Protokoll der Sitzung vom 07.03.2002

(Beifall bei der CDU Abg. Seimetz CDU: Täu- schung! Tricksen und täuschen! Abg. Birzele SPD: Falsch! Sie werfen den Kirchen Unredlich- keit vor! Sie sind eindeutig im Widerspruch zur Bischofskonferenz und zur EKD! Die haben das gefordert! Abg. Seimetz CDU: Der Birzele kommt jetzt ins Domkapitel! Abg. Fleischer CDU: Fragen Sie einmal Ihren Pfarrer, Herr Birze- le! Unruhe)

Ich habe die herzliche Bitte an Ihre Adresse, Herr Birzele, meine Liebenswürdigkeit Ihnen gegenüber nicht mit einem so harten, fanatischen Blick zu vergelten.

Ich komme zur Härtefallklausel. Eine gewisse Gnadenlosigkeit zeichnet Ihr Wesen aus.

(Beifall des Abg. Seimetz CDU Abg. Fleischer CDU: Sehr gut! Das war schon immer so! Abg. Boris Palmer GRÜNE: Mit dem „Richter Gnaden- los“ koalieren Sie!)

(Minister Dr. Schäuble)

Herr Kollege Palmer, was halten Sie eigentlich von dem Bundesverfassungsrichter Hoffmann-Riem? Ich habe keinen Grund, mit Herrn Schill irgendwie zu sympathisieren. Aber er ist ein Mensch, der die gleichen Rechte wie jeder andere auch hat. Finden Sie es eigentlich richtig, dass ein Bundesverfassungsrichter entgegen elementarer Grundsätze an der Unschuldsvermutung rüttelt und im Grunde dem Mann die Beweislast aufs Auge gedrückt hat? Finden Sie das richtig?

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP Abg. Hillebrand CDU: Jetzt sagt der nichts mehr!)

Dagegen schreien Sie Ihrerseits wie am Spieß, wenn Ihnen nur ein Nanogramm Leid angetan wird. Finden Sie es dann richtig, dass ein Bundesverfassungsrichter so die elementaren Grundsätze des Rechts verletzt? Das will ich in diesem Zusammenhang nur einmal zu bedenken geben.

(Beifall bei der CDU Abg. Boris Palmer GRÜ- NE: Was hat das mit dem Koalieren zu tun?)

Zur Härtefallklausel: Das ist allerdings ein Punkt, der gravierend ist. Ich will auch wiederum ganz offen sagen: Es wäre vielen von uns auch dem Kollegen Goll und auch mir; denn ich bekomme noch mehr Briefe, glaube ich, als er; ich weiß es nicht genau natürlich angenehm und würde uns und auch den nachgeordneten Behörden das Leben im Alltag erleichtern, wenn wir in bestimmten Fällen, die manchmal menschlich schlimm und menschlich hart sind, helfen könnten. Das alles spräche für eine Härtefallklausel.

Nun will ich aber auch ganz ehrlich sagen und das wissen Sie ja auch , dass in der Müller-Kommission, der anzugehören ich die Ehre hatte, eine Härtefallklausel in den Abschlussbericht aufgenommen worden ist. Allerdings hat auch die Müller-Kommission und auch Ministerpräsident Müller aus dem Saarland bei dem Thema Härtefallklausel immer das Problem gesehen, dass wir damit in die Gefahr geraten, eine weitere Rechtswegschiene aufzustellen und aufzubauen. Denn wenn eine solche Klausel in das Gesetz aufgenommen würde, würden sich natürlich sehr viele Menschen, die hier bleiben wollen, als Härtefall verstehen und einen Härtefallantrag stellen, Menschen, bei denen es sich in Wirklichkeit nicht um einen Härtefall handelt.

(Zuruf der Abg. Ursula Haußmann SPD)

Dann passiert uns Frau Kollegin, wir sind ja gebrannte Kinder genau das Gleiche wie beim Asyl: Aufgrund der Instanzenseligkeit in Deutschland würde über einen Härtefall, eine Härtefallklausel, über die Möglichkeit, das Anliegen mit einem Härtefallantrag zu verfolgen und, wenn dieser abgelehnt wird, dagegen zu klagen und dagegen Berufung und Revision einzulegen, eine Tür für die Betroffenen geöffnet, viele weitere Jahre in Deutschland zu bleiben.

Herr Kollege Noll, nicht die menschliche Situation die würde dafür sprechen , sondern die Tatsache, dass wir einen neuen Instanzenweg aufmachen würden, war der Grund, dass wir gesagt haben: Wir können bedauerlicherweise eine Härtefallklausel nicht akzeptieren.

