Protokoll der Sitzung vom 23.03.2000

(Glocke des Präsidenten)

Herr Finanzminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Dr. Puchta?

Bitte sehr.

Herr Finanzminister, ich glaube, ich habe Sie richtig verstanden, dass Sie immer dafür plädieren, dass man die ausgeschütteten und die nicht ausgeschütteten Gewinne im Prinzip gleich behandelt, weil letztlich der Markt entscheiden soll, wo die Mittel reinvestiert werden, ob im eigenen Unternehmen oder sonst irgendwo.

(Abg. Hans-Michael Bender CDU: Das hat er rich- tig verstanden!)

Vor diesem Hintergrund verstehe ich Ihren Ansatz nicht, dass Sie die thesaurierten Gewinne mit 30 % und die ausgeschütteten Gewinne mit 25 % besteuern wollen. Sie gehen also den umgekehrten Weg, der doppelt falsch ist.

Herr Puchta, eine Frage!

Ich frage ja. Sie benachteiligen jetzt Arbeitsplätze, die im Unternehmen geschaffen werden. Aus diesem Grunde frage ich Sie: Warum widersprechen Sie in Ihrem Gesetzentwurf eigentlich Ihrer eigenen so oft vertretenen Auffassung?

Zunächst, Herr Präsident: Ich war in der Lage, in der langen Einleitung eine Frage zu entdecken.

(Heiterkeit bei der CDU – Abg. Brechtken SPD: Test bestanden!)

Vielen Dank! Natürlich war es eine schwierige Frage. Ich habe sie aber nicht als Intelligenztest verstanden.

Herr Puchta, wir wollen ja beim Anrechnungsverfahren bleiben. Beim Anrechnungsverfahren ist es aber im Grunde genommen gleichgültig, wie der Gewinn, der ausgeschüttet wird, versteuert wird. Es gibt da kleine Diskrepanzen, wenn es um das Ausland geht bzw. wenn jemand die Anrechnung nicht vornehmen kann. Ich komme aber nachher im zweiten Teil zur Vorstellung unseres Konzepts.

Wenn wir vom Anrechnungsverfahren ausgehen, kann der Anteilseigner die Ausschüttungsbelastung der Kapitalgesellschaft von 30 % anschließend voll von seiner Einkommensteuerschuld abziehen. Darauf kommen wir nachher.

Noch einmal: Diese unterschiedliche Belastung von einbehaltenen und ausgeschütteten Gewinnen halte ich für äußerst problematisch.

Dann noch eine weitere Sache. Bezüglich der Gewerbesteuer haben Sie zwei Modelle vorgestellt, von denen das eine unmöglich ist. Das andere ist problematisch; aber man kann darüber diskutieren.

Einmal wollen Sie die so genannte Teilanrechnung der Gewerbesteuer. Dies hätte den Vorteil, dass es ein einfaches Verfahren ist. Das ist keine Frage. Das würde so aussehen, dass zusätzlich zum Betriebsausgabenabzug die Hälfte der Gewerbesteuer voll von der Einkommensteuerschuld abgezogen werden könnte, und zwar zu einem angenommenen Steuerhebesatz von 400 %. Darin liegt bereits eine große Problematik. Ich habe mir vorhin die Zahlen geben lassen. In Baden-Württemberg haben von den 1 111 Gemeinden 1 103 einen Steuerhebesatz, der unter 400 % liegt.

(Abg. Keitel CDU: So ist es!)

Das heißt, in all diesen Gemeinden bekäme der Gewerbesteuerzahler

(Abg. Keitel CDU: Nichts!)

mehr Gewerbesteuer zurück, als er zahlte.

(Abg. Dr. Puchta SPD: Umso besser! – Abg. Brechtken SPD: Das ist doch mittelstandsfreund- lich!)

Auf der anderen Seite würden wahrscheinlich die Bürgermeister – so, wie ich sie kenne; und ich kenne sie – den Steuerhebesatz auf 400 % heraufsetzen, weil sie sagen: Wenn schon ein Geschenk verteilt wird, dann an die Gemeinden und nicht an die Unternehmer.

(Abg. Dr. Puchta SPD: Dazu braucht man aber den Gemeinderat!)

Die Gemeinderäte sind noch viel schlimmer. Das sind alles verhinderte Bürgermeister.

(Zuruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP)

Viele davon jedenfalls.

Nochmals – das ist bisher nicht diskutiert worden –: Über 99 % unserer Gemeinden haben einen Hebesatz, der niedriger ist. Für all diese Gemeinden bestünde geradezu eine Anregung, den Hebesatz heraufzusetzen. Übrigens gibt es in Schleswig-Holstein eine Gemeinde, die überhaupt keine Gewerbesteuer erhebt. Das ist eine kleine Gemeinde.

(Abg. Dr. Puchta SPD: Da gehen dann viele hin!)

Ich könnte mir vorstellen, dass ein großer Investitionszug in diese Gemeinde ginge. Oder umgekehrt: Die würden dann wahrscheinlich anfangen, Gewerbesteuer zu erheben.

Das war das eine. Ich muss nochmals sagen: Es ist ein einfaches Konzept, das funktionieren kann. Aber es hat auch seine Macken.

Viel gefährlicher ist das Optionsmodell. Ich habe aber den Eindruck, man ist in der Zwischenzeit schon wieder davon abgerückt. Es wird kaum noch von jemandem vertreten. Das Optionsmodell hätte letzten Endes vorgesehen, dass die Personengesellschaften und Einzelunternehmer wie eine Kapitalgesellschaft behandelt würden. Das hätte natürlich ganz große Probleme bereitet. Es ist äußerst kompliziert. Vor allen Dingen – das ist am allerwichtigsten – im Falle von Erbschaften und von Schenkungen entstünden Steuern, die bis zu siebenmal höher wären. Deswegen hat jemand gesagt: Bei diesem Optionsmodell darf man nicht sterben. Es ist also eine sehr gefährliche Sache.

(Heiterkeit des Abg. Dr. Puchta SPD – Abg. Dr. Puchta SPD: Nicht sterben? Das ist wirklich ge- fährlich!)

Das Modell! Das Modell ist eine gefährliche Sache. – Ich bin überzeugt, die allermeisten würden dieses Modell nicht annehmen.

Ich möchte diesen ersten Teil noch einmal zusammenfassen. Ich bin froh, dass sich in der Steuerpolitik überhaupt etwas bewegt. Denn das Thema ist zu ernst, als dass wir uns hier nur gegenseitig niedermachen wollen. Es muss etwas geschehen. Ich bin aber der Meinung, dass das, was die Länder Baden-Württemberg und Bayern vorgeschlagen haben, die bessere Alternative ist. Sie werde ich dann am Schluss kurz darstellen.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Das Wort erhält Herr Abg. Dr. Puchta.

Herr Mayer-Vorfelder, es ist ja wirklich sehr schön, dass man sich zum ersten Mal mit Instrumenten der Waffengleichheit, was die Zeit angeht, hier mit Ihnen auseinander setzen kann. Es ist nämlich in der Tat schwierig, diese komplizierten Themen in wenigen Minuten gehaltvoll herüberzubringen.

Ich möchte in Bezug auf den Entwurf der Landesregierung ausdrücklich bestätigen, dass ich finde, dass Sie steuerwissenschaftlich in einer Hinsicht in die richtige Richtung gegangen sind, nämlich indem Sie die Zinsabgeltungssteuer vorschlagen. Diese ist wirklich einfacher und auch gerechter in dem Sinne, dass niemand sie umgehen kann, wenn sie als Quellensteuer mit einem Satz ausgestaltet wird, der dann eben dem Spitzensteuersatz entspricht.

Aber bei der Unternehmensteuerreform haben Sie meines Erachtens einen Kardinalfehler gemacht; denn meines Erachtens liegt die größte Schwäche des Eichel’schen Konzepts in der Absenkung der Abschreibungssätze, insbesondere bei der degressiven Abschreibung. Genau diesen Ansatz haben Sie auf Heller und Pfennig übernommen. Viele Steuerwissenschaftler vertreten meiner Meinung nach zu Recht die Ansicht, dass man Abschreibungen im Prinzip den Unternehmen sogar völlig freistellen könnte, weil sie erstens ohnehin nur eine Verschiebung auf der Zeitachse bei der Besteuerung darstellen, und zweitens, weil es natürlich die Innovationskraft und Innovationsstärke der Unternehmen unheimlich erhöht, wenn sie hier schnell abschreiben können.

