Protokoll der Sitzung vom 23.11.2000

Ich will Ihnen, lieber Herr Bebber, mit Genehmigung des Herrn Präsidenten ein interessantes Zitat zur Kenntnis geben. Bundesinnenminister Schily hat im Juni/Juli 1998 in einem Interview geäußert – ich zitiere das jetzt wörtlich –:

Erwähnen möchte ich hier einen Gesichtspunkt, den Herta Däubler-Gmelin ins Gespräch gebracht hat. Die Beurteilung über die spätere Sicherungsverwahrung sollte nicht im Urteil, sondern am Ende der Strafe erfolgen, um eine verlässlichere Grundlage zu haben.

Dem wird man nur zustimmen können.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP – Abg. Hans-Michael Bender CDU: Dem kann man sich nur anschließen!)

Der Meinung von Frau Däubler-Gmelin und von Herrn Schily stimme ich hier ausdrücklich zu. Deswegen bin ich auch seit zweieinhalb Jahren dabei, diese Lücke zu schließen.

Natürlich kann man jetzt darüber diskutieren, auf welcher – –

(Abg. Birzele SPD: Däubler-Gmelin ist noch nicht so lange im Amt! Da gab es vorher einen Justizmi- nister der FDP! – Zuruf des Abg. Oelmayer Bünd- nis 90/Die Grünen)

Zu dieser Zeit waren Sie, Herr Birzele, hier Innenminister. Sie hätten es umsetzen können. Auch Sie hätten übrigens schon längst einen Vorschlag machen können.

(Lachen des Abg. Birzele SPD – Zuruf des Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen)

Heute Morgen wurde zum dritten Mal erwähnt: „16 Jahre lang“. Zum einen regieren Sie in Berlin mittlerweile auch schon ein paar Jahre und haben vieles nicht getan, was man tun muss.

(Zurufe von der SPD und vom Bündnis 90/Die Grünen)

Zum andern warte ich auf den Tag, an dem hier jemand sagt: 16 Jahre lang wart ihr für das Wetter verantwortlich, und darum regnet es heute.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP – Zuruf des Abg. Bebber SPD)

(Minister Dr. Ulrich Goll)

Natürlich gibt es jetzt eine Diskussion darüber,

(Abg. Bebber SPD: Aber das war 1997!)

auf welcher Rechtsgrundlage man handeln sollte. Lassen Sie mich aber diese Diskussion noch einen ganz kleinen Moment zurückstellen.

Der eigentliche Kern der verfassungsrechtlichen Debatte ist folgender: Welche hohen Anforderungen, auch vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit her, muss man an eine solche Maßnahme stellen? Das ist der Kern der verfassungsrechtlichen Frage. Diese Frage müssen wir beantworten; dabei ist es egal, ob die Rechtsgrundlagen im Polizeirecht oder im Strafrecht geschaffen werden. Auf die Beantwortung kommt es an. Das Gutachten hat uns Aufschluss darüber gegeben, dass die harten Spielregeln, die man braucht, um verhältnismäßig einzuschreiten, dass die hohen Anforderungen in einem Gesetz geschaffen werden können. Das ist das Entscheidende. Wir können es also machen.

Daneben ist die Frage nach der Rechtsgrundlage vielleicht sogar zweitrangig. Aber auch dazu gibt es Hochinteressantes zu sagen. Die deutlichen Hinweise, dass wir als Länder handeln können, kommen nämlich wiederum aus dem Bundesjustizministerium.

Ich darf ein zweites Mal mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident, zitieren, und zwar aus einem Brief von Frau Professor Dr. Däubler-Gmelin, Bundesjustizministerin, der an mich, aber auch an alle anderen gerichtet war; ich zitiere wiederum wörtlich:

Angesichts der Möglichkeit, dass die Länder im Rahmen ihrer eigenen Gesetzgebungskompetenz für den Bereich Gefahrenabwehr eigene Regelungen schaffen können, während eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes äußerst fraglich ist, sehe ich hier, auch wenn das Gewicht der bedrohten Rechtsgüter eine gesetzliche Regelung wünschenswert erscheinen lässt, kaum eine Möglichkeit für den Bundesgesetzgeber, tätig zu werden.