Der saarländische Ministerpräsident Müller hat sich in seiner Kommission mit einer Deus-ex-Machina-Lösung von

dem Problem im Grunde elegant entfernt, indem er gesagt hat: Wir machen eine nicht justiziable, also eine nicht einklagbare Härtefallklausel. Aber alle Verfassungsrechtler sagen auch Herr Kollege Birzele wird mich hier sicher wieder unterstützen; denn er rühmt sich ja auch, ein guter Verfassungsrechtler zu sein : Eine nicht justiziable Härtefallklausel ist mit Artikel 19 Abs. 4 unserer Verfassung schlicht und ergreifend nicht vereinbar. Das ist das Problem in diesem Zusammenhang.

Nun komme ich auf den anderen Punkt zu sprechen, der auch vorhin gestreift worden ist: geschlechtsspezifische Verfolgung. Noch einmal: Ich bitte einfach um Ehrlichkeit. Sie wissen ganz genau Ich muss Sie jetzt einfach anschauen, Herr Birzele; seien Sie mir nicht böse.

(Abg. Birzele SPD: Aber lassen Sie sich durch meinen Blick nicht irritieren!)

Das ist ja furchtbar, wie Sie einen angucken können. Ich habe ja gar nichts getan.

(Beifall bei der CDU Abg. Birzele SPD: Gerade deshalb, weil Sie es nicht getan haben!)

Aber ich darf Sie einfach noch einmal ansprechen. Sie wissen ganz genau: Kollege Schily, der ja nun bestimmt kein Dummkopf ist, hat im letzten Sommer, als die Diskussion beim Thema geschlechtsspezifische und nichtstaatliche Verfolgung aufkam, gesagt übrigens damals an die Adresse der Grünen; denn deren Forderung war es ja schon immer : Das brauchen wir ja nicht, weil dieser Personenkreis schon nach geltendem Recht ausreichend geschützt ist.

Dann darf ich doch einfach festhalten auch an die Adresse der Kirchen in diesem Fall : Es ist doch eigentlich legitim und verantwortungsvoll, dass wir uns auf diese klare und übrigens auch richtige Äußerung des Bundesinnenministers vom Sommer 2001, von der er heute nichts mehr wissen will, stützen.

Ich will etwas anderes hinzufügen: Das große Problem sehen wir darin: Bisher erhält jemand zum Beispiel aus Gründen der geschlechtsspezifischen Verfolgung Abschiebungsschutz; aber künftig soll er ein Aufenthaltserlaubnisrecht erhalten, das sich unter gewissen Voraussetzungen zu einem dauerhaften Niederlassungsrecht ausweiten kann und ausweiten würde.

(Abg. Inge Utzt SPD: Aber nicht muss!)

Sosehr wir dies allen betreffenden Persönlichkeiten, die hier sind, gönnen, muss ich aber auf etwas anderes aufmerksam machen: Wenn wir diesen Weg gingen, würden wir ein fatales falsches Signal an diejenigen, die jetzt noch im Ausland sind, senden.

(Abg. Fleischer CDU: So ist es!)

Denn sie würden natürlich begreifen, dass es ihr Ziel sein muss, über Schleuserbanden oder auf andere Weise nach Deutschland zu kommen

(Zurufe von der SPD: Das ist unglaublich!)

(Minister Dr. Schäuble)

das ist die Wahrheit , und dann hätten sie ab sofort einen bombensicheren Aufenthaltsstatus in Deutschland. Wegen dieser Sogwirkung, wegen dieser falschen Signalwirkung müssen wir davon Abstand nehmen, dass aus Gründen der geschlechtsspezifischen oder nichtstaatlichen Verfolgung von der Duldung auf eine Aufenthaltserlaubnis ausgewichen wird. Das ist der Punkt, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Ich darf Ihnen noch einen weiteren Punkt mitgeben, der von mir schon heute Morgen angesprochen worden ist. Ich darf auch den Kollegen Pfister zitieren. Beide Fraktionen in der Koalition bemängeln natürlich schon Frau Utzt, ich darf anschließend noch kurz auf Sie zurückkommen , dass bei der Integration zwar die Verpflichtung ausgesprochen wird, solche Kurse zu besuchen, dass aber keine ausreichenden Sanktionen bei Nichterfüllung der Verpflichtung ausgesprochen werden. Aufgrund dessen, was Sie im Rahmen der Aussprache über die Regierungserklärung geäußert haben, darf ich die herzliche Bitte an Sie, Frau Kollegin Utzt, richten: Lesen Sie bitte die Regierungserklärung nach, die Ihnen ja vorliegt. Ich habe sehr wohl gesagt, dass in dem jetzt nach der Bundestagslesung vorliegenden Regierungsentwurf enthalten ist, dass die Tatsache, dass man einen solchen Integrationskurs aus Gründen, die man zu vertreten hat, nicht besucht, bei der weiteren Aufenthaltserlaubniserteilung Berücksichtigung findet. Ich habe aber auch klipp und klar gesagt, dass dies als Sanktion nicht ausreicht. Wer solche Angebote nicht annimmt, muss wirklich handfeste Sanktionen erfahren; er kann auf Dauer nicht in Deutschland bleiben.

