Aber diese Kraft wird auch notwendig sein; denn das Umsetzen wird nicht einfach werden. Der Eindruck, dass es sich hier um die Quadratur des Verkehrskreisels handelt, entsteht schon beim Lesen. Wenn Ziele wie nachfrageorientiertes Verkehrsangebot und ökologische Nachhaltigkeit gleichermaßen erreicht werden sollen, sehe ich bei den derzeitigen Verbraucherwünschen und bevorzugten Lebensweisen starke Gegensätze. Das Auto ist eben nach wie vor das Symbol der Freiheit, und Mobilität gehört gerade bei der Jugend zum Lifestyle.
Dies zeigt aber auch, dass die im Verkehrssektor anstehenden Probleme nicht nur durch Maßnahmen in diesem Bereich gelöst werden können. Unter diesem Aspekt müssen zum Beispiel auch die Landwirtschaftssubventionen ebenso analysiert werden wie zu differenzierte Steuer- und Abgabesituationen. Beide induzieren Verkehr in weit größerem Maße als der Bau besserer Straßen, und die Formulierung von 1993 gilt eben immer noch: Verkehrsstaus kosten nicht nur Nerven, sondern auch Produktivität.
Deshalb kommt der an vielen Stellen im Weißbuch angestrebten Harmonisierung eine besondere Bedeutung zu. Allen, die hier mitwirken, gilt unser herzlicher Erfolgswunsch, insbesondere für die Einführung einer möglichst weltweiten Kerosinsteuer. Ich möchte noch einmal dazu auffordern, sofort mit dem Verhandeln zu beginnen, damit wir endlich zu einer Lösung kommen. Ein nationaler Alleingang gibt wirklich keinen Sinn; Herr Göschel hat das auch schon angeführt.
Wir werden auch gerne an Maßnahmen zur Modernisierung der Binnenschifffahrt mitwirken und freuen uns auf den TGV-Est, dessen Weg von Paris nach Budapest über Stuttgart führen soll.
Positiv zu sehen ist auch die Vorbereitung einer neuen Rahmenrichtlinie für die Grundsätze der Tarifierung der Infrastrukturnutzung, wobei sich das Prinzip der Kostenwahrheit durchsetzen muss. Ein Übergang von der heutigen Steuerfinanzierung zur Nutzerfinanzierung ist seit langem unsere FDP-Strategie.
In diesem Zusammenhang möchte ich erwähnen, dass die Bereitschaft zur Praktizierung neuer Finanzierungsformen, wie im Pällmann-Papier vorgeschlagen, wozu im Straßenbereich die Betreibermodelle und die Mautfinanzierung gehören, hier ebenfalls zu beachten ist.
Aus liberaler Sicht fehlt im Weißbuch ein Hinweis auf die Möglichkeit einer stärkeren Privatisierung der öffentlichen Verkehrsinfrastruktur, und es wird zu wenig deutlich, dass planwirtschaftliche Maßnahmen gerade nicht greifen, sondern dass es gilt, nicht nur in Bezug auf Preise, sondern zum Beispiel auch in Bezug auf Service und auf Komfort, der auch etwas kosten darf – das wird von den Konsumenten durchaus geschätzt –, Anreize zu schaffen.
Dies gilt auch bei dem Thema „Wiederbelebung des Schienenverkehrs“, wobei ich anmerken möchte, dass es bei uns glücklicherweise noch nicht um eine Wiederbelebung geht. Der Schienenverkehr liegt nicht in der Agonie; aber wir müssen verhindern, dass es dazu kommt.
Viel zu schwach ist die Formulierung, dass es in den Schienennetzen der EU-Staaten eine schrittweise Marktöffnung geben soll. Diese Ankündigung gab es schon vor 15 Jahren, ohne dass zum Beispiel Frankreich bereit wäre, sein Netz für die DB AG im Schienengüterverkehr zu öffnen. Im Weißbuch fehlt auch ein Hinweis, dass es künftig EUweit einen freien und fairen Wettbewerb zwischen mehreren Eisenbahnunternehmen als Betreibergesellschaften geben kann.
