Protokoll der Sitzung vom 17.05.2000

Ich warne aber davor, wenn die bundespolitische Komponente mit hineingenommen wird, nunmehr den Blick vor der Zukunft zu verschließen, und deswegen fordere ich Rot-Grün schon heute auf, wenn Sydney vorbei ist, alles dafür zu tun, dass die angekündigte Kürzung im Leistungssport des Bundes um 40 Millionen DM nicht erfolgt. So etwas hat es unter einer CDU-Regierung nicht gegeben. Da sind die Haushaltsansätze in schwierigsten Zeiten beibehalten worden.

Deswegen, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün: Sorgen Sie dafür, dass unser breiter Konsens hier in diesem hohen Haus auch von Ihnen nach Berlin transportiert wird, damit der Sport auch auf Bundesebene den Stellenwert behält, den er bei uns schon lange hat und auch in der Zukunft haben wird.

(Beifall bei der CDU – Abg. Hans-Michael Bender CDU: Sehr gut!)

Das Wort hat Herr Abg. Bebber. Ich bitte Sie aber, sich in Zukunft zu melden. Denn gemeldet hat sich Herr Oelmayer.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Um gleich auf den ersten Vorwurf einzugehen: Sie wissen, dass für die bessere steuerrechtliche Behandlung von Vereinen nicht nur der Bund zuständig ist, sondern auch die Länder. Dazu müsste die Abgabenordnung geändert werden, und das geht ohne die Länder nicht. Das hat Ihr Finanzminister Mayer-Vorfelder schwer ertragen müssen. Er hat ja diesbezüglich einen Vorstoß unternommen, weil wir das auch verlangt hatten; allerdings ist es nicht zu einem guten Ende gekommen. Das lag nicht an der Bundesregierung. Es geschah übrigens noch zu der Zeit, als Sie die Bundesregierung gestellt haben.

(Zuruf des Abg. Fleischer CDU)

Das nur zur Klarstellung, damit hier, Herr Fleischer, keine Legendenbildung erfolgt.

Wir stehen hinter der Aufnahme des Tierschutzes und des Sports in die Verfassung, aber wir wollen darüber hinaus zusätzliche grundsätzliche Änderungen der Landesverfassung und damit eine neue Schwerpunktsetzung des verfassungsrechtlichen Auftrags der Landesregierung. Das ist uns wichtig. Wir wollen weg von der alles bestimmenden Obrigkeitsregierung hin zu Rahmenbedingungen, durch die die in eigener Verantwortung gestaltende Bürgergemeinschaft gefördert wird.

Die SPD will deshalb ein Grundrecht auf Datenschutz; sie will die Förderung der Behinderteneingliederung, der Arbeits- und Ausbildungsplatzschaffung, der Wohnraumbeschaffung und nicht zuletzt die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements sowie die verfassungsrechtliche Festschreibung des Subsidiaritätsprinzips.

Wenn Sie nur das machen, was in Ihrem Gesetzentwurf enthalten ist, nämlich Tierschutz und Sport aufnehmen, aber andere Dinge nicht aufnehmen, dann müssen Sie sich fragen lassen, wie das zusammenpasst.

(Abg. Kretschmann Bündnis 90/Die Grünen: Gar nicht!)

Sie wollen vom Staat aktiv zu fördernden Tierschutz – okay –, aber nur ein passives Benachteiligungsverbot für Behinderte. Das heißt, um es ganz provozierend zu sagen, die Tiere werden in die Gemeinschaft aufgenommen, aber den Behinderten verwehrt die Landesregierung die Förderung gleichwertiger Teilnahme am Gemeinschaftsleben. Das kann es ja nicht sein.

(Unruhe)

Dann müssen Sie sagen, was Staatsziel bedeutet und was nicht. Aktive Förderung des Sports wollen Sie – das ist ja in Ordnung –,

(Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Jawohl!)

also die ehrenamtlich Engagierten im Sport fördern – das ist in Ordnung –, aber keine Verpflichtung zur aktiven Staatsförderung für das bürgerschaftliche Engagement in den anderen Bereichen des gemeinwohlorientierten Engagements etwa beim klassischen Ehrenamt, in der Selbsthilfe und in der Freiwilligenarbeit. Meine Damen und Herren, das ist Schieflage.

