Protokoll der Sitzung vom 25.10.2000

Das ist der erste Punkt, der mit dieser Reform geändert werden soll. Wir wollen die Eingangsinstanz, die Amtsgerichte, stärken und nicht schwächen, auch nicht durch die Übertragung von Kompetenzen für Handelsregister oder Ähnlichem. Das ist auch im Zusammenhang mit dem vorhin erhobenen Vorwurf, Bürgernähe etc. sei teuer, und all dem, was Sie ins Feld führen, ganz wichtig. Die Bürgernähe erreichen wir dadurch, dass wir die Kompetenz und die Ausstattung der Justiz dort hinpacken, wo die meisten Menschen zunächst mit der Justiz in Kontakt kommen, und das ist beim Amtsgericht.

Zahlreiche Urteile von Amtsgerichten werden künftig sogar mit Revisionen angegriffen werden können. Wir entlasten dadurch das Bundesverfassungsgericht, Kollege Kiesswetter, weil bisher bei Urteilen, gegen die kein Rechtsmittel bei den Amtsgerichten mehr eingelegt werden konnte, Verfassungsbeschwerden erhoben worden sind. Auch das ist eine Effizienzsteigerung und eine Rückkehr zu einem Rechtsschutz und zu Rechtsmittelmöglichkeiten, auch gegen Urteile von Amtsgerichten.

Nur so viel als Begründung dafür, warum wir der Auffassung sind, dass wir diese Reform brauchen.

Ein zweiter Punkt: Ziel der Reform. Kollege Bender, Sie haben das ja vorgelesen. Das steht im Prinzip auch so in dem Gesetzentwurf, den die Koalitionsfraktionen eingebracht haben, nämlich dass das Ziel der Reform Transparenz, Bürgernähe und Effizienz sein soll.

Lassen Sie mich dazu wenige Sätze sagen: Bürgernähe heißt bei Ihnen immer nur geographische Bürgernähe. Bürgernähe bedeutet aber natürlich auch, dass wir bei den Eingangsgerichten mehr Richterinnen und Richter brauchen, die sich Zeit nehmen für die Bürgerinnen und Bürger, weil die Menschen dort ankommen und nach ihrem Recht suchen. Dort brauchen wir kompetente Menschen, die mit viel Zeit und mit viel Gesprächselan die Auseinandersetzung zwischen den Parteien schlichten können.

(Abg. Rech CDU: Mit drei viertel Stunden Verspä- tung kommen die in Stuttgart an!)

Ein weiterer Ansatz, der von der Bundesregierung realisiert worden ist und auch im Land, wie ich meine, einstimmig beschlossen worden ist, ist die außergerichtliche Streitschlichtung. Da liegen wir ja gar nicht so weit auseinander.

(Zuruf des Abg. Hans-Michael Bender CDU)

Nur: Sie sprechen von der Zerschlagung des Zivilrechtswegs.

Ein weiterer Punkt betrifft die Frage der Effizienz. Die Effizienz hängt unmittelbar mit der Frage zusammen, wie stark die Eingangsgerichte sind. Wenn dort viel Kompetenz und viel Manpower angesiedelt ist, werden wir auch erreichen, die große Masse der Prozesse, wie bisher auch schon, aber künftig noch mehr, schon in erster Instanz mit viel kompetenteren Urteilen erledigen zu können. Das verstehen wir unter Effizienz,

(Zuruf des Abg. Hans-Michael Bender CDU)

Kollege Bender.

Ein letzter Punkt, auf den ich eingehen möchte, ist das von Ihnen vorgebrachte Thema der Rechtsmittelverkürzung. Richtig ist, dass wir in der zweiten Instanz eine Konzentration und auch eine Beschränkung brauchen, wie auch – jedenfalls seinerzeit – vom Justizminister ausgeführt. Wir brauchen eine Beschränkung in der Rechtsmittelinstanz auf das, was tatsächlich neu vorgetragen werden kann, und auf das, was vielleicht in erster Instanz doch noch an Fehlern aufgetreten ist. Das ist die Zielsetzung des Gesetzentwurfs. Seine Vorschläge führen zu mehr Bürgernähe, zu mehr Rechtsmitteln und letztendlich auch zu einer größeren Anerkennung der Justiz in der Gesellschaft, weil sich die Justiz in den Eingangsinstanzen

