Protokoll der Sitzung vom 09.11.2005

(Beifall bei der CDU – Demonstrativer Beifall bei der SPD und den Grünen – Abg. Mappus CDU: Ja!)

Aber Sie haben keinen einzigen müden Euro und keine einzige zusätzliche Stelle zur Verfügung gestellt.

(Abg. Mappus CDU: Nein!)

Natürlich haben Sie es im neuen Haushalt nicht.

(Abg. Schneider CDU: Das braucht man auch nicht!)

Natürlich ist das so. Eben! Sie brauchen es nicht. Frau Schavan hat gesagt, man brauche es.

Jetzt sagt Ralf Heineken am 25. Oktober im Südwestrundfunk – „Baden-Württemberg aktuell“ –:

Drexler und die Grünen kritisieren vor allem, dass die Landesregierung zwar jetzt den Bau der Ganztagsschulen fördert, aber nichts ins pädagogische Personal investiert, ohne das kein Ganztagskonzept funktionieren kann. Da verspricht CDU-Fraktionschef Mappus aber Abhilfe.

(Abg. Mappus CDU: So ist es!)

Darauf Stefan Mappus:

Natürlich werden wir das schaffen. Es bringt ja nichts, das Gebäude hinzustellen, und das war’s. Wir müssen das bewirtschaften, und wir werden dazu natürlich auch Lehrerstellen bereitstellen…

(Abg. Mappus CDU: Ja!)

Sie stellen keine einzige Lehrerstelle im neuen Haushalt bereit. Das ist so. Was Sie vorhin gesagt haben, betrifft die Vergangenheit. Die jetzt gebauten neuen Ganztagsschulen kriegen nichts. Wir schlagen vor, Geld differenziert zur Verfügung zu stellen. Sie machen nichts. Von daher gesehen, Herr Mappus, haben Sie nur Sprüche gemacht, aber nichts realisiert.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Wir sind damit am Ende der Aussprache angelangt.

Tagesordnungspunkt 2 dauert mindestens eineinhalb Stunden, weshalb wir ihn vor der Mittagspause nicht mehr aufrufen können. Ich unterbreche daher jetzt die Sitzung. Fortsetzung um 13:45 Uhr.

(Unterbrechung der Sitzung: 12:37 Uhr)

(Wiederaufnahme der Sitzung: 13:46 Uhr)

Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, Platz zu nehmen. Die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt.

Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:

a) Antrag der Fraktion GRÜNE und Stellungnahme des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport – Bildungspolitik nach PISA – Individuelle Förderung verankern – Drucksache 13/4299

b) Antrag der Fraktion der SPD und Stellungnahme des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport – Reform des Bildungswesens in Baden-Württemberg – Drucksache 13/4376

c) Antrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP/DVP und Stellungnahme des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport – Aktuelle bildungspolitische Schwerpunkte – Drucksache 13/4382

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE zu Abg. Wacker CDU: Wo sind eure Frauen? – Gegenruf des Abg. Wacker CDU: Die kommen noch!)

Das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: für die Begründung zu a, b und c je fünf Minuten, für die Aussprache 15 Minuten je Fraktion, gestaffelt.

Wem darf ich das Wort erteilen? – Frau Kollegin Rastätter, Sie erhalten das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte meine Rede mit einem Zitat beginnen:

Wir haben in Deutschland ein ständisches Bildungswesen. Die Hauptschule entspricht der früheren Volksschule fürs gemeine Volk. Die Realschule nimmt die Mittelschicht auf, das Gymnasium wendet sich an eine Bildungsoberklasse.

(Abg. Christa Vossschulte CDU: Aber dann waren Sie schon lange nicht mehr an einem Gymnasium!)

So sieht, wenig überzeichnet, die heutige Schulstruktur aus.

(Zuruf des Abg. Wacker CDU)

Und die reicht nicht mehr für eine Wissensgesellschaft mit einer dramatisch sich beschleunigenden Alterung. Wir müssen jeden einzelnen Schüler voranbringen, weil wir jeden später als Bürger und als Finanzier des Sozialsystems brauchen.

(Abg. Röhm CDU: Richtig!)

Wir können uns die dreigliedrige Schule schlicht nicht mehr leisten.

(Beifall der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)

Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist die Kritik der ehemaligen Bundestagspräsidentin und Pädagogikprofessorin Rita Süssmuth an unserem Bildungswesen,

(Abg. Junginger SPD: Wo sie Recht, hat sie Recht!)

die sie in einem „taz“-Interview am 28. September 2005 vorgetragen hat.

Konsequenterweise ist Frau Süssmuth auch Mitglied in der bundesweiten Initiative „Länger gemeinsam lernen“ geworden. Sie plädiert dafür, dass wir endlich eine Entwicklung einleiten, wie sie etwa in Skandinavien, in Finnland, oder in Kanada umgesetzt wurde, nämlich jeden Schüler individuell zu fördern und in der Heterogenität der Schülerschaft eine Bereicherung und eine Chance für einen besseren Bildungserfolg aller Schülerinnen und Schüler zu sehen, statt Schüler in angeblich homogene Lerngruppen zu sortieren.

Genau dies, meine Damen und Herren, ist auch das Ziel des Ihnen heute vorliegenden Antrags meiner Fraktion. Die Notwendigkeit einer besseren individuellen Förderung aller Schüler und Schülerinnen hat sich wie ein roter Faden durch alle fünf Anhörungen unseres Schulausschusses durchgezogen.

