Protokoll der Sitzung vom 19.07.2000

schlechtestenfalls abgelehnt. Sie prüfen nämlich, ob Sie es vielleicht in Anlehnung an die neuen Regelungen im Bundeserziehungsgeldgesetz ermöglichen, dass das Landeserziehungsgeld zu einem späteren Zeitpunkt als im dritten Lebensjahr des Kindes gewährt wird, etwa beim Schuleintritt. Sie wissen aber noch nicht genau, ob Sie das auf die Reihe kriegen.

Sie prüfen auch, ob die Teilzeitbeschäftigungsmöglichkeiten beim Bezug des Landeserziehungsgelds ausgeweitet werden können. Auch das haben Sie noch nicht auf der Reihe.

Von vornherein lehnen Sie aber ab, die Teilzeitbeschäftigungsmöglichkeit wie beim Bundeserziehungsgeld auf 30 Stunden auszuweiten, obwohl Sie selbst in Ihrer Stellungnahme zu dem Antrag der Fraktion der SPD zugeben, dass dies keinerlei Mehrkosten verursachen würde, weil sich ja die Einkommensgrenzen nicht ändern.

Was ist der Grund? Es ist allein die ideologische Fixierung darauf, dass Teilzeit auch in neuen Mustern und in größerem Umfang nicht möglich sein soll, weil Sie meinen, es bleibe keine Zeit mehr für die Kinder, wenn jemand außerhäuslich 30 Stunden arbeite.

Dazu muss ich sagen: Daran können eigentlich nur Herren gestrickt haben, die die innerhäusliche Kinderbetreuung immer an ihre Frau delegiert haben und deswegen nicht wissen, wie viel Zeit das kostet.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD sowie der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP)

Frau Blank, Sie lehnen es ab – das haben Sie eben auch noch einmal vorgetragen –, das Budgetmodell des Bundes zu übernehmen, bei dem man im ersten Jahr, wenn man sich darauf beschränkt, ein erhöhtes Erziehungsgeld beziehen kann. Entsprechend weigern Sie sich auch, einen gleichzeitigen Bezug von Bundes- und Landeserziehungsgeld zu ermöglichen. Sie wissen aber doch – oder müssten es wissen – aus Ihrem eigenen Familienbericht, dass die Unterbrechungszeiten von Erwerbstätigkeit für Kindererziehung – und es sind gegenwärtig immer die Frauen, die das machen – immer kürzer werden. Die Frauen gehen nicht mehr so lange aus dem Beruf heraus. In Baden-Württemberg sind 54 % aller Mütter mit Kindern unter drei Jahren erwerbstätig. Erzählen Sie mir doch nicht, man müsste etwas dagegen machen. Das geht einfach an der veränderten familienpolitischen Wirklichkeit vorbei.

Das ist deshalb besonders enttäuschend, weil Sie ja in Berlin noch im Dezember andere Beschlüsse gefasst haben. Ich zitiere einmal eine andere Passage. Da heißt es nämlich:

Viele Frauen lehnen es ab, ihren Lebensentwurf ausschließlich als eine vom Mann abhängige und weitgehend auf Haushalt und Kindererziehung beschränkte Rolle zu verstehen.

Da kann ich nur fragen: Wo sind die Konsequenzen, Frau Blank? Die fehlen hier doch völlig.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: So ist es! Sonntags- reden!)

Nach wie vor ist auch Fehlanzeige bei den außerhäuslichen Kinderbetreuungsmöglichkeiten, gerade für kleinere Kinder. Schauen Sie sich mal den Bundesdurchschnitt an. Im Bundesdurchschnitt haben wir für 6,3 % der kleinen Kinder solche Betreuungsmöglichkeiten, in Baden-Württemberg sind es gerade mal 1,2 %. Sie können beispielsweise gerade in der Stadt Stuttgart verfolgen, wie deswegen die Eltern auf die Barrikaden gehen, weil das einfach zu wenig ist, weil viele Eltern auch für kleinere Kinder Betreuungsmöglichkeiten brauchen, und zwar gerade auch dann, wenn sie selber in Teilzeit arbeiten.

Die CDU stellt sich einer veränderten Lebenswirklichkeit von Familien einfach nicht, und da kann ich nur sagen: Ihr damals in Berlin gefasster Beschluss hieß „Lust auf Familie“, aber in Baden-Württemberg entsteht dabei nur Frust bei der Familie.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Das Wort erhält Herr Abg. Dr. Noll.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Es war nicht anders zu erwarten: Von der einen Seite kommt die Erfolgsbilanz, die sich durchaus sehen lassen kann, und von der anderen Seite kommt die Kritik, wir würden alles falsch machen.

