Protokoll der Sitzung vom 22.02.2006

Frau Kollegin Berroth, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Frau Abg. Rudolf, bitte.

Frau Berroth, ist es richtig, dass erstens Grundlage zur Berechnung des Bruttokostenmodells nur diejenigen Schularten waren, die im Schulgesetz verankert sind, und die Ganztagsschule in Baden-Württemberg nach wie vor eine Modellschule ist, und dass zweitens die Berechnungen zum Bruttokostenmodell 1999 abgeschlossen waren, also zu einem Zeitpunkt,

(Abg. Ursula Lazarus CDU: Nein!)

zu dem die Landesregierung von Baden-Württemberg noch nicht einmal wusste, wie man das Thema Ganztagsschule buchstabiert?

Frau Rudolf, Ihre Rhetorik in Ehren, aber erstens beschließen wir das Gesetz heute; es ist heute definiert. Und zweitens, nach all dem, was wir heute und in den letzten Tagen zum Thema Ganztagsschule gehört haben, wird auch dies – da bin ich sicher

sehr schnell ins Schulgesetz übernommen werden, und damit ist es mit drin.

(Lachen bei der SPD)

Deswegen sage ich Ihnen – und daran werde ich im nächsten Landtag arbeiten, wenn ich die Chance dazu bekomme – ganz deutlich – –

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Also, manchmal ist Schweigen besser!)

Wenn Sie so laut werden, dann sind Sie getroffen. Ich sehe das schon.

Ich sage Ihnen deutlich: Wir gehen heute einen ganz besonders wichtigen Schritt, den wir in dieser Legislaturperiode auch noch gehen müssen, weil es sich eben um eine komplizierte Definition und um eine ausführliche Gesetzesnovelle handelt. Deswegen muss das heute sein, weil nur dann alle diejenigen noch dabei sind, die das Bruttokostenmodell mit entwickelt haben. Diese feste gesetzliche Verankerung ist ein außerordentlich wichtiger Schritt, dessen Vorbereitung viel Zeit gebraucht hat.

Was jetzt noch kommen muss – das steht ja außer Frage und ist auch einheitlich so besprochen –, ist die stufenweise Anpassung auf die 80 %. Das aber – das sage ich Ihnen – ist ein relativ einfacher Schritt.

(Zurufe der Abg. Carla Bregenzer und Braun SPD)

Es würde überhaupt nichts nützen, diese Finanzierung heute zu beschließen, weil das vom nächsten Landtag im Rahmen von Haushaltsvereinbarungen einfach wieder gekippt werden könnte. Das möchte ich aber nicht, sondern ich möchte nach der Wahl solide verhandeln. Das werden die Fraktionen, die das zu verhandeln haben, dann auch angehen. Wenn wir beteiligt sind, weiß ich, worauf wir abzielen werden, nämlich auf eine sehr zügige Anpassung an die 80 %. Das steht so auch in unserem Regierungsprogramm, und nach der Wahl dürfen Sie mich gern darauf ansprechen. Dazu stehe ich.

Wir werden heute auf jeden Fall eine Verankerung im Gesetz vornehmen, damit es nicht so kommt, wie Herr Drexler in der letzten Debatte gesagt hat, dass Sie etwas ausgemacht hätten, wir es aber nicht weitergeführt hätten. Ich habe mich darum gekümmert. Das war ein Koalitionsbeschluss von CDU und SPD und kein Gesetz, und so war da nichts weiterzuführen. Deswegen machen wir heute ein Gesetz, damit es feststeht und nicht so einfach wieder wegfallen kann.

(Lachen bei der SPD – Zuruf des Abg. Schmiedel SPD)

Ich bedanke mich an dieser Stelle noch einmal ganz herzlich bei allen, die an der Entwicklung des Bruttokostenmodells mitgewirkt haben, aber auch generell bei allen, die sich an den Schulen unseres Landes engagieren und dafür sorgen, dass wir bei PISA längst nicht so schlecht dastehen, wie es die Opposition immer behauptet,

(Beifall des Abg. Kleinmann FDP/DVP)

sondern innerhalb von Deutschland zu den Besseren gehören. Das wollen wir weiter verbessern.

Der heutige Gesetzesbeschluss ist ein ganz wichtiger Schritt hin zu mehr Transparenz in der Förderung und für eine positive Entwicklung der Schulen in freier Trägerschaft. Wir wollen eben nicht nur die Anpassung auf 80 %, sondern wir wollen auch, dass die Gründung von Schulen in freier Trägerschaft unterstützt wird und dass bei der Neugründung von Schulen künftig eine bessere Förderung zustande kommt

(Beifall des Abg. Kleinmann FDP/DVP)

und auch die Baukostenzuschüsse angepasst werden.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Richtig!)

Das ist ein wichtiger weiterer Weg.