Im Schlusssatz schreibt sie übrigens:

Sofern Sie in Ihrem Land in die Prüfung der Möglichkeit einer nachträglichen Sicherungsverwahrung eintreten, wäre ich an dem Ergebnis Ihrer Prüfung sehr interessiert.

Das können wir dann vielleicht über Sie zusammen mit Ihrer Stellungnahme übermitteln.

Was schließen wir aus diesen Äußerungen der Bundesjustizministerin?

(Abg. Birzele SPD: Haben Sie es ihr noch nicht zugeleitet, obwohl sie darum gebeten hat? Ja, so etwas Unhöfliches!)

Sie will leider nicht, und zwar mit Rücksicht auf die SPDregierten Länder.

(Abg. Bebber SPD: Sie haben doch ein Däubler- Gmelin-Syndrom!)

Mit Rücksicht auf die SPD-regierten Länder verschanzt sich die Bundesjustizministerin hinter der Aussage, dass sie nicht könne. Nach meiner Überzeugung ist beides möglich, nämlich Regelungen im Bundesgesetz und Regelungen im Landesgesetz. Die Bundesjustizministerin sagt: „Ich will da nicht ran“, aber sie sagt immerhin: Ihr Länder könnt handeln. Wir haben diese Handlungsmöglichkeit überprüft, und zwar ausnahmsweise einmal nicht nur mithilfe der Experten aus dem eigenen Haus, denen ich natürlich schon weit mehr vertraue als dem kargen juristischen Mundvorrat der Opposition. Wir haben uns nicht nur auf unsere eigenen Experten verlassen, sondern wir haben uns einen – –

(Abg. Bebber SPD: Was glauben Sie, wie sich das auf die Seriosität in der Öffentlichkeit auswirkt, wenn Sie so etwas sagen!)

Herr Abg. Bebber hält mir Vorträge über Seriosität. Ich weiß nicht, ob das aus berufenem Munde kommt.

(Abg. Bebber SPD: Sie machen mit diesem Thema Wahlkampf!)

Wir haben die Kompetenzfrage intern und extern überprüft. Es besteht eine Handlungsmöglichkeit im Polizeirecht. Lieber Herr Bebber, bitte hören Sie jetzt zu; Sie haben am Anfang gesagt, den Fall Schmökel würden wir damit nicht erreichen. Diese Handlungsmöglichkeit im Polizeirecht wäre möglicherweise in einem künftigen Schritt auch in Richtung des Maßregelvollzugs auszubauen, da das Unterbringungsgesetz letzten Endes auch Polizeirecht ist.

(Abg. Bebber SPD: Herr Kiesswetter ist nicht Ihrer Meinung!)

Bisher bin ich nur kurz dazu gekommen, die Frage mit Herrn Würtenberger zu diskutieren. Dies wird man künftig sorgfältig ausloten müssen. Da wir uns aber im Rechtsbereich der Gefahrenabwehr befinden, könnten wir bei einer künftigen Stufe durchaus daran denken, wie man auch gefährliche Täter im Maßregelvollzug unter eine solche Regelung bekommt. Die Regelung, die ich Ihnen vorschlagen werde, bezieht sich ausschließlich auf Straftäter – das ist richtig –,

(Abg. Bebber SPD: Warum?)

auf Täter, die schwere Straftaten begangen haben. – Weil das ein richtiger Schritt ist

(Abg. Bebber SPD: Den Ersttäter lassen Sie durch- gehen!)

um Gottes willen –, um die Lücken zu schließen. – Die Ersttäter sperren wir hier etwas konsequenter ein als anderswo, lieber Herr Abg. Bebber.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Das Motiv ist: Ich möchte nicht den Tag erleben – das sage ich Ihnen deutlich –, an dem wir gegebenenfalls einen gefährlichen Täter entlassen müssen, uns aber gleichzeitig selbst sagen müssen, wir hätten eine Handlungsmöglichkeit gehabt, haben sie aber nicht rechtzeitig ergriffen. Die Handlungsmöglichkeit ist gegeben. Ein Vorschlag in Form

