Protokoll der Sitzung vom 25.10.2001

Die Landesregierung wird ihren Kurs in der Drogenpolitik mit den Elementen Prävention, Therapie (ein- schließlich Überlebenshilfe) und Repression konsequent fortsetzen.

(Abg. Dr. Glück FDP/DVP: Richtig!)

Nun kann „konsequent fortsetzen“ heißen: „Augen zu und durch! Was interessiert mich, wie zielgenau die bestehenden Angebote sind, wie sie überhaupt angenommen werden – Hauptsache, die ideologische Ausrichtung stimmt.“ Oder: „Konsequent fortsetzen“ kann auch heißen, die bestehenden Angebote weiterzuentwickeln und das Suchtkrankenhilfesystem um neue Angebote und Maßnahmen zu ergänzen, und zwar vor allem im Bereich der Überlebenshilfen, wo das bisherige Hilfesystem nicht ausreicht.

Im Jahr 2000 sind in Baden-Württemberg 287 Drogentote zu beklagen gewesen. Auch wenn das nur ca. 5 % der Abhängigen entspricht und die meisten Abhängigen oder die meisten Drogentoten nach wie vor im Bereich der legalen Süchte, vor allem im Bereich des Alkohols, zu beklagen sind, ist dies kein Argument, für diese Gruppe nichts zu tun. Denn jeder Drogentote ist ein Drogentoter zu viel.

Viele Wege führen in die Sucht, und so müssen auch viele Wege aus der Sucht führen.

Ich verstehe die Suchtkrankenhilfe als ein Baukastensystem, das für die verschiedenen Gruppen verschiedene Möglichkeiten anbietet – so auch für die Gruppe der Langzeitabhängigen, die alle Therapiewege schon durchlaufen haben und immer wieder rückfällig geworden sind. Um diese Personen letztlich vor dem Tod zu bewahren, brauchen wir für diese Gruppe auch niedrigschwellige Angebote.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen)

Angekündigt war in der Koalitionsvereinbarung ebenfalls die Prüfung, inwieweit und unter welchen Voraussetzungen eine stationäre Vergabe von Heroin an Schwerstabhängige, bei denen wiederholte Therapien zur Entziehung erfolglos geblieben sind, als qualifizierte Ausstiegshilfe ermöglicht werden kann. Auf diese Ergebnisse, auf die wir immer noch warten, bin ich gespannt.

Der Städtetag hat sich Anfang Mai zu Wort gemeldet und die Formulierungen in der Koalitionsvereinbarung ebenfalls als nicht weitgehend genug bezeichnet. Der Städtetag will die Möglichkeit einer Abgabe von Heroin und einer Einrichtung von Drogenkonsumräumen. Er hat Minister Repnik einen Modellversuch in zwei oder drei Städten vorgeschlagen – gedacht war an Mannheim oder Lörrach –, wo die Einrichtung und der Betrieb von Drogenkonsumräumen nach den Vorgaben des Betäubungsmittelgesetzes und unter Berücksichtigung der gewachsenen kommunalen Suchthilfekonzepte zeitlich befristet erprobt werden sollten.

In einem offenen Brief hat der Oberbürgermeister von Mannheim diesen Vorschlag ausdrücklich unterstützt. Mi

nister Goll von der FDP/DVP – da kommt er gerade –, an den der Brief auch gerichtet war, hat am 10. Mai gegenüber der Presse verkündet, er spreche sich für eine medizinisch kontrollierte Abgabe von Heroin an Schwerstabhängige aus. Er mache sich für einen Modellversuch stark, mit dem die neue Drogenpolitik auf der Grundlage der Koalitionsvereinbarung mit der CDU erprobt werden solle.

Sein Ministerkollege Döring, der ebenfalls der FDP/DVP angehört, hat in einem SWR-1-Spezial im Juni in seiner ihm eigenen Art verkündet: „Ich glaube, dass wir im Jahr 2001 Fixerstuben haben werden.“

Das ist, finde ich, ein Grund, nachzufragen: Wie sieht denn die neue Drogenpolitik aus? Gibt es eine neue Drogenpolitik? Wenn ja, würde uns interessieren, wie und vor allem wann sie umgesetzt werden soll.

Wir halten den Einstieg in Überlebenshilfen für dringend notwendig. Nach Aussage des Statistischen Landesamts hat Baden-Württemberg die höchste Sterberate durch Drogen unter den Flächenstaaten in Deutschland. Während die Drogensterblichkeit Mitte der Neunzigerjahre im Bundesdurchschnitt rückläufig war, musste Baden-Württemberg einen deutlichen Anstieg verzeichnen. Im Jahre 2000 gab es 287 Drogentote. Das ist von 1997 bis 2000 eine Zunahme um 26 %. Das ist überproportional; das ist die höchste Zuwachsrate in einem Flächenstaat in Deutschland.

