Protokoll der Sitzung vom 06.10.2005

Herr Kollege Theurer, können Sie mir kurz erklären, welche Maßnahmen Sie ergreifen wollen, um die Defizite in den Familien, die Sie gerade beschrieben haben, zu beseitigen?

(Abg. Göschel SPD: Er will zuschauen!)

Ich habe darauf verwiesen, dass die Familien zunächst einmal die ihnen zukommende Erziehungsaufgabe übernehmen müssen.

(Abg. Ruth Weckenmann SPD: Aber es geht doch um die Maßnahmen!)

Bei denjenigen Familien, die das nicht tun,

(Abg. Zeller SPD: Welche Maßnahmen sind es? Das sagen Sie nicht! – Weiterer Zuruf: Sie können doch die Eltern nicht dazu zwingen!)

stellt sich die Frage, ob Sie es tatsächlich nicht können. Und in der Frage – das kann ich in einer kurzen Antwort auf Ihre Frage mit Sicherheit nicht gebührend ausführen –

(Abg. Göschel SPD: Sie können doch die Wirklich- keit nicht gesundreden!)

bin ich der Meinung, dass es falsch ist, wenn Parteien wie die Ihre in diesem Land permanent so tun, als ob Menschen grundsätzlich nicht in der Lage wären, ihr eigenes Leben in die Hand zu nehmen.

(Widerspruch bei der SPD – Abg. Zeller SPD: Sie sind gefordert! – Unruhe)

Bürgerinnen und Bürger haben auch eine gewisse Aufgabe.

(Abg. Fischer SPD: Geschwätz! – Abg. Marianne Wonnay SPD: Platter geht es nicht! – Weitere Zu- rufe von der SPD)

Man kann den Staat nicht für alles und jedes verantwortlich machen. In einer Zeit, in der der Staat überall an seine Leistungsgrenzen stößt, müssen die Bürgerinnen und Bürger wieder stärker ihre eigene Verantwortung übernehmen, auch in bürgerschaftlichen Initiativen.

(Beifall des Abg. Dr. Noll FDP/DVP – Lebhafte Zurufe von der SPD)

Für die ganz Wenigen, die dann noch übrig bleiben, wenn wir die vorhandenen Strukturen gestärkt haben,

(Abg. Marianne Wonnay SPD: Wie stärken Sie die denn? – Abg. Carla Bregenzer SPD: Sagen Sie doch mal, wie Sie die stärken wollen!)

brauchen wir natürlich staatliche Hilfen. Die vorhandenen Mittel reichen dann für diese Wenigen aber auch aus.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Ruth Weckenmann SPD: Gehen Sie doch mal mit einem Polizisten mit! Das ist wirklich zum Schreien!)

Das Wort hat Herr Minister Dr. Goll.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Jetzt wollen wir hier einmal richtig „draufhauen“. Ich habe nämlich mit Interesse gehört, dass Frau Weckenmann zu Polemik gar nicht fähig sei, aber dass ich der „Hau-drauf-Minister“ sei. So einfach ist die Welt.

(Heiterkeit – Abg. Oelmayer GRÜNE: Bei der Kontoabfrage sieht es anders aus! – Abg. Blenke CDU: So einfach ist das sozialdemokratische Welt- bild! – Zurufe von der SPD, u. a. Abg. Ruth We- ckenmann: Antidiskriminierungsgesetz!)

Dabei brauche ich nicht zu betonen, dass ich natürlich auch dankbar für die Gelegenheit zu dieser Debatte über dieses wichtige Thema bin. Es ist ja auch richtig: Wenn wir jetzt über Jugendkriminalität reden, müssen wir uns vor bestimmten Verzerrungen hüten – in der einen wie in der anderen Richtung. Wir müssen uns davor hüten, sie reißerisch zu überhöhen, wie wir es manchmal erleben, aber wir müssen uns auch ein bisschen vor sozialromantisch motivierten Scheuklappen hüten,

(Abg. Göschel SPD: Sagen Sie das Herrn Theurer!)

wenn Leute am liebsten gar nicht hingucken, was passiert, und nicht wahrnehmen, welchen Entwicklungen man sich stellen muss. Was ich vor allem verhindern will, ist, dass bei den Menschen der Eindruck entsteht, der Staat stünde einer wachsenden Kinder- und Jugendlichenkriminalität ziemlich machtlos gegenüber – denn so ist es nicht.

Wir haben vom Episodencharakter der Jugendkriminalität gehört. Es gibt Jugendliche, bei denen ein solches Verhalten auftritt. Das ändert sich später aber wieder. Ich habe vor wenigen Tagen einen erfolgreichen Unternehmer getroffen, dem ich als Referendar einmal mit ein paar Schriftsätzen geholfen habe, damit er aus seinen Strafverfolgungsgeschichten herauskommt.

(Abg. Oelmayer GRÜNE: Und der ist immer noch erfolgreich?)

