Protokoll der Sitzung vom 01.12.2005

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, neben diesen landesweiten Vorhaben brauchen wir mehr Rechtssicherheit bei den Patientenverfügungen. Das ist mehrfach angesprochen worden. Ich brauche nicht darauf einzugehen. Es ist wichtig, dass im Koalitionsvertrag in Berlin verankert worden ist, dass die gesetzliche Absicherung der Patientenverfügung kommt und umgesetzt werden muss. Darüber sind

(Minister Renner)

wir uns einig. Wir müssen auch wissen, meine sehr geehrten Damen und Herren, in welchen Abständen wir eine Erneuerung einer solchen Patientenverfügung brauchen, wie diese aussehen soll und wie Angehörige darauf reagieren können. Das ist ein ganz, ganz wichtiger Bereich in Bezug auf die Patientenverfügung. Die Möglichkeit, Anordnungen bezüglich der medizinischen Behandlung oder der Behandlungsbegrenzung in der letzten Lebensphase treffen zu können, muss gestärkt werden. Für viele Menschen ist es natürlich auch ein persönliches Anliegen, solche Anordnungen zu treffen und damit auch Angehörige und Ärzte in einer schwierigen Entscheidungssituation zu entlasten.

Wir haben gestern eine spannende Diskussion zum Thema Sterbebegleitung gehabt, im Übrigen mit Dignitas. Da stand die Frage zum Thema „Aktive Sterbehilfe“ natürlich deutlich im Raum. Ich denke, wir dürfen eine solche Debatte nicht zulassen. Es belastet nämlich beide Seiten, diejenigen, die durch ihre Schmerzen in ihrer letzten Lebensphase betroffen sind, und diejenigen, die möglicherweise entscheiden oder mithelfen müssen. Diesen Druck sollten wir, meine sehr geehrten Damen und Herren, niemandem auferlegen, sondern wir sollten das Sterben inmitten des Lebens wieder „hoffähig“ machen, ebenso das Thema Sterben insgesamt, weil es zum Leben gehört. Deshalb sollte man es vielleicht auch immer wieder einmal unverkrampfter diskutieren. Meine sehr geehrten Damen und Herren, deshalb zum Schluss noch einmal meine klare Absage an die aktive Sterbehilfe.

Ich möchte noch etwas zum Geld sagen. Natürlich haben wir im Nachtragshaushaltsplan – das trifft zu – die Ansätze für familienbegleitende Dienste für das Jahr 2005 um 200 000 € und für 2006 um 400 000 € gekürzt. Dies führt aber in keinem einzigen Fall zu Leistungsminderungen, weil wir durch Mittelübertragungen aus den vorvergangenen Jahren die Leistungen halten können. Ich habe am vergangenen Montag in dieser Veranstaltung auch gesagt, Frau Altpeter, dass wir uns bei der Beratung des nächsten Doppelhaushalts nicht nur im Hinblick auf das Thema „Begleitung in schwierigen Lebensphasen“ – Behinderte, Sterbende –, sondern auch im Hinblick auf das Thema Kinder Gedanken darüber machen müssen, wie wir diese Themen neu ordnen. Insofern haben wir also das Geld für alle Gruppierungen auch im nächsten Jahr im bisherigen Rahmen zur Verfügung.

(Beifall bei der CDU)

Dies gilt auch für die Hospizdienste. Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Hospizdienste finanzieren sich im Übrigen zum überwiegenden Teil durch die Krankenkassen. Ich darf die Zahlen einfach einmal nennen: 2 Millionen € gehen von dort an die 109 Hospizgruppierungen, die den Kriterien des § 39 a SGB V entsprechen. Die Landesförderung in Höhe von 88 000 € bemisst sich dagegen relativ bescheiden. Die werden wir in diesem und im nächsten Jahr leisten können, genauso wie wir es geschafft haben, trotz schwieriger Zeiten auch Aids-Hilfen, Drogenberatungsstellen und viele andere mehr weiter zu fördern. Ich glaube, das ist eine gute Botschaft auch für das Jahr 2006 in all diesen Bereichen.

