Protokoll der Sitzung vom 23.11.2000

(Abg. Hans-Michael Bender CDU: Dann muss ich auch noch einmal reden! – Abg. List CDU: Sonst hätten wir verzichtet!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Herr Justizminister sagte in Bezug auf die Aktivitäten in Bonn bzw. in Berlin hier die Unwahrheit. Es gab Bundesratsinitiativen, die nicht von der amtierenden Bundesjustizministerin verhindert worden sind. Der erste Vorschlag, der von den Bayern kam, wurde 1997 eingebracht. Ich gehe davon aus, dass sich die Zeit der jetzigen Bundesregierung bei Ihnen in der Vorstellung nicht so ausgeweitet hat, dass Sie die schon bis 1997 zurück eingesetzt sehen wollen. Es gab damals noch nicht die Bundesjustizministerin, die Sie zitiert haben, Herr Justizminister.

Es gab noch einen zweiten Vorschlag, und zwar von Baden-Württemberg. Da ging es darum, im Strafgesetzbuch den Ländern eine Möglichkeit zu eröffnen, eigene Regelungen zu installieren. Das ist Ihr Entwurf gewesen. Der ist ebenfalls im Bundesrat zurückgewiesen worden, und zwar mit den Stimmen von Ländern, in denen es eine große Koalition mit der CDU gab, Herr Bender, und auch von Rheinland-Pfalz, wo die FDP mit in der Regierung sitzt. Also das ist eine Legendenbildung, die vonseiten des Justizministers hier versucht wird, die wir natürlich so nicht durchgehen lassen können.

(Beifall bei der SPD)

Ich wollte das hier ein bisschen harmloser gestalten, aber wenn der Justizminister meint, er müsste mit diesem Thema parteipolitisch Wahlkampf machen, dann muss man dagegenhalten. Es tut mir Leid, dass ich das nicht anders machen kann.

(Abg. Rapp REP: Er wird es überleben!)

Ich weiß, Sie regen sich nicht darüber auf, wenn einmal die Unwahrheit gesagt wird. Es gibt aber andere Leute, die sich darüber noch aufregen.

(Abg. Rapp REP: Die gehören aber meist nicht der SPD an!)

Es gibt bereits jetzt die Möglichkeit, nach einem Landesgesetz, nämlich dem Landesunterbringungsgesetz, bestimmte gefährliche Täter auch vorsorglich unterzubringen. Herr Justizminister, Sie wissen, dass im Falle geistiger, seelischer Störung von erheblichem Ausmaß, woraus sich die Gefährdung für den betreffenden Täter oder die Allgemeinheit ergibt, die Möglichkeit besteht, jemanden unterzubringen. Darüber sollte man einmal diskutieren. Sie werden auch eine Form der landesgesetzlichen Regelung suchen müssen. Ich weiß nicht, mit welcher Regelung Sie eine Unterbringung erreichen wollen, möglicherweise mit dem Landesunterbringungsgesetz. Darüber kann man nun wirklich reden.

In der Kommentierung steht, dass eine Krankheit nach dem Landesunterbringungsgesetz keine Krankheit im medizinischen Sinne sein muss, sondern es muss eine seelische Abnormität von erheblichem Ausmaß vorliegen, die sich gefährlich für die Allgemeinheit auswirken kann. Also haben wir natürlich wieder die Problematik der Prognose. Aber

wir können das mit diesem Landesgesetz regeln. Nicht erst Herr Würtenberger stellt fest, dass das landesgesetzlich zu regeln ist, weil es um eine Abwehr zukünftiger Gefahr geht. Das ist also nicht eine Sache des Strafgesetzbuches, sondern des Polizeirechts. Man muss es landesgesetzlich regeln, weil es eine Frage des Polizeirechts ist. Also: Tun wir uns zusammen. Legen Sie einen Vorschlag vor, wie Sie es gesetzlich regeln wollen, und dann diskutieren wir darüber.

In der Vergangenheit sind alle Vorschläge, die von Bayern oder von Ihnen gemacht worden sind, vom Bundesrat als verfassungswidrig oder verfassungsbedenklich oder eben als in der Systematik des Strafgesetzbuches nicht unterzubringend abgelehnt worden. Wir sind dafür, wenn die Möglichkeit besteht, eine landesgesetzliche Regelung zu machen. Nur zu, wir sind dabei; Sie müssen nur einen konkreten Vorschlag machen.

