Protokoll der Sitzung vom 28.06.2000

(Beifall bei den Republikanern)

Auch diese Chance versäumen Sie, und deswegen ist das, was Sie hier machen, nicht nur falsch, sondern schlicht und einfach verantwortungslos.

(Beifall bei den Republikanern)

Das Wort erteile ich Herrn Umweltund Verkehrsminister Müller.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben zurzeit weltweit 415 Kernkraftwerke. In dem Moment, in dem in Deutschland die Entscheidung gefallen ist, dass 19 abgeschaltet werden sollen, werden weltweit 46 gebaut.

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Aber nicht in Europa!)

46 gebaut.

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Aber nicht in Europa!)

Das spielt jetzt überhaupt keine Rolle,

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Wie- so? Das ist interessant!)

weil wir uns einer Verantwortung zu stellen haben, Herr Salomon, und die Verantwortung heißt, dass wir den Weltenergiebedarf zu lösen haben,

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Sind Sie Weltenergieminister?)

dass wir die Weltklimakatastrophe zu verantworten haben

(Zuruf des Abg. Kretschmann Bündnis 90/Die Grünen)

und dass wir einem Wort von Carl-Christian von Weizsäcker, der bekanntlich kein Anhänger der Union ist,

(Zuruf von der SPD: Gott sei Dank!)

vielleicht auch Rechnung tragen sollten, der sagt, wir hätten im Interesse des Sicherheitsniveaus auf der Welt eine Verpflichtung, in der Kernkraft zu bleiben. Das, was Sie als Gemälde immer an die Wand malen, dass wir nämlich die letzten Mohikaner seien, dass wir in einer sterbenden Technologie verbleiben wollten, ist falsch. Es ist genau umgekehrt. Sie steigen aus einer Zukunftstechnologie aus, in der wir führend waren.

(Beifall bei der CDU – Abg. Dr. Salomon Bünd- nis 90/Die Grünen: Oje! – Zuruf der Abg. Birgitt Bender Bündnis 90/Die Grünen – Abg. Dr. Salo- mon Bündnis 90/Die Grünen: Fünfzigerjahre- Technologie!)

(Minister Ulrich Müller)

Der Trend arbeitet nicht für die Politik, die Sie hier beschlossen haben, sondern der Trend arbeitet genau dagegen.

Zweiter Punkt, meine Damen und Herren: Wir haben in der Bundesrepublik, wie gesagt, 19 Kernkraftwerke. Wir haben um die Bundesrepublik herum in einem Umkreis von 2 000 Kilometern insgesamt 150 Kernkraftwerke. Es ist im Blick auf einen liberalisierten Strommarkt ein Tatbestand: Während es vor einiger Zeit noch die Strommonopole gegeben hat und wir deswegen unsere Märkte abschotten konnten, haben wir heute die Situation, dass wir im internationalen Wettbewerb stehen.

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Ach nee! Das ist ja völlig neu!)

Dies bedeutet, dass der Ausstieg aus der deutschen Kernkraft der Einstieg der ausländischen Kernkraft sein wird –

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

nicht mit der technischen Sicherheit, wie wir sie bei uns haben –, mit der Folge der Technologieverschwendung, mit der Folge des Arbeitsplatzexports und mit der Folge, dass wir in Zukunft Strom nicht nur importieren können – das können wir im liberalisierten Markt immer –, sondern Strom importieren müssen, und das wird die Preise verderben.

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Ja was denn jetzt? Europäischer Markt oder Autar- kie? Was wollen Sie eigentlich?)

Ein einziger Pfennig Preiserhöhung für eine Kilowattstunde kostet die deutsche Volkswirtschaft 12 Milliarden DM. Worin liegt der Sinn, unsere Kernkraftwerke abzuschalten und andere zu betreiben und von ihnen teureren Strom zu beziehen als den, den wir im eigenen Land herstellen könnten?

