Protokoll der Sitzung vom 13.12.2001

Sie sehen, meine Damen und Herren, wir scheuen uns nicht vor der kritischen Beleuchtung der zurückliegenden Vorgänge. Wenn sich daraus Vorwürfe ergeben, werden die erforderlichen Konsequenzen gezogen werden. Das sage ich Ihnen hier und heute schon zu.

Jetzt sind wir sozusagen beim Schlussteil, bei den Privilegien. Die Privilegien habe ich mir für den Schluss aufbewahrt. Also, liebe Frau Abg. Dederer, ich fürchte, Ihr Abendessen mit Schmider wird nicht zustande kommen können,

(Zuruf des Abg. Alfred Haas CDU)

weil wir so etwas genauso wenig genehmigen würden, wie wir das genehmigt haben, was da passiert war.

Jetzt müssen wir einmal schauen, welch eine Art von Privilegierung die Ausführung zum Insolvenzverwalter ist. Diese Ausführung zum Insolvenzverwalter war im Grunde genommen ein Entgegenkommen für den Insolvenzverwalter. Es geht in diesem Verfahren ja darum, dass man Vermögenswerte größten Ausmaßes auch mithilfe des Insolvenzverwalters sicherstellen konnte. Dazu war es aber nötig, dass sich Herr Schmider reihenweise Leitzordner ansah, um bestimmen zu helfen, welche Forderungen das sind. Man hat ihn dazu gebraucht.

Es war beim besten Willen nicht möglich, zum Insolvenzverwalter zu sagen: „Laden Sie Ihre Leitzordner in einen Lastwagen, und kommen Sie in die Vollzugsanstalt.“ Man hat Herrn Schmider zum Insolvenzverwalter ausgeführt,

(Minister Dr. Goll)

und Ausführungen von Untersuchungshäftlingen zu solchen Terminen sind absolut nicht ungewöhnlich.

Der ganze Rest war natürlich von keiner Genehmigung gedeckt. Es darf natürlich nicht passieren,

(Abg. Teßmer SPD: Aha!)

dass der Verteidiger dann die ganze Truppe zum Essen einlädt und die Polizeibeamten sich das Essen bezahlen lassen. Da werden wir uns sofort einschalten, auch mit den Mitteln des Strafrechts. Das hat auch gar nichts mit der Devise „Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen“ zu tun. Wir lassen niemanden laufen, der Dreck am Stecken hat.

(Abg. Teßmer SPD: Na, na!)

Sie sind bisher jeden auch nur halbwegs handfesten Hinweis schuldig geblieben, auf wen wir uns denn stürzen können und sollten. Aber jetzt zu den Polizisten zu sagen: „Das ist in Ordnung – ihr verdient nicht viel Geld,

(Abg. Heike Dederer GRÜNE: Das ist ein Un- ding!)

und deshalb tut euch das Essen gut“, das ist ausgeschlossen. Wir haben gesagt, was das ist, nämlich versuchte Bestechung und versuchte Bestechlichkeit.

Man muss allerdings sagen: Das Amtsgericht ist nicht so scharf damit umgegangen. Die haben das in einem etwas milderen Licht gesehen als wir – aus Rechtsgründen. Wir haben dagegen Beschwerde eingelegt. Jetzt liegt der Fall beim Landgericht Baden-Baden. Aber daran sehen Sie: Es wird schon mit dem notwendigen Besen gekehrt,

(Abg. Teßmer SPD: Aber kein neuer Besen!)

wenn so etwas passiert. Aber mit Privilegien hat das gar nichts zu tun. Ich frage mich, was das mit Privilegien, die bewusst gewährt worden wären, zu tun haben soll.

(Zuruf des Abg. Teßmer SPD)

Genauso ist es beim Telefonieren – vorletztes Thema. Ich habe natürlich eine Überprüfung bei der Staatsanwaltschaft und bei den betreffenden Vollzugsanstalten veranlasst. Auch danach gibt es keinen Beleg für die Behauptung, Herr Schmider könne ungehindert telefonieren.

Selbstverständlich durfte Herr Manfred Schmider unüberwachte Telefonate mit seinen Verteidigern führen. Er durfte sich mit ihnen auch ohne Überwachung beraten, wie es das Gesetz vorschreibt.