Aber Sie müssen auch überlegen – das geht aus dem Gutachten Würtenberger gerade nicht hervor, weil es so spezifisch auf den Fall gar nicht ausgerichtet ist, wenn ich es richtig weiß, denn Sie haben mir das 40-seitige Gutachten gerade eben gegeben –, wie Sie die Fälle trennen. Sie setzen bei einem Ersttäter an, bei einem, der schon eine Tat begangen hat und danach noch gefährlich ist, aber dessen Gefährlichkeit zu spät erkannt worden ist.

Was machen Sie denn mit all den potenziellen Straftätern? Es gibt eine ganze Reihe von Jugendlichen, deren „Karriere“ von Gutachtern schon als potenziell gefährlich in dem Sinne, dass sie Sexualstraftaten oder Gewalttaten begehen, eingestuft wird. Die Überlegung ist: Wo trennen Sie da, wie schützen Sie die Gesellschaft? Es wäre konsequent – wenn alles so eindeutig und klar zu machen wäre, wie Sie es gesagt haben –, jemanden erst einmal eine Straftat begehen zu lassen, um hinterher seine Gefährlichkeit festzustellen. Es wäre aber sinnvoll, auch zu überlegen, ob man das nicht schon vorher machen kann. Ich bezweifle, dass das geht. Ich bezweifle auch, dass es verfassungskonform wäre. Aber darüber, Herr Justizminister, können wir gerne reden. Eine Aktuelle Debatte ist meines Erachtens für solch ein Thema nicht geeignet. In ihr kann man die Problematik nicht ausdiskutieren und auch keine Lösung für das Problem finden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Oelmeyer Bündnis 90/Die Grünen)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Kiesswetter.

Es ist selbstverständlich, dass wir einen Gesetzestext brauchen, um auf die Einzelheiten eingehen zu können. Mein Appell ist aber – ich halte es immer für falsch, hier einzubringen, was vor 10, 20 oder 30 Jahren war –: Wir müssen jetzt handeln, und wir wollen jetzt handeln. Ich meine, die Situation ist so, dass es dringend notwendig ist, einen bestimmten Teil der Täter, die gefährlich sind, in den Griff zu bekommen. Das ist doch die Aufgabe, und wir müssen in die Zukunft schauen.

Die gesamte Debatte, was in der Vergangenheit war, ist überflüssig, sondern wichtig ist, was in Zukunft sein wird.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP – Zuruf des Abg. Bebber SPD)

Baden-Württemberg ist gerade federführend, für die Zukunft tätig zu werden, um das noch einmal herauszustellen.

Mir als Jurist, als jemand, der mit Strafrecht viel zu tun hatte und hat, ist eine bundesgesetzliche Regelung natürlich viel lieber. Ich meine, es wäre notwendig, ein Bundesgesetz zu haben, auf dessen Grundlage bei gewalttätigen Verbrechern vor Haftentlassung überprüft werden muss, ob eine Sicherungsverwahrung angeordnet werden kann.

(Abg. Bebber SPD: Es geht doch um die Anknüp- fung an die Tat!)

Mir wäre am liebsten, wenn eine Sicherungsverwahrung aufgrund eines Bundesgesetzes angeordnet würde. Aber da die Bundesjustizministerin ausdrücklich – wie wir jetzt gerade gehört haben sogar schriftlich – sagt, sie wolle nicht handeln, müssen wir auf Landesebene einen anderen Weg finden, weil uns hier das Strafgesetzbuch aufgrund der Zuständigkeit verwehrt ist. Ich meine, wir werden auf Landesebene eine Möglichkeit finden. Das Traurige wird sein, dass wir nicht alle Fälle erfassen können. Da wird es wieder Ausnahmen geben, wegen denen uns weiterhin welche durchschlüpfen werden. Das werden wir dann bei der Gesetzgebung – – Auch nach dem Gutachten von Würtenberger gibt es da immer noch einen kleinen Spalt. Auch dieses Gesetz wird nicht allumfassend sein. Es geht darum, dass wir nicht sehenden Auges – ich betone noch einmal: sehenden Auges – Leute in die Freiheit lassen können, die erklären oder aus deren Verhalten zu schließen ist, dass sie morgen wieder eine Tat begehen.

(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. List CDU)

Das ist doch der Punkt. Genau diesen Punkt müssen wir packen.

