge der Kompliziertheit haben Sie bereits wieder Gestaltungsspielräume eröffnet. Ich habe mir einmal ein Beispiel überlegt. Da hat jemand eine Ein-MannGmbH und möchte von dem niedrigen Steuersatz dieser GmbH profitieren. Was macht er jetzt? Er macht Gewinn, und dieser wird mit 25 % besteuert. Dann kauft er sich privat ein Mietshaus und nimmt bei seiner GmbH einen Kredit auf. Die Kreditzinsen kann er mit 45 % von der Steuer absetzen, und die GmbH muss nur 25 % bezahlen. Ich glaube nicht, dass Sie das gewollt haben. Ich wollte das einmal klarmachen, ohne dass ich hier als Steuerberater tätig werden will.

(Abg. Brechtken SPD: Das macht schon Herr Märkle! – Abg. Dr. Hildebrandt Bündnis 90/Die Grünen: Wir haben alle mitgeschrieben! – Abg. Brechtken SPD: Das wird Herr Märkle schon in seinen Vorträgen verkaufen!)

Aber ich bin überzeugt, die Steuerberater wären von alleine dahinter gekommen. Sie machen es ja heute schon. Aber es wird dann interessant, wenn die Diskrepanz zwischen dem Körperschaftsteuersatz und dem Einkommensteuersatz besonders groß ist. Je größer die Diskrepanz wird, umso interessanter wird es natürlich, sich solche Gestaltungen einfallen zu lassen.

(Glocke des Präsidenten)