(Beifall bei der CDU)

Dies alles zusammengenommen führt dazu, dass wir zu dem Ergebnis kommen: Wir können mit Rücksicht auf die Interessen unserer Bevölkerung nur davon abraten, dieses Gesetz in der vorliegenden Fassung zu akzeptieren. Bedenken Sie bitte auch: Kurzfristig werden Sie die Folgen nicht spüren, aber mittel- und langfristig hat ein falsches Gesetz auf dem wichtigen Gebiet der Zuwanderung, die ja die Zusammensetzung der Bevölkerung in Deutschland bestimmt, gravierendste Auswirkungen für Deutschland. Deshalb gilt hier schon allerhöchste Vorsicht und Seriosität. Diese vermissen wir bei diesem Gesetzentwurf aus den genannten Gründen.

Ich darf ganz offen ansprechen und habe dies schon eingangs getan: Die FDP/DVP, unser Koalitionspartner, sieht das Gesetz, wie Herr Noll vorhin auch gesagt hat, freundlicher. Das nehmen wir zur Kenntnis. Aber auch Sie haben gesagt, dass Sie Punkte haben, die für Sie so nicht akzeptabel sind.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Endlich sagt es einer!)

Es ist auch gesagt worden, und ich kann das nur unterstreichen: Wenn es nicht gelingt, innerhalb der Koalition zu einer einheitlichen Auffassung hinsichtlich der Ablehnung zu kommen, dann werden wir ganz ohne Dramatik im Unterschied zu Brandenburg, wo das merkwürdigerweise zur Schicksalsfrage der Nation hochgespielt wird, die Koalitionsklausel in Kraft setzen, und dann wird sich Baden

Württemberg enthalten. Das sehe ich als absolut unproblematisch an. Wir üben da im Unterschied zu Brandenburg überhaupt keinen Druck auf unseren Koalitionspartner aus, weil wir dies undramatisch sehen.

Meine Damen und Herren, ich denke schon: Wenn wir verantwortungsbewusst sind, müssen wir erstens die Punkte offen und ehrlich ansprechen, was zweitens dazu führt, dass dieses Gesetz in der jetzt nach der zweiten und dritten Lesung im Bundestag vorliegenden Form so nicht akzeptabel ist. Wenn wir verantwortlich gegenüber unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern handeln wollen, müssen wir sagen: So nicht!

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort erteile ich Herrn Minister Dr. Döring.

(Abg. Schmiedel SPD: Also doch!)

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Innenminister Schäuble hat gerade in aller Klarheit und, wie ich an dieser Stelle ausdrücklich feststellen möchte, auch mit großer Fairness die Positionen der beiden Regierungsfraktionen dargestellt: Auf der einen Seite steht die Ablehnung des größeren Koalitionspartners, auf der anderen Seite hat er aber auch keinen Zweifel daran gelassen, dass die FDP/ DVP, vor allem unter arbeitsmarktpolitischen Gesichtspunkten, eher zur Zustimmung neigt, als dies der größere Koalitionspartner tut. Ich halte es für absolut stilbildend, wenn in einer Koalitionsregierung die unterschiedlichen Positionen deutlich gemacht werden, ohne dass deswegen in der Koalition irgendein Streit entsteht oder man aufeinander zurast, woran außer der Opposition niemand Freude hätte.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP Zuruf des Abg. Birzele SPD)

Auf ein paar Punkte, die vonseiten der Oppositionsrednerinnen und -redner gekommen sind, lege ich aber schon Wert. Es ist völlig unbestritten das ist richtig zitiert worden , dass alle Wirtschaftsverbände und Wirtschaftsorganisationen

(Abg. Birzele SPD: Und die Gewerkschaften!)

im Zusammenhang mit dem Zuwanderungsgesetz Wert darauf legen, dass es zu einer Lösung kommt. Es gibt aber kein undifferenziertes „Ja, es muss kommen“. Uns geht es darum das nehmen Sie dem Kollegen Dr. Noll, der FDP/ DVP-Fraktion und mir als Wirtschaftsminister bitte ab , ein bestmögliches Zuwanderungssteuerungs- und -begrenzungsgesetz für die Bundesrepublik Deutschland zu erreichen.

(Abg. Zeller SPD: Aber Ihre Enthaltung ist ein Nein! Das ist der Punkt!)

Das ist der entscheidende Punkt. Es sind klare inhaltliche Gründe genannt worden, warum wir der Vorlage der Bundesregierung nicht zustimmen können, und dabei bleibt es auch.

(Minister Dr. Döring)