Herr Präsident, meine Damen und Herren! Lieber Kollege Hermann Seimetz, vielleicht gestattest du mir zunächst ein paar persönliche Worte. Uns verbindet heute das Außergewöhnliche der Situation. Du hast gesagt, es sei deine Abschiedsrede, und ich habe die Gelegenheit, heute mit meiner ersten Rede in meiner neuen Funktion über ein ganz zentrales Thema meines zukünftigen Zuständigkeitsbereichs zu sprechen. Herzlichen Dank dafür.
Wir haben allerdings alle eine Gemeinsamkeit, was dieses Thema anbelangt: Wir sind in dieser Legislaturperiode hier alle gemeinsam fünf Jahre älter geworden.
(Abg. Kretschmann GRÜNE: Dieses Schicksal tei- len wir mit dem ganzen Universum! – Heiterkeit – Gegenruf des Abg. Blenke CDU: Ab und zu hat er auch mal Recht!)
Meine Damen und Herren, erst gestern ging es an gleicher Stelle um die Bedeutung der älteren Arbeitnehmer. Das Thema „ältere Menschen“ muss uns beschäftigen. Es hat viele Facetten. Wir leben in einer Gesellschaft, die immer älter, zahlenmäßig aber immer kleiner wird. Diese Entwicklung ist von einer Dynamik gekennzeichnet, die wir heute noch kaum bemerken, die aber langfristig zu tief greifenden Veränderungen führt.
Dabei potenzieren sich zwei Entwicklungen: die seit drei Jahrzehnten niedrige Geburtenrate und die Zunahme der individuellen Lebenszeit. Herr Kollege Seimetz hat die Zah
len ja schon genannt. Um mit diesen Veränderungen klarzukommen, wird es von entscheidender Bedeutung sein, wie das Miteinander der Generationen bei der Anpassung an die fortschreitende Alterung gelingen wird. Wir müssen die Rahmenbedingungen für Familiengründungen verbessern und die Infrastruktur anpassen.
Die Folgen der Alterung und des Bevölkerungsrückgangs können allerdings nicht allein durch staatliches Handeln gemeistert werden, auch nicht durch alleinige staatliche Konzepte, sondern alle gesellschaftlichen Kräfte sind gefragt. Alle gesellschaftlichen Kräfte haben die Verpflichtung und die Chance, sich auf die Veränderungen rechtzeitig einzustellen – gestern haben wir über das Thema beraten –, und auch die Wirtschaft ist bei diesem Thema in hohem Maße gefragt.
Die Landesregierung hat sich dieses Themas schon seit langem angenommen. Es gibt zahlreiche Maßnahmen und Initiativen, liebe Frau Kollegin Altpeter. Ich denke, wir können mit gutem Gewissen bei diesem Thema konkret werden. Es geht hier nicht um ein Schönreden, liebe Frau Lösch, sondern um das Nennen der Fakten.
Bereits vor einiger Zeit haben wir diese Initiativen in einem Aktionsprogramm zum Miteinander der Generationen mit dem Titel „Ältere Generation im Mittelpunkt“ zusammengefasst. Noch in dieser Legislaturperiode werde ich im Kabinett über den Umsetzungsstand berichten.
Ich will einige Aspekte des Themas beleuchten. Die gestiegene Lebenserwartung und eine weiterhin niedrige Geburtenrate haben das Verhältnis von Jung und Alt maßgeblich verschoben. Nie zuvor haben drei oder vier Generationen eine so lange gemeinsame Zeitspanne erlebt. Diese Veränderungen verbinden sich mit sehr unterschiedlichen Lebensvorstellungen und Bedürfnissen. Einheitliche Wünsche an die Gestaltung des Alltagslebens in einer Familie gibt es ebenso wenig wie das Alter als genau definierbaren Zeitraum.
Eine Vielzahl alternativer, zukunftweisender Lebens- und Wohnformen berücksichtigen diese Entwicklung. Als Beispiele möchte ich nennen: die Mehrgenerationenprojekte, die Mütterzentren – die sich als Familienbegegnungsstätten über Altersgrenzen hinweg verstehen – und das Projekt „Oldies leben gemeinsam aktiv“, das den bei Senioren mehrheitlich vorhandenen Wunsch unterstützt, auch bei Krankheit und Gebrechlichkeit in den eigenen vier Wänden alt zu werden. Weitere Beispiele sind auch die Modelle für selbstbestimmtes Wohnen im Alter, bei denen Hilfs- und Tauschdienste von Dritten aus der Nachbarschaft oder durch Ehrenamtliche geleistet werden.
Das Land hat auch ein Internetportal eingerichtet – www.familienfreundliche-kommune.de –, um aktiv dazu beizutragen, dass diese innovativen Projekte zum Miteinander von Generationen, zum Miteinander der Familien auch wirklich bekannt werden.