(Minister Dr. Ulrich Goll)

des Gutachtens liegt vor. Wir sind dabei, ihn in ein Gesetz zu gießen. Sicher ist eine Voraussetzung, dass eine schwere Straftat begangen wurde; sicher ist eine Voraussetzung die fehlende Mitwirkungsbereitschaft im Vollzug, die fehlende Therapiebereitschaft. Dann muss nach meiner Einschätzung sicher eine von mehreren Gutachtern bescheinigte Gefährlichkeit, also eine negative Prognose, vorliegen. Dann entscheidet ein unabhängiges Gericht darüber, ob man den Betroffenen herauslassen kann oder nicht.

Meine Damen und Herren, wir haben die Fälle. Die sind Gott sei Dank selten, aber sie kommen vor. Wenn es drei oder vier Fälle im Jahr sind – in einem Kommentar in einer Zeitung wurde gesagt: Was soll es denn wegen drei oder vier Fällen? –, werden sich die Familien, die dann vielleicht von solchen Delikten, die sich ereignen können, betroffen sind, bedanken. Ein Fall wurde zitiert, der sich gerade vor kurzer Zeit hier abgespielt hat. Wenn wir mit den Anstaltsleitern und den Strafvollstreckungskammern, den zuständigen Staatsanwälten und Richtern reden, sagen die uns: Wir haben es immer wieder mit inhaftierten Gewaltund Sexualstraftätern zu tun, die in hohem Maß rückfallgefährdet sind und die beharrlich die Mitwirkung am Erreichen des Vollzugsziels verweigern, die gerade eine rückfallvermindernde Sozialtherapie entschieden ablehnen oder sie abbrechen. Es gibt sogar Hangtäter bei uns im Strafvollzug, die drohen, nach der Strafverbüßung neue Straftaten gegen bestimmte Personen zu begehen, um sich an einzelnen Personen oder der Gesellschaft zu rächen. Wir können oft überhaupt nichts machen. Auch in Bayern gab es Fälle, wo man solche Täter anschließend laufen lassen musste, obwohl man dabei mehr als Bauchweh hatte. Manche kündigen, obwohl sie HIV-positiv oder aidskrank sind, weiterhin ungeschützte sexuelle Kontakte mit Frauen, Männern oder Kindern an.

Das sind alles Fälle von Gefangenen, die sich so verhalten haben. Da ist es nach meiner festen Überzeugung schon heilsam, dem einen oder anderen sagen zu können: Wenn am Ende deine Gefährlichkeit attestiert wird, haben wir eine Rechtsgrundlage, dich festzuhalten. Ich sage noch einmal: Man muss diese Möglichkeit nutzen. Man muss sie sofort nutzen. Da darf ich den schönen deutlichen Begriff aus der Rechtssprache ins Spiel bringen: Unverzüglich werden wir sie nach meinem Vorschlag nutzen; ohne schuldhaftes Zögern, wie man so schön sagt, setzen wir dieses Gutachten um. Es ist nicht zu verantworten – diese Verantwortung gilt nicht nur für mich, sondern für alle in diesem Haus –, hier nicht zu handeln, wenn es eine klar und seriös nachgewiesene Handlungsmöglichkeit gibt. Deswegen bitte ich Sie alle jetzt schon um Unterstützung für den Gesetzentwurf, den wir noch in dieser Legislaturperiode im Gesetzgebungsverfahren behandeln und in diesem Haus beschließen sollten.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Rech CDU: Sehr gut!)

Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

(Abg. Bebber SPD meldet sich zu Wort.)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Bebber.

(Abg. Hans-Michael Bender CDU: Dann muss ich auch noch einmal reden! – Abg. List CDU: Sonst hätten wir verzichtet!)