Protokoll der Sitzung vom 20.06.2002

Ich will jetzt einmal versuchen, ein paar Fakten zu benennen.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Ganz moderat!)

In weiser Voraussicht befürchte ich bereits wieder die ersten Zwischenrufe, Herr Noll. Aber vielleicht haben Sie es sich auch inzwischen anders überlegt.

Ich will geschwind einmal einen Rückblick auf die Arbeitsmarktpolitik machen. 1998 hatten wir ein Wahljahr wie dieses Jahr wieder. Damals waren die CDU und die FDP an der Bundesregierung. Da ist uns etwas Wundersames passiert.

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Ein Wunder!)

Für das Jahr 1998 hatten wir eine Vermehrung der ABMAusgaben und einen Anstieg der ABM-Stellen über dem Durchschnitt der letzten Jahre um sage und schreibe über 150 000.

(Abg. Scheuermann CDU: Das wird dieses Jahr wieder so sein!)

Die waren alle befristet bis Oktober 1998. Ein Schelm, wer Böses dabei gedacht hat und gemeint hat, es sei nur dem Wahlkampf geschuldet, die Arbeitslosenstatistiken zu bereinigen, um die dramatisch schlechten Zahlen um 150 000 zu verbessern.

(Abg. Fleischer CDU: Das müssen gerade Sie sa- gen!)

Das Defizit der Bundesanstalt für Arbeit hatten wir dann zu bereinigen. Das waren knapp 3 Milliarden DM, um die Sie das damals überzogen hatten, obwohl es nicht in der Haushaltsplanung enthalten war.

(Lachen der Abg. Fleischer und Wieser CDU Abg. Fleischer CDU: Beschissen habt ihr!)

Ihr Gelächter darüber ändert überhaupt nichts an den Tatsachen. Es war Tatsache: Sie haben das Thema Arbeitsmarkt damals auf Bundesebene missbraucht,

(Zuruf des Abg. Scheuermann CDU)

um politisch für sich angeblich bessere Stimmung zu machen. Das hat Ihnen Gott sei Dank nichts genützt, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und den Grünen Zuruf des Abg. Fleischer CDU Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Was lernen wir daraus?)

Jetzt lernen wir Folgendes daraus, Herr Noll, wenn Sie schon fragen ich sage es Ihnen :

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Keine Tricks!)

Wenn wir uns die Antwort auf die Große Anfrage, die wir gestellt haben, angucken, dann stellen wir fest: Im Jahr 2002 reduziert sich der Anteil der Arbeitsmarktpolitik der Landesregierung um sage und schreibe über 33 %. Das hat er auch schon in den letzten Jahren gemacht, und im nächsten Jahr wird noch eines draufgesetzt. Wieder: Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Die Zahlen sind ja fast zu schön: zweistellige Reduzierung der Zahl älterer Arbeitsloser in Baden-Württemberg, zweistellige Reduzierung der Zahl der Langzeitarbeitslosen in

Baden-Württemberg, zweistellige Reduzierung der Arbeitslosigkeit bei Schwerbehinderten und bei Jugendlichen. All die Programme, die Baden-Württemberg-spezifisch geholfen haben, diese Zahlen herunterzudrücken, kommen jetzt in den Reißwolf und werden fast auf null gefahren. Herr Wieser, Sie sind der Vorsitzende des Sozialausschusses. In Ihrem Ressort ist das ganze Ding ja, wenn man das Regierungspendant nimmt, angesiedelt. Meine Damen und Herren, ein Schelm ist, wer Böses dabei denkt und noch der Meinung wäre, es könnte eventuell dem Wahlkampf geschuldet sein, dass man noch versucht, die eine oder andere Arbeitslosenzahl herunterzudrehen.

Zum zweiten Punkt: ESF-Förderung. Jetzt haben wir schon herzlich wenig Ausgaben, und man darf motiviert die Frage stellen, ob das dem Wahlkampf geschuldet ist. Dann haben wir ESF-Mittel, also Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds. Gucken wir uns einmal an, was in Baden-Württemberg mit diesen Mitteln passiert: Es findet kein zielgerechter Einsatz statt. Es findet kein Zielprogramm, keine Zielvorgabe statt, wie heute früh rhetorisch diskutiert wurde: „Wir wollen etwas für die älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer tun.“ Vielmehr findet eine wilde Verteilung der Gelder statt: einmal in den Kreisen, einmal in den Regionen. Das Sozialministerium vergibt Mittel ohne Koordinationsvorgabe in die Kreise. Das Wirtschaftsministerium vergibt sie ohne irgendeine Koordinationsvorgabe in die Regionen. Es gibt nichts Koordiniertes, wo das Geld, das vorhanden ist, mit einer Kofinanzierung des Landes und einer starken Kofinanzierung der Kommunen sinnvoll und zielgerichtet ankommt. Selbst in diesem Teil leistet die Arbeitsmarktpolitik, die die Landesregierung betreibt, effektiv überhaupt nichts.

Meine Damen und Herren, wenn man dann fragt: „Wie sieht es denn mit den ESF-Mitteln aus?“, stellt man fest, dass es in den nächsten Jahren und bereits in diesem Jahr eine Vervielfachung geben wird. Was macht denn das Land, wissend, dass diese Mittel nur dann abgerufen werden können, wenn es eine entsprechende Komplementärfinanzierung durch andere Stellen gibt?

