Protokoll der Sitzung vom 15.11.2001

Denn wir haben hier Großforschungseinrichtungen, die nur in vorgegebenen Themenfeldern arbeiten und die mit einem immensen Verwaltungsaufwand eine Forschung betreiben, deren wissenschaftlicher Nutzen, verglichen mit kleinen und innovativen Lösungsansätzen von europaübergreifenden Gruppen, nicht mithalten kann, die aber jede Menge Geld binden und nach dem Vorschlag für das 6. EU-Forschungsrahmenprogramm jeweils mit mehreren Millionen Euro ausgestattet werden.

Wir schlagen vor, eine Förderung von Verbünden in Angriff zu nehmen und die Begutachtung dieser Verbünde einzig und allein an der wissenschaftlichen Überzeugungskraft auszurichten.

Wir müssen uns über Folgendes im Klaren sein: Wir haben in der Forschungsförderung das große Problem, dass die Regierungen bzw. die Institutionen einen immer engeren Rahmen vorgeben, während es in der Forschung unbedingt notwendig ist, dass man innovative eigene Ideen verfolgen kann. Das heißt, die Vorgaben, die vonseiten der Institutionen kommen, sollten in Teilen zurückgenommen werden. Um ein praktisches Beispiel zu nennen: Bei einer freieren Forschung wären wir im Bereich der Grundlagenforschung, was BSE angeht, nicht auf dem Stand, auf dem wir im Moment sind. Denn eines der großen Probleme besteht darin, dass wir nur Forschungsbereiche fördern, die die Politik schon ins Auge gefasst hat. Das heißt, alles, was außerhalb dessen liegt oder liegen könnte, wird von uns nicht wahrgenommen und daher auch nicht gefördert. Aus diesem Grund muss da eine Umschichtung stattfinden.

Im Memorandum listet die Landesregierung auf, dass sie eine Forschungsförderung in der Größenordnung von 20 Milliarden Euro für wünschenswert hält. Gestern hat das Europäische Parlament 16,270 Milliarden Euro bereit

gestellt. In den Unterlagen des Europäischen Parlaments steht, dass die Beitrittskandidaten Berücksichtigung finden sollen, und wir haben das Problem, dass die Mittelzuwächse hauptsächlich in die Administration fließen, während einzelne Forschungsbereiche komplett hinten herunterfallen.

Ich möchte mich diesem Gemeinschaftsappell mit einem alten afrikanischen Sprichwort anschließen, das besagt: Man kann nur mit den Ochsen pflügen, die man hat. Das bedeutet, wenn die Landesregierung bereit ist, mit uns zusammenzuarbeiten, sind wir selbstverständlich gerne auch bereit, mit der Landesregierung gemeinsame Wege zu gehen.

Gerade was die innovative Förderung von neuen Forschungsverbünden angeht: Wir sind – das fand ich an dem Memorandum etwas enttäuschend – ja angeblich hoch besetzt. Wir haben einen Wissenschaftsminister, der von der Universität Mannheim kommt, und wir haben hier den Landesapfelverteiler, Herrn Staatsrat Dr. Beyreuther, der selbst Direktor einer großen Forschungseinrichtung ist. Aus diesem Grund hätte ich mir in diesem Memorandum schon etwas mehr wissenschaftlich, fachlich fundierten Input gewünscht.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen – Zuruf des Abg. Heinz CDU)

Das Wort erhält Herr Minister Dr. Palmer.

(Abg. Bebber SPD: Jetzt wird gepflügt!)

Jetzt wird tief gepflügt! – Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, die Debatte hier war sehr konsensual orientiert. Das liegt am Thema, denn dies ist bei europapolitischen Sachverhalten eigentlich eine gute Tradition hier im Haus. Es gab einen Schlenker von Herrn Maurer – den möchte ich aber nicht überbewerten.

(Lachen der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)

Lieber Herr Maurer, in einem Papier von 200 Seiten werden Sie immer eine Stelle finden, über die man streiten kann.

(Abg. Fischer SPD: Aber es zeigt, dass er es gele- sen hat!)

Das ist ja erfreulich. Was von der Landesregierung kommt, verdient auch, gelesen zu werden. Insofern bin ich voll zufrieden, dass Herr Kollege Maurer es durchgeschaut hat.

