Protokoll der Sitzung vom 20.07.2000

tung gehalten werden. Das wird allerdings nur gelingen, Herr Ministerpräsident, wenn auch Sie Ihren Beitrag dazu leisten. Ihr Beitrag müsste darin bestehen, auf die wahltaktische Ausbeutung dieses Themas zu verzichten und ihre Grenzen als Parteiideologe zu überspringen,

(Abg. Haasis CDU: Sie haben nicht zugehört!)

um gemeinsam mit uns die Interessen des Landes BadenWürttemberg in einer konstruktiven Zusammenarbeit mit der Bundesregierung wahrzunehmen.

(Beifall bei der SPD – Abg. Haasis CDU: Sie ha- ben vorhin nicht zugehört!)

Nach § 82 Abs. 4 der Geschäftsordnung erteile ich Herrn Fraktionsvorsitzendem Dr. Salomon das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir haben uns darüber unterhalten, wie der Weg der Bundesregierung in den nächsten zwei Jahren aussehen wird. Wenn Sie sich die Kommentarlage anschauen, dann stellen Sie fest, dass viele davon gesprochen haben, das sei eben keine große Bundeswehrstrukturreform, sondern ein Reförmchen.

Dazu will ich nur sagen: Das Weizsäcker-Papier, von dem Sie, Herr Schlierer, meinen, es sei Schnee von gestern –

(Abg. Dr. Schlierer REP: Das ist auch so!)

was jetzt zwar der offizielle Sachstand ist –, wird meines Erachtens, einfach weil an der Schlüssigkeit dieses Konzepts niemand vorbeikommt, wieder auf uns zukommen. Dieses Papier ähnelt übrigens in weiten Teilen – bis auf einen entscheidenden Punkt – dem, wie sich die Grünen eine zukünftige Bundeswehr vorstellen.

Die Situation hat sich in den letzten zehn Jahren – das ist hier jetzt schon öfter erwähnt worden – entscheidend verändert. Auch wenn es Herrn Schlierer ideologisch nicht passt:

(Abg. Dr. Schlierer REP: Das wissen Sie ja gar nicht!)

Es geht nicht mehr um Landesverteidigung. Wir sind von Freunden umstellt,

(Abg. Dr. Schlierer REP: Vielen Dank für diesen Versprecher! Das war jetzt wirklich hervorragend! „Von Freunden umstellt“, ja! – Zuruf des Abg. Deuschle REP)

spätestens durch die NATO-Osterweiterung. – Das war kein Versprecher. Wir sind von Freunden umstellt. Dadurch, dass Polen, Tschechien und Ungarn in der NATO sind, geht es nicht mehr um Landesverteidigung, sondern der Verteidigungsfall ist immer der Bündnisfall.

(Ministerpräsident Teufel: Aber es geht um Pful- lendorf, nicht um Polen!)

Deshalb ist es völlig klar, dass der Bündnisfall, wenn er denn eintreten sollte, natürlich nur mit einer in der Struktur veränderten Bundeswehr bewältigt werden kann.

(Abg. Krisch REP: Und das Grundgesetz zählt nicht!)

Der Einsatz im Kosovo im vergangenen Jahr hat doch eindeutig gezeigt – das wurde auch von vielen so gesagt –, dass die Bundeswehr in ihrer jetzigen Struktur als großes Landheer, das darauf ausgerichtet ist, Landesverteidigung zu betreiben, in weiten Teilen nicht mehr bündnisfähig ist. Herr Kollege Maurer hat das, was die Luftwaffe betrifft, soeben ausgeführt. Das ist völlig klar.

(Ministerpräsident Teufel: Thema verfehlt!)