Zum Schluss, meine sehr geehrten Damen und Herren, bitte ich Sie, an dieser Stelle der Legalisierung und Kommerzia

lisierung der aktiven Sterbehilfe eine eindeutige Absage zu erteilen.

Ich wohne ja in der Nähe der Schweiz. Dignitas kommt mir nach dem, was ich gelesen habe, immer mehr als Unternehmen vor und nicht so sehr als humanitäre Einrichtung. Deshalb sage ich: Wir sind gut aufgestellt und brauchen daher Dignitas bei uns in Baden-Württemberg und in Deutschland nicht.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Das Wort hat Herr Abg. Dr. Lasotta.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich bin dankbar, dass wir mit unserer Debatte auf einer sehr sachlichen Ebene geblieben sind und große Gemeinsamkeiten miteinander definieren können, was das klare Nein zur aktiven Sterbehilfe betrifft.

Außerdem glaube ich, dass die Dimensionen, die sich in den nächsten Jahren in unserem Bundesland ergeben werden – sprich der demografische Wandel, in dessen Verlauf es immer mehr ältere und weniger jüngere Menschen gibt und wir natürlich veränderte Familienstrukturen in unserem Land haben, infolge derer nicht mehr in der Großfamilie die Geburt und das Sterben stattfinden, sondern es aufgelöste Familienverbände, also eine große Individualisierung gibt –, große Herausforderungen an unsere Politik stellen. Die Debatte ist gut, weil sie Grundsätze klar macht.

Ich glaube nicht, dass man darüber diskutieren muss, ob 80 000 oder 100 000 € der richtige Beitrag für eine Unterstützung sind. Wichtig ist vielmehr eine langfristige Absicherung unserer Überlegungen mit ambulanten und stationären Hospizdiensten, mit einem Ausbau der Palliativstationen an unseren Krankenhäusern, mit unseren schmerzkonsiliarischen Diensten, die die Hausärzte beraten, die Fortbildung und Weiterbildung betreiben, und mit dem, was die ambulanten Strukturen – Familienhilfe, Sozialstationen, Brückenpflegekräfte – betrifft.

Ich möchte die Debatte nutzen, um insbesondere den Ehrenamtlichen, die in diesem Bereich arbeiten und ein riesiges Engagement aufbringen, ein herzliches Dankeschön zu sagen, weil sie einen Dienst an ihren Mitmenschen leisten, der unbezahlbar ist. Das ist ein Engagement, das im Übrigen nicht immer leicht ist, weil man die Gedanken an die Menschen, die man beim Sterben begleitet, nicht einfach abschalten kann, wenn man nach Hause geht, sondern sie in seinem Herzen mitträgt.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Jede Minute, jede Stunde, die einem Sterbenden geschenkt wird – damit weiß er, er ist nicht alleine, es ist jemand da, der seine Sorgen ernst nimmt, den er kontaktieren kann, wenn es ihm wieder schlechter geht oder wenn er unterstützende Hilfe braucht –, ist gut aufgewendet.

Wir sollten bei allen anderen politischen Diskussionen, bei denen es sich in diesen schwierigen Zeiten meistens ums Geld dreht, deutlich machen, was uns als Politikern wichtig

ist. Ich halte die angesprochene Leistung für eine der hervorragendsten Leistungen, die von Menschen in unserem Land erbracht wird.

Wir brauchen selbstverständlich einen weiteren Ausbau der Palliativmedizin und der entsprechenden Strukturen.

(Beifall des Abg. Gustav-Adolf Haas SPD)

Es ist völlig klar, dass wir in Zukunft an jedem Krankenhaus, an dem es eine Intensivstation gibt, auch eine Palliativstation benötigen, um letzten Endes eine würdige Atmosphäre zu schaffen, in der sich Menschen angenommen fühlen und sterben können, ohne – wenn sie dies nicht wollen – einer Hightechmedizin ausgeliefert zu sein.