Selbst in einem zweiseitigen Papier, verehrter Herr Kollege Maurer, nämlich in Ihren relativ dünnen Thesen zur Europapolitik der SPD-Landtagsfraktion vom August, findet man manche Stelle, über die man stolpern kann. Ich will einmal zitieren:

Das Verhältnis zwischen Bund und Ländern muss deshalb geklärt werden durch eine klare Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen Bund, Ländern und Kommunen.

(Minister Dr. Christoph Palmer)

Das ist also auch eine bedeutende Aussage in diesem zweiseitigen Papier vom 3. August 2001.

(Abg. Maurer SPD: Das hat man davon, wenn man von euch etwas übernimmt!)

Ich würde sagen, wir sollten uns hier nicht gegenseitig mit solchen Scharmützeln aufhalten, sondern wir sollten uns auf das Wesentliche konzentrieren, wie es auch in der Debatte zum Ausdruck gekommen ist.

Ein ganz wesentlicher Punkt – das will ich dick unterstreichen – liegt darin, meine sehr verehrten Damen und Herren, dass wir als deutsche Länder in Europa und gegenüber der Bundesregierung nur dann etwas erreichen, wenn wir an einem Strang ziehen. Ich greife das Bild vom Ochsen, der pflügt, gerne auf. Die deutschen Europaminister sind natürlich zum Konsens verurteilt. Sie müssen von der Bundesregierung gehört werden, sie müssen in Europa gehört werden. Anders bringen wir überhaupt nichts voran. Deshalb ist es auch der Geist der Europaministerkonferenz, dass wir uns um Abstimmung und Einvernehmen in den zentralen Fragen bemühen. Dazu brauchen Sie uns nicht aufzufordern, Herr Maurer. Ich nehme in den allermeisten Punkten, für die ich Berichterstatter bin, diese Aufgabe gemeinsam mit der sozialdemokratischen Kollegin Hannelore Kraft aus Nordrhein-Westfalen wahr.

Wir haben eher ein anderes Problem; auch das will ich hier in aller Deutlichkeit ansprechen. Es ist das Problem, dass wir namentlich vom Kanzleramt den Eindruck haben, dass die Länderpositionen im aktuellen Bereich der Europapolitik nicht so wahrgenommen und aufgenommen werden, wie dies beispielsweise im Auswärtigen Amt geschieht. Das scheint mir übrigens der übereinstimmende Eindruck der deutschen Bundesländer zu sein.

Damit Sie dazu einmal ein konkretes Beispiel hören, will ich Ihnen einen aktuellen Fall schildern: Die Europaminister haben sich in völliger Übereinstimmung geeinigt, dass wir bei der Ausführung der auch von Herrn Kollegen Salomon genannten vier Aufgaben von Nizza, bei der Kompetenzabgrenzung zwischen Union und Mitgliedsstaaten entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip, versuchen müssen, diese Diskussion jetzt in die Charta, in den europäischen Verfassungsprozess einzubringen. Das ist die einstimmige Position der Europaminister. Diese Orientierung ist von den deutschen Ministerpräsidenten bei ihrer letzten Konferenz in Saarbrücken einstimmig übernommen worden.

Was geschieht? Das Bundeskanzleramt, das in diesen Tagen vom sozialdemokratischen Bürgermeister Scherf von Bremen kritisiert und daran erinnert wird, was in der Ministerpräsidentenkonferenz Konsens war, zieht das zurück und sagt: Es geht bei dieser Kompetenzabgrenzung in Europa gar nicht um die Frage einer Neuabgrenzung im Primärrecht, sondern wir müssen lediglich vielleicht die Verfahren in Europa ein bisschen neu justieren. Wir müssen gar nicht zu einer durchgreifenden Kompetenzneuordnung kommen.

(Abg. Dr. Reinhart CDU: Unglaublich!)

Das ist das Problem, das wir in der europäischen Auseinandersetzung haben, nicht ein Länderproblem untereinander,

sondern dass wir den Bundeskanzler, das Bundeskanzleramt, seine Mitarbeiter gelegentlich daran erinnern müssen, dass er aus der Landespolitik hervorgegangen ist und die deutschen Länderinteressen in Europa berücksichtigen muss, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Theurer FDP/ DVP – Abg. Dr. Reinhart CDU: So ist es! Vergiss nie die Heimat!)

