Protokoll der Sitzung vom 13.04.2000

(Abg. Haasis CDU: Dann haben Sie gerade viel Geld kaputtgemacht!)

steigen unsere Gesamtschulden um den Wert eines Eigenheims. Ende des Jahres 2000 müssen wir mit zweieinhalbtausend Milliarden Mark Schulden rechnen. Wissen Sie, wie viel das überhaupt ist? Das kann sich keiner vorstellen.

Gäbe es keine Neuverschuldung und würden wir jeden Monat 1 Milliarde DM entschulden, bräuchten wir 200 Jahre, um schuldenfrei zu werden. Das ist der Zustand des jetzigen Staates.

(Abg. Nagel SPD: Da reden wir noch einmal darü- ber!)

Deshalb: Ihr Sparprogramm ist nicht durchdacht. Das werde ich in der zweiten Runde noch weiter belegen.

(Beifall bei den Republikanern – Abg. Brechtken SPD: Da mache ich mir keine Sorgen!)

Wer von der CDU-Fraktion wünscht das Wort?

(Zurufe von der SPD: Niemand!)

Es liegen keine Wortmeldungen vor.

Bitte schön, Herr Abg. Dr. Noll.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte es ganz kurz machen, auch weil ich gesagt habe, dass ich in der zweiten Runde etwas Konstruktives dazu sagen will.

Wir müssen uns in der Tat überlegen – und ich kritisiere ja, dass Sie jetzt sparen, ohne gleichzeitig zu gestalten –, wie wir den Ausfall im Bereich des Zivildiensts künftig, wenn der Zivildienst möglicherweise ganz wegfällt, wenn wir zum Beispiel zu einer Abschaffung der Wehrpflicht kämen, gestalten wollen. Da fällt einem zunächst einmal das freiwillige soziale Jahr ein, das aber quantitativ nicht reicht. Sie wissen: 140 000 Zivildienstleistende, 12 000 im freiwilligen sozialen Jahr in der Bundesrepublik. Da ist also schon rein quantitativ ein Ausgleich nicht möglich. Wir müssten sicherlich in einem Zwischenschritt dazu kommen, diesen Bereich auszubauen, aber wir müssen uns, wie ich meine, auch einmal darüber Gedanken machen, ob ein quasi Pflichtjahr für den sozialen Dienst in unserer Gesellschaft konsensfähig sein könnte.

(Abg. Deuschle REP: Gute Idee! – Abg. Brechtken SPD: Dann müsste man auch einmal über Finan- zierungen reden!)

Ich bin deshalb noch einmal ans Rednerpult gekommen, weil das ein kritisches Thema sein wird, das wir breit diskutieren müssen.

Dazu liegt vom Paritätischen Wohlfahrtsverband – Frau Kollegin Bender, Sie kennen das – das Ergebnis einer Umfrage unter jungen Erwachsenen vor. Das wollte ich Ihnen noch sagen: Mehr als die Hälfte der befragten jungen Erwachsenen sagt: Jawohl, wir könnten uns, und zwar für Jungen und Mädchen, ein soziales Pflichtjahr vorstellen. Mehr als die Hälfte sagt das. Nur 12 % sagen: Mit mir nicht. Es gäbe also eine hohe Akzeptanz. Der Rest der Befragten zeigte sich unentschlossen.

Ich wollte damit nur andeuten, dass Sie, wenn Sie über eine Wehrstrukturreform reden, sich intensiver Gedanken machen müssen und einen gesellschaftlichen Diskurs her

beiführen müssen, was Sie, Herr Brechtken, bisher versäumt haben. Wir sind dabei. Ich biete die Mitarbeit dazu an.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Bebber SPD: Das ist gut! – Abg. Brechtken SPD: Das ist kon- struktiv!)

Das Wort erhält Frau Abg. Bender.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Da sich die CDU jetzt aus der Debatte verabschiedet hat, ist es in der Tat möglich, noch ein paar sachliche Erwägungen vorzutragen.

(Abg. Mühlbeyer CDU: Langsam! – Abg. Haasis CDU: Immer langsam!)

Herr Noll, ich finde richtig, dass Sie sagen, man müsse sich insgesamt über die Zukunft des Zivildienstes Gedanken machen, je nachdem, was mit dem Wehrdienst passiert. Ich kann Ihnen allerdings nicht beipflichten, wenn Sie gleich die im Entstehen begriffene Zivildienstkommission auf Bundesebene heruntermachen, nur weil vielleicht kein Herr Scheel oder kein Herr Genscher dabei ist.

(Abg. Brechtken SPD: Das überlegen wir uns noch einmal! – Abg. Bebber SPD: Westerwelle!)

Ich meine, das wird auch so funktionieren.

Es ist auch gut – Sie haben darauf hingewiesen –, dass sich die Verbände seit langem Gedanken darüber machen, wie sie eigentlich ohne Zivildienst auskommen könnten und welche Alternativen es gibt. Sie haben auch auf die Umfrage des Paritätischen Wohlfahrtsverbands hingewiesen. Ich will dazu betonen, Herr Kollege Noll, dass es dabei in erster Linie um die Bereitschaft zur Leistung eines freiwilligen Dienstes ging.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Da wurde auch nach der Pflicht gefragt! Sie haben Sekundärliteratur, ich habe das Original gelesen! – Gegenruf des Abg. Brechtken SPD)

Ja. Es sind aber nicht so viele, die gerne die Pflicht hätten. Aber die Bereitschaft zur Leistung eines freiwilligen Dienstes ist sehr hoch. 57,1 % haben mit Ja geantwortet und fast 30 % immerhin noch mit „ich weiß nicht“. Mit Nein haben nur knapp 12 % geantwortet. Das heißt doch, dass es ein Potenzial junger Menschen gibt, die so etwas tun würden. Das wird im Übrigen auch durch die neueste Shell-Jugendstudie eindrucksvoll bestätigt. Das heißt, wenn man einen freiwilligen Dienst macht, dann findet man auch die entsprechende Engagementbereitschaft bei jungen Leuten. Auch dies ist mit ein Grund zu sagen: Die Alternative zum Zivildienst kann nicht eine Vollprofessionalisierung sein.

