Protokoll der Sitzung vom 15.12.2005

(Beifall bei der FDP/DVP sowie Abgeordneten der CDU und der SPD – Zuruf des Abg. Capezzuto SPD)

Ich halte es, meine sehr geehrten Damen und Herren, auch für notwendig – –

(Zurufe von der SPD, u. a. des Abg. Knapp)

Das war nicht ganz einfach; Sie haben es erwähnt. Aber man muss darauf eingehen, dass wir die Immigranten bei diesem wichtigen Thema selbstverständlich nicht ausklammern dürfen. Wenn wir den demografischen Wandel insgesamt sehen und wenn wir deutlich machen, wie unsere Gesellschaft in den nächsten 10, 20, 30 Jahren aussehen wird, dann wird eigentlich jedem klar: Wir sind und bleiben auf eine geregelte und gesteuerte Zuwanderung angewiesen. Wir müssen anerkennen: Baden-Württemberg ist ein Zuwanderungsland. Den Immigranten müssen Chancen zur Integration in der Gesellschaft gegeben werden –

(Beifall bei der FDP/DVP und der SPD sowie Ab- geordneten der Grünen)

und sie müssen sich in diese Gesellschaft auch integrieren, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP/DVP sowie Abgeordneten der SPD und der Grünen – Zuruf des Abg. Capezzuto SPD – Unruhe)

Ich möchte deutlich machen, worauf mein Kollege Theurer zu Recht immer wieder hinweist: Wenn wir es ernst meinen mit den Ergebnissen der Kommission und wenn wir klar und deutlich machen, dass wir ganz selbstverständlich auch der jüngeren Generation Chancen einräumen müssen, dann muss das Thema Haushaltskonsolidierung in allernächster Zeit ein Schwerpunktthema sein. In diesem Zusammenhang darf man auch das Thema Nullverschuldung nicht aus den Augen verlieren und aufgeben, weil man meint, man packe es nicht.

(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. Seimetz CDU)

Das muss in der Gesellschaft und hier im Landtag geradezu ein zentrales Thema sein. Dazu gehört natürlich, Jürgen Hofer, auch die Aufgabenkritik; das ist überhaupt keine Frage. Deswegen wäre nach meiner Vorstellung eine Aufgabenkritik dazu, was eigentlich der Staat noch selbst machen muss und was andere machen können, mit Sicherheit ein tolles Betätigungsfeld für eine weitere Enquetekommission, an der ich dann leider nicht mehr mitwirken kann. Aber es wäre eine wunderbare Sache, sich intensiv – –

(Unruhe bei der SPD – Abg. Stickelberger SPD: Als Sachverständiger!)

Als Sachverständiger würde ich sicher gern geladen. Vielen Dank, Herr Kollege.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Mit Sicherheit spielt die Aufgabenkritik bei der Haushaltskonsolidierung eine Rolle. Wir brauchen auch den Mut, zu einem Personalabbau zu kommen. Diesem muss aber sinnvollerweise eine Aufgabenkritik vorangestellt werden, damit nicht immer in Richtung der Beamten und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Ministerien behauptet wird, das sei Personalabbau ohne eine Konzeption, ohne eine klare Überlegung dazu, wie es eigentlich hinterher aussehen solle.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, jetzt zu den Jüngeren: Die Forderung nach dem Wahlrecht mit 14 Jahren halte ich persönlich für etwas abenteuerlich. Aber schauen wir uns die Zahl der Wahlberechtigten an: Bei den Älteren sind es über 16 Millionen – Tendenz steigend –, bei den Jüngeren sind es unter 10 Millionen – Tendenz sinkend. Angesichts dieser Zahlen müssen wir uns Gedanken darüber machen, wie wir es schaffen, dass die Jüngeren Mitsprache- und Beteiligungsrechte haben und nicht in Gefahr geraten, gänzlich untergebuttert zu werden. Ich denke, dass man dieses Thema nicht wegwischen darf, nur weil da eine Forderung, die wirklich nicht sehr realistisch ist – Wahlrecht mit 14 Jahren –, in der Landschaft steht.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich wünsche mir, dass wir miteinander dazu beitragen, das Image der Pflegeberufe deutlich zu verbessern. Dazu gehört gesellschaftliche Anerkennung, dazu gehört eine angemessene Bezahlung. Was in den Pflegeberufen geleistet wird, ist sensationell.