Kollege Reinhart hat das zentrale Thema angesprochen: Die Jahre bis 2006 werden von extrem hohem europäischem Entscheidungsdruck gekennzeichnet sein, weil wir drei Themen gleichzeitig angehen müssen: die Osterweiterung, den Verfassungsprozess – in diesen Punkten sehe ich weitgehend Konsens – und die Reform der wichtigsten EUPolitiken. Ich will in diesem Zusammenhang nur daran erinnern, dass wir ab 2005 zu einer Neuordnung der Landwirtschaftspolitik kommen müssen. Dieser Auftrag ist vom Berliner Ratstreffen vorhanden und wird ebenfalls noch in diesen Prozess hineinkommen.

Für Baden-Württemberg besteht ein genuines Interesse daran, bei diesen Entwicklungen mitwirken zu können und nicht aus Brüsseler oder Berliner Perspektive in eine Randlage gedrängt zu werden. Ich sehe diesbezüglich übrigens auch Landtag und Landesregierung in einer völligen Partnerschaft.

Ich will Ihnen sagen, weil das auch in der Debatte angesprochen worden ist, dass die Landesregierung die Interessen der Landtage in der Frage der Beteiligungsrechte treuhänderisch vertritt, dass wir aber auch da zurzeit Widerstände erfahren. Wir schreiben einen Brief, dass die Konferenz der Landtagspräsidenten an der Konferenz der Vorsitzenden der nationalen Europaausschüsse beteiligt werden soll. Von wem kommen die größten Widerstände? Vom sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Kurt Beck aus Rheinland-Pfalz, der in einem Brief an den Vorsitzenden der Landtagspräsidentenkonferenz frank und frei mitteilt: Kein Interesse an einer Beteiligung der Landtage. Wir müssen das nicht an die große Glocke hängen, weil wir ja etwas erreichen wollen. Ich hoffe, dass wir diese Position noch verändern können. Aber mit der Landesregierung von Baden-Württemberg werden Sie hinsichtlich einer besseren Beteiligung der Landesparlamente im europäischen Entscheidungsprozess keine Probleme haben, sondern wir werden das unterstützen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Sie müssen das allerdings bei Ihren Leuten dann auch durchsetzen.

(Abg. Dr. Reinhart CDU zur SPD: Da könnt ihr klatschen! Das habt ihr gerade gefordert!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, gestatten Sie mir, dass ich einen Punkt auch in der Abgrenzung zu den Kollegen Salomon und Maurer noch etwas hervorhebe. Das ist der Punkt der europäischen Außenpolitik.

Ich habe nicht den Eindruck, Herr Kollege Salomon, dass im Feld der europäischen Außenpolitik die Bundesregierung derzeit besonders erfolgreich, besonders markant vor

(Minister Dr. Christoph Palmer)

geht. Der deutsch-französische Motor stottert, es ist keine Fortentwicklung im deutsch-französischen Verhältnis zu verzeichnen. Wir haben in den vergangenen Tagen eine geradezu peinliche Situation gehabt, als Schröder mit Blair und Jospin in London Außenpolitik neben der Europäischen Union gemacht hat. Eilig hat sich Berlusconi hineingedrängt und wurde aufgenommen. Dann kam der Spanier Aznar und hat auch noch an der Konferenz teilgenommen.

Es gibt drittens eine unwürdige Debatte zwischen Nationalstaaten, auch zwischen der deutschen Bundesregierung und der Kommission um die Frage der Kompetenzen und der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik GASP. Die Autorität von Prodi ist unterhöhlt und wird nicht zuletzt von den nationalen Regierungen infrage gestellt. Gerade in diesem Themenfeld der Außen- und Sicherheitspolitik, bei dem wir mehr Gemeinsamkeit, mehr Handlungsfähigkeit bräuchten, haben wir eine unbefriedigende Situation. Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine der wichtigsten Aufgaben ist, dass wir versuchen, die verteilten außen- und sicherheitspolitischen Zuständigkeiten im Reformprozess der Europäischen Union zu bündeln.

