Protokoll der Sitzung vom 04.10.2000

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Salomon.

Ich bekenne: Ich bin einer Illusion aufgesessen, der Illusion, dass man hier ein halbes Jahr vor der Landtagswahl eine ernsthafte Debatte führen könnte. Das geht anscheinend nicht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Lachen bei der CDU – Zurufe von der CDU)

Wir haben letzte Woche vor 400 Spediteuren und Bauern gesprochen. Herr Palmer hat eine Rede gehalten: So etwas Populistisches habe ich schon lange nicht mehr gehört. Nur, der Unterschied ist: Herr Oettinger toppt das heute noch einmal. Das ist unglaublich.

(Zurufe von der CDU, u. a. Abg. Döpper: Ja, ja, ja!)

Jetzt einmal der Reihe nach.

(Abg. Pfisterer CDU: Bitte aber sachlich!)

Das 100 000-Dächer-Programm – das, was Sie, Herr Minister Döring, dazu gesagt haben, ist ja wohl die größte Lachnummer überhaupt – ist nicht ausgelaufen, sondern erfolgreich ohne Ende. Das einzige Problem, das es gibt, ist

(Minister Dr. Döring: Was ist erfolgreich?)

es ist erfolgreich ohne Ende –: Weil es ein Fünfjahresprogramm ist, mussten die Zuschüsse aufgrund des Erfolgs gestreckt werden. Es ist überhaupt nicht ausgelaufen.

(Zurufe von der CDU und des Abg. Kluck FDP/ DVP)

Wozu Sie als Wirtschaftsminister hier etwas sagen sollten, ist die Energiewende, die Verkehrswende; die hohen Preise sind eine Chance zum Umsteuern. Kein Wort von Ihnen dazu!

Nachdem das Ganze ja nun eine Ökosteuerdebatte ist, was man eigentlich hatte vermuten können, reden wir einmal über die Ökosteuer. Sie tun so, als handle es sich dabei um einen nationalen Alleingang und als würden wir damit die Konjunktur beschädigen. Nationaler Alleingang: Ich glaube, ich höre nicht recht. In 14 von 15 EU-Staaten gibt es ähnliche Energiesteuern.

(Zurufe von der CDU)

Sie werden doch nicht glauben, dass die französischen und die englischen Lkw-Fahrer aufgrund der deutschen Ökosteuer ihre Proteste angefangen haben. Das ist doch lächerlich.

(Zuruf des Abg. Scheuermann CDU)

Schauen Sie sich doch einmal an, wo die deutschen Spritpreise im europäischen Vergleich liegen. Sie liegen im Mittelfeld. Das, was Sie hier zum Besten geben, ist geradezu jämmerlich.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei Ab- geordneten der SPD – Zurufe von der CDU)

Jetzt zu dem Argument von Herrn Teufel, das ich infam finde und das Sie, Herr Döring, Herr Oettinger und Herr Pfister, hier wiederholt haben, dass nämlich das Geld aus der Ökosteuer gar nicht für die Senkung der Rentenbeiträge verwandt werde. Wenn dies stimmen würde, wäre es ja ein gravierender Vorwurf.

(Zurufe von der CDU, u. a. Abg. Oettinger: In Tei- len, Herr Kollege!)

Nicht in Teilen. Das Einzige, was nicht für die Senkung der Rentenbeiträge verwandt wird, sind die 200 Millionen DM für die regenerativen Energien. Dies bedeutet eine Verzehnfachung der Förderung gegenüber der Regierung Kohl. Der Rest geht voll in die Rentenkasse.

(Zuruf des Abg. Haas CDU)

Das bedeutet eine Senkung des Rentenversicherungsbeitrags von 20,3 auf 19,3 %. Nur, wenn Sie den einen Prozentpunkt allein rechnen, kommen Sie nicht auf die 25 Milliarden DM. Das liegt allein daran, dass wir Ihrer Tradition einer Erhöhung – Sie haben ja in den Neunzigerjahren die Lohnnebenkosten ohne Ende erhöht –zuvorgekommen sind. Das heißt, Sie müssen nicht nur den einen Prozentpunkt rechnen. Ohne die Ökosteuer lägen wir bei über 21 %. Wir haben den Rentenversicherungsbeitrag real also um 1,7 Prozentpunkte gesenkt. Das ist der Punkt. Das muss man Herrn Teufel einmal deutlich sagen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei Ab- geordneten der SPD – Lachen bei Abgeordneten der CDU)

Der nächste Punkt – deshalb habe ich vorhin diese Zitate vorgelesen; das war der entscheidende Punkt –: Jetzt wird von den Oberökologen Pfister und Oettinger groß argumentiert – dieses Gejammere –,

(Abg. Haasis CDU: Zwei und drei gibt bei Ihnen zwei!)

es sei ja eigentlich schon recht, aber in der Ökosteuer sei halt kein „Öko“ drin.

(Abg. Haasis CDU: Das kommt noch dazu!)

Ich habe die Zitate vorhin deshalb vorgelesen, weil wir in den Neunzigerjahren – in Klammern: alles vergessen – unter der Standortdiskussion eindeutig der Ansicht waren, dass der Faktor Arbeit zu teuer sei und beim Faktor Arbeit bei den so genannten Lohnzusatzkosten etwas getan wer

den müsse. Diese haben Sie in die Höhe getrieben. Sie haben die Mineralölsteuer von 49 auf 98 Pfennig verdoppelt und die Sozialabgaben in die Höhe getrieben. Das ist doch der entscheidende Punkt.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Rot-Grün hat damit Schluss gemacht und hat die Mineralölsteuer verlässlich erhöht – um fünfmal sechs Pfennig in fünf Jahren –,

(Zuruf des Abg. Dr. Birk CDU)

damit das Preissignal eindeutig ist, damit die Alternativen entwickelt werden können, damit die Brennstoffzelle entwickelt wird etc. Das ist der eigentliche Punkt. Sie aber stellen sich hier hin und sprechen von den Belastungen für die Einzelnen.