(Abg. Ursula Haußmann und Abg. Dr. Walter Müller SPD: Die FDP/DVP macht gar nichts!)

Nein! Die FDP/DVP macht in der Tat etwas.

Lassen Sie mich versuchen, die Diskussion ein wenig zu versachlichen.

Erste Vorbemerkung: Für uns – und das ist klar – ist Familie da, wo Kinder sind.

(Beifall der Abg. Lieselotte Schweikert FDP/DVP – Abg. Lieselotte Schweikert FDP/DVP: Jawohl!)

Wir müssen uns der gesellschaftlichen Realität, dass die klassische Familie Vater/Mutter/Kind nicht mehr das durchgängige Prinzip ist, stellen, und wir müssen alle Mittel auf die Kinder konzentrieren. Übrigens – das sei an die rechte Seite gesagt – gilt das unabhängig davon, ob Kinder aus deutschen oder aus ausländischen Familien stammen, denn kein Kind dieser Welt kann sich aussuchen, in welche Familie es hineingeboren wird.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen sowie der Abg. Lieselotte Schweikert FDP/DVP)

Lassen Sie mich hier ausdrücklich mein Bedauern und mein Mitgefühl mit den drei Kindern ausdrücken, die kürzlich durch den Brandanschlag auf ein Asylbewerberheim verletzt worden sind, lassen sie mich diesen Vorfall missbilligen und diesen kranken Hirnen sagen: Kinder sind Kinder, ob deutsche oder ausländische Kinder.

(Beifall bei der FDP/DVP, der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen – Abg. Krisch REP: Ganz große Polemik, Herr Kollege! – Unruhe)

Meine Damen und Herren, der Wunsch nach einem Kind ist eine sehr persönliche Entscheidung zweier Menschen. Es ist ein zutiefst menschlicher Wunsch, aus dem sich der Staat zunächst einmal herauszuhalten hat.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Beate Fauser FDP/DVP: Genau!)

Der Staat hat jedoch dafür zu sorgen, dass die Menschen nicht daran gehindert werden, sich diesen Wunsch zu erfüllen. Die Demographie zeigt, dass sich leider immer weniger Menschen in der Lage sehen, sich diesen Wunsch zu erfüllen, und das hat gravierende Folgen – das ist gesagt worden – auf unsere sozialen Sicherungssysteme. Die Tatsache, dass es immer weniger Kinder und immer älter werdende Menschen gibt, macht uns ja sowohl in der GKV als auch bei der Rente Probleme.

Deswegen sollten wir uns einmal über die Gründe, die Menschen daran hindern, sich für Kinder zu entscheiden, unterhalten. Da gibt es natürlich eine ganze Palette, die ich sicherlich in der Kürze der Zeit nicht abarbeiten kann. Aber ein Punkt ist mir schon wichtig: Wenn sich, um das mal platt zu sagen, junge Menschen überlegen, ob sie ein Kind in diese Welt setzen, dann sind zum Beispiel die Themen Nachhaltigkeit und Ökologie, aber auch das Thema Nachhaltigkeit in der Haushalts- und Finanzpolitik ganz wichtige Gesichtspunkte. Denn ein Satz stimmt halt nun mal: Auf Schuldenbergen können Kinder nicht spielen.

(Beifall der Abg. Lieselotte Schweikert FDP/DVP)

Bei allen Leistungen, die wir für die Familien erbringen wollen, müssen wir auch im Interesse der nachfolgenden Generationen und der Familien natürlich das Thema Haushaltskonsolidierung im Auge behalten.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Dr. Glück FDP/DVP: Richtig! – Abg. Lieselotte Schweikert FDP/DVP: Genau!)

Zweite Bemerkung: Die Eltern fragen sich, welche Perspektiven ihr Kind hat. Deswegen kommt es darauf an, Bildung, Ausbildung, Fortbildung, berufliche Perspektiven zu schaffen. Ich glaube, das, was wir derzeit hier im Lande zu bieten haben, kann sich wirklich sehen lassen.

Die dritte Frage lautet: Kann ich die Erziehungsaufgabe bewältigen? Sie alle kennen die bekannte Wochenbettdepression, die, Herr Kollege Müller, nicht nur hormonell bedingt ist,

(Abg. Dr. Walter Müller SPD: Aber auch nicht po- litisch!)

sondern, denke ich, manchmal auch mit der Frage verbunden ist: Werde ich das alles schaffen? Auch da muss man die gesellschaftlichen Realitäten sehen: Früher haben die Oma und die Mutter praktisch ihr Wissen und ihre Hilfe weitergeben können. Das ist in vielen Teilen der Gesellschaft nicht mehr Realität. Deswegen müssen wir in schwierigen und vor allem in konfliktträchtigen Phasen der Erziehung Hilfen anbieten, Hilfen im Sinne von Bildung, Fortbildung, Familienbildung. Ich denke, man sollte außerdem darauf hinweisen, dass es auch ein Auftrag der Schule ist, Menschen auf die Erziehungsaufgabe vorzubereiten.