(Zuruf von der SPD)

Darauf komme ich gleich noch zu sprechen. – Darüber hinaus wurden Herrn Schmider vom dafür zuständigen Staatsanwalt zwei Telefonate mit anderen Gesprächspartnern zugestanden. Diese wurden vom ermittelnden Staatsanwalt persönlich überwacht. In einem Fall ging es um den Verkauf einer Immobilie, der der Abstimmung mit dem Vater des Beschuldigten bedurfte. Im anderen Fall wurde ihm ein Anruf bei seiner Frau gestattet, um die ärztliche Behandlung eines akut erkrankten nahen Familienmitglieds abzustimmen.

Solche überwachten Gespräche werden natürlich auch jedem anderen U-Häftling erlaubt. Weitere überwachte oder unüberwachte Gespräche hat es nach Kenntnis der Staatsanwaltschaft Mannheim und der Justizvollzugsanstalt nicht gegeben.

Nun ist auch mir bekannt, dass es zwei Zeugen gibt, die sagen, sie hätten mit Schmider telefoniert. Der Fairness halber muss man sagen: Wenn ich jetzt aufklären möchte, wie das war, dann gibt es mehrere theoretische Möglichkeiten. Ich werde mich hüten, hier einen konkreten Vorwurf zu erheben, weil ich das nicht belegen kann. Aber fairerweise müssten Sie natürlich sehen – wir hatten solche Fälle in der Vergangenheit –, dass es auch einmal passieren kann – theoretisch –, dass es bei einem Gespräch mit dem Verteidiger oder in den Vernehmungspausen zur Weitervermittlung kommt. Das wissen wir nicht. Das kann da oder dort gewesen sein. Ich will nicht einfach sagen: Die beiden lügen. Das kann ich auch nicht sagen; aber ich kann Ihnen sagen, die Vollzugsanstalt und die Staatsanwaltschaft überwachen jedes Gespräch des Herrn Schmider. Die Gespräche müssen vorher genehmigt werden; da wird er behandelt wie alle anderen auch.

Das ist es, worauf es hier ankommt. Es gibt keine Privilegierung für Herrn Schmider. Es gibt sie an keinem Punkt.

Ich erinnere mich daran, dass kürzlich einer der Wirtschaftskapitäne unseres Landes einmal eine Vollzugsanstalt von innen sehen wollte. Wir haben ihm die Vollzugsanstalt Mannheim gezeigt, weil ich das gerne tue, um auch für Information zu sorgen. Er kam dann den Gang entlang und hat sich ein paar Zellen angeschaut. Am Schluss hat er die ungläubige Frage gestellt, ob in einer solchen Zelle auch Herr Schmider sitze. Darauf wurde geantwortet, er sitze gerade ein paar Zellen weiter. Natürlich haben wir nicht mit ihm geredet; ich habe in meinem ganzen Leben noch kein Wort mit Herrn Schmider gewechselt. Das ist sicher auch für unsere Debatte ganz segensreich.

(Abg. Maurer SPD: Da haben Sie wirklich Glück gehabt!)

Angesichts dessen, wie Sie das Geschäft betreiben, habe ich da wirklich Glück gehabt.

(Heiterkeit – Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Aber von Privilegierung kann keine Rede sein.

Schon gar nicht verstehe ich, wenn Sie bei diesem letzten Punkt, bei dem Eindringen des Verteidigers bei der Sonderkommission in Karlsruhe, von Privilegierung sprechen. Der Vorgang war ja wohl folgender: Der Verteidiger kam auf irgendeine Art in die Räume der Sonderkommission. Die Art ist heute umstritten. Nach Angaben der Pförtnerin hat der Verteidiger sie an der Zufahrt mit dem Hinweis auf einen angeblichen Gesprächstermin getäuscht und sich so den Zugang verschafft. Der Verteidiger bestreitet das und sagt, er sei unkontrolliert auf das Gelände gekommen. Er räumt aber ein, dass er gegenüber den Beamten im Gebäude zunächst einen Gesprächstermin vorgegeben habe. Was wir damit zu tun haben könnten und sollten und was das mit Privilegierung zu tun haben könnte, erschließt sich mir schon von vornherein nicht. Es war dann hinterher die Fra

(Minister Dr. Goll)

ge: Zeigt man ihn wegen Hausfriedensbruch an oder nicht? Rechtlich gibt es bestimmte Fragezeichen im Falle eines erschlichenen Einverständnisses. Darum hat man gegen dieses Vorgehen nur bei der Anwaltskammer protestiert. Ich kann Ihnen aber in einem Punkt Beruhigung verschaffen: Der Blick in die Räumlichkeiten ist dem Verteidiger zwar gelungen, aber Einsicht in Akten oder Asservate wurde weder verlangt noch gewährt. Der kann also auch an den Akten nichts gemacht haben, weil er sie weder bekommen noch eingesehen hat. Aber, wie gesagt, mir ist völlig schleierhaft, was das mit Privilegierung zu tun haben soll.