Das sind keine Einzelfälle. – Nein, er führt heute ein ganz normales Leben. So weit zum Episodencharakter.

Wir wissen auch, dass bei Delikten von Jugendlichen in neun von zehn Fällen Gott sei Dank nur geringe Schäden entstehen. Wir reden also im Großen und Ganzen nicht über schwere Kriminalität, sondern in der Regel sind es Straftaten, bei denen die Folgen sehr gering sind – Gott sei Dank.

Auf der anderen Seite muss man deutlich sagen: Was die Zahlen abbilden, findet natürlich nicht nur in der Einbildung oder in den Köpfen statt, sondern da passiert auch etwas in der Realität – selbst wenn man die Statistik auch noch richtig lesen muss; das ist ganz klar.

Dass wir gerade bei Körperverletzungen und im Betäubungsmittelbereich eine große Zunahme der Zahl der Delikte haben, hängt sicher auch mit der größeren Sensibilität gegenüber Gewalt zusammen. Wenn Sie Ihre eigene Schulzeit mit der jetzigen Zeit vergleichen, werden Sie feststellen,

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Dann dürfen Sie halt nicht ständig bei der Prävention streichen!)

dass es eine ganz andere Sensibilität gegenüber Gewalt gibt. Ich halte das auch für richtig. Wir haben von daher auch ein geändertes Anzeigeverhalten.

Ich weise Sie übrigens auch noch auf einen anderen Umstand hin, auf den man immer hinweisen muss: Wenn man etwas tut, hat man natürlich auch mehr Delikte in der Statistik.

(Abg. Blenke CDU: Das ist richtig!)

Das sieht man sehr deutlich im Betäubungsmittelbereich, wenn wir darauf reagieren. Gerade die Betäubungsmittelkriminalität ist eine so genannte Holkriminalität. Wenn ich da nichts mache, ändert sich die Statistik nicht. Aber wenn wir reagieren, haben wir natürlich höhere Zahlen in der Statistik. Aber die Zahlen sind in der Tat drastisch höher als zum Beispiel noch 1993. Sie haben sehr deutlich zugenommen, und es gilt eben, wachsam zu sein und richtig zu reagieren.

Jetzt sind wir bei den richtigen Reaktionen: Da will ich Ihnen die Antwort bestimmt nicht schuldig bleiben. Wir folgen da einer einfachen Formel: Einerseits muss es klare

(Minister Dr. Goll)

Spielregeln geben. Jugendlichen müssen Grenzen aufgezeigt werden, wo es notwendig ist; es muss konsequent reagiert werden. Andererseits muss man Jugendlichen eben auch in besonderem Maß die Hand reichen, sie sozusagen in die Gesellschaft zurückziehen, wenn sie dabei sind, auf die schiefe Bahn zu kommen. Auf beiden Feldern – manchmal nimmt man eben nur die eine Hälfte zur Kenntnis – hat Baden-Württemberg in den letzten Jahren Pionierarbeit geleistet. Auf beiden Feldern haben wir Vorschläge gemacht.

Jetzt komme ich als Erstes kurz auf die Initiative zu sprechen, die Sie kritisiert haben. Es gibt eine Bundesratsinitiative, die wir mehrfach unterstützt haben und bei der es immer um drei Forderungen ging:

Erstens: Anwendung des Erwachsenenstrafrechts auf 18- bis 21-Jährige. Ich bin überzeugt, dass das richtig ist. Ich glaube, dass es ein falsches Signal ist, wenn zum Beispiel gerade bei Körperverletzungsdelikten

(Abg. Zimmermann CDU: Ja!)

90 % der 18- bis 21-Jährigen nach dem Jugendstrafrecht verurteilt werden.

(Abg. Ruth Weckenmann SPD: Aber die Richter könnten es doch anders machen! – Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Warum machen die Richter das?)

Die Richter habe ich übrigens an keiner Stelle kritisiert. Ich will das Gesetz ändern. Ich will in das Gesetz deutlicher hineinschreiben, dass der Regelfall die Verurteilung nach dem Erwachsenenstrafrecht ist.

(Zurufe der Abg. Ursula Haußmann SPD und Oel- mayer GRÜNE)

Übrigens liegt der Wortlaut des Gesetzes vor. Darum weiß ich gar nicht, worüber wir diskutieren.

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Aber warum ma- chen die Richter das?)

Schon jetzt steht im Gesetz, dass in der Regel nach dem Erwachsenenstrafrecht verurteilt wird. Aber das Gesetz selbst baut natürlich eine sehr, sehr breite Brücke, damit das Jugendstrafrecht angewandt werden kann. Deshalb wollen wir den Gesetzeswortlaut ändern.

(Glocke der Präsidentin)

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Stickelberger?

Vielleicht sofort, wenn ich den ersten Punkt, den Bereich der 18- bis 21-Jährigen, dargestellt habe. Dann können Sie gern Ihre Frage dazu stellen.