Im Übrigen ist es so: Entweder ich halte dieses Symbol für falsch – dann muss ich es eigentlich generell verbieten, ohne Ausnahme –, oder ich sage: Im Prinzip ist es tolerierbar. Dann mache ich das Ganze natürlich auch rechtlich sehr angreifbar.
Deswegen wollen wir konsequent und gemeinsam – dazu laden wir Sie ein – mit dieser Regelung die Voraussetzun
gen dafür schaffen, dass in staatlichen, kommunalen Kindergärten das Kopftuchtragen als falsches Signal und als nicht integrativ wirkendes Signal künftig nicht mehr möglich sein wird.
Herr Abg. Dr. Noll, was halten Sie angesichts Ihres Mottos „Bei uns Liberalen gibt es keine Toleranz gegen Intoleranz“ denn von der Haltung der Stuttgarter Sozialbürgermeisterin
ich glaube, deren Parteizugehörigkeit ist bekannt –, die das Kopftuch als ein „modisches Accessoire“ kennzeichnete?
Aber wenn ich ein Modeaccessoire habe, bestehe ich persönlich nicht darauf, dass ich das in jeder Lebenssituation tragen darf. Wenn man hier im Landtag sagen würde: „Dieses Modeaccessoire, zum Beispiel ein Piratenkopftuch, gefällt mir nicht; lass es bitte weg!“, dann würde ich das selbstverständlich auch weglassen.
(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Hofer FDP/DVP: Sehr gut! – Abg. Drexler SPD: Dann müssen Sie aber zukünftig auch eine andere Krawatte anzie- hen! – Abg. Birzele SPD: Sie können die Moden nicht verbieten! – Unruhe)
Warum wir sie ablehnen, habe ich bei der Beratung der entsprechenden Gesetzentwürfe zur Änderung des Schulgesetzes schon ausführlich dargelegt. Ich fasse es kurz zusammen:
Erstens: Beide Gesetzentwürfe verletzen den Gleichheitsgrundsatz. Sie argumentieren mit dem Neutralitätsgebot des Staates und verletzen zugleich diese Neutralität, indem Sie in Ihren Gesetzentwürfen das Christentum bevorzugen. Das, was Sie machen, ist nichts anderes als „christlicher Protektionismus“. Dagegen steht unsere Verfassung. Deswegen halten wir die Gesetzentwürfe für verfassungswidrig.
(Beifall bei Abgeordneten der Grünen – Abg. Drexler SPD: Das ist doch falsch, was Sie sagen! – Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Sie kennen doch die Lan- desverfassung!)
Das Bundesverwaltungsgericht hat dazu eine Entscheidung getroffen. Man muss dazu auch sehen, dass Frau Ludin ja nicht bis zum Bundesverfassungsgericht gegangen ist, sodass wir keine höchstrichterliche Entscheidung haben. Das Bundesverwaltungsgericht sagt ausdrücklich, dass nur christlich-säkulare Bekundungen zulässig sind.
Das heißt: Nur wenn man das Christentum so weit banalisiert, bis es seines Inhalts völlig beraubt ist, kann man entsprechende Bekundungen aus Gleichheitsgründen zulassen. Dies gilt etwa für den Adventskranz. Diesen kann man dann noch im Kindergarten aufhängen. Aber Weihnachtslieder mit klar christlichem Inhalt wird man im Kindergarten in Zukunft nicht mehr singen können. Das ist ganz klar.
Der zweite Ablehnungsgrund: Sie berücksichtigen nicht den Individualcharakter von Grundrechten. Das kam in zwei Dingen zum Ausdruck, nämlich erstens im Versuch Ihrer Koranauslegung. Abgesehen davon, dass es eine Anmaßung ist, wenn Politiker in politischen Entscheidungen religiöse Texte verbindlich interpretieren – da stehe Gott nun wirklich vor;
(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Doch nicht wir! Das de- finieren doch nicht wir! – Abg. Schebesta CDU: Aber den Empfängerhorizont darf man beschrei- ben!)
das geht auch gar nicht –, wird damit auch völlig verkannt, dass das Grundgesetz den individuellen Glauben, den Glauben der jeweiligen Person schützt.