Wieder muss ich Ihnen sagen: Das Land bietet tatsächlich eine Komplementärfinanzierung von sage und schreibe 9 % an. Die Hauptlast in Baden-Württemberg tragen derzeit die Kommunen und andere Träger, natürlich die Bundesanstalt für Arbeit. Ich sage Ihnen: Das ist ein Armutszeugnis, ein Trauerzeugnis für ein Land wie Baden-Württemberg, welches trotz niedriger Arbeitslosigkeit erhebliche Probleme hat, die es lösen müsste, zum Beispiel das Problem der strukturellen Arbeitslosigkeit, also Langzeitarbeitslose und ältere Beschäftigte, für die etwas getan werden muss, und vor allem das Problem des Fachkräftemangels, den es ja bereits bei uns gibt und der entsprechend bearbeitet werden muss. Von nichts davon kann die Rede sein.

Meine Damen und Herren, es wird völlig die Chance ausgelassen, das zu tun, was eine Arbeitsmarktpolitik und eine Beschäftigungspolitik eigentlich könnten, nämlich den Sachverstand vor Ort in der Region zu bündeln, nach den Bedürfnissen der Unternehmer, der Betriebe zu fragen, nach den Bedürfnissen der Menschen zu fragen, was sie denn brauchen, und dies mit dem Sachverstand der Men

schen vor Ort zusammenzubringen, um effektive Maßnahmen der Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik hinzubekommen. Auch diese Chance wird nicht genutzt.

Ich kann Ihnen abschließend nur sagen: Wenn wir nicht auf Bundesebene einen Paradigmenwechsel gehabt hätten, was die aktive Arbeitsmarktpolitik anbelangt,

(Lachen des Abg. Fleischer CDU)

was uns auch in Baden-Württemberg überall sinkende Arbeitslosenzahlen gebracht hat

(Zuruf des Abg. Seimetz CDU)

im Gegensatz zur gleichen Zeit unter der Kohl-Regierung, in der es in Baden-Württemberg steigende Zahlen gab , meine Damen und Herren, wenn es diese aktive Arbeitsmarktpolitik auf Bundesebene nicht gäbe, dann sähe es in Baden-Württemberg ganz traurig aus.

(Zuruf des Abg. Seimetz CDU)

Trotz aller Zurufe kriegen Sie die Fakten nicht weg und gilt nicht das Motto, dass nicht sein kann, was nicht sein darf.

(Abg. Seimetz CDU: Was hat Herr Schröder ge- sagt?)

Denn es ist so, dass wir Gott sei Dank

(Abg. Seimetz CDU: Schröder beim Wort neh- men!)

halbwegs ordentliche Zahlen haben.

(Zuruf von der CDU: Herr Schröder hat gesagt: Wer die Zahlen nicht erreicht, hat es nicht ver- dient, weiter zu regieren!)

Sie haben diese Zahlen eigentlich nicht verdient, das gebe ich Ihnen zu, aber die Menschen im Land schon. Dass wir halbwegs ordentliche Zahlen haben, das ist der Regierungspolitik auf Bundesebene und leider nicht Ihrer Politik geschuldet.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen Zuruf des Abg. Hauk CDU)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Wieser.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich beginne mit dem letzten Satz des Kollegen Hausmann, der gesagt hat, wir hätten das Glück des Paradigmenwechsels der Bundesregierung. Ich frage Sie: Regiert auch in Nordrhein-Westfalen, in Niedersachsen, in Bremen, in Sachsen-Anhalt und in den anderen Bundesländern

(Zuruf von der SPD: Saarland!)

dieselbe Bundesregierung? Trotzdem weist der Prüfstein Nummer 1, die Arbeitsmarktsituation, eine miserable Bilanz für die Bundesregierung aus.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Theurer FDP/ DVP)

Wenn das in Baden-Württemberg und in Bayern anders ist, dann ist es deshalb anders, weil bei uns eine andere Politik gemacht wird. Das ist die Wahrheit!

(Beifall bei der CDU Zurufe von der SPD)

Wir haben drei Anträge zu diesem Tagesordnungspunkt. Der eine Antrag beschäftigt sich mit der Statistik. Da Sie, Herr Kollege, gleich mit der Statistik begonnen haben: Wir haben vor vier Jahren auch einen Streit über die Statistik gehabt das ist richtig , und der Bundesrechnungshof hat die Statistik in Baden-Württemberg gar nicht so genau überprüft. Deswegen sind die hier festgestellten Vorkommnisse nicht sehr bedeutend Lörrach kann 16 % der Vermittlungen nicht nachweisen , aber eines ist doch richtig: Der Bundeskanzler musste das zur Chefsache machen und hat den Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit entlassen müssen.

(Zuruf des Abg. Schmiedel SPD)

Er hat dafür drei Geschäftsführer eingesetzt und dadurch die Lohnsumme an der Spitze um 500 % vergrößert. Das war die Reform, die erfolgte, als der Bundeskanzler erkannt hat, dass, wer mit Zahlen manipuliert, ein unglaubliches Glaubwürdigkeitsproblem hat.

(Abg. Rudolf Hausmann SPD: Welche Parteimit- gliedschaft hatte der Vorsitzende?)