Ich will Ihnen in diesem Zusammenhang die drei Themenfelder, bei denen Handlungsbedarf besteht, gerne nennen. Wir haben einen EU-Außenkommissar Chris Patten. Wir haben aber nebenher für die Nationalstaaten einen hohen Repräsentanten für Außen- und Sicherheitspolitik, Javier Solana, der das gut macht. Wir haben eine Menge von außenpolitischen Sonderkoordinatoren, nicht zuletzt Bodo Hombach, der jetzt geht und einen Nachfolger bekommen soll. Wir haben kein stimmiges Gesamtgefüge, wer innerhalb der Europäischen Union zu außen- und sicherheitspolitischen Fragen spricht. Da besteht Handlungsbedarf! Da bedürfte es der klärenden Stimme von Frankreich und der Bundesrepublik Deutschland, um etwas voranzubringen, so wie in der Regierungszeit Kohl/Mitterand, in der Regierungszeit Schmidt/Giscard d’Estaing etwas vorangegangen ist, weil die deutsch-französische Achse gestimmt hat. Das leidet im Augenblick. Da besteht Nachholbedarf, meine sehr verehrten Damen und Herren. Ich kann Sie nur einladen, sich an dieser Diskussion zu beteiligen und zu einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik zu kommen. Wir brauchen sie nämlich.

(Beifall bei der CDU)

Zum Land: Wir wollen im Land gezielt alle europäischen Materien und Themenfelder ausbauen. Wir wollen die Europafähigkeit des Landes in allen Ministerien, in allen Fachverwaltungen verbessern. Wir wollen insbesondere zu einem besseren Management der Personalressourcen kommen.

Ich will hier in der Debatte auch einige Neuerungen noch einmal vorstellen. Wir haben jetzt eine eigene Arbeitseinheit, ein eigenes Referat im Staatsministerium eingerichtet, das sich mit dem Ziel der europäischen Personalentwicklung, vor allem von Führungsnachwuchskräften, befasst. Wir haben bei der Entsendung von Personal das große Problem, dass zu wenige Deutsche, zu wenige Baden-Württemberger bereit sind, in die Kommission hineinzugehen. Franzosen und Engländer machen uns vor, wie man eine effiziente europäische Personalpolitik wahrnimmt. Deshalb

haben wir einen dynamischen Europapool geschaffen, wo zurzeit 120 Beamte aus allen Fachverwaltungen geschult und gezielt auf ihre europäische Verwendung vorbereitet werden. Sie werden dann allerdings auch gefördert, wenn sie aus der europäischen Verwendung zurückkommen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es muss für einen Beamten ein Vorteil sein und darf ihm nicht zum Nachteil gereichen, wenn er eine bestimmte Zeit in europäischen Institutionen tätig gewesen ist und dann zurückkehrt. Bisher ist es aber beförderungs- und weiterkommenshemmend. An dieser Stelle etwa müssen wir die Europafähigkeit des Landes und der Landesverwaltung verbessern.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Wir haben die Vertretung in Brüssel in das Organisationsgefüge des Staatsministeriums eingebaut. Ich bin sehr froh darüber, dass in absehbarer Zeit alle Ministerien Beobachter in Brüssel haben werden. Das Innenministerium und das Sozialministerium ziehen in diesen Tagen ebenfalls Beobachter nach Brüssel nach. Wir werden die Präsenz des Hauses in Brüssel sicherlich moderat ausbauen müssen. Wir suchen auch nach einer neueren zentralen Unterbringungsmöglichkeit, um die Interessen besser zu vertreten, und zwar ganz einfach deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, weil wir alle Instrumentarien wahrnehmen müssen, um effiziente Europapolitik zu machen – in den nationalstaatlichen Gremien genauso wie in den bilateralen Beziehungen und den multilateralen Kontakten in Brüssel.

Wir müssen aber auch in den europäischen Institutionen der Regionen präsent sein. Der Ministerpräsident ist heute im Ausschuss der Regionen und vertritt dort das Memorandum zur Forschungspolitik, über das heute bei diesem Tagesordnungspunkt auch zu sprechen ist. Ich kann hier übrigens mitteilen, dass der Ausschuss der Regionen unsere baden-württembergischen Anträge zur Forschungspolitik und zur Technologiepolitik heute Morgen angenommen hat. Wir sind in diesem Themenfeld federführend in der europäischen Diskussion, so, wie Frau Stolz es gesagt hat.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Wir müssen in der Vereinigung der Regionen Europas mitarbeiten, und wir müssen natürlich auch, meine sehr verehrten Damen und Herren, länderübergreifend und grenzüberschreitend im Nahbereich zusammenarbeiten. Ich finde, dass dies das Staatsministerium gar nicht monopolisieren muss, sondern da leisten die Regierungspräsidien, der Oberrheinrat, die Oberrheinkonferenz und die grenzüberschreitenden Institutionen der Zusammenarbeit eine vorzügliche Arbeit.