(Abg. Birzele SPD: Aber nicht nur positiv, sondern auch negativ! – Abg. Kleinmann FDP/DVP zu Abg. Birzele SPD: So ist es!)
Es schützt meinen Glauben als Katholik, nämlich das, was ich persönlich darunter verstehe und lebe, und nicht einfach das, was der Papst mir sagt.
Das sollte man vielleicht einmal wissen. Das ist hier genauso: Die Grundrechte werden ihres Individualcharakters beraubt, und Personen werden für Interpretationsmöglichkeiten anderer in Kollektivhaftung genommen. Das heißt, eine Frau, die das Kopftuch aus ausschließlich religiösen Gründen trägt, wird für Drittdeutungen in Kollektivhaftung genommen. Wenn es sich um ein politisches Symbol handelt, lehnen wir das Kopftuch ab.
Wo Sie sich völlig vergriffen haben, Herr Kollege Birzele, ist beim Vergleich mit der Türkei. Wir sind grundsätzlich für den Beitritt der Türkei zur EU. Aber aktuell sind wir gerade nicht dafür, weil in der Türkei die Grundrechte nicht durchgesetzt sind und weil sie kein wirklicher Rechtsstaat ist, weil es dort keine Glaubensfreiheit gibt, sondern Staatsmoscheentum, wo der Staat die Geistlichen auswählt und bezahlt und den Koran auslegt. Damit hat unsere Rechtsordnung nichts zu tun.
Solange die Türkei solch grundlegende Rechte nicht anerkennt, wollen wir sie nicht in der EU haben. Und die Bundesrepublik mit dieser heutigen Türkei zu vergleichen ist degoutant.
Drittens: Die von Ihnen gewollte Regelung bereitet – das sage ich nun an die Adresse der CDU – den Weg in den Laizismus. Sie wird dazu führen, dass wir in einer pluralen Gesellschaft die religiösen Symbole aus Gleichheitsgrundsätzen immer stärker aus dem öffentlichen Raum zurückdrängen müssen.
(Abg. Schebesta CDU: Es geht doch um deren Wir- kung beim Empfänger! – Abg. Marianne Wonnay SPD: Nicht mal Zwischenfragen zulassen! – Unru- he – Glocke der Präsidentin)
Jetzt kommt aber das Entscheidende in diesem Fall. In Stuttgart tragen 30 Kindergärtnerinnen – Entschuldigung: 30 Erzieherinnen – ein Kopftuch. Sie haben ihre Arbeit und ihren Dienst offenkundig korrekt und ohne Beanstandung durchgeführt. Ich nehme nicht an, dass die Stadt Stuttgart es zulässt, dass Fundamentalistinnen unsere kleinen Kinder erziehen.
(Abg. Schebesta CDU: Wir sagen nicht, dass alle, die ein Kopftuch tragen, Fundamentalistinnen sind! Das sagt doch niemand!)
Stellen Sie sich das einmal vor: Wenn das Gesetz durchkommt, müssen Erzieherinnen, die bisher unbescholten, ohne Kritik und gut ihren Dienst versehen haben, das Kopftuch ablegen oder den Kindergarten verlassen.
Sie müssen sich einmal vorstellen, was das verfassungspolitisch und integrationspolitisch bedeutet! Das hat zwei ganz fatale Botschaften:
Die Botschaft an Migranten lautet: Ihr könnt euch noch so korrekt verhalten, ihr könnt euren Dienst gut tun, ohne dass euch jemand kritisiert – es nützt nichts. Ihr werdet benachteiligt. Ihr könnt euer religiöses Bekenntnis nicht leben wie andere.