Fatal ist auch, wenn Sie die Staatszielbestimmung als solche in ihrer Bedeutung gewissermaßen herunterreden. Vorhin ist im Beitrag von Herrn Rech die Rede davon gewesen, dass so etwas ja nur appellativen Charakter habe.

Ich möchte Sie daran erinnern, dass die älteste Staatszielbestimmung im Grundgesetz das Sozialstaatsprinzip ist. Wer glaubt, dass diese eine Leerformel wäre? Herr Fleischer, Leerformel Staatszielbestimmung? Herr Rech – wo ist er? Nicht mehr da.

(Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Nach draußen!)

Das ist ein Prinzip, das seine Ausprägung zum Beispiel in der Sozialversicherung gefunden hat, in sozialer Steuerpolitik, in der Sozialhilfe bis hin zur Prozesskostenhilfe. Unsere Gemeinschaft ist durch diese Staatszielbestimmung geprägt.

Staatsziel heißt auch: dynamische Gestaltungsaufgabe mit Zukunftsbezug, heißt Aufgabe an den Gesetzgeber und die Landesregierung. Sie werden in diesem Sinn in die Pflicht genommen. Was bisher nur politischer Druck war, erhält durch eine solche Staatszielbestimmung den Rang einer rechtlichen Verpflichtung und den Auftrag zu neuer Schwerpunktsetzung in der Gesellschaft. Genau das wollen wir mit unseren Staatszielbestimmungen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die CDU-FDP/DVP-Regierung will sich – das ist meine Folgerung aus ihrer Weigerung – also nicht in die Pflicht nehmen lassen, zum Beispiel wenn es um die Stärkung der Rechte der Bürger im Datenschutz geht, wenn es um be

zahlbaren Wohnraum geht, wenn es um das bürgerschaftliche Engagement geht

(Widerspruch des Abg. Kiel FDP/DVP)

oder wenn es darum geht, orts- und bürgernahe Aufgabenerledigung durch die Kommunen oder durch Institutionen außerstaatlicher Art sicherzustellen.

(Abg. Kiel FDP/DVP: Was gibt das für eine Ver- fassung? – Gegenruf des Abg. Brechtken SPD: Ei- ne gute!)

Sie müssen neue Schwerpunkte setzen. Es ist tatsächlich so, dass sich die Gesellschaft verändert und auch die Verfassung mit ihren Aufgabenstellungen dementsprechend verändert wird.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Abg. Kiel FDP/DVP: Die Verfassung ist doch nicht dazu da, jedes Gesetzbuch zu ersetzen!)

Sie müssen erklären, warum Sie bereit sind, sich zu verpflichten, das Ehrenamt im Sport in besonderer Weise zu fördern, nicht aber das freiwillige, gemeinwohlorientierte, nicht auf materiellen Gewinn ausgerichtete bürgerschaftliche Engagement im sozialen Bereich, im Gesundheitswesen, in der Pflege, im Rettungswesen, in der Jugend- und Altenarbeit, in der Bildung, Erziehung, Betreuung, auch in der Politik. Sie müssen erklären, warum Sie da differenzieren. Das hat mit Bauchladen null zu tun.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Landesregierung steht im Moment in dem Ruf, die Freiwilligkeit der Bürger zu missbrauchen, um Kosten zu sparen. Kosten sparen auf Kosten der engagierten Bürger – das wird nicht funktionieren. Nehmen Sie sich lieber den Gemeindetag zum Vorbild; ich nenne ihn nur als ein Beispiel. Unter dem Begriff „Bürgergesellschaft“ wird weniger staatliche Gängelung und mehr Freiraum für bürgerschaftlich getragene Eigenverantwortung und Gestaltung des Gemeinwesens gefordert. Das stimmt mit dem überein, was wir uns in dieser Zeit auch als richtig vorstellen. Das ist die „Gesellschaft der neuen Zeit“, die damit formuliert wird.

