Protokoll der Sitzung vom 21.02.2006

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Boris Palmer.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir zunächst, dass ich zu erklären versuche, was dieses neue Verfahren eigentlich bewirkt. Das ist mir einfach ein Anliegen, nachdem ich beim Nachlesen des Protokolls der Ersten Beratung festgestellt habe, dass das noch gar nicht ausgeführt wurde.

Der Unterschied zwischen den Verfahren nach d’Hondt und Sainte-Laguë/Schepers ist der

(Zuruf des Abg. Kleinmann FDP/DVP)

Sie können es aussprechen, wie Sie möchten; mir geht es jetzt um die Mathematik –, dass bei dem Verfahren nach d’Hondt eine Partei nur den ganzzahligen Rest ihres Sitzzahlanspruchs erhält: Es wird immer abgerundet. Das heißt, wenn sie 6,7 Sitze hätte, bekäme sie nur 6. Es wird immer abgerundet auf die darunter liegende Zahl, während das Verfahren, das wir jetzt beschließen wollen, so vorgeht, wie man normalerweise mit Standardrundungen verfährt: Bei 6,7 Sitzen bekommt die Partei 7 Sitze, und bei 6,4 bekommt sie 6. Das ist der Unterschied zwischen den beiden Verfahren.

(Abg. Mack CDU: Sehr gut! Sie haben es begrif- fen!)

Ich habe es auch studiert.

Es ist offensichtlich so: Für eine große Partei ist der Unterschied zwischen 45,7 und 46 relativ gering; für eine kleine Partei ist der Unterschied zwischen 9,7 und 10 relativ groß. Deswegen hat das bisherige Verfahren die großen Parteien, insbesondere die CDU, bevorzugt.

So weit d’accord! Es ist ein Fortschritt im Verfahren, es wird gerechter. Nur leider: Es ist ein großer Schritt für die FDP/DVP, aber ein kleiner Schritt für den Landtag von Baden-Württemberg.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Ja! Für die CDU war es ein großer Schritt!)

Denn was Sie übersehen haben, ist: Wenn Sie nur das Verfahren ändern, aber die Auszählung auf Regierungsbezirksebene beibehalten – –

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Das wissen wir wohl, Herr Palmer!)

Aber jetzt sage ich Ihnen, was das in Abgeordnetensitzen bedeutet. Bei dem Verfahren, das Sie jetzt beschließen, gibt es ein zusätzliches Ausgleichsmandat, das Wahlergebnis von 2001 unterstellt.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Das wissen wir!)

Dieses Ausgleichsmandat erhält die FDP/DVP.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Richtig!)

Wir haben sechs Überhangmandate für die CDU, drei Ausgleichsmandate. Mit anderen Worten: Bei den Mandaten, die hinzukommen, entfallen immer noch zwei Drittel auf die CDU – bei einem Stimmergebnis von gerade einmal 44 %.

Würden Sie Ihr Verfahren gemäß dem Antrag der SPD – wir werden ihm zustimmen, weil er mathematisch richtig ist – auf Landesebene durchführen, käme folgendes Ergebnis heraus: sechs Überhangmandate für die CDU, aber fünf Ausgleichsmandate, davon ein zusätzliches für die SPD, ein zusätzliches für die FDP/DVP und ein zusätzliches für die Grünen. Nur dann haben Sie ein gerechtes Ergebnis. Das heißt, der Änderungsantrag, der jetzt hier zur Abstimmung steht, will tatsächlich die Benachteiligung der anderen Parteien und das zugunsten der CDU bestehende ungerechtfertigte Überhangverhältnis beseitigen. Was Sie heute beschließen wollen, brächte Ihnen unter Zugrundelegung des letzten Landtagswahlergebnisses einen Sitz mehr, könnte aber bei der nächsten Wahl zu einem Ergebnis führen, von dem Sie nicht profitieren.

(Zuruf des Abg. Dr. Noll FDP/DVP)

Jetzt sagen Sie: „Wir sind großzügig. Es geht nicht nur um uns.“

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Nach eins kommt zwei!)

Nein, es ist zu wenig. Es ist das Mindeste, dass das Verfahren auf Landesebene fair angewandt wird. Deswegen kann ich, wenn doch alle Argumente dafür sprechen, gar nicht nachvollziehen, warum Sie jetzt diesen Schritt nicht tun wollen. Stimmen Sie von der FDP/DVP dem Änderungsantrag zu – wir hätten gemeinsam die Mehrheit –, dann gibt es ein gerechtes Landtagswahlrecht, Herr Dr. Noll.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Weil Sie in Berlin wechselnde Mehrheiten fabriziert haben! – Abg. Birzele SPD zur FDP/DVP: Hare/Niemeyer hätte Ihnen noch mehr gebracht!)