Ich fasse zusammen: Es ist wichtig, dass die europäischen Ziele und Maßnahmen im Verkehrsbereich einheitlicher justiert werden. Auch wenn ich bezweifle, dass es gelingen kann, das verkehrspolitische Eier legende Wollmilchschwein zu schaffen, muss doch festgestellt werden, dass das Weißbuch viel Gutes enthält. Deshalb gilt es vor allem, schnell mit der Umsetzung anzufangen. Wir hoffen, dass viele den Mut haben, endlich auch dicke Bretter zu bohren. Hierzu wünschen wir „good luck!“
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich stelle fest: Auf die Kollegen und die Kollegin ist Verlass; sie haben mir die Inhaltsangabe abgenommen. Ich kann gleich zu Vergnüglicherem übergehen. Über ein 120-Seiten-Werk in diesem Auditorium zu referieren, ist ja nicht vergnüglich.
Schade, dass der Herr Wirtschaftsminister gerade nicht unter uns weilt. Ich habe einen so schönen Zeitungsausschnitt für ihn herausgesucht. Unter der Überschrift „Dörings Afrikareise geplatzt“ lese ich in der „Stuttgarter Zeitung“:
Wirtschaftsminister Walter Döring (FDP/DVP) hat schon zu manchem Höhenflug angesetzt. Jetzt ist er am Boden geblieben. Der Abflug einer Lufthansa-Maschine hatte sich in Echterdingen wegen einer technischen Panne so lange verzögert, dass Döring den Weiterflug nach Johannesburg verpasst hat.
Interessanterweise findet sich im EU-Weißbuch für Verkehr eine sinnvolle Antwort; Herr Döring hätte es lesen sollen. Dort steht nämlich:
Flug und Zug ergänzen sich. Eine innovative Art, die Intermodalität der Reisenden zu fördern, wurde in Deutschland verwirklicht.
Die Lufthansa hat mit der Deutschen Bahn AG vereinbart, zwischen Stuttgart und Frankfurt Züge als Zuund Abbringer von Flügen ab und nach Frankfurt zu nutzen.
Ich stelle fest: In Brüssel weiß man über die Verkehrsbedingungen besser Bescheid als in Stuttgart, jedenfalls besser als im Wirtschaftsministerium. Man sollte Herrn Döring einmal sagen, was bei uns Sache ist.
Insgesamt kann man feststellen, dass im Weißbuch viele gute Hinweise für unsere Landesregierung zu finden sind, nicht nur für Herrn Döring. Ich nenne, Herr Müller, das Beispiel der Start- und Landegebühren. Die EU fordert alle Mitgliedsstaaten auf, diese endlich deutlich zu erhöhen. Sie sind aber noch nicht einmal in der Lage, die Zuschüsse für den Flughafen zu streichen; jedes Jahr werden 50 Millionen DM an Schuldendiensthilfe ausgezahlt.
Zweites Beispiel: Da fehlt auch Herr Döring. Er ist im letzten Jahr ziemlich oft an Tankstellen vorbeigegangen und hat Benzingutscheine verteilt. Damals war der Spritpreis noch etwas höher als heute. Auch hierzu gibt die EU uns gute Hinweise. Sie sagt:
Die überhasteten Maßnahmen zur Steuerentlastung, die in einigen Mitgliedsstaaten ergriffen wurden, um den Unmut der Verkehrsunternehmer nach dem starken Anstieg der Preise für Dieselkraftstoff im September 2000 zu besänftigen, sind keine langfristigen Lösungen. Es besteht die Gefahr, dass sie die anderen Verkehrsträger benachteiligen, indem der Wettbewerbsvorteil des Straßengüterverkehrs weiter wächst. Diese Maßnahmen könnten eventuell als versteckte Subventionen ausgelegt werden und zu einem späteren Zeitpunkt den Berufsstand destabilisieren, da die Preise im Straßengüterverkehr nicht die realen Kosten widerspiegeln.
