Protokoll der Sitzung vom 17.10.2002

Sie halten alle anderen, die nicht Abgeordnete sind, für unfähig, über solche Fragen zu entscheiden.

(Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der CDU – Abg. Blenke CDU: Das stimmt doch gar nicht! Das ist eine Unverschämtheit!)

Gestern Abend hat der Landtag eine Vielzahl von Persönlichkeiten zu einem Empfang eingeladen, einige Hundert. Die halten Sie alle für nicht in der Lage, bei einem Volksbegehren oder Volksentscheid zu entscheiden.

(Beifall bei der SPD – Abg. Dr. Lasotta CDU: Das ist doch Quatsch!)

Wenn Sie so freundlich sagen, das sei Quatsch, dann sagen Sie mir doch einmal: Wen in der Bevölkerung halten Sie für unfähig, Gesetzesvorlagen zu beurteilen und eine Entscheidung zu treffen? Dann bezeichnen Sie doch einmal die Personengruppen, die Menschen, denen Sie zwar zutrauen, bei der Wahl die richtige Partei zu wählen – möglichst natürlich die CDU –, denen Sie aber nicht zutrauen, bei einer Sachentscheidung die richtige Entscheidung zu treffen.

(Beifall bei der SPD – Abg. Alfred Haas CDU: Zu der Gruppe gehören Sie! – Gegenruf des Abg. Dr. Caroli SPD: Unglaublich! – Zurufe der Abg. Blenke und Dr. Lasotta CDU)

Sie von der CDU wären in solchen Diskussionsprozessen konsequent, meine Damen und Herren, wenn Sie bei Veranstaltungen sagen würden: „Wählen Sie uns – dann haben Sie nichts mehr damit zu tun!“, nach dem Motto „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus – und kehrt nie mehr zurück“.

(Heiterkeit bei der SPD – Lebhafter Beifall bei der SPD)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Herrmann.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Birzele, ich habe Sie auch schon wesentlich sachlicher erlebt.

(Beifall bei der CDU – Lachen bei der SPD)

Ich weise aufs Schärfste zurück,

(Abg. Bebber SPD: Jammerlappen!)

dass wir all diejenigen in unserer Bevölkerung, die nicht Abgeordnete sind, für unfähig halten.

(Beifall bei der CDU – Abg. Bebber SPD: Ein Jam- merlappen ist das!)

Das ist eine Unterstellung, die keinerlei Grundlage hat.

Ich darf nur auf ein Beispiel in einem anderen Bundesland verweisen. In Nordrhein-Westfalen, wo die SPD seit Jahrzehnten regiert –

(Abg. Alfred Haas CDU: Diktiert!)

deshalb ist das Land auch in vielem Schlusslicht –, müssen 20 % der Stimmberechtigten für ein Volksbegehren sein. Das sind mehr, als in Baden-Württemberg nach der derzeitigen, von der CDU eingeführten Verfassungslage für ein Volksbegehren benötigt werden. Dort ist das Quorum also deutlich höher als in Baden-Württemberg. Es gibt keine Überlegungen, in Ländern, in denen die SPD regiert, die Volksbegehrensquoren zu verändern. Überall dort, wo Sie in der Opposition sind, bringen Sie solche Anträge.

Wir bekennen uns auch in den Ländern, in denen wir in der Opposition sind, zur repräsentativen Demokratie. Wir sind in Ausnahmefällen, wenn eine breite Stimmung in der Bevölkerung für ein Volksbegehren ist, dafür, dass dieses stattfindet. Deshalb haben wir in Baden-Württemberg eine entsprechende Verfassungsbestimmung. Aber wir sind nicht dafür, dass im Endeffekt eine ganz kleine Minderheit – und das wäre der Fall, wenn wir Ihren Gesetzentwurf annehmen würden –

(Abg. Bebber SPD: Das stimmt doch überhaupt nicht!)

ein Volksbegehren einbringen und eine kleine Minderheit dann bei einem Volksentscheid ein Gesetz verabschieden kann. Deshalb lehnen wir diesen Gesetzentwurf ab.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Theurer.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man hier den Kampf der beiden großen Fraktionen und Volksparteien miterlebt, die ja die Einzigen sind, die über die Mehrheiten verfügen, um die Verfassung zu ändern, dann, denke ich, kommt das Ganze doch ein Stück weit ins falsche Fahrwasser. Ich meine, man müsste doch einfach Folgendes bedenken: Wenn es für den Bürger wirklich so dringlich wäre, mehr mitbestimmen zu können, dann hätten die Bürgerinnen und Bürger Baden-Württembergs schon längst ein entsprechendes Volksbegehren zur Verfassungsänderung auf den Weg gebracht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Abg. Zeller SPD: Machen Sie jetzt einen Rückzieher?)

Tatsache ist doch, dass die Bürgerinnen und Bürger das offensichtlich gar nicht für so dringlich empfinden. Deshalb

wird umgekehrt ein Schuh daraus: Diejenigen, die wie wir, die FDP/DVP, dafür sind, die Bürgermitwirkungsrechte zu stärken – wir wollen ja die Bürgerinnen und Bürger ermutigen, sich stärker einzubringen –,

(Abg. Dr. Caroli SPD: Was ist denn das für ein Eier- tanz?)

überlegen, ob man das Volksbegehren nicht erleichtern kann, weil man davon ausgeht, dass, je höher die Erfolgswahrscheinlichkeit ist, dann auch umso mehr Bürgerinnen und Bürger mitmachen. Aber eines sollte man nicht tun:

(Glocke der Präsