Protokoll der Sitzung vom 15.11.2001

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bestimmungen unseres Ausländerrechts sind zum Teil veraltet. Sie passen nicht mehr in die Zeit. Das gilt besonders für den Punkt, dass wir heute keine Möglichkeit haben, im Einzelfall zu sagen: „Dich wollen wir.“ Man darf ruhig auch noch dazusagen: „Dich wollen wir, weil wir dich brauchen können.“ Daran ist nichts Schlechtes. Eine solche Möglichkeit haben wir im bestehenden Recht nicht. Man hat sich diese Möglichkeit bisher offenbar aus dem Grund nicht geleistet, weil man Angst hatte, Angst vor nicht erwünschtem Zuzug. Ich darf auch das etwas deutlicher ausdrücken: Angst davor, dass die Falschen kommen. Ich sage auch dazu: Dies zu verhindern ist nur unvollkommen gelungen. Das wird gar niemand bestreiten. Aber, meine Damen und Herren, der Schluss kann nicht sein, dass man sich auf Dauer ein Instrument der kontrollierten, der gesteuerten, der begrenzten Zuwanderung selbst versagt.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der Grünen – Abg. Dr. Salomon GRÜNE: Sehr rich- tig!)

Der Schluss ist für mich vielmehr – und er hat zwei Teile, das möchte ich durchaus betonen –: Wir brauchen einerseits eine sichere Rechtsgrundlage, um für den Fall, dass

ein Zuwanderer bei uns auf einen Arbeitsplatz zuwandern will, um für den Fall, dass er bei uns gebraucht wird, sagen zu können: Dich wollen wir; du kannst einreisen.

Andererseits – das möchte ich genauso deutlich sagen – halte ich jede Ausweitung von Rechtskonstruktionen, die ich hier übrigens überhaupt nicht grundsätzlich infrage stellen oder mindern möchte, die zur Instrumentalisierung, um das Wort „Missbrauch“ zu vermeiden, einladen, für falsch. Ich halte Rechtskonstruktionen für falsch, die zwangsläufig Menschen anlocken, die bei uns eben nur einen Rechtsweg haben, aber kein Recht auf Aufenthalt bekommen können. Vor der Ausweitung von Rechtskonstruktionen, die mit anderen Worten eben zu einem Zuzug führen, den wir nicht wollen, warne ich deutlich.

(Abg. Heinz CDU: Die stehen aber im Gesetz!)

Auf dieser Linie, Herr Heinz – das sage ich als Ausländerbeauftragter dieser Landesregierung, aber auch für meine Partei, die FDP –, würde ich empfehlen, den vorliegenden Entwurf des Bundes zur Grundlage zu machen, ihn zu überarbeiten, um ihn am Ende mit einer möglichst breiten Mehrheit beschließen zu können.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Ich meine, man kann ihn zur Grundlage machen, weil er positive Ansätze enthält. Da ist die Vereinfachung des Ausländerrechts angesprochen, da ist die Integration angesprochen. Der Entwurf enthält im Grunde genommen komplett die baden-württembergischen Vorstellungen, die wir in Form eines Integrationsgesetzes schon einmal eingebracht haben.

(Beifall bei der FDP/DVP und der SPD)

Auch das muss man sagen: Er enthält Einschränkungen beim Familiennachzug, die natürlich eine steuernde und begrenzende Wirkung haben. Deswegen meine ich schon, dass man ihn als Grundlage verwenden kann. Ich sehe auch, dass die Konzepte im Grunde genommen nicht weit auseinander sind.

(Abg. Drexler SPD: Das ist der Punkt!)

Wenn ich das Konzept der Müller-Kommission, den Entwurf des Bundes und den Entwurf der FDP-Fraktion nebeneinander lege, muss ich sagen: Die Bevölkerung würde sich schon wundern, wenn man da nicht in einer halben Stunde an einem Tisch zu einer Einigung käme.

(Beifall bei der FDP/DVP und der SPD)

Die Entwürfe sind ziemlich nahe beieinander.

(Abg. Pfister FDP/DVP: So ist es!)

Aber an dem Punkt – das möchte ich nicht verschweigen, dazu möchte ich noch ein paar Sätze sagen – habe ich natürlich auch die Sorge, dass es nicht oder eben nur vordergründig um die Frage geht, ob ein paar tausend Menschen zuziehen oder ob ein paar hundert Flüchtlinge hier bleiben, sondern es könnte – da habe ich ein bisschen Angst und Sorge – in dieser Diskussion hintergründig auch um die Frage gehen, ob man der Gefahr Vorschub leistet, dass in

(Minister Dr. Goll)

den Köpfen eine Gleichung entsteht, wonach alles Ausländische gefährlich ist, gefährlich für unseren Arbeitsmarkt, für unsere Kultur und für die Sicherheit.

Ich verstehe manche Ängste durchaus, die gerade nach dem 11. September gewachsen sind. Aber umgekehrt möchte ich ganz klar sagen: Gerade nach dem 11. September werden wir, wenn wir, meine Damen und Herren, nicht in angemessener Weise für den Dialog und für die Berührung mit anderen Kulturen offen bleiben, wenn wir nicht in angemessener Weise auch für das Zusammenleben mit Menschen aus anderen Kulturen und anderen Teilen Europas und der Welt offen bleiben, werden wir, wenn ich an das Ende dieses Prozesses schaue, gefährlichen Spannungslagen in der Welt nicht angemessen begegnen können. Wir werden eher Risiken aufbauen statt abbauen. Das möchte ich gerade jetzt sagen, nachdem es auch um die Bekämpfung des internationalen Terrorismus geht. Wenn wir da nicht ein Stück weit offen und dialogfähig bleiben, wird es auch nicht gelingen, den Terrorismus an der Wurzel zu bekämpfen. Meine Damen und Herren, das schafft Gefahren.

Wenn man sich abschottet und meint, man sei allein auf der Welt, würde sozusagen auf einer Insel der Seligen leben und bräuchte auf niemanden Rücksicht zu nehmen, wenn man über ein solches Thema wie Zuwanderung erst gar nicht reden möchte, erhöht man natürlich die Risiken und Spannungslagen in der Welt. Dann, meine Damen und Herren, entstehen nach meiner Meinung Gefahren für die Bundesrepublik Deutschland und auch für das Land Baden-Württemberg, und zwar ganz handgreifliche Gefahren. Das hat man in Amerika gesehen.

(Beifall bei der FDP/DVP und der SPD sowie Ab- geordneten der Grünen – Abg. Fleischer CDU: Wer tut denn das?)

Keine Gefahr ist es für mich, wenn wir ein Gesetz schaffen, in dem wir eine gesteuerte Zuwanderung ermöglichen, ein Gesetz, das nach meiner Überzeugung, übrigens in unserem ureigensten, wohlverstandenen Interesse, ohnehin gemacht werden sollte.

Danke schön.

(Beifall bei der FDP/DVP und der SPD)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Heinz.

(Abg. Capezzuto SPD: Jetzt wird es schwer! – Abg. Dr. Salomon GRÜNE: Wo ist eigentlich Herr Oettinger? Bei der Basis? – Abg. Drexler SPD: Wo ist er? In Berlin?)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Bauer, Sie haben davon gesprochen, wir hätten den Rückwärtsgang eingelegt. Das sehe ich nicht so.

(Abg. Capezzuto SPD: Den doppelten! – Heiter- keit bei der SPD)

Sie haben den Rückwärtsgang eingelegt, respektive Schily, weil er Ihnen entgegengekommen ist. So muss man es einmal ganz klar sehen.

(Beifall bei der CDU)

Herr Justizminister, wir hätten gar keinen Bedarf, den Gesetzentwurf zu überarbeiten, wenn man sich näher an dem orientiert hätte, was Herr Müller erarbeitet hat. Man kann sich ja nicht hierher stellen und so tun, als hätten wir kein Interesse an einer gemeinsamen Linie gehabt.

(Abg. Drexler SPD: Aber sie gibt es nicht mehr!)

Die haben wir doch angeboten. Es waren Vorschläge da. Was haben Sie gemacht?

(Abg. Drexler SPD: Alle eingearbeitet!)

Was hat denn Schily gemacht? Er hat gesagt: Mich interessiert die Union nicht mehr, wir gehen auf die Grünen zu.

(Abg. Drexler SPD: Was? Das stimmt doch gar nicht!)

Viele Details haben Sie verändert und haben sich von uns wegbewegt und hinbewegt zu den Grünen.

(Beifall bei der CDU – Abg. Drexler SPD: Wie kleine Kinder!)

Ich will eines ganz klar sagen:

(Abg. Dr. Salomon GRÜNE: So ein Heinz!)

Ich glaube nicht, dass wir durch die Signale, die jetzt gesetzt worden sind, und zwar hin zu den Grünen, die Bevölkerung mitnehmen. Herr Pfister, da sind wir nicht auf dem richtigen Weg.

(Abg. Fischer SPD: Man kann die Bevölkerung mitnehmen, wenn man sie richtig informiert, nicht wenn man immer hetzt!)

Ich will Ihnen einmal ein Beispiel nennen. Die Aufwertung des kleinen Asyls führt zur Möglichkeit des vollen Familiennachzugs und damit zum Zugang zum Arbeitsmarkt ohne jede Bedarfsprüfung und ohne jede Quotierung. Das müssen Sie einmal der FDP sagen. Das ist nämlich so. Nichts Quotierung und Steuerung. Familiennachzug: voll im Arbeitsmarkt drin, ohne Bedarfsprüfung, ohne Quotierung.

(Beifall bei der CDU – Abg. Dr. Salomon GRÜ- NE: Mich würde viel mehr interessieren, wo heute Herr Oettinger ist!)

Damit verlassen wir sogar eine gemeinsame europäische Linie.

(Zuruf der Abg. Ursula Haußmann SPD)

Ich denke, dass der Wegfall der Staatlichkeit bei der Gesetzesänderung noch erheblichen Zuwanderungsdruck erwarten lässt.

(Zuruf des Abg. Bebber SPD – Abg. Dr. Salomon GRÜNE: Mich interessiert viel mehr, wo Herr Oet- tinger ist!)

Jetzt beruhigen Sie sich doch einmal, und hören Sie zu! Ganz gelassen bleiben!