Wir müssen unsere Krankenhäuser – das versuchen wir, indem wir auch in Zukunft eine kleinteilige regionale Versorgung aufrechterhalten wollen – als „menschliche“ Krankenhäuser in unserem Land etablieren. Wir dürfen nicht nur auf medizinische Forschung und medizinische Fortschritte setzen und darauf, was die Medizin an Sonstigem leisten kann – das ist selbstverständlich aber auch wichtig –, sondern müssen insbesondere dieses „menschliche Gesicht“ unseres Pflegepersonals, unserer Ärzte sowie unserer Krankenhausstrukturen nach außen tragen.

Die CDU-Landtagsfraktion unterstützt ausdrücklich die Forderung nach Einrichtung eines Lehrstuhls für Palliativmedizin an einer baden-württembergischen Hochschule. Wir glauben, dass die interdisziplinäre Abstimmung zwischen Ärzten, Pflegekräften, Seelsorgern, Sozialarbeitern und Brückenpflegekräften nicht nur über eine medizinische oder eine sozialpädagogische Linie laufen darf, sondern dass vor allem Gemeinsamkeit dazugehört.

Im Übrigen: Auch bei den Konzepten, die wir in BadenWürttemberg den sterbenden Menschen anbieten wollen, nehmen insbesondere auch die Brückenschwestern neben den Hospizdiensten, die wir an den Tumorzentren und den onkologischen Stationen in Baden-Württemberg eingerichtet haben, eine sehr wichtige Funktion wahr, um mit den Angehörigen, den Familien, den niedergelassenen Ärzten und den Spezialisten in der Schmerztherapie den Hilfebedarf abzustimmen. Damit halten sie eigentlich ein optimiertes Angebot für die Bevölkerung vor.

Was mir ganz wichtig ist und wo wir uns auch mit einmischen sollten: Beim Thema „Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht“ sollten vor allem die rechtlichen Grauzonen, die noch bestehen, beseitigt werden. Wir brauchen für die Behandelnden Rechtssicherheit, damit ein Arzt nicht Gefahr läuft, mit einem Bein im Gefängnis zu stehen und nicht zu wissen, wie er letzten Endes vorgehen soll.

Ich bin froh, dass die Patientenverfügung jetzt als ein vernünftiges Instrument anerkannt worden ist. In den Richtlinien für die Behandlung durch die Ärzte wird klar gesagt, was in einer solchen Patientenverfügung dargelegt werden kann. Es gibt gute Beispiele und Broschüren, in denen auch hervorragende Patientenverfügungen vorformuliert sind. Danach können sich die Menschen richten. Ich erwähne in diesem Zusammenhang zum Beispiel die christliche Patientenverfügung beider Kirchen – eine hervorragende Informa

tionsbroschüre mit ganz tollen Tipps und Anleitungen sowie den entsprechenden Formularen, die auszufüllen sind.

Ich hoffe, dass die Landesregierung auch die Initiative des Parlaments hier aufgreift und es zu einer zentralen Aufgabe ihres Handelns macht, sich um die sterbenden Menschen in Baden-Württemberg zu kümmern. Dann hätte sich diese Debatte gelohnt.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Das Wort erhält Frau Abg. Altpeter.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren! Ich denke, es ist gut und es tut auch unserem Haus gut, dass wir uns über alle Fraktionen hinweg in der Ablehnung der aktiven Sterbehilfe einig sind. Dabei sind wir manchmal in der Tat durchaus auch individuell betroffen. Denn wer von uns ist, gerade angesichts des demografischen Wandels, nicht in irgendeiner Form von der Frage des Sterbens betroffen?

Insofern, glaube ich, ist es auch sehr wichtig, dass wir im Koalitionsvertrag in Berlin jetzt festgelegt haben, dass wir die Rechtssicherheit von Patientenverfügungen stärken wollen. Auch im Hinblick auf die Zukunft und auf die demografische Entwicklung in diesem Land wird es ein ganz wichtiger Punkt werden, den Patientenverfügungen eine viel stärkere Bedeutung einzuräumen als bisher. Wir müssen schauen, dass wir in diesem Bereich eine tatsächliche Rechtssicherheit hinbekommen.