(Abg. Keitel CDU: Da hat er Recht! – Abg. Beate Fauser FDP/DVP: Genau!)

Die Körperschaftsteuerreform, Herr Finanzminister, hat zwei wesentliche Ziele: Zum einen soll die Innenfinanzierung erhöht werden, um die Eigenkapitalstruktur zu verbessern, zum andern gehen wir in die Richtung einer rechtsformunabhängigen Besteuerung. Insofern werden zwei wichtige Ziele erreicht.

Nun haben Sie etwas zum Optionsmodell gesagt. Immerhin muss man sehen, dass die Personengesellschaften, wenn sie für die Körperschaftsbesteuerung optieren, in Zukunft sowohl das Geschäftsführergehalt als auch die Pensionsrückstellungen steuerlich geltend machen können. Zugegeben, dies ist nur für rund 20 % der Personengesellschaften attraktiv, und deshalb gibt es ja auch das zweite Modell für den Mittelstand. Das Wichtigste daran ist, dass der Eingangssteuersatz auf 15 % abgesenkt wird. Damit werden 80 % aller mittelständischen Unternehmen in Baden-Württemberg begünstigt.

Der zweite Punkt ist, dass die Einkommensteuer – Sie haben es ausgeführt – um die pauschalierte Gewerbesteuer verringert wird. Damit schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klappe. Auf der einen Seite gibt es für die Gemeinden nach wie vor die Garantie der Gewerbesteuer, und damit ist es für Gemeinden auch nach wie vor attraktiv, Gewerbe in ihrem Gebiet anzusiedeln. Sie haben selbst das Beispiel Schleswig-Holstein genannt. Auf der anderen Seite entfällt die Gewerbesteuer für Unternehmen bis zu einem Gewer

besteuerhebesatz von 400 Punkten. Da, wie Sie selbst gesagt haben, in Baden-Württemberg in 1 003 Gemeinden der Gewerbesteuerhebesatz unter 400 Punkten liegt, ist dieses Steuerreformmodell der Bundesregierung ein spezielles Steuerentlastungsgesetz für die Gewerbebetriebe in BadenWürttemberg.

Der Entwurf der Landesregierung hingegen ist, was den Mittelstand betrifft, meines Erachtens völlig widersprüchlich. Die Landes-CDU plädiert für eine Absenkung der Gewerbesteuer, die FDP ist für die Abschaffung der Gewerbesteuer, und der Fraktionsvorsitzende der Union im Deutschen Bundestag, Merz, will die Gewerbesteuer erhöhen, indem er die freien Berufe in die Gewerbesteuer einbeziehen will.

(Abg. Brinkmann SPD: Hört, hört!)

Da frage ich Sie: Wer spricht hier eigentlich für wen? Was gilt nun? Können Sie dieses Tohuwabohu sowohl in der Landesregierung als auch im Verhältnis zwischen Landesund Bundes-CDU aufklären?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es gibt zwei weitere Widersprüche beim CDU-Modell. Sie lehnen die Freistellung bei der Veräußerung von Beteiligungen von Kapitalgesellschaften ab, obwohl dies ein wesentlicher Beitrag des Steuerrechts zur Umstrukturierung und Erneuerung unserer Volkswirtschaft ist. Da habe ich den leisen Verdacht, dass Sie diese Steuerfreistellung von Kapitalbeteiligungen deshalb verhindern wollen, weil Sie damit Ihr eigenes Stiftungsmodell, das Sie vor wenigen Wochen im Landtag durchgesetzt haben, ad absurdum führen würden. Dann hätten wir Recht gehabt, dass man abwarten soll, bis dieses Steuerrecht in Kraft tritt. Dann wäre diese komplizierte Konstruktion überhaupt nicht nötig gewesen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Herr Stratthaus, mich hat auch nicht ganz überzeugt, was Sie auf meine Zwischenfrage geantwortet haben, was die unterschiedliche Behandlung von thesaurierten und ausgeschütteten Gewinnen betrifft. Steuerwissenschaftlich gebe ich Ihnen da wiederum Recht. Im Prinzip sollte man marktmäßig gesehen alle gleich behandeln. Aber wenn man sie schon ungleich behandelt, dann doch bitte umgekehrt. Dann wollen wir die Gewinne begünstigen, die im Unternehmen verbleiben und dort reinvestiert werden, um Arbeitsplätze zu schaffen.