Eine bessere individuelle Förderung und eine längere gemeinsame Schulzeit sind notwendig, um das Problem der gravierenden sozialen Ungerechtigkeit in unserem Bundesland zu lösen. Denn, meine Damen und Herren, das Hauptproblem des baden-württembergischen Bildungswesens ist und bleibt die soziale Ungerechtigkeit. Das ist durch die Länderauswertung der zweiten PISA-Studie erneut dramatisch bestätigt worden. Ein Kind mit Migrationshintergrund hat in Baden-Württemberg eine 4,4 mal schlechtere Chance als ein Kind aus einem akademischen Elternhaus, bei gleicher Begabung aufs Gymnasium zu kommen.

Über 60 % der Schüler mit Migrationshintergrund besuchen nach der Grundschule die Hauptschule, während es von den deutschen Kindern nur noch 22 % sind. 16 % der ausländischen Schüler dagegen kommen aufs Gymnasium, während es bei den deutschen Schülerinnen und Schülern mittlerweile 43 % sind. Damit, meine Damen und Herren, wird in unserem Bundesland nicht nur massiv gegen das Prinzip der Chancengerechtigkeit verstoßen, sondern wir verschwenden auch kostbare Bildungspotenziale von Tausenden junger Menschen, die unsere Gesellschaft dringend braucht. 18 % der ausländischen Jugendlichen verlassen die allgemein bildenden Schulen ohne Schulabschluss.

Meine Damen und Herren, die großen Problemlagen, die wir durch die mangelnde Integration von ausländischen jungen Menschen haben und die gekennzeichnet sind durch Abschottung, soziale Isolation, Gewaltbereitschaft und Drogenkonsum – hier sind insbesondere auch die jugendlichen Aussiedler betroffen, die ja einen deutschen Pass haben –, hängen doch mit den niedrigen Bildungsabschlüssen und mit den fehlenden beruflichen Perspektiven junger Migranten in unserer Gesellschaft zusammen.

Ich finde es angesichts dieser Situation erschreckend, dass Sie im letzten Haushalt ausgerechnet bei den Schwächsten gespart haben, indem Sie die Mittel für die Schulsozialarbeit komplett gestrichen und ausgerechnet beim zweiten Bildungsweg gekürzt haben. So ist der zweite Bildungsweg in Baden-Württemberg die einzige Chance für leistungswillige junge Migranten, höherwertige Schulabschlüsse zu erzielen. Für ein Bundesland mit einem so hohen Anteil an Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund – wir liegen in Baden-Württemberg mit 31,6 % bundesweit sogar an der Spitze aller Flächenstaaten, nur Hamburg und Bremen als Stadtstaaten liegen noch darüber – sind die Versäumnisse in der Bildungspolitik geradezu sträflich.

Meine Damen und Herren, lieber Kultusminister Rau, Sie geben zu Recht zu, dass wir in unserem Bildungswesen ein massives Gerechtigkeitsproblem haben. Auch Ministerpräsident Oettinger hat es heute Vormittag in seiner Regierungserklärung angesprochen. Das Eingestehen dieser sozialen Ungerechtigkeit allein ist ja schon ein großer Fortschritt in Baden-Württemberg. Denn ich erinnere daran, dass Ihre Vorgängerin, die ehemalige Kultusministerin Schavan, im Schulausschuss noch im Jahr 2000, also ein Jahr vor der ersten PISA-Studie, auf einen Antrag von uns Grünen hin, nämlich dass Migrantenkinder besser gefördert werden müssen, damit sie auch eine gerechte Chance haben, auf das Gymnasium zu kommen, völlig genervt geantwortet hat: Wo kämen wir denn hin, wenn wir jetzt auch noch verlangen wollten und erwarten würden, dass man einen türkischen Jungen, dessen Eltern aus Anatolien kommen, auch noch ins Gymnasium bringen könnte?

Das kennzeichnete die bisherige Haltung. Deshalb ist das Eingeständnis dieser sozialen Ungerechtigkeit in der Tat schon ein Fortschritt für dieses Bundesland.

(Abg. Zeller SPD: So bescheiden sind Sie!)

Meine Damen und Herren, trotz dieser Erkenntnis halten Sie, Herr Minister Rau, und halten Sie, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von der CDU-Fraktion, immer noch an dem Dogma des gegliederten Schulsystems mit der frühen Auslese nach nur vier Grundschuljahren fest. Sie, Herr Minister Rau, sagen ja bei jeder Gelegenheit, beim dreigliedrigen Schulsystem sei die Chancengerechtigkeit durch die Anschlussfähigkeit im beruflichen Schulwesen gesichert.

(Abg. Röhm CDU: Ja!)

Meine Damen und Herren, Sie wissen: Ich verkenne doch überhaupt nicht, welchen wichtigen Beitrag das berufliche Schulwesen für die Verbesserung der Bildungschancen junger Menschen und auch für eine Erhöhung der Bildungsbeteiligung leistet. Es ist doch ein hervorragendes Ergebnis, dass ein Drittel der Abiturienten in Baden-Württemberg aus den beruflichen Gymnasien kommen und dass wir 9 % junger Menschen mit Fachhochschulreife haben, die diese ebenfalls in den beruflichen Schulen erwerben. Es ist natürlich auch sehr positiv, dass viele junge Menschen – auch Migranten – in den beruflichen Schulen nachträglich noch einen Hauptschulabschluss erwerben können. Deshalb haben wir in diesem Haus ja auch einen fraktionsübergreifenden Konsens, dass die beruflichen Schulen einen wichtigen Beitrag leisten und dass sie die Stärke des baden-württembergischen Schulsystems sind.

Aber es ist nicht die originäre Aufgabe der beruflichen Schulen, eine Reparaturwerkstatt