(Abg. List CDU: Genau um das geht es und um nichts anderes! – Glocke des Präsidenten)

Herr Abg. Kiesswetter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Bebber?

Bitte schön, Herr Bebber.

Herr Kiesswetter, gehen Sie mit mir einig,

(Abg. Rech CDU: Nein! – Abg. Dr. Noll FDP/ DVP: Eine Suggestivfrage!)

dass das Gesetz, das 1998 von der Koalition aus CDU und FDP gestaltet worden ist, in der Ausweitung der Möglichkeiten, Sicherheitsverwahrung anzuordnen, damals an die Grenze des verfassungsrechtlich Möglichen im Rahmen der Strafgesetzgebung gegangen ist,

(Abg. Hans-Michael Bender CDU: Das ist klar!)

oder sind Sie nicht meiner Meinung und glauben, die damalige Regierung habe den verfassungsrechtlichen Rahmen für den Schutz der Bürger nicht ausgeschöpft?

(Abg. Hans-Michael Bender CDU: Das ist wieder etwas anderes!)

Wir hatten damals eine Verschärfung der Anordnung der Sicherungsverwahrung, sodass keine zwei Vortaten vorgelegen haben mussten, sondern nur eine. Aber wir sind dabei geblieben, dass der Richter, der das Urteil fällt, darüber entscheiden soll.

(Abg. Rech CDU: Das ist doch etwas ganz ande- res!)

Ich meine, eine neue Überlegung wäre doch – warum sollen wir uns nicht fortentwickeln? –, dass die Verhängung von Sicherungsverwahrung am Anfang einer Strafe – das ist ja nicht einmal unbestritten – sehr problematisch ist, weil ich eine Prognose zu dem abgeben muss, was in zehn Jahren sein wird. Das ist doch das Verfassungsproblem. Die Sicherungsverwahrung ist die schärfste Strafe, die wir aussprechen können. Das ist unbestritten. Sie ist fast noch schlimmer als „lebenslänglich“. Das muss ich einmal sagen. Das Problem, weshalb es verfassungswidrig sein könnte – wir sind hier an die Grenzen gegangen; wir halten das noch nicht für verfassungswidrig –, ist, dass die Prognose viel zu früh gestellt wird. Das ist das Problem. Deshalb, meine ich, müssen wir das später machen.

(Zuruf des Abg. Bebber SPD)

Deshalb fordern wir hier auch, dass sämtliche Fälle, die in diesem Bereich anfallen, in der ganzen Bundesrepublik einheitlich geregelt werden. Überall sollen die Personen geschützt werden, nicht nur in Baden-Württemberg. Wir fordern eine einheitliche Regelung im Strafgesetzbuch.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Aber das will die Bundesjustizministerin nicht. Deshalb müssen wir auf Landesebene einen Weg suchen, einen Teil dieser Täter und dieser potenziellen Gefährdungen – –

(Abg. Bebber SPD: Das ist auf einer Linie mit der alten Bundesregierung diesbezüglich!)

Wir werden, wenn der Gesetzestext vorliegt, genau prüfen, ob es hier verfassungskonform zugeht. Das ist unsere Aufgabe. Wenn Sie morgen in Berlin ein neues Gesetz machen, das diese Anforderungen erfüllt, dann werden wir nicht gezwungen sein, auf Landesebene ein solches Gesetz zu machen.

(Abg. Bebber SPD: Das geht nicht! Das geht in Berlin nicht zu machen! – Glocke des Präsidenten)

Das geht. – Deshalb meine ich, wir sollten dieses Gesetzgebungsverfahren hier jetzt zügig in die Wege leiten und die einzelnen Vorschriften prüfen.

Herr Kiesswetter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Birzele? – Bitte schön, Herr Birzele.

Herr Kollege Kiesswetter, wollen Sie bei diesen Überlegungen nur potenzielle Täter einbezogen wissen, die bereits eine Straftat begangen haben, oder prüfen Sie auch die Frage, ob nicht andere, bei denen genau die gleiche Prognose vorliegt, ebenfalls in solche Überlegungen eines Polizeirechts einbezogen werden müssten?

Ich stelle jetzt nur für Täter, die bereits eine strafbare Handlung begangen haben und die in Haft sind, Überlegungen an.

(Abg. Birzele SPD: Warum?)

Weil dort die Prognose wahrscheinlich sicherer ist als bei anderen Tätern.