Meiner Meinung nach muss eine zukunftweisende Politik nicht nur eine Politik für, sondern vor allem eine Politik mit
und von älteren Menschen sein. Sie sollte den Beitrag älterer Menschen für unsere Gesellschaft erkennen, würdigen und fördern – und ich füge hinzu: durchaus auch einfordern. Es wurde hier beklagt, dass zu wenig gemacht werde. Ich verweise nur auf das Projekt des Jugendbegleiters bei unseren zukünftigen Ganztagsangeboten an den Schulen,
bei dem wir auch darauf bauen, dass ältere Menschen, Senioren mit hohen Kompetenzgraden in vielen Bereichen, sich in den Schulen engagieren und mit den jungen Leuten auch gemeinsam ein Stück des Weges gehen.
indem sie Grundstücke für unterschiedlichste Wohnprojekte zur Verfügung stellen. Auch das ist auf einem guten Weg.
Meine Damen und Herren, Alter hat auch etwas mit Gesundheit zu tun. Auch wenn das Präventionsgesetz auf Bundesebene gescheitert ist
(Abg. Marianne Wonnay SPD: Weshalb ist es denn gescheitert? – Gegenruf des Abg. Alfred Haas CDU: Weil es nichts getaugt hat!)
wollen wir im Land gemeinsam mit den Sozialversicherungsträgern neue Akzente in der Gesundheitsvorsorge setzen. Wir konnten uns mit den Sozialversicherungsträgern darauf einigen, uns stärker als bisher mit Projekten und Maßnahmen in den so genannten Lebenswelten zu engagieren, zum Beispiel in der Arbeitswelt. Auch das Forschungsprogramm „Sport – Bewegung – Prävention“, das wir zusammen mit der Landesstiftung ins Leben gerufen haben, wird die Bedeutung des gesundheitlichen Präventionspotenzials unterstreichen.
Es gibt für Ältere vielfältige Bildungsangebote, über die die Hochschulen des Landes umfassend informieren können. Ich möchte hier – das werden Sie mir als Ulmerin nachsehen – das „Zentrum für Allgemeine Wissenschaftliche Weiterbildung“ der Universität Ulm nennen, das sich intensiv mit der Zusammenarbeit zwischen den Generationen befasst. Eine der dort entwickelten Projektideen möchte ich beispielhaft nennen: die Kompetenzbörse für Jung und Alt im Lernaus
tausch über Internet, ein gelungenes Beispiel eines Projekts des Miteinanders der Generationen. Unsere Hochschulen bieten auch Lehrangebote für Personen an, die sich speziell mit älteren Menschen beschäftigen.
Meine Damen und Herren, über Älterwerden in BadenWürttemberg zu sprechen heißt auch darüber zu sprechen, wie es den Älteren hier im Lande geht, wenn sie Hilfe brauchen oder pflegebedürftig werden. Ein zentrales, möglichst barrierefreies Wohnen und die Möglichkeit der Nutzung vorhandener Infrastrukturen bieten sowohl ökonomische als auch soziale Vorteile, insbesondere für ältere Menschen und für Familien. Hier geht es darum, bauliche Hürden abzubauen.
Auch das betreute Wohnen für Senioren, ein Feld, in dem das Land Baden-Württemberg wie in vielen Bereichen bundesweit Spitze ist, ist ein ganz wesentlicher Aspekt.
Wir haben die Zertifizierung vorangetrieben und weisen die höchste Anzahl an Plätzen des betreuten Wohnens aus.
Das Ministerium für Arbeit und Soziales hat sich im Laufe des letzten Jahres intensiv mit den Fragen, die sich um neue Wohnformen ranken, beschäftigt. Ein entsprechendes Konzept wurde gerade veröffentlicht.
Die Zahl der Pflegebedürftigen wird sich bis zum Jahr 2020 von derzeit 225 000 auf rund 300 000 erhöhen. Im Bereich der Pflege stehen wir also vor großen Herausforderungen. Die Finanzierung der Pflegeversicherung muss neu gestaltet werden. Auch inhaltlich müssen wir sie weiterentwickeln. Vor allem müssen wir die Leistungen für ambulante und stationäre Pflege angleichen.
Unsere Pflegeinfrastruktur, meine Damen und Herren, ist hervorragend. Wie in keinem anderen Bundesland haben wir ortsnahe Versorgungsstrukturen konsequent ausgebaut und gefördert. Das Konzept der Kleeblatt-Tagespflegeheime gilt bundesweit als beispielgebend. Wir haben auch die Mittel für die Betreuungsgruppen für Demenzkranke von 2001 bis 2005 nicht eingefroren und nicht gekürzt. Im Jahr 2001 wurden 78, im Jahr 2005 238 solcher Gruppen gefördert, und alle Anträge sind bewilligt worden.
(Abg. Alfred Haas CDU: Sehr gut! – Abg. Dr. Noll FDP/DVP zur SPD: Behauptet doch hier nicht im- mer das Gegenteil!)