Also sind sich alle einig, dass wir eine Modernisierung der Bundeswehr im technischen Bereich brauchen, die sehr viel Geld kosten wird. Das viele Geld aber muss irgendwo herkommen. Sie machen große Vorschläge, sagen aber nicht, wo es herkommen soll. Der Verteidigungshaushalt ist ein wichtiger Etat im gesamten Bundeshaushalt. Aber es gibt eine Planung bis 2003, die vorsieht – das ist ein Kabinettsbeschluss –, dass das Geld für die Bundeswehr insgesamt nicht erhöht wird.

Jetzt komme ich zum Problem der Standorte und zu der Frage, warum ich glaube, dass die Strukturreform, die Scharping gemacht hat, zwar wichtig und richtig ist und den Status quo für die nächsten zwei, drei Jahre erhalten kann, dass sie aber nicht der Weisheit letzter Schluss sein kann.

Wir haben bundesweit ca. 600 Bundeswehrstandorte, die durchschnittlich etwa 660 Mann umfassen. Wir haben den Auftrag, die Bundeswehr von 340 000 auf 280 000 Mann zu verkleinern. Von daher kann man – Pi mal Daumen, keiner weiß es genau – davon ausgehen, dass bundesweit etwa 80 bis 90 Standorte geschlossen werden. Es kommt natürlich entscheidend darauf an – das haben Sie auch erwähnt, Herr Ministerpräsident –, ob dann kleine oder große Standorte geschlossen werden.

Eine betriebswirtschaftliche Sicht würde logischerweise beinhalten, dass man eher kleine Standorte als große Standorte schließt. Jetzt weiß ich aber auch, dass Bundesverteidigungsminister Scharping – das haben Sie ja referiert – erstens sagt, Baden-Württemberg dürfe nicht mehr so stark betroffen werden wie in den Neunzigerjahren – das ist richtig –, und dass er zweitens sagt, er wolle lieber möglichst alle Standorte erhalten, das heißt, große Standorte eher kleiner machen, als sich auf größere Standorte insgesamt zu konzentrieren. Das führt aber dazu, dass er das Geld, das er braucht, um die Bundeswehr zu reformieren und zu modernisieren, auch technisch zu modernisieren, wahrscheinlich auf diese Art nicht einsparen kann. Betriebswirtschaftlich ist es nämlich einfach so, dass Sie natürlich kein Geld sparen, wenn Sie die Zahl der Standorte insgesamt erhalten und dann die großen Standorte eher noch kleiner machen, weil Sie an jedem Standort die gleiche Infrastruktur vorhalten müssen. Das ist betriebswirtschaftlich Unsinn. Das mag für die einzelnen Standorte und für die einzelnen Bundesländer aus deren Sicht sinnvoll sein; aber betriebswirtschaftlich, wenn ich damit auch sparen will, ist das ein schwieriges Konzept.

Man hat sich darauf in der Bundesregierung geeinigt. Es gab einen Dissens zwischen SPD und Grünen; der ist auch

festgehalten worden. Aber gemacht wird das, was jetzt Scharping vorgeschlagen hat, zumindest bis 2002. Nur eines ist nicht klar: wo denn das Geld dann herkommen soll, wenn er die Feinausplanung, wie das so schön heißt, hat und das Geld nicht einsparen kann.

Sie stellen sich jetzt hierhin, Herr Ministerpräsident – ich kann nur sagen, Gott sei Dank sind Verteidigung und Außenpolitik Bundesaufgabe –, wie ein Bürgermeister, der um den Erhalt einer Behörde kämpft und sagt: „Nur gegen unseren erbitterten Widerstand, nur über unsere Leichen. Wir kämpfen hier für jeden einzelnen Soldaten.“

(Abg. Dr. Glück FDP/DVP: Das ist doch seine Aufgabe!)

Das ist Ihre Aufgabe; das ist richtig.

(Abg. Dr. Reinhart CDU: Ist Ihnen die Auswir- kung bewusst?)

Aber da fehlt die Politik drin.

(Ministerpräsident Teufel: Dazu braucht man Salo- mon, das ist klar!)

Sie sagen einfach nur: Mit uns nicht.

