Protokoll der Sitzung vom 15.12.2005

Das Wort erteile ich dem Minister für Arbeit und Soziales, Herrn Andreas Renner.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ziel der Enquetekommission „Demografischer Wandel – Herausforderung an die Landespolitik“ war die Erarbeitung von Empfehlungen an den Landtag, wie in Baden-Württemberg die He

rausforderungen des demografischen Wandels bewältigt werden können. Im Mittelpunkt standen zu Recht die Anliegen, die Solidarität der Generationen zu sichern, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern, die Zukunftschancen der jungen Generation und die Teilhabe älterer Menschen am gesellschaftlichen Leben zu sichern sowie für eine ausgewogene Entwicklung aller Landesteile zu sorgen.

Heute können wir die Früchte der Kommissionsarbeit in Händen halten. Ich möchte deshalb allen Kommissionsmitgliedern und den Sachverständigen für ihre Arbeit danken.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die demografische Entwicklung ist – ich denke, zu Recht – zu einem Topthema in unserer Gesellschaft geworden. Es ist nicht nur eine Zukunftsaufgabe, sondern es wäre in vielfacher Hinsicht eigentlich bereits in der Vergangenheit Aufgabe gewesen, darüber nachzudenken, denn seit 30 Jahren kennen wir dieses Thema. Was 30 Jahre lang nicht getan wurde, ist in manchen Teilen auch schwer nachzuholen, insbesondere wenn es um die Zunahme der Kinderzahl geht. Uns fehlt nicht nur vielfach der Kinderwunsch, sondern in manchen Bereichen fehlt uns zu einem Drittel auch die Elterngeneration, weil die in den letzten 30 Jahren schlicht und ergreifend gar nicht erst herangewachsen ist.

Deshalb hat sich, meine sehr geehrten Damen und Herren, die so genannte Bevölkerungspyramide zu einer Pyramide entwickelt, die auf dem Kopf steht. Die Gründe sind bekannt: geringe Geburtenrate und ansteigende Lebenserwartung – wobei Letzteres ja selbstverständlich erfreulich ist. Die Folgen dieser Entwicklung werden aber alle Gesellschaftsbereiche tangieren. Weder Dramatisierung noch Bagatellisierung werden deshalb der Entwicklung gerecht.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Baden-Württemberg hat unter allen Bundesländern die vergleichsweise beste Ausgangsposition, um die Herausforderungen der demografischen Entwicklung anzunehmen und ihnen zu begegnen. Baden-Württemberg ist seit Jahren das einzige Bundesland, in dem mehr Menschen geboren werden als sterben. Das heißt, wir haben nicht nur ein Zuwanderungsplus von jährlich etwa 35 000 Menschen im Land, sondern wir haben nach wie vor einen Geburtenüberschuss, auch wenn der immer noch zu gering ist.

Auf allen Feldern der Politik liegen wir im Übrigen entgegen manchen Unkenrufen vor anderen Ländern. Das alles ist nämlich nicht vom Himmel gefallen. Es ist das Ergebnis harter Arbeit der Menschen in unserem Land, und es ist auch das Ergebnis einer konsequenten und zielgerichteten Politik in den letzten Jahrzehnten. Die Stellungnahmen der Landesregierung auf umfassende Anträge der Enquetekommission zeigen dies deutlich. Auf allen Feldern arbeiten wir intensiv daran, die demografische Entwicklung aktiv zu gestalten und den Menschen Perspektiven zu eröffnen.

Lassen Sie mich zwei Bereiche herausgreifen, die wichtig sind, nämlich erstens die Initiative „Kinderfreundliches Baden-Württemberg“ und zweitens das Aktionsprogramm „Ältere Generation im Mittelpunkt“.

Zum Kinderland: Bereits im Januar 2002 hat der Ministerrat das Regierungskonzept „Kinderfreundliches Baden

(Minister Renner)

Württemberg“ beschlossen. Ziel ist der bedarfsgerechte Ausbau der Betreuungsangebote für Kinder unter drei Jahren in Kinderkrippen, in altersgemischten Gruppen und auch in der Kindertagespflege. Durch diese Initiative haben wir erreicht, dass zwischenzeitlich der Gesamtversorgungsgrad für Kinder bis zu drei Jahren immerhin bei 6,5 % liegt und trotzdem eine Dynamik entstanden ist; im Ausbauprozess besteht in diesem Bereich noch Nachholbedarf. Die Landesregierung steht deshalb auch zu ihrer Zusage, ihre bisherige Mitfinanzierung im Umfang von 10 % für die Angebote der Kleinkinderbetreuung auch künftig fortzusetzen. Ich denke, das ist gut so; es ist ein wichtiger Baustein in diesem Bereich.

(Beifall des Abg. Dr. Noll FDP/DVP)

Ebenso wichtig wie der bedarfsgerechte Ausbau der Kinderbetreuung ist die Erhaltung und Verbesserung der Qualität der in den Einrichtungen geleisteten Bildungs- und Erziehungsarbeit. Auch da können wir mit den anderen Bundesländern durchaus mithalten, selbst wenn das immer wieder in Abrede gestellt wird. Wir haben im neuen Kindergartengesetz ganz bewusst den Bildungsauftrag der Tageseinrichtungen für Kinder aufgenommen. Wir unterstreichen damit die große Bedeutung der vorschulischen Bildung für die Zukunftsperspektive von Kindern. Dies gilt in ganz besonderem Maße für die Sprachfähigkeit, meine sehr geehrten Damen und Herren. Deshalb werden wir den Orientierungsplan jetzt Stück für Stück umsetzen

(Abg. Zeller SPD: Warum führen Sie den Orientie- rungsplan nicht gleich verbindlich ein?)

und zusammen mit den Betreuungsangeboten die notwendigen Rahmenbedingungen für noch mehr Kinderfreundlichkeit schaffen.