Die nächste Frage, die sich die Menschen stellen: Was bedeutet das Kind für mich in Bezug auf meine Karriere, auf meine berufliche Zukunft und – das ist eng damit verbunden – für meine wirtschaftliche Zukunft? Das ist für viele natürlich der Knackpunkt. Hierher gehört auch noch einmal das Thema der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Herr Sozialminister, wir werden alle Bemühungen um eine flexiblere Inanspruchnahme auch des Landeserziehungsgelds, die Sie ja angedeutet haben, unterstützen, vor allem auch eine flexiblere Inanspruchnahme durch Mütter u n d Väter. Das sage ich hiermit ganz klar in Richtung des Sozialministeriums zu.

(Beifall der Abg. Lieselotte Schweikert FDP/DVP)

Ich denke, wir haben klares Zahlenmaterial, das beweist, dass die Tatsache, mehrere Kinder zu haben, in unserer Gesellschaft zunehmend zum Armutsrisiko wird. Das ist natürlich auch eine skandalöse Entwicklung. Ich will da überhaupt keine Schuldzuweisungen treffen, aber wenn Sie das Zahlenmaterial anschauen, stellen Sie fest, es betrifft ganz besonders die Alleinerziehenden, deren Sozialhilfequote deutlich überproportional gestiegen ist. Ein weiteres Thema ist das Pro-Kopf-Einkommen, insbesondere bei Familien mit drei und mehr Kindern.

Hiermit möchte ich bei der aktuellen Diskussion ankommen. Sie kennen unseren Entschließungsantrag. Ich sage es noch einmal: Bei allen Leistungen, die wir verbessern wollen, müssen wir die Haushaltskonsolidierung natürlich im Auge behalten. Deswegen halte ich die Erhöhung des absoluten Betrages von 400 DM auf 600 DM ab dem dritten Kind für absolut richtig, denn alle Zahlen belegen, dass genau hier die Verbesserung zielgenau bei den Richtigen ankommt.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP – Abg. Ingrid Blank CDU: Da muss es ankommen!)

Im Übrigen haben Sie von der Bundesregierung genau diese Zielgenauigkeit bei der Kindergelderhöhung natürlich versäumt.

(Abg. Birgitt Bender Bündnis 90/Die Grünen: Bei uns haben erst mal alle mehr gekriegt!)

Von all diesen aktuellen Dingen abgesehen, wünschen wir uns – von Frau Blank wurde es angedeutet –, dass wir dieses Durcheinander, Nebeneinander von Sozialtransfers und Steuererleichterungen künftig in einem Familiengeld bündeln, das ich mir sehr weitgehend in Analogie zum Bürgergeld vorstellen könnte, dass nämlich jemand, der keine Steuern zahlt, das Familiengeld gezahlt bekommt und für jemanden, der Steuern zahlt, das Familiengeld, also das, was er für die Betreuung und Erziehung eines Kindes tatsächlich braucht, völlig steuerfrei gestellt wird. Dann hätten wir eine saubere Lösung und könnten zu einem Ende dieser Flickschusterei kommen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Im Übrigen hätten Sie es vonseiten des Bundes in der Hand gehabt, das Bundeserziehungsgeld analog zur Dauer des Erziehungsurlaubs auf drei Jahre auszudehnen.

(Abg. Ingrid Blank CDU: Dann bräuchten wir gar nicht zu diskutieren!)

Dann müssten wir uns jetzt nämlich gar nicht über das Landeserziehungsgeld, das wir im dritten Jahr ergänzend bezahlen,

(Abg. Dr. Walter Müller SPD: Haushaltskonsoli- dierung!)

unterhalten, sondern könnten dieses Geld in zusätzliche Betreuungsformen, in die Ausbildung und Bildung stecken.

Fazit: Frau Kollegin Wonnay, wir tun mit dieser Verbesserung im Bereich des Landeserziehungsgelds keinen halbherzigen, sondern einen deutlichen Schritt zur Stärkung der Familien in unserem Lande. Weitere Schritte werden notwendig sein. Lassen Sie uns diese Schritte bald und, wenn möglich, auch gemeinsam tun.