Ich möchte wissen, wie Sie im Bundesrat agieren. Ich möchte erstens wissen, wenn Sie den Antrag einbringen, die Ökosteuer auszusetzen, wie Sie dies begründen, woher das Geld kommen soll. Was wollen Sie denn da tun? Wollen Sie die Lohnnebenkosten wieder steigen lassen? Wollen Sie die Mehrwertsteuer erhöhen? Was wollen Sie tun? Keine Antwort. Solange Sie keine Antwort auf diese Fragen haben, ist das purer Populismus.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Zweiter Punkt: die Entfernungspauschale. Herr Maurer hat es richtig gesagt: Ich möchte einmal sehen, wie eine Partei, die noch im Juni die Auffassung vertreten hat, wir müssten sie senken, und die versucht, von diesem hysterischen Geschrei populistisch zu profitieren, ihr Verhalten im Bundesrat, wenn es darum geht, die Entfernungspauschale nicht zu erhöhen, der „Bild“-Zeitung und anderen erklärt. Darauf bin ich gespannt. Dem sehe ich ganz gelassen entgegen.

Jetzt zum letzten Punkt – und dieser Punkt ist wichtig –: Wenn man meint, in der Ökosteuer müsste eigentlich „Öko“ enthalten sein – das ist richtig. Im Prinzip ist es eine Energiesteuer. Was Sie über die Lenkung gesagt haben, Herr Pfister, ist natürlich Blödsinn, weil jeder weiß, dass eine Elastizität bei Erdöl gar nicht gegeben ist. Die Experten sagen, erst ein Preis von 2,50 DM bis 2,80 DM würde zu einer realen Lenkungswirkung führen.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Das wäre ja furchtbar! Für Ihr Konzept wäre das ja furchtbar! – Abg. Ho- fer FDP/DVP: Sie bestätigen es ja gerade! – Zuruf des Abg. Dr. Birk CDU)

Aber das Preissignal, die Ankündigung, dass Treibstoffe in den nächsten Jahren verlässlich teurer werden, führt dazu, dass sich die Leute vorausschauend schon heute anders verhalten können.

Trotzdem ist es natürlich richtig, dass man sich an dem Punkt, an dem die Lohnnebenkosten für die nächsten Jahre entscheidend und dauerhaft gesenkt werden, überlegen muss, ob das Aufkommen aus der Ökosteuer nicht dafür genutzt werden sollte, endlich das zu tun, was man eigent

lich schon lange hätte tun müssen, was aber nicht ging, weil während Ihrer grandiosen 16 Jahre die Kassen zu leer waren: wirklich einen ökologischen Aspekt hineinzubringen. Es geht darum, spätestens ab 2003 – besser noch früher – Alternativen zu schaffen: die Bahn zu stärken, den ÖPNV zu stärken, die alternativen Energien und die regenerativen Energien zu stärken.

Herrn Döring muss ich noch sagen: Sie reden sich auf RotGrün und die Bundesregierung heraus, obwohl es das 100 000-Dächer-Programm und das Erneuerbare-EnergienGesetz gibt. Bayern gibt für das 100 000-Dächer-Programm 70 Millionen DM im Jahr aus, Nordrhein-Westfalen 100 Millionen DM. Was machen Sie? Sie stellen 5,5 Millionen DM bereit und schimpfen noch auf Rot-Grün, weil Sie keine Ahnung haben und behaupten, dass das 100 000-Dächer-Programm ausgelaufen sei. So geht es meines Erachtens nicht, meine Damen und Herren.

(Abg. Haas CDU: Es ist doch de facto ausgelau- fen!)

Kurzum: Wir wollten – das war wahrscheinlich zu mutig von uns – eine Debatte zur Zukunft der Verkehrspolitik und der Energiepolitik führen, weil die Ökosteuer genau darauf abzielt. Das ist in diesem Klima nicht möglich. Dann lassen wir es.

(Abg. Deuschle REP: Das hätten Sie doch wissen können, dass das nicht möglich ist! Sind Sie noch so neu? – Abg. Hofer FDP/DVP: Sie haben doch die Aktuelle Debatte beantragt!)

Aber schon wenn wir nur über die Ökosteuer diskutieren, stehen Sie so schwach da, dass ich glaube, Sie sind ein halbes Jahr zu früh dran, wenn Sie meinen, vor der Landtagswahl Honig daraus saugen zu können. Die Leute lassen sich nicht ein halbes Jahr lang an der Nase herumführen. Im Gegenteil, dieser Populismus wird sich gegen Sie wenden,

(Zuruf des Abg. Döpper CDU)

und ich denke, je öfter man es wiederholt, desto klarer wird, wie dünn das Eis ist, auf dem Sie sich bewegen.

(Abg. Haas CDU: Hoppla!)

Sie sitzen so tief im Loch, dass Sie sich scheinbar an jeden Strohhalm klammern. Herr Stratthaus hat neulich in einer Fernsehdebatte als letztes Argument zu diesem Thema zu mir gesagt, weil ihm nichts mehr einfiel: „Die Ökosteuer muss weg, weil die Leute sie nicht wollen!“