Lassen Sie mich zum Schluss noch eines sagen. Es war jetzt mehrfach von der Justiz, von der Finanzverwaltung und von den Behörden des Landes die Rede. Ich muss schon sagen, ich finde es in diesem Fall, Frau Dederer, ein bisschen scheinheilig, zu sagen, man müsste für den guten Ruf dieser Behörden etwas tun. Im Moment habe ich wirklich das Gefühl, dieser gute Ruf wird nur von dieser Seite des Hauses ernsthaft infrage gestellt.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Die machen ihre Arbeit im Großen und Ganzen ordentlich. Das sind letzten Endes auch nur Menschen.

(Zurufe der Abg. Teßmer und Bebber SPD)

Es sind Beamte, die oft sehr viel zu tun haben und denen man wünschen würde, dass sie sich nicht auch noch rechts und links mit einer Spekulation nach der anderen auseinander setzen müssten. Ich habe noch kein Verfahren erlebt, das wie dieses links und rechts von den wahnwitzigsten Spekulationen umschwirrt war, vor Weihnachten kämen die bestimmt heraus, damit ich sie anschließend im Vollzug privilegieren könnte. Es ist kein Gerücht so blöd, als dass es nicht von irgendeinem doch noch weiterverbreitet würde. Da können Sie sich schon vorstellen: Unter diesen Umständen ist es nicht einfach, ein Verfahren ordnungsgemäß zu Ende zu bringen. Aber wir werden all die Verfahren, die Sie angesprochen haben, diese 40 Verfahren ordnungsgemäß zu einem Ende bringen. Das kann ich Ihnen versichern.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Meine Damen und Herren, es liegen keine Wortmeldungen mehr vor. Die Aktuelle Debatte ist damit beendet.

(Zuruf des Abg. Rech CDU – Abg. Alfred Haas CDU: Darf Maurer nichts mehr sagen? – Gegenruf des Abg. Fischer SPD: Er hat keine Redezeit mehr! – Gegenruf des Abg. Alfred Haas CDU: Na- türlich hat er noch Redezeit! – Gegenruf des Abg. Fischer SPD: Das ist doch nicht wahr!)

Punkt 1 der Tagesordnung ist erledigt.

Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:

Aktuelle Debatte – Schulleistungsuntersuchung PISA – beantragt von der Fraktion der FDP/DVP

Das Präsidium hat eine Gesamtrededauer von 40 Minuten ohne Anrechnung der Redezeit der Regierung, eine Rede

zeit von fünf Minuten für die einleitenden Erklärungen sowie von fünf Minuten für die Redner in der zweiten Runde festgelegt.

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Pfister.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ganze Heerscharen von Politikern aller Couleur von der Kreisklasse bis zur Bundesliga haben in den vergangenen Jahren immer wieder die Forderung erhoben, die Bildungspolitik zum Megathema zu machen. PISA sei es gedankt: Dies ist gelungen. PISA ist ein Schock, PISA ist gleichzeitig eine Chance – übrigens auch eine Chance für uns, über grundsätzliche Fragen der Bildungspolitik zu diskutieren, und zwar auch vor dem Hintergrund, dass die Länderbewertung für die Bundesrepublik Deutschland noch nicht vorliegt. Das gibt uns die Chance, ohne kleinkarierten parteienpolitischen Hickhack und ganz offen über die Maßnahmen zu sprechen, die notwendig sind.

Wir müssen zum Beispiel über das Bildungsverständnis sprechen, das dieser Studie PISA zugrunde liegt. Es geht hier nicht allein um die Frage der handwerklichen Fähigkeit des Lesens, sondern es geht darüber hinaus. Was mich irritiert, ist die Tatsache, dass 50 % aller 15-Jährigen, die in die Untersuchung einbezogen worden sind, klar sagen, dass für sie Lesen kein Vergnügen ist. Wenn das wahr ist, meine Damen und Herren, kommt es allerdings darauf an, in unserem Land eine neue Lesekultur zu entwickeln. Ich füge aber ausdrücklich hinzu: Wenn wir eine neue Lesekultur wollen, müssen wir auch beim Elternhaus beginnen; denn Erziehung und Bildung beginnt im Elternhaus. Wir können das Elternhaus für den Erziehungserfolg nicht außen vor lassen.