In welche Schulen die Eltern in Baden-Württemberg ihre Kinder schicken, sollen sie selbst entscheiden. Wir legen heute die Basis dafür, dass sie die Wahl haben.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Das Wort erhält Herr Abg. Kretschmann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Freie Schulen sind für uns ein Teil einer aktiven Bürgergesellschaft, in der sich Bürgerinnen und Bürger der grundlegenden Aufgaben einer Gesellschaft annehmen, indem sie Verantwortung übernehmen, sich engagieren, den Gedanken der Selbstverwaltung voranbringen. Die Menschen, die freie Schulen gegründet haben und betreiben, tun dies unter sehr großen finanziellen Opfern. Ich habe schon in der letzten Sitzung gesagt, dass mir eine Mutter geschrieben hat, dass ihre drei Kinder auf der Waldorfschule sie am Ende 100 000 € kosten werden. Aber diese Menschen bringen noch mehr ein und geben der Schule auch das knappste und wertvollste Gut, das der moderne Mensch besitzt, nämlich Zeit und Engagement.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Richtig!)

Zweitens: Schulen in freier Trägerschaft sind für uns Vorreiter und Motoren der Entwicklung auch des staatlichen Schulsystems. Sie geben uns aus der Reformpädagogik immer wieder wichtige Impulse. Dazu gehören fächerübergreifendes Lernen, praktisches Lernen, integrative Lernformen, wie wir sie etwa in den Waldorfschulen haben, selbstständiges Lernen, neue Formen der Leistungsbewertung, größere Lerneinheiten und Überwindung des 45-MinutenTaktes.

(Zuruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP)

Kurz und gut: Es geht um das, was schon Pestalozzi die Einheit von Kopf, Herz und Hand genannt hat. Das wird dort oft schon seit vielen Jahren und Jahrzehnten praktisch umgesetzt. Sie sind uns aber auch ein Beispiel dafür, was der Begriff Schulgemeinschaft bedeutet – etwas, wozu wir im staatlichen Schulwesen erst noch richtig kommen müssen.

Für dieses große Engagement, das sie erbringen, werden sie von den Koalitionsfraktionen bestraft,

(Abg. Rückert CDU: Was? – Abg. Heiderose Ber- roth FDP/DVP: Sind wir jetzt im falschen Film?)

indem sie verweigert bekommen, was ihnen nach dem Verfassungsgerichtsurteil zusteht, nämlich eine angemessene Entschädigung für die Kosten, die sie haben, damit die Eltern einigermaßen gleichgestellt sind mit denen, die ihre Kinder in staatliche Schulen schicken. Ein 80-%-Modell ist da nicht zu hoch gegriffen.

Unsere Vision wird, wenn wir ausgeglichene Haushalte haben, der Bildungsgutschein sein, wobei Eltern frei entscheiden können, ob sie ihre Kinder auf freie Schulen schicken oder auf staatliche, und erstere im Wesentlichen nicht mehr kosten. Eigentlich gibt es nämlich keinen Grund dafür, dass Eltern, die ihre Kinder auf freie Schulen schicken, dafür auch noch erheblich mehr bezahlen müssen, obwohl sie genauso viel Steuern bezahlen müssen wie alle anderen auch.

Deswegen, Frau Kollegin Lazarus, sollten Sie sich schon noch einmal überlegen, was Sie hier gesagt haben. Sie nehmen die Tatsache, dass dort hohe finanzielle Vorleistungen erbracht werden, im Prinzip als Argument dafür, dass es offensichtlich auch ohne staatliche Gerechtigkeit geht.

(Abg. Ursula Lazarus CDU: Das habe ich nicht ge- sagt!)

Das ist schon nahe am Zynismus. Man muss sehen: Es gibt heute an den freien Schulen nicht nur Unverständnis darüber, dass Sie sich weigern, endlich in die Finanzierung einzusteigen, sondern es herrscht schon fast eine gewisse Verbitterung darüber,

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Das Viertel- jahr werden sie ja vielleicht auch noch Zeit haben!)

dass an den Lehrergehältern immer weiter gespart werden muss und dass von den Eltern immer höhere Beiträge verlangt werden müssen, damit die Schulen überhaupt unterhalten werden können. So weit ist es heute. Angesichts des Konkurrenzdrucks, der bereits heute bei der Werbung um Lehrkräfte besteht, werden die freien Schulen Schwierigkeiten haben, in Zukunft überhaupt noch Lehrer zu bekommen – bei Gehältern, die ohnehin schon wesentlich unter denen von Lehrern an staatlichen Schulen liegen.

Also hätten diese Schulen das Anrecht darauf, dass Sie endlich in eine bessere Finanzierung einsteigen und das Bruttokostenmodell auch umsetzen. Sie weigern sich grundsätzlich, das zu tun.

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Wir weigern uns heute! Weil in vier Wochen Wahl ist, Herr Kollege!)

Sie weigern sich grundsätzlich. Im Vorblatt zu Ihrem Gesetzentwurf haben Sie unter „D. Kosten für die öffentlichen Haushalte“ geschrieben:

Unmittelbare Kosten entstehen durch die Einfügung des Bruttokostenmodells sowie die Änderung des Landesbesoldungsgesetzes nicht;

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Stimmt ja auch! – Abg. Ursula Lazarus CDU: Unmittelbar nicht!)

eine Anhebung der Zuschüsse ist mit dem Gesetzentwurf ebenfalls nicht unmittelbar verbunden.

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Das stimmt doch! Das ist Schritt 1, und Schritt 2 muss kom- men!)

Eine mögliche Erhöhung der Zuschüsse auf dieser Grundlage bleibt dem Landtag vorbehalten.