(Abg. Zeller SPD: Ach was! Das ist eine Ausrede!)

Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, es gilt, auch die Kultur für Kinder in unserer Gesellschaft zu verbessern. Denn wenn das gesellschaftliche Bewusstsein nicht stimmt, dann werden alle Betreuungsangebote nichts nützen, und wir werden in der Zukunft nicht mehr Kinder haben.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich komme zur älteren Generation. Es ist doch klar, dass ein ganz besonderes Anliegen der Landespolitik auch die ältere Generation ist. In unserem Aktionsprogramm „Ältere Generation im Mittelpunkt“ haben wir aufgeführt, wo wir Handlungsbedarf sehen bzw. schon tätig geworden sind. Ältere Menschen sind uns wichtig, weil sie sich dies im wahrsten Sinne des Wortes auch verdient haben, war es doch überwiegend die derzeit ältere Generation, die unser Land aufgebaut und zu dem gemacht hat, was es ist. Deshalb, Frau Altpeter, hieße es das Pferd am Schwanz aufzäumen, wenn Sie hier die Tatsachen verdrehen, auch beim Thema „Umgang mit der älteren Generation“. Ich will Ihnen eines sagen: Ich bin dem Ministerpräsidenten dankbar, dass er eine Diskussion angestoßen hat, die längst überfällig war.

(Widerspruch bei der SPD)

Über dieses Thema haben auch Sie das Deckmäntelchen des Schweigens gebreitet.

(Zuruf von der CDU: Sehr gut!)

All diejenigen, die ihn kritisieren, führen doch ganz bewusst eine Argumentation ein, die überhaupt nicht richtig ist.

(Abg. Carla Bregenzer SPD: Falsche Argumente! Richtige Diskussion mit falschen Argumenten! – Abg. Marianne Wonnay SPD: Der Ministerpräsi- dent hat es falsch eingeführt, nicht wir, sondern er!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Kollege Döring hat doch Recht:

(Abg. Marianne Wonnay SPD: Ja, er hat Recht, und der Ministerpräsident hat Unrecht! – Abg. Schmiedel SPD: Der hat doch den Ministerpräsi- denten kritisiert!)

Seit Jahrzehnten ist es doch so, dass uns die Leute ab 52 völlig legal in die sozialen Sicherungssysteme vor die Türen gekehrt werden.

(Abg. Dr. Scheffold CDU: So ist es! – Abg. Flei- scher CDU: Sehr gut!)

Das ist doch die Wahrheit in diesem Land.

(Beifall bei der CDU)

Ich habe in den letzten Tagen insbesondere die Wirtschaftsteile der Zeitungen sehr aufmerksam studiert, in denen seitenweise dargestellt worden ist, wie die Realität auch und gerade in den großen Betrieben in Baden-Württemberg aussieht.

(Zuruf des Abg. Teßmer SPD)

Es sind doch keine Leute über 55 mehr drin. Die haben keine Chance. Das müssen wir ändern, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU – Abg. Fleischer CDU: Das hat der Ministerpräsident alles dem Herrn Drexler schriftlich mitgeteilt!)

Diese Debatte ist richtig und wichtig, weil sie zum richtigen Zeitpunkt kommt.

(Zuruf des Abg. Teßmer SPD)

Wir müssen nämlich auch die Teilhabe der über 55-Jährigen am Arbeitsmarkt sicherstellen

(Abg. Fleischer CDU: Ausgezeichnet!)

und uns dadurch auf die Zukunft vorbereiten, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Glocke des Präsidenten)

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Zeller?

(Zuruf von der CDU: Oh weh!)

Ich gestatte im Moment keine Zwischenfrage.

(Abg. Schmiedel SPD: Oje! Angsthase! – Zuruf von der SPD: Feigling! – Weitere Zurufe von der SPD)

Meine sehr gehrten Damen und Herren, wir werden diese Debatte mit Anstand führen. Jeder ältere Arbeitnehmer weiß, worum es uns bei dieser Frage geht. Denn eines ist auch klar: Wir werden alle gesellschaftspolitischen Kräfte für diese Debatte brauchen. Wir werden zusammen mit der Industrie klären müssen, wie wir es zukünftig mit den Älteren halten. Deshalb bin ich dankbar, dass die Debatte in Gang gekommen ist,

(Abg. Teßmer SPD: Das haben wir schon zweimal gehört! Das wird durch Wiederholung nicht bes- ser!)

die auch deutlich gemacht hat, dass nicht immer nur die Politik in der Pflicht ist, sondern dass die gesamte Wirtschaft einschließlich des Mittelstands bei dieser Frage mit am Tisch sitzt.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Im Mittelstand sieht es eh besser aus!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich komme nun zum Thema Pflege, ein aktuelles und brisantes Thema. Derzeit leben in Baden-Württemberg ca. 224 000 pflegedürftige ältere Menschen. Bis zum Jahr 2020 müssen wir mit einer Zahl von rund 300 000 Pflegebedürftigen rechnen. Das sind 76 000 Personen oder knapp ein Drittel mehr als heute. Mehr als zwei Drittel der Pflegebedürftigen werden in ihrer häuslichen Umgebung versorgt und gepflegt. Das andere Drittel wird in stationären Einrichtungen gepflegt. Mit unserer Pflegeheimförderung ist es uns gelungen, eine verlässliche, qualitativ gute und möglichst ortsnahe Versorgung der pflegebedürftigen Menschen im Land aufzubauen.

(Beifall des Abg. Reichardt CDU)