(Dem Redner wird das Ende seiner Redezeit ange- zeigt.)

ich komme zum Ende, Herr Präsident – die Zeit nehmen kann, sich mit den Bürgerinnen und Bürgern der Rechtsfindung zu widmen. Deshalb sind wir als Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in diesem Hause für diesen Reformansatz. Dass Sie in allen Bereichen reformresistent sind, Kollege Bender und Kollege Kiesswetter, das wissen wir.

(Zuruf des Abg. Kluck FDP/DVP)

Ich fordere Sie auf: Tragen Sie einmal eine ordentliche Justizreform mit.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD – Abg. Hans-Michael Bender CDU: Eine or- dentliche immer, aber nicht die!)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Schlierer.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Erlauben Sie mir zunächst einige Vorbemerkungen zu meinen beiden Vorrednern von Rot und Grün.

Zunächst einmal, Herr Kollege Bebber, ist es schlichtweg unredlich, wenn Sie hier verschweigen, dass die Bundesregierung in drei Stufen vorgehen will: Rechtsmittelreform im Zivilprozess, Rechtsmittelreform im Bereich Strafprozess und erst in einer dritten Stufe Umstellung der Gerichtsorganisation. Deswegen ist es schlichtweg ein Ablenkungsmanöver, wenn Sie jetzt hier zum wiederholten Male darauf hinweisen, dass in diesem Gesetzentwurf zur Prozessrechtsnovelle in Zivilsachen noch nichts über die Ge

richtsorganisation und die Planungen der Bundesregierung dazu enthalten ist. Das ist das Erste.

(Abg. Bebber SPD: Das geht doch gar nicht ohne Länder!)

Das Zweite, was Sie, Herr Bebber, auch wieder verschwiegen haben, ist: In den Koalitionsvereinbarungen ist ausdrücklich enthalten, dass Sie die Dreistufigkeit des Gerichtszugs haben wollen.

(Abg. Hans-Michael Bender CDU: Richtig! – Zu- ruf des Abg. Rech CDU)

Dazu haben Sie sich jetzt nicht geäußert. Dazu schweigen Sie. Das ist das Verräterische; Sie blenden den entscheidenden Gesichtspunkt einfach aus.

(Beifall bei den Republikanern)

Meine Damen und Herren, diese Justizreform ist wie selten ein Gesetzeswerk auf einhellige Ablehnung aller beteiligten Berufsgruppen gestoßen. Ob es der Deutsche Richterbund war, ob es die Präsidentinnen und Präsidenten der Oberlandesgerichte und des BGH waren, die den Referentenentwurf seinerzeit übrigens einstimmig abgelehnt haben, ob es viele Justizminister auch SPD-regierter Länder waren, ob es die Bundesrechtsanwaltskammer oder der Deutsche Anwaltverein war, alle haben sie auf die Fehler und Schwächen dieses Entwurfs hingewiesen.

Die Einzige, die hier regelrecht argumentationsresistent war, ist die Bundesjustizministerin, die nicht in der Lage war,

(Abg. Bebber SPD: Was Sie sagen, ist nicht rich- tig! – Abg. Junginger SPD: Das stimmt doch nicht, was Sie sagen!)

vielleicht auch nicht in der Koalition, sich diesen Ansätzen, diesen Vorschlägen zu öffnen und zu überlegen, ob der von ihr gewählte Weg auch wirklich der richtige ist.

(Abg. Bebber SPD: Ohne die Länder geht doch nichts zu ändern bei diesem Gericht!)

Ich will es Ihnen einmal belegen: Der Probelauf, Herr Kollege Bebber, in der Justizakademie Recklinghausen im Mai dieses Jahres hat ganz offensichtlich nicht zum Nachdenken im Bundesjustizministerium geführt. Denn sonst hätten Sie die Ergebnisse, die übrigens auch publiziert sind, ja berücksichtigen müssen. Sie sind in diesem Ansatz nicht berücksichtigt.

