Protokoll der Sitzung vom 28.06.2000

Ich will nur noch einmal eines sagen. Über den Atomkonsens ist in den letzten Tagen viel geschrieben worden. Da

rauf will ich nicht eingehen. Aber ich will noch einmal auf die Diskrepanz zwischen Reden und Handeln bei Herrn Teufel eingehen.

Was haben Sie denn alles nicht getan, was andere Bundesländer getan haben? Sie haben hier zwar die Grundlagenforschung bei den Fraunhofer-Instituten in Stuttgart, in Freiburg und anderswo. Aber Sie haben die Förderung der regenerativen Energien, der Markteinführung überall zusammengestrichen. Das rot-grüne Nordrhein-Westfalen gibt dafür jährlich 100 Millionen DM aus. Jetzt können Sie natürlich sagen: „Ja, Rot-Grün, das ist alles ideologisch.“ Die CSU in Bayern gibt 70 Millionen DM dafür aus, Sie dagegen geben magere 6 Millionen DM aus. Sie haben die Förderung sozusagen auf null zusammengestrichen.

Zur Windkraft. Das ist der zweite Punkt. Hierbei haben wir natürlich nicht Bedingungen, wie sie an der Küste bestehen. Das möchte ich hier sagen. Ich will auch nicht, dass im Schwarzwald alles zugenagelt wird.

(Zuruf des Abg. Dr. Birk CDU – Weitere Zurufe von der CDU und den Republikanern)

Jetzt einmal ganz ruhig, Herr Birk. – Aber können Sie mir erklären, warum das Land Hessen, das sehr viel kleiner ist als Baden-Württemberg, siebenmal so viel Windkraft installiert hat wie Baden-Württemberg?

(Abg. Dr. Birk CDU: Das wollen wir nicht!)

Können Sie mir das erklären? Das können Sie nicht.

(Zurufe von der CDU, u. a. des Abg. Dr. Birk)

Vorsicht, kein Praecox hier. Wissen Sie eigentlich, Herr Birk, dass in Deutschland im Bereich der Windenergie mittlerweile mehr Arbeitsplätze existieren als im Bereich der Kernkraft? Sie wissen es wahrscheinlich, aber Sie schweigen lieber.

(Zuruf des Abg. Dr. Birk CDU – Gegenruf des Abg. Brechtken SPD)

Sie haben drittens die Förderung von kommunalen Energiekonzepten zusammengestrichen – im Gegensatz zu Hessen und zu Nordrhein-Westfalen. Sie haben die Förderung auf Eis gelegt und auf null gefahren. Da reden Sie 1986 davon, man dürfe sich nicht erst nach dem Jahr 2000, sondern müsse sich jetzt – 1986 – Gedanken machen, wie es weitergehe, wenn man aus der Kernkraft aussteige. Da kann ich nur sagen: Bellen Sie weiter den Mond an. Sie haben die letzten 14 Jahre versagt.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Pfister.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich spreche mich auch für die Zukunft für einen Energiemix aus, der die Option auf Kernkraft erhält. Zugleich soll aber auch alles getan werden – darauf komme ich noch zurück –, um den Anteil der regenerativen Energien innerhalb dieses Energiemix in der Zu

kunft zu erhöhen. Aber gerade deshalb halte ich die Absprache über den Ausstieg aus der Kernenergie für falsch. Ich halte sie für falsch, weil sie ein Verstoß gegen die Klimaschutzziele ist, für die wir uns ausgesprochen haben.

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Mein Gott!)

Ich halte sie für schädlich, weil Volksvermögen verschleudert wird. Ich halte sie für fantasielos, weil Ihnen bei der Entsorgungsfrage nichts anderes einfällt, als die Abfälle vor der Haustür der Länder und Gemeinden abzukippen.

(Abg. Birgitt Bender Bündnis 90/Die Grünen: Aber was haben Sie gemacht? – Gegenruf des Abg. Wieser CDU: Jetzt geht die Biggi Bender raus! Jetzt fürchtet sie sich!)

Ich halte sie für unklug, weil Sie überhaupt nicht den Versuch gemacht haben, gemeinsam mit der Opposition und den Ländern einen Energiekonsens auf den Weg zu bringen. Deshalb sage ich Ihnen voraus: Die Restlaufzeit dieser Vereinbarung wird genau bis zur nächsten Bundestagswahl reichen und damit kürzer sein als die Restlaufzeit des Kernkraftwerks in Obrigheim.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Brechtken SPD: Die 18 % lassen grüßen!)

Mein Vorwurf richtet sich an Rot-Grün – ich wiederhole meinen Vorwurf –, aber ausdrücklich auch an die EVUs. Die EVUs haben einen bequemen Weg gewählt, und dieser bequeme Weg war der falsche Weg.