Sie – das interpretieren wir so aus Ihrer Weigerung – wollen keine Veränderung des Gemeinschaftslebens, nicht die Gesellschaft der neuen Zeit, wie sie durch engagierte Bürger vorangetrieben würde. Sie wollen weiter die Obrigkeitsregierung und nicht die Bürgergesellschaft.

(Beifall bei der SPD – Abg. Fleischer CDU: Wird ja immer schlimmer!)

Das Wort hat Herr Abg. Oelmayer.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Für die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen darf ich, ausgehend von dem gemeinsamen Änderungsantrag der hier im Haus vertretenen vier demokratischen Fraktionen,

(Abg. Herbricht REP: Oh!)

zu dem Thema „Aufnahme der Förderung von Kunst und Sport als Staatszielbestimmungen“ Stellung nehmen und vor allen Dingen auch begründen und Ihnen erklären, meine Damen und Herren, warum sich unsere Fraktion dafür entschieden hat.

Eine kleine Vorbemerkung: Nach den Ausführungen des Kollegen Bebber wird es für die Sozialdemokraten bei der Abstimmung, glaube ich, schwierig, weil seine Ausführungen dahin gingen, dass er Erklärungen dafür erwartet, warum Kunst und Sport und die anderen Staatsziele, deren Verankerung in der Verfassung die Sozialdemokraten in ihrem gesonderten Gesetzentwurf fordern, ausgeklammert werden.

(Abg. Bebber SPD: Sehr wohl!)

Meine Damen und Herren, der vorliegende Änderungsantrag ist das Ergebnis der hohen Kunst eines demokratischen Meinungsfindungsprozesses.

(Abg. Herbricht REP: Fauler Kompromiss!)

Der Antrag stellt nämlich nichts anderes als einen Kompromissvorschlag dar. Wir Grünen sind uns sehr wohl darüber bewusst, dass wir aus verfassungsrechtlichen, verfassungsgestalterischen Gründen eher zu der Meinung tendieren, dass Verfassungen – auch dies wurde heute hier schon gesagt – nicht der Tagespolitik unterliegen dürfen.

(Beifall des Abg. Kiel FDP/DVP)

Bei der Frage des Tierschutzes, meine Damen und Herren, besteht in diesem Haus aber sehr wohl eine breite Übereinstimmung. Auch bei der Frage der Förderung des Sports, der Kunst und der Kultur – Überbegriff „Kultur“ – besteht in diesem Haus eine breite Übereinstimmung. So hatte ich das verstanden. Für uns als bündnisgrüne Fraktion aber – –

(Zuruf des Abg. Brechtken SPD)

Der Begriff „Bauchladen“ passt nicht in diese Debatte. Es ist dieser Debatte auch nicht würdig, dass wir jetzt über bundespolitische Fragen diskutieren und polemisieren. Es geht um die Ergänzung der Verfassung des Landes BadenWürttemberg. Im Hinblick darauf haben wir uns bei der Suche nach einer Kompromisslösung dem vorliegenden interfraktionellen Änderungsantrag angeschlossen.

Wir sagen – da möchte ich für unsere Fraktion noch einmal eine Differenzierung festgestellt haben –: Es geht nicht nur um die professionalisierten Landessportverbände. Es geht um den Sport im Allgemeinen, meine Damen und Herren.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP/DVP)

Auch die Inlineskater im Schlosspark haben einen Anspruch darauf, dort ihre Sportart betreiben zu können, und dürfen sich nicht etwa Polizeiverordnungen gegenübersehen, nach denen sie diese Sportart nicht mehr ausüben können. Sport heißt Ausübung von sportlicher Freiheit, von Bewegungsfreiheit für die Menschen, welche Sportart es auch immer sein mag, ob organisierter Sport in Vereinen – –

(Zuruf des Abg. Fleischer CDU)