(Abg. Bebber SPD: Das stimmt auch wieder nicht!)

Doch, Herr Kollege Bebber.

(Abg. Bebber SPD: Quatsch! Ohne die Länder können Sie keine Gerichte schließen!)

In diesem Reformentwurf steht, der Zivilprozess solle bürgernäher, effizienter und durchschaubarer werden. Nun ist auf die Ausgangslage schon hingewiesen worden; ich will das nicht wiederholen. Aber eines wird doch immer deutlicher: All die Ansätze, die in diesem Reformgesetz enthal

ten sind, führen nicht dazu, dass das Verfahren für den rechtsuchenden Bürger bürgernäher, effizienter oder durchschaubarer würde.

Ich greife einmal ein paar Punkte heraus: Die so genannte Funktionsdifferenzierung zwischen den einzelnen Instanzen, die hier hervorgehoben wird, findet doch gar nicht statt. Sie führt vor allen Dingen nicht zu einer besseren Situation für den rechtsuchenden Bürger, denn der Maßstab müssten Verlässlichkeit, geringer Zeitaufwand und Nähe für den rechtsuchenden Bürger sein. Genau das wird aber nicht besser. Sie haben auch bisher kein einziges Argument vorgetragen, aus dem deutlich werden würde, wieso das bei Ihrer Novelle besser werden sollte.

Ein weiterer Punkt ist die Güteverhandlung, die jetzt eingeführt werden soll. Dabei steht die Frage im Raum: Wie steht es mit der Schlichtungskompetenz? Die ist doch viel wichtiger als die jetzt festgeschriebene obligatorische Güteverhandlung, die interessanterweise bei dem Probelauf in Recklinghausen auch moniert worden ist, weil sie in bestimmten Konstellationen zu Beginn des Verfahrens noch gar keinen Sinn macht.

(Abg. Bebber SPD: Aber das gehört nicht ins Ge- setz!)

Zur Hinweispflicht, Herr Bebber, die nun als prozessleitende Maßnahme beschworen wird, stelle ich mir die Frage: Warum ist im Gesetzentwurf nicht enthalten, dass der Hinweis rechtzeitig vom Gericht erfolgen muss? Was in diesem Entwurf zu § 139 steht, ist, dass sich die Parteien rechtzeitig äußern sollen. Viel wichtiger wäre die rechtzeitige prozessleitende Maßnahme. Auch hier ist die Kritik nicht aufgenommen worden.

(Beifall bei den Republikanern – Abg. Bebber SPD: Aber die prozessleitende Maßnahme ist doch vorgeschrieben!)

Vielleicht haben Sie den Entwurf noch nicht gelesen, Herr Bebber. Lesen Sie es einmal nach. Das ist nämlich der Fehler in diesem Paragraphen.

(Abg. Junginger SPD: Das steht doch drin!)

Nein, es steht eben nicht drin, dass er rechtzeitig erfolgen soll, sondern „rechtzeitig“ bezieht sich ausschließlich auf die Äußerung der Parteien zu dem Hinweis des Gerichts.

(Abg. Hans-Michael Bender CDU: Nachlesen, Herr Bebber! – Abg. Bebber SPD: Die Prozesslei- tung steht drin! Rechtzeitig ist selbstverständlich!)

Herr Bebber, ich kann Ihnen nur eines sagen: Lesen Sie erst nach, und reden Sie dann erst darüber und nicht umgekehrt.

(Beifall bei den Republikanern – Abg. Bebber SPD: Mit der Arroganz kommen wir doch nicht in der Sache weiter!)

Meine Damen und Herren, die Kritik, die von allen Sachkundigen geübt wird, ist eindeutig. Der Ansatz geht davon aus, dass man mit repressiven Maßnahmen gegen Bürger

und Anwälte vorgehen muss. Es wird völlig zu Unrecht unterstellt, dass es zu einer Beschleunigung der Verfahren in der ersten Instanz käme. Es wird das Gegenteil eintreten. Wir werden eine Ausweitung und eine Verlängerung von Verfahren der ersten Instanz bekommen.