Als die Landesregierung zu unserem Antrag Stellung genommen hat, lag die vom Sozialministerium in Auftrag gegebene IFT-Studie, die eine Analyse der Drogentodesfälle in Baden-Württemberg zum Auftrag hatte, noch nicht vor. Inzwischen liegt diese Studie vor. In ihr wird festgestellt, dass die hohe Zahl der Drogentoten Anlass geben muss, über Veränderungen hinsichtlich Interventions- und Präventionsstrategien zur Verhinderung zukünftiger Drogentodesfälle nachzudenken. Dabei wird explizit auch auf die Einrichtung von Drogenkonsumräumen verwiesen. Das heißt, wenn man die Ergebnisse dieser Studie ernst nimmt und das nicht nur „weiter so wie gehabt“ bedeuten soll, müsste daraus eigentlich folgen, dass man tatsächlich in die Überlebenshilfe für Schwerstabhängige einsteigen muss. Deshalb fordern wir in unserem Antrag auch, dass Sie die Konsequenzen aus der von Ihnen in Auftrag gegebenen Studie tragen und mit uns gemeinsam, wie es die kommunalen Landesverbände auch fordern, einen Modellversuch für eine kontrollierte Heroinabgabe und einen Modellversuch für Drogenkonsumräume als einen weiteren Baustein für eine humane Drogenpolitik zulassen sollen.

(Beifall bei den Grünen und der Abg. Ursula Haußmann SPD)

Das Wort erhält Frau Abg. Haußmann.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Dies ist die erste suchtpolitische Debatte in dieser Legislaturperiode. Wir sollten uns deshalb auch einmal vor Augen halten, auf welcher Grundlage wir diskutieren.

In Baden-Württemberg leben schätzungsweise 250 000 alkoholkranke und rund 150 000 medikamentenabhängige Menschen. Rund 20 000 Personen sind in Baden-Württem

berg von illegalen Drogen abhängig. Frau Lösch ist auf die Sterblichkeitsrate in diesem Bereich schon eingegangen. Ende der Neunzigerjahre war die Sterblichkeit, die durch Drogenkonsum verursacht wird, in Baden-Württemberg um nahezu zwei Drittel höher als im übrigen Bundesgebiet.

Wir haben also allen Grund, heute über das Thema „Überlebenshilfen für suchtkranke Menschen“ zu diskutieren. Das ist aber nur ein Ausschnitt des vielfältigen Gesamtthemas Suchtpolitik. Es ist jedoch, weil es um die Verhinderung von Tod und Leid für suchtkranke Menschen geht, ein sehr wichtiger Ausschnitt.

Seit Jahren diskutieren wir im Land über die Einrichtung von Drogenkonsumräumen und über die ärztlich kontrollierte Abgabe von Heroin an eine eng umgrenzte Gruppe von Schwerstabhängigen. Was ist jedoch in den letzten fünf Jahren der Regierung von CDU und FDP/DVP geschehen?

(Abg. Dr. Glück FDP/DVP: Viel!)

Nicht sehr viel, denn die erforderliche Weiterentwicklung bei der Suchtkrankenhilfe ist ausgeblieben. Die Suchtpolitik der Landesregierung war durch Selbstblockaden gekennzeichnet. In der Regierungskoalition lieferten sich ideologische Hardliner und die Befürworter einer humaneren Suchtpolitik ideologische Scheingefechte auf dem Rücken der suchtkranken Menschen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Die Folge war ein jahrelanger lähmender Stillstand. Eigentlich müsste in dieser Legislaturperiode dieser lähmende Stillstand im Interesse der betroffenen Menschen so rasch wie möglich überwunden werden.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Die ablehnende Stellungnahme der Landesregierung zu unserem Vorstoß, die für die Einrichtung von Drogenkonsumräumen erforderliche Rechtsverordnung endlich – endlich! – zu erlassen, macht aber deutlich, dass die ideologische Selbstblockade der Regierung von CDU und FDP/ DVP

(Abg. Fleischer CDU: Die Ideologie ist bei Ihnen, Frau Kollegin!)

auch in dieser Wahlperiode fortgesetzt wird. Ich stelle fest: Auch die FDP/DVP-Minister im Kabinett tragen diese Blockadehaltung des Sozialministers sehr bewusst mit.