(Beifall des Abg. Kleinmann FDP/DVP – Abg. Kleinmann FDP/DVP: So ist es!)

Ich meine, für ein Land wie Deutschland ist es eine Schande, dass wir uns zunehmend im Ausland die Pflegekräfte holen müssen, weil wir es selber nicht schaffen. Hier ist ein weiterer wichtiger Ansatzpunkt, um den wir uns kümmern müssen.

(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. Seimetz CDU)

Ich freue mich über Entwicklungschancen, die die ältere Generation selbst ergreift. Beim Thema „Wohnen im Alter“ macht es geradezu Freude, in Seniorenzeitungen Anzeigen über die Wohnungssuche zu lesen, wie wir sie aus der Studentenzeit kennen: „Wohngemeinschaft 50 plus“ sucht Mitbewohner. – Ich finde, dass das eine klasse Entwicklung ist. Das zeigt vor allem auch – und da hat Frau Professorin Lehr, die vorhin schon einmal zitiert worden ist, mit ihrer Aussage wieder einmal Recht –: Die Älteren wollen nicht betreut, nicht „betüttelt“ werden, sie wollen Service haben. Sie wollen nach Möglichkeit unter ihresgleichen sein. Sie wollen so lange wie möglich selbstständig sein können. Deswegen gibt es diese neuen Wohnformen. Auch altersspezifisch gemischte Wohnformen sind mit Sicherheit ein richtiger Weg.

Ich fasse zusammen: Die Enquetekommission hat eine gute Arbeit geleistet. Dass an der einen oder anderen Stelle Kritik wegen unzureichender Ergebnisse kommt, war nicht anders zu erwarten. Das ergibt sich aus einer so langen Diskussion mit ganz unterschiedlichen Experten. Greifen wir die Chance, die die alternde Gesellschaft bietet, in BadenWürttemberg auf, machen wir uns an die Arbeit, dann wird das zu einem guten Ergebnis führen!

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Sitzmann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Enquetekommission, die eineinhalb Jahre lang getagt hat, hatte die Aufgabe, Handlungsleitlinien und konkrete Vorschläge zu unterbreiten, was die Landesregierung, was dieses Parlament tun kann und tun muss, um den demografischen Wandel zu bewältigen, um ihn tatsächlich als Chance zu nutzen.

Dabei war für uns Grüne immer klar, dass sich eine langfristig gedachte Politik nicht nur mit der Alterung der Gesellschaft und den Lebensbedingungen der älteren Generation beschäftigen muss, sondern dass es auch um eine Politik für mehr Chancen junger Menschen geht und dass wir diesen Punkt sehr ernst nehmen müssen.

Wer eine Politik will, die die nachfolgenden Generationen im Blick hat, der muss konkret werden, der muss sagen, wie das zu tun ist. Da, lieber Herr Kollege Reichardt, sind wir dann doch nicht so glücklich mit dem Ergebnis der Kommission. Wir sind hinter den Möglichkeiten, die wir – auch in der Kürze der Zeit – hatten, leider zurückgeblieben.

(Abg. Reichardt CDU: Ihre Forderungen sind ein bisschen zurückgeblieben!)

Wir hätten sehr viel konkreter sagen können und müssen, welche Maßnahmen auf Landesebene wichtig und richtig sind und unmittelbar angegangen werden müssen. Das ist in der Sache sehr bedauerlich. Das ist aber auch parlamentarisch sehr bedauerlich. Es ist – bei aller Anerkennung der Regierungsarbeit, die Sie natürlich loben müssen – eben nicht so, dass im Land schon alles getan wird, was getan werden muss. Vielmehr brauchen wir eine Vielzahl von konkreten Maßnahmen, die in den Handlungsempfehlungen im Minderheitenvotum der Grünen-Fraktion enthalten sind.