(Abg. Dr. Reinhart CDU: Sie reden doch am The- ma vorbei, Herr Salomon!)

Jetzt komme ich zum nächsten Punkt, Herr Ministerpräsident. Sie haben in der ganzen Zeit, in der Sie Ministerpräsident waren, bis vor anderthalb Jahren in einer Situation agiert, wo Sie hier eine CDU-Regierung geführt haben und wo damals in Bonn auch eine CDU-Regierung war

(Abg. Dr. Reinhart CDU: Das Argument ist aber jetzt ausgetreten!)

und wo Sie dann zu Ihrem Freund und Parteivorsitzenden – Sie waren ja sein Stellvertreter –, zu Herrn Kohl, gehen und sagen konnten: „Helmut, wir brauchen dieses und jenes“, und mit dem haben Sie das dann ausverhandelt. Ob Sie das alles so toll ausverhandelt haben, ist noch einmal eine ganz andere Frage. Aber Sie haben doch jetzt sichtlich ein Problem, sich darauf einzustellen, dass in Berlin momentan einfach eine andere Regierung dran ist, mit der Sie als CDU-Ministerpräsident verhandeln müssen.

Jetzt komme ich zu dem, was ich letzte Woche am Freitagmorgen im Fernsehen gesehen habe, nämlich Ihren Auftritt im Frühstücksfernsehen an dem Tag, als der Bundesrat die Steuerreform verabschiedet hat. Sie haben sich morgens um halb acht – –

(Abg. Kluck FDP/DVP: Sie haben vergessen, wo- rüber wir debattieren!)

Ich rede zum Thema Bundeswehrreform und dazu, wie hier verhandelt wird.

(Abg. Dr. Reinhart CDU: Thema verfehlt! – Abg. Dr. Schlierer REP: Er hat sonst nichts zu sagen!)

Sie haben sich um halb acht hingestellt, haben die Backen aufgeblasen und gesagt: „In zwei Stunden hauen wir Schröder weg, und wir machen die zweite Vermittlungsrunde im Sommer.“ Wirklich im Tal der Ahnungslosen,

kann ich nur sagen. Alle wussten Bescheid, nur Erwin Teufel nicht. Es ist kein Wunder, dass Sie sich hier gestern der Debatte über die Steuerreform nicht gestellt haben. Da muss ich doch fragen: Was haben wir denn für einen Sachwalter als Ministerpräsidenten in Berlin, der nachts alle anderen verhandeln lässt und morgens nicht weiß, was dabei herausgekommen ist? Das ist doch einigermaßen lächerlich.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Das ist auch für das Thema Bundeswehrstrukturreform nicht unerheblich. Stellen Sie sich doch einmal vor – das ist doch eine logische Situation –:

(Abg. Dr. Reinhart CDU: Sie umschiffen die Posi- tion der Grünen, Herr Salomon!)

Sie müssen die Interessen des Landes wahren. Das können Sie natürlich nur dann, wenn Sie hinter verschlossenen Türen verhandeln. Jetzt stellen Sie sich wieder hin, blasen die Backen auf – ich begrüße den früheren Finanzminister; freut mich, Sie zu sehen, Herr Mayer-Vorfelder –,

(Abg. Brechtken SPD: General a. D.!)

bauen wieder eine Position auf, bei der Sie überhaupt nicht wissen, wie Sie nachher beim Verhandlungsergebnis herauskommen, und können, wenn es schlecht geht, dann nur wieder das Gesicht verlieren, dann auf Rot-Grün schimpfen, und haben für das Land nichts erreicht. Das nenne ich Verhandlungsdilettantismus.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Man muss sich wirklich fragen, ob man mit einem solchen Ministerpräsidenten, der sich eigentlich nur als Oberbürgermeister aller Bürgermeister im Land sieht und die politische Dimension überhaupt nicht zur Kenntnis nimmt, noch gut vertreten ist.

(Glocke des Präsidenten)