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Ich will zum Dritten den Umweltminister Trittin zitieren, der zur Beruhigung seiner eigenen Basis in der „taz“ am 16. Juni, also nachdem die Vereinbarung unterzeichnet worden ist, Folgendes geschrieben hat:

Dieser Ausstieg ist im internationalen Vergleich ohne Beispiel.

In der Tat.

In den USA werden die Betriebsgenehmigungen gerade von 40 auf 60 Jahre verlängert.

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: In der Tat!)

In Schweden zahlt man für die Befristung auf 40 Jahre eine Entschädigung.

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: In der Tat!)

In Belgien macht man 40 Jahre ohne Entschädigung und in der Bundesrepublik 32 Jahre ohne Entschädigung.

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: In der Tat!)

Das ist der Triumph, den Sie glauben feiern zu müssen, aber es ist eine Versündigung an den Interessen des Landes, was damit deutlich wird.

(Beifall bei der CDU – Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Ach du heiliger Strohsack!)

Sie wussten, was Sie tun, meine Damen und Herren, und deswegen ist das, was Sie tun, unverzeihlich.

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Sie wissen nicht, wovon Sie reden! Das ist der Unter- schied!)

Im März dieses Jahres haben Sie Hermesbürgschaften für die Nachrüstung von Kernkraftwerken in anderen Ländern gewährt,

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Zwei genehmigt und elf verhindert! Sagen Sie es doch deutlich!)

unter anderem in Litauen und in der Ukraine. Wir werden mit Steuergeld aus diesem Land die Nachrüstung von Kernkraftwerken fördern, von denen wir später Strom aus Kernkraft beziehen. Welche Absurdität! Welch gespenstische Politik!

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Ja, aber dann gucken Sie sich das Ding in Tscherno- byl doch mal an! Es ist eine Frechheit, was Sie hier erzählen!)

Jetzt zu der Frage, warum Sie aussteigen, meine Damen und Herren. Sie haben jahrelang gesagt, es sei ein Sicherheitsproblem. Jetzt sehen wir uns aber einmal die Vereinbarung an. Was steht in ihr zu dem Thema Sicherheit? Das zweite Argument, das Sie gebracht haben, war, dass die Entsorgungsfrage ungelöst sei.

Zunächst zur Sicherheit. In der Vereinbarung selbst – nicht in irgendeiner Formulierung, sondern in der Vereinbarung selbst – steht, dass die deutschen Kernkraftwerke sicher sind und dass es keine Notwendigkeit und keine Veranlassung gibt, am Sicherheitsniveau etwas zu ändern. So mussten Sie argumentieren, weil Sie andernfalls nicht eine Gesamtlaufzeit von 32 Jahren pro Kernkraftwerk hätten akzeptieren können. Damit haben Sie natürlich zu gleicher Zeit auch etwas anderes signalisiert, nämlich dass Sie nicht manipulativ an der Sicherheitsschraube drehen wollen, wie Sie das ursprünglich vorgehabt haben. Sie räumen jetzt ein, dass es weder möglich noch nötig, noch angezeigt, noch notwendig ist, am bisherigen Sicherheitsstandard etwas zu ändern.

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Ihr Problem ist, dass Sie nicht mit am Tisch saßen! Das ist doch deutlich, oder? – Gegenruf des Abg. Drautz FDP/DVP: Sie auch nicht!)

(Minister Ulrich Müller)

Wenn es kein Sicherheitsargument gibt, müssen Sie die Frage beantworten, warum Sie es trotzdem tun. Sie haben die Frage auch beantwortet – es steht in der Vereinbarung selbst –: wegen der gesellschaftspolitischen Diskussion. Das ist eine verdammt schwache Begründung für den Schaden, den Sie der deutschen Volkswirtschaft und dem Land Baden-Württemberg zufügen.

(Beifall bei der CDU – Abg. Dr. Salomon Bünd- nis 90/Die Grünen: Wenn man die Rede von Teu- fel von 1986 hört, muss man fast sagen: Es ist schon lange nichts mehr passiert!)