Es wird nun an uns allen liegen, mit dem in weiten Teilen der Gesellschaft als Tabu erachteten Thema des Sterbens umzugehen, es hinauszutragen, dieses Tabu auch zu brechen, es in viele gesellschaftliche Schichten zu tragen und darzustellen, dass Sterben nicht irgendwo im Ausland bei irgendeiner Organisation für 5 000 € stattfinden darf – wobei noch nicht einmal festgelegt ist, was tatsächlich als Ursache für den gewünschten Freitod gelten darf.

Es muss dargestellt werden, dass Sterben ein Teil des Lebens, ein Teil unserer Gesellschaft ist. Dafür gibt es einerseits eine ethische, eine gesellschaftliche Verantwortung. Andererseits gibt es aber durchaus auch eine politische Verantwortung, nämlich die Verantwortung dafür, Rahmenbedingungen zu schaffen, die ein würdevolles, menschliches Sterben ermöglichen.

Insofern habe ich Ihre Worte, Herr Minister, gern gehört, was die Neuordnung in einem künftigen Haushalt, was eine Schwerpunktsetzung in diesem Bereich des Sozialhaushalts betrifft. Ich kann nur hoffen, dass Sie sich an Ihren heutigen Worten auch entsprechend messen lassen, dass wir in diesem Land tatsächlich zu einem Lehrstuhl für Palliativmedizin kommen.

Ich hoffe, dass die Brückenpflege ausgebaut wird, die in der ambulanten Versorgung eine qualitativ höchst wertvolle Stellung einnimmt.

Ich hoffe aber auch, dass wir zu einer Stärkung unserer Hospizdienste kommen, dass wir nicht nur in Sonntagsreden das Ehrenamt loben, sondern auch für das Ehrenamt

und die vielen Menschen, die sich in diesem Bereich ehrenamtlich engagieren – oft über das mögliche Maß an menschlicher Belastung hinaus –, die Strukturen schaffen, die diesen Menschen ihr ehrenamtliches Engagement auch ermöglichen.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Das Wort erhält Herr Abg. Dr. Noll.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich darf noch einmal aus den Grundsätzen der Bundesärztekammer zitieren:

Da nach wie vor Unsicherheit darüber besteht, wie solche Erklärungen formal und inhaltlich zu gestalten sind und wann bzw. inwieweit sie Gültigkeit haben, wurden die nachstehenden... Hinweise... erarbeitet.

Wenn man verlangt – und das ist das Wichtige –, hinreichend konkret möglichst alle Situationen, die eintreten könnten und die eine medizinische Behandlung oder auch das Unterlassen einer Behandlung bedeuten, zu erfassen, dann ist auch bei der Verfassung der Patientenverfügung ärztlicher Rat zentral wichtig. Das muss meiner Meinung nach, wie auch vorhin schon gesagt, im Zusammenspiel zwischen ehrenamtlichen Strukturen – so wird es auch vor Ort gemacht, wenn der Seniorenrat zu einer Informationsveranstaltung einlädt –, Juristen und ärztlichem Sachverstand geschehen.

Lassen Sie mich trotzdem noch einmal aus den Grundsätzen der Bundesärztekammer zitieren:

Man darf sich nicht der Illusion hingeben, man könnte wirklich für jeden Einzelfall alles immer rechtlich hiebund stichfest konkretisieren.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP – Abg. Kleinmann FDP/DVP: So ist es!)

Wir müssen die Prinzipien festlegen und die Patientenverfügung dann so konkret wie möglich ausgestalten. Wir müssen übrigens auch dafür sorgen, dass der Arzt im Zweifelsfall weiß, dass es eine Patientenverfügung gibt. Notwendig ist also eine zentrale Stelle, bei der man nachfragen kann. Eine Patientenverfügung nützt in kritischen Fällen oft nichts, wenn der Arzt nichts von ihrem Vorhandensein weiß. Aber diese Grundsätze können dem Arzt die eigene Verantwortung in der konkreten Situation nicht abnehmen. Alle Entscheidungen müssen letztendlich individuell erarbeitet werden.