Ich glaube, dass diese Vereinbarung falsch ist, insbesondere auch aus ökologischen Gründen. Sie haben in Ihrem Papier keine Aussagen darüber, wie eine Energiepolitik in der Zukunft auszusehen hat, und insbesondere darüber, wie eine künftige Energiepolitik die Klimaschutzziele erreichen soll, zu deren Einhaltung wir uns verpflichtet haben.

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Sie haben sich doch mit dem Thema noch nie beschäf- tigt!)

Herr Kollege Salomon, was geschieht eigentlich – diese Frage haben Sie nicht beantwortet, aber ich muss sie stellen –,

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Ich habe ja nur fünf Minuten! Ich komme noch mal dran!)

wenn wir die Kraftwerke vom Netz nehmen?

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Wir haben Überkapazitäten, dass es kracht!)

Dann haben wir zwei Möglichkeiten, die gleichermaßen unbefriedigend sind. Die erste Möglichkeit: Wir bauen neue Kraftwerke,

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Ach was!)

zum Beispiel effiziente Gas- und Dampfturbinenkraftwerke. Das ist eine Möglichkeit.

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Billi- ger und besser!)

Ich muss aber darauf hinweisen: Selbst wenn wir dies täten und Kernkraftwerke flächendeckend durch Dampfturbinenkraftwerke ersetzen würden,

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Sie denken doch statisch!)

würde das bedeuten, dass die CO2-Belastung in der Zukunft eben nicht abnehmen, sondern deutlich zunehmen würde.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Kluck FDP/ DVP: So ist es!)

Wenn der Bundeskanzler kürzlich in Lippendorf bei der Einweihung eines Kohlekraftwerks – wie ich gelesen habe – ein Hohelied auf die Kohle gesungen hat und geradezu die Renaissance der Kohle angepriesen hat, dann kann ich nur sagen: Damit haben Sie sich endgültig vom Ziel des Klimaschutzes verabschiedet. Diesen Vorwurf muss ich Ihnen machen.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Sie hatten das Ziel ja gar nicht!)

Dann bleibt die zweite Möglichkeit, Herr Salomon: Sie importieren Strom. Das können Sie natürlich auch machen, zum Beispiel aus osteuropäischen Kernkraftwerken, die mit Sicherheit einen geringeren Sicherheitsstandard haben.

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Das macht der Goll heute schon! – Zuruf von der CDU: So wird es ja kommen!)

Meine Damen und Herren, was ist das für eine grüne Scheinheiligkeit! Die gleichen Grünen, die in Deutschland die Kernkraft vom Netz nehmen wollen, gehen her und fördern Kernkraftwerke in China durch die Übernahme von Hermesbürgschaften. Das ist nicht nur ideologisch scheinheilig, sondern schizophren, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU – Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Kommen Sie doch nicht mit diesem Käs daher! – Abg. Brechtken SPD: Die Vertragsverpflichtungen sind von der vergangenen Bundesregierung übernom- men! Das ist unglaublich!)

Dann ist ein Drittes zu nennen: Ich halte diese Vereinbarung in der Entsorgungsfrage für geradezu abenteuerlich. Abenteuerlich deshalb, weil Sie auf der einen Seite ein Moratorium für Gorleben planen, das heißt, bis zu zehn Jahre lang soll in Gorleben als zukünftigem Endlager nichts mehr geschehen. Das ist übrigens ein glatter Verstoß gegen das, was Ihr ehemaliger Bundeskanzler Schmidt 1979 als gemeinsames Ziel in der Entsorgungsfrage formuliert hat.

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Da gab es aber noch Pläne für ein Endlager in Bay- ern!)

Das heißt, Sie sind drauf und dran, durch die Schaffung von Zwischenlagern zu erreichen, dass in Zukunft die Zwischenlager Endlager sein werden.

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: So ein Blödsinn!)

Es kommt aber noch schlimmer, Herr Kollege Salomon. Sie müssen sich einmal folgenden Satz auf der Zunge zergehen lassen, der in Ihrer Vereinbarung steht – ich darf zitieren –; da heißt es:

Es wird... nach Möglichkeiten gesucht, vorläufige Lagermöglichkeiten an den Standorten vor Inbetriebnahme der Zwischenlager zu schaffen.

Was heißt dieser Satz? Soll das bedeuten, dass in der Zukunft – weil Sie ja wissen, dass Sie diese Zwischenlager innerhalb von fünf Jahren nicht schaffen können – dieses Zeug auf dem Hof oder in der Kantine abgelagert wird? Die Entsorgungspolitik, die Sie hier betreiben, ist doch abenteuerlich.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Deshalb kann ich nur zu dem Ergebnis kommen – ich komme in der zweiten Runde noch zu den zukünftigen Alternativen –: Dieser so genannte Konsens ist natürlich kein Konsens, sondern er ist ein durch und durch ideologisches Papier, das Sie auf den Weg gebracht haben. Jahrzehntelang war in der Energiepolitik der Bundesrepublik Deutschland Konsens, dass eine Energieversorgung sicher, umweltverträglich und wirtschaftlich sein muss.