Nach den Plenarsitzungen dieser Woche gibt es in dieser Legislaturperiode keine Landtagssitzungen mehr. Die Amtszeit dieser Regierung geht zu Ende. Da ist nicht mehr von wechselnden Mehrheiten die Rede. Wir reden hier über Angelegenheiten des Parlaments und nicht über Angelegenheiten der Regierung. Das hat überhaupt nichts mit Koalitionsfragen zu tun – jedenfalls sollte es das nicht. Wenn Sie das verquicken, ist das Ihre Sache. Aber hier geht es um eine Angelegenheit des Parlaments, um ein gerechtes Auszählverfahren und nicht um Regierungsangelegenheiten, bei denen der Koalitionsvertrag greift.

So viel dazu.

Jetzt noch ein Weiteres: Sie sagen, Sie wollten die Erfolgswertgleichheit der Stimmen herstellen.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Richtig!)

Das ist ein gutes Ziel. Es gibt gute Gründe dafür. Bei der letzten Landtagswahl haben der CDU knapp 32 000 Stimmen für ein Mandat gereicht, während die FDP/DVP fast 36 000 Stimmen für ein Mandat benötigt hat.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Ja!)

Wenn der jetzt vorliegende Gesetzentwurf beschlossen wird, brauchen die Grünen, unter Zugrundelegung des letzten Landtagswahlergebnisses, immer noch 35 000 Stimmen pro Sitz,

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Das sind schon ein paar weniger!)

und für die CDU sind weiterhin 32 000 Stimmen für ein Mandat erforderlich. Das heißt, Sie erreichen Ihr Ziel nicht. Die Erfolgswertgleichheit wird nicht hergestellt. Würde hingegen dem Antrag, das neue Auszählverfahren mit einer Auszählung auf Landesebene zu kombinieren, zugestimmt,

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Richtig! Da waren wir uns ja einig!)

wäre praktisch – das kann man mathematisch beweisen – die optimale Erfolgswertgleichheit hergestellt.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Das ist alles richtig!)

Das heißt, der Abstand zwischen Minimum und Maximum bei der Zahl der für einen Sitz erforderlichen Stimmen kann, wenn es mathematisch konsistent sein soll, bei keinem Verfahren kleiner werden als bei der dem Änderungsantrag zugrunde liegenden Methode.

(Zuruf des Abg. Dr. Caroli SPD)

Dann bräuchten Sie, unter Zugrundelegung des letzten Landtagswahlergebnisses, nicht mehr 35 000 Stimmen für einen Sitz, sondern dann läge die Zahl der für einen Sitz erforderlichen Stimmen bei allen Parteien zwischen 31 800 und 33 200.

Also, meine Damen und Herren, insbesondere von der FDP/DVP, wenn Sie Ihren eigenen Ansprüchen gerecht werden wollen – Erfolgswertgleichheit, ein faires Auszählverfahren und ein gerechtes Wahlergebnis –, dann können Sie gar nichts anderes tun, als heute dafür zu stimmen, das Auszählverfahren in Ihrem Sinne zu ändern und darüber hinaus dafür zu sorgen, dass es auf Landesebene einen Ausgleich für die Überhangmandate gibt. Alles andere sichert der CDU weiterhin ihren ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Das Wort erhält Herr Innenminister Rech.

Verehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Kollegen! Zunächst einmal möchte ich da

rauf hinweisen, dass bei uns seit 1956 die Sitzverteilung nach dem d’Hondt’schen Höchstzahlverfahren erfolgt

(Abg. Renate Rastätter GRÜNE: Das macht es nicht besser!)

und der Staatsgerichtshof, Frau Kollegin Rastätter, seither mehrfach bestätigt hat, dass dieses Verfahren verfassungsgemäß ist.

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Das ist aber nicht der Punkt! – Abg. Renate Rastätter GRÜNE: Gerecht!)

Dennoch soll heute das Berechnungsverfahren auf die Methode nach Sainte-Laguë/Schepers umgestellt werden. Die Gründe dafür sind bekannt. Das bisherige Gesetzgebungsverfahren hat das Verständnis für die Feinheiten der verschiedenen Berechnungsmethoden auch gefördert.

(Heiterkeit des Abg. Boris Palmer GRÜNE)

Ich kann mich deshalb kurz fassen: Wir bekommen ein anerkanntes Verfahren, das zu verhältnisgerechteren Ergebnissen führt. Dies zumindest ist im Sinne aller Fraktionen des Landtags. Ich gehe davon aus, dass Sie dem neuen Berechnungsverfahren insofern zustimmen können.

Um dem Kollegen Mack beizupflichten: Auch mir ist kein Antrag der SPD oder der FDP/DVP bekannt, der die Umstellung des Berechnungsverfahrens auf Sainte-Laguë/Schepers beinhaltet hätte. Die Anträge aus dem Jahr 1989 zielten entweder auf die Umstellung auf Hare/Niemeyer oder auf das Auszählverfahren auf Landesebene. Das war meines Erachtens der Inhalt.

(Abg. Birzele SPD: Das sind entscheidende Punk- te! Das Verfahren Hare/Niemeyer wäre für die FDP/DVP noch günstiger gewesen! – Gegenruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Erstaunlich, wie Sie sich um uns sorgen!)