(Zuruf des Abg. Dr. Glück FDP/DVP)

Besonders mitleiderregend agiert bei diesem Thema die FDP/DVP-Fraktion. Früher hatten die Kollegen Noll und Glück zu ihrem gemeinsamen Glück noch die Republikaner im Landtag. Sie konnten ihr regelmäßiges Einknicken bei den entsprechenden Landtagsabstimmungen immer damit rechtfertigen, dass es sowieso keine Mehrheit für eine neue Suchtpolitik geben würde, weil die CDU dies zusammen mit den Republikanern verhindern würde.

Nun ist auch diese Rechtfertigung beim Teufel, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP/DVP-Fraktion. Es gibt in diesem Landtag eine Mehrheit für eine andere Suchtpolitik.

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Abg. Dr. Glück FDP/DVP: Glauben Sie das im Ernst?)

Die Wählerinnen und Wähler haben am 25. März dafür gesorgt. Es ist nun an Ihnen, dieser neuen Mehrheit Geltung zu verschaffen. Die Zeit der Ausreden und die Zeit des Vertröstens ist vorbei.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Das ist wie in Berlin bei euch!)

Wenn Sie heute unseren Antrag ablehnen, haben Sie dafür keine Ausrede mehr. Sie müssen heute klarstellen, ob Sie für eine humane Suchtpolitik stehen oder ob Sie abermals vor der CDU zu Kreuze kriechen.

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Abg. Flei- scher CDU: Was Sie machen, ist inhuman, Frau Kollegin!)

Ich bin wirklich gespannt, mit welcher argumentativen Pirouette die FDP/DVP diesmal ihr Einknicken rechtfertigen will.

(Abg. Dr. Glück FDP/DVP: Sind Sie wirklich ge- spannt?)

Meine Damen und Herren, was steht denn zu diesem Thema im Koalitionsvertrag? Nur ein paar lächerliche Ladenhüter. Ein alter Hut wird als neuer Kompromiss verkauft. Die FDP/DVP hat sich weder bei der Möglichkeit zur Einrichtung von Drogenkonsumräumen noch bei der Beteiligung des Landes an Modellversuchen zur ambulanten Heroinvergabe durchsetzen können.

(Abg. Alfred Haas CDU: Wieso denn Modellver- suche?)

Die so genannte Alternative der stationären Heroinvergabe – Herr Haas, passen Sie auf, da können Sie noch etwas lernen –,

(Abg. Alfred Haas CDU: Von wegen! Haben Sie eine Ahnung!)

die Sie in der Antwort auf den Antrag der Grünen ins Spiel bringen, ist nichts als ein fadenscheiniges Ablenkungsmanöver, denn bereits im letzten Jahr hat die Landesregierung einräumen müssen, dass sich trotz wiederholter Ankündigung ihres Sozialministers keine stationäre Einrichtung zur Durchführung eines Modellversuchs zur stationären Vergabe von Heroin an Süchtige bereit gefunden hat.

(Abg. Alfred Haas CDU: Wir brauchen doch kein Modell mehr! – Abg. Hillebrand CDU: Die Model- le sind in der Schweiz gescheitert!)

Deshalb sind die entsprechenden Vereinbarungen im Koalitionsvertrag und in Ihrer Antwort auf den Antrag bereits jetzt gegenstandsloses Geschwätz.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Die Experten haben ein eindeutiges Urteil gefällt. Dieses Konzept ist fachlich ungeeignet und kein Ersatz für die in der Fachwelt mittlerweile unumstrittene ambulante Heroinvergabe.

(Abg. Alfred Haas CDU: Unumstritten? Jetzt geht es aber los!)

Überlebenshilfen für langjährig schwerstabhängige drogenkranke Menschen, für die andere Hilfe nicht oder zumindest nicht sofort möglich ist, sind ein unverzichtbarer Baustein der Suchtpolitik, den die Landesregierung aus ideologischen Gründen blockiert.

Lassen Sie mich noch etwas zu den Haushaltsmitteln für die Suchtpolitik sagen. Wir haben im Land einen Bedarf an 40 zusätzlichen Fachkräften in den Suchtberatungsstellen. Der erforderliche Ausbau scheitert mangels entsprechender Haushaltsmittel. Im Gegenteil: Die Landesförderung der Beratungsstellen ist seit Jahren eingefroren. Angesichts steigender Personalkosten öffnet sich die Schere zwischen den tatsächlichen Personalkosten und der Landesförderung immer weiter. Dies führt dazu, dass viele Dienste in ihrem Bestand gefährdet sind. Dieser Entwicklung muss aus Sicht der SPD-Fraktion Einhalt geboten werden.