Das hat nicht nur finanzielle Aspekte, sondern das hat schlicht und einfach auch menschliche und soziale Aspekte. Da sind auf der einen Seite beispielsweise Menschen mit schweren Behinderungen, die sagen: „Ich will nicht immer nur Weißkittel um mich haben, sondern einfach ein

mal ganz normale Menschen, die zeitweise für so etwas zur Verfügung stehen.“ Das ist ernst zu nehmen.

Deswegen, meine ich, muss unser Bestreben dahin gehen, solche freiwilligen Dienste als Alternative anzubieten. Das lässt sich relativ gut machen, wenn man sich für den Vorschlag der Grünen entscheidet, die Wehrpflicht ganz abzuschaffen. Wir sind ja der Auffassung, dass die künftige Armee eine Freiwilligenarmee sein sollte und der Wehrdienst dann verzichtbar wäre.

Schwierig wird es – das will ich durchaus ansprechen –, wenn man sich zu einem Kurzzeitwehrdienst entschließt, also zu Dienstzeiten von drei oder fünf Monaten. Das wäre nicht unser Weg. Wenn es der Weg der Koalition sein wird, dann wird man sehr sorgfältig überlegen müssen, wo denn Einsatzfelder für solche kurzzeitig zur Verfügung stehenden Zivildienstleistenden sein könnten.

Aber im Ganzen gesehen wird der Ersatz für das, was der Zivildienst jetzt ist, in einem freiwilligen Dienst liegen. Es ist gut, dass so viele junge Leute das entsprechende Engagement mitbringen. Deswegen ist mir um die Zukunft des sozialen Netzes nicht bange, meine Damen und Herren.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei Ab- geordneten der SPD)

Gibt es weitere Wortmeldungen? – Herr Abg. Krisch, bitte.

Die Reihenfolge der Redner ist etwas ungewöhnlich. Ich muss davon ausgehen, dass verschiedene Fraktionen gar nicht mehr das Wort ergreifen. Deshalb noch einmal ein kurzer Kommentar von mir.

Kollege Noll, Sie erwähnten das freiwillige soziale Jahr. Denken Sie an die Jahre 1992 bis 1994 zurück. Da wurde genau dieser Vorschlag einmal von meiner Fraktion eingebracht. Wir haben das allerdings nicht weiterverfolgt, denn es gibt schwerwiegende verfassungsrechtliche Probleme mit diesem sozialen Jahr, und es gibt Kostenprobleme. Das wird auf 40 Milliarden DM pro Jahr geschätzt.

Zur Kollegin Bender: Wenn denn die Wehrpflicht abgeschafft wird, wie Sie das wünschen, dann müssen Sie damit rechnen, dass automatisch auch der zivile Dienst abgeschafft wird. Denn es wird nicht möglich sein, in einer Gesellschaft, die mehr und mehr an sich selber denkt und vergnügungssüchtig ist, Hunderttausende zu freiwilligen Leistungen zu bringen.

(Abg. Brechtken SPD: Was hat das denn jetzt mit dem zu tun? – Gegenruf des Abg. Deuschle REP: Stimmt das vielleicht nicht? – Zuruf des Abg. Beb- ber SPD)

Jetzt müssen wir noch einmal zu dem Thema Sparhaushalt reden.

(Abg. Bebber SPD: So ein Jammerlappen!)

Ihre Zwischenrufe sind zwar interessant, aber

(Abg. Dr. Walter Müller SPD: Treffend!)

haben nichts mit der Sache zu tun.

Wir sind in einer Situation, in der jede sechste Mark staatliche Einnahmen für Zinsen ausgegeben wird. Das bedeutet, der Staat ist in einer Weise vom Zins und vom Geldmarkt abhängig, die ihn schon erpressbar macht.

(Zuruf des Abg. Braun SPD – Abg. Dr. Noll FDP/ DVP: Zum Thema!)

Die Steuer- und Abgabenbelastung ist unerträglich. Wir rechnen – das ist eine Aussage des Karl-Bräuer-Instituts des Bundes der Steuerzahler –

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Herr Krisch, zum The- ma!)

mit Belastungen der Arbeitnehmer von über 50 %. Das bedeutet, Fleiß und Arbeitskraft werden nicht mehr belohnt. Da kommen Sie genau zu dem Thema, das Sie mit Ihrer grünen Karte kompensieren wollen. Wir müssen endlich dazu kommen, dass Zinsen, Schulden und Versorgungsleistungen nicht mehr wachsen. Ein Schritt dazu war der Vorschlag unserer Fraktion, das Thema Nullverschuldung in die Verfassung aufzunehmen.

(Beifall bei Abgeordneten der Republikaner)

Irgendwann kommt irgendeiner und bringt dies wieder als Ei des Kolumbus.

(Abg. Bebber SPD: Sicher nicht! – Abg. Brechtken SPD: Mit Sicherheit nicht! – Unruhe)