Sie haben gegen die Ökosteuer polemisiert, Sie sind ständig gegen eine ökologisch orientierte Verkehrspolitik zu Felde gezogen.
(Beifall bei den Grünen – Abg. Dr. Lasotta CDU: Das geht doch in die Rente rein! Das wird doch gar nicht für Öko verwendet!)
Ach, Sie wissen immer noch nicht, wie die Ökosteuer funktioniert? Das erklären wir Ihnen in einem Zwiegespräch.
Wenn Sie mir dieses Stichwort geben: um 1,2 Prozentpunkte abgesenkt von 20,3 % auf 19,1 %. Sie können noch immer nicht das kleine Einmaleins, Herr Kollege. Das ist weniger.
Ich habe gewusst, dass es hier wieder laut wird. – Jetzt erkläre ich Ihnen noch, dass die Ökosteuer tatsächlich Sinn macht. Denn die EU schreibt ausdrücklich, es sei richtig, die Kosten des Straßenverkehrs zu erhöhen und damit die Kosten der Arbeit – zum Beispiel durch Absenkung der Steuerbelastung auf Arbeit – zu senken. Das können Sie auch in diesem Weißbuch nachlesen, Herr Kollege.
Der Herr Kollege Müller allerdings geht ganz anders vor. Während die Bundesregierung den Forderungen der EU entspricht und als Vorreiter in der EU eine Lkw-Maut einführt, beschäftigt er sich damit, sie wieder zu durchlöchern und so eine Art Schweizer Käse daraus zu machen, indem er immer wieder vorschlägt, man möge doch auf den ersten 50 km oder auf besonders kritischen Abschnitten keine Maut erheben. Gerade das Gegenteil dessen ist notwendig: Wir müssen dafür sorgen, dass sie auf allen Straßen erhoben werden kann wie in der Schweiz, die als Vorbild gilt, und die Mittel – auch das regt die EU an; das haben wir als Grüne durchgesetzt – zu einem Großteil – zur Hälfte – für Schiene und Wasserstraße verwendet werden. Das ist ein echter grüner Erfolg bei der Lkw-Maut. Auch das fordert die EU von uns.
Bei der Schiene sollten Sie auch vorsichtig sein, Herr Kollege. Sie haben es geschafft, die Bahn von 1994 bis 1998 so weit herunterzuwirtschaften, dass sie nicht einmal mehr in der Lage ist, das Geld, das wir ihr jetzt zur Verfügung stellen, zu verbauen. Das ist das Werk Ihrer Bundesregierung. Bei der Schiene sollten Sie also zurückhaltend sein.
Sie haben mir ein gutes Stichwort gegeben, Herr Hillebrand: Sie haben von einem Grünbuch gesprochen. In der Tat, Grünbücher sind Entwürfe, aber hier zeigt sich, dass auch Weißbücher Grünbücher sein können. Dieses Buch ist grüne Politik pur.
Die Zeit schreitet voran; ich fasse mich kurz. Die Wiederbelebung des Schienenverkehrs, die These, dass der Straßenbau die Probleme nicht löst, und drittens die Kostenwahrheit für die Benutzer, das alles wird in diesem Weißbuch konkret durchbuchstabiert. Das ist grüne Politik pur. Wir fühlen uns hiermit in unserer Verkehrspolitik, die wir Ihnen seit 20 Jahren abverlangen wollen, vollständig bestätigt.
(Abg. Dr. Lasotta CDU: Jawohl, sehr gut! – Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Die beste Nachricht des Tages!)
Die beste Nachricht des Tages? – Sie haben irgendwie doch Angst vor Europa. Immer dann, wenn es konkret wird, rufen Sie nach dem Subsidiaritätsprinzip und kritisieren, dass die Ziele zu mutig, zu ehrgeizig seien. Dabei haben Sie gar nicht richtig nachgelesen. Dort werden nur Zie
le zitiert; die Verdoppelung, die hier angesprochen wird, ist gar nicht Ziel der Europäischen Union.