Es ist gesagt worden, es gehe nicht an, leere Versprechungen zu machen und zu sagen, was man sich alles wünsche, ohne diese dann verwirklichen zu können. Es ist bei vielen konkreten Vorschlägen von uns aber nicht so, dass diese am Geld scheitern würden. Ich möchte drei Beispiele herausgreifen, wo es wirklich nicht um Geld geht.

Das eine ist: Ich habe gesagt, es geht bei der Enquetekommission auch um die Chancen junger Menschen in Bezug auf ihre Beteiligungsmöglichkeiten auf politischer Ebene. Hier wäre es ein positives Signal gewesen, das Wahlalter von 16 Jahren als Mehrheitsbeschluss in den Handlungsempfehlungen der Enquetekommission zu verankern.

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Herr Dr. Döring, ich denke, wir haben das intensiv diskutiert. Hier wäre eine klare Entscheidung und Ansage möglich gewesen.

Zweiter Punkt: eine gesteuerte Zuwanderung nach dem Punktesystem. Auch hier ist völlig klar – der Fachkräftemangel ist schon angesprochen worden –, dass wir in Baden-Württemberg dringend qualifizierte Fachkräfte brauchen. Auch hierzu ist leider keine konkrete Stellungnahme, keine konkrete Empfehlung möglich gewesen.

Dritter Punkt: verbindliche Richtwerte für den Flächenverbrauch im Landesplanungsgesetz. Bei einer Anhörung hat

dies explizit der von der CDU eingeladene Experte vorgeschlagen, um der weiteren Zersiedelung Einhalt zu gebieten und dafür zu sorgen, dass wohnortnahe Versorgung auch in einem Flächenland wie Baden-Württemberg möglich ist. Auch die Verwirklichung dieses Handlungsvorschlags hätte keinen Cent gekostet, der Vorschlag ist aber leider nur im Minderheitenvotum und nicht im Mehrheitsvotum zu finden.

Für uns Grüne war und ist ganz klar, dass auf Landesebene die Bildungspolitik das entscheidende Politikfeld ist, um die Herausforderungen des demografischen Wandels positiv zu gestalten. Bildungspolitik gilt im Sinne von lebenslangem Lernen für alle Altersstufen. Das beginnt mit der Betreuung und der frühkindlichen Bildung von Kindern. Baden-Württemberg hinkt hier im bundesweiten, aber auch im europäischen Vergleich hinterher. Wir haben immer noch große Defizite bei der Vereinbarkeit von Kind und Karriere, bei der Frage: Wie lässt sich ein Kinderwunsch realisieren und mit den Karrierewünschen auch hoch qualifizierter Frauen vereinbaren? Frauen brauchen mehr Chancen auf dem Arbeitsmarkt, nicht nur in einem Teilzeitjob an der Kasse, sondern auch dort, wo sie ihre Qualifikationen einbringen können. Deshalb ist auch in diesem Punkt die bessere Vereinbarkeit wichtig.

Was die Chancen der jungen Generation für die Zukunft betrifft, so geht es darum, dass Begabungen schon früher, von klein an individuell gefördert werden. Denn noch immer ist es so, dass 20 % der Jugendlichen nur das unterste Kompetenzniveau erreichen. Das ist ein Skandal, meine Damen und Herren. Es geht nicht an, dass wir einerseits sagen, dass Eltern bzw. Paare sich wieder häufiger für Kinder entscheiden sollen, dass wir andererseits aber für Kinder und Jugendliche – die bereits geboren sind – keine ausreichenden Startchancen zur Verfügung stellen. Hier wäre ein klareres Votum unbedingt nötig gewesen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Der demografische und auch der technologische Wandel machen eine echte Politik des lebenslangen Lernens notwendig. Hier müssen alle Seiten – Arbeitgeber, Arbeitnehmer, aber auch die öffentliche Hand – ihren Beitrag leisten. Sie wissen, dass gerade auch in Baden-Württemberg als Industriestandort, als Bundesland, in dem es sehr viele anund ungelernte Beschäftigte gibt, der Problemdruck besonders groß ist. Es geht also darum, gerade diese Gruppe, die mit zunehmendem Alter noch verstärkt von Arbeitslosigkeit bedroht ist, in die Wissensgesellschaft mitzunehmen; denn sonst werden wir auf der einen Seite einen weiter zunehmenden Fachkräftemangel und auf der anderen Seite zunehmende Langzeitarbeitslosigkeit haben. Das darf nicht sein. Hier bedarf es konkreter Maßnahmen, wie wir sie auch vorgestellt und in die Handlungsempfehlungen eingebracht haben.

Des Weiteren brauchen wir eine Kultur der Altersarbeit. Es geht um alternsgerechte Beschäftigung – in der Enquetekommission war uns dieses „n“ immer wichtig. Alternsgerecht ist eine Beschäftigung, die dem jeweiligen Alter angemessen ist und die jeweiligen Leistungspotenziale berücksichtigt. Wir haben in den Anhörungen mehrfach gehört,

dass sich die Leistungspotenziale im Laufe eines Lebens verändern und dass Beschäftigung, Erwerbstätigkeit und Qualifizierung entsprechend gestaltet werden müssen. Hierbei muss das Land Aufklärungsarbeit leisten, muss bei Arbeitgebern für die Beschäftigung älterer Menschen werben und muss ältere Beschäftigte motivieren, sich weiterzuentwickeln.

Debatten, wie wir sie hatten, in denen geäußert wurde, dass es ab 40 Jahren mit der Leistungsfähigkeit bergab gehe, sind in diesem Zusammenhang leider alles andere als dienlich.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Letzter Punkt: demografischer Wandel und überschuldete öffentliche Haushalte. Wenn wir an unserem Kurs nichts ändern, bürden wir den nachfolgenden Generationen immer höhere Schuldenberge auf. Und nicht nur das: Wir lassen ihnen immer weniger Spielraum, um auch in Zukunft politisch zu gestalten. So bleibt zu wenig finanzieller Spielraum für Bildung und Soziales.

Deshalb ist es entscheidend, zu klaren Vorschlägen zu kommen. Wir haben diese Vorschläge gemacht. Leider sind sie im Minderheitenvotum zu finden und nicht im Mehrheitsvotum. Gerade wenn man den demografischen Wandel genau betrachtet, wird deutlich, dass er dann zu einer Zeitbombe wird, wenn wir an der finanziellen Grundlage nichts verbessern. Nur wenn man eine Verbesserung der Finanzsituation erreicht, kann dieser Wandel wirklich eine Chance sein.

Diese Chance kann allerdings nur unter der Voraussetzung einer fairen Partnerschaft mit den Kommunen genutzt werden. Uns ist wichtig, noch einmal zu betonen, dass die kommunale Ebene diejenige ist, die vor Ort gestaltet, die vor Ort Angebote macht, die Infrastruktur zur Verfügung stellt und die das bürgerschaftliche Engagement fördert und fordert. Deshalb plädieren wir hier zum wiederholten Male für das Konnexitätsprinzip und für ein Konsultationsverfahren nach bayerischem und österreichischem Modell.

An all diesen Punkten sehen Sie, dass diese Enquetekommission wirklich nur ein Startschuss gewesen ist und dass beileibe nicht alles abgearbeitet worden ist, was auf Landesebene nötig wäre. Deshalb versprechen wir von grüner Seite, dass wir uns auch in der nächsten Legislaturperiode weiterhin mit dem demografischen Wandel auseinander setzen und unsere Vorschläge für ein zukunftsfähiges BadenWürttemberg einbringen werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen sowie der Abg. Reichardt und Seimetz CDU)

Das Wort erteile ich dem Minister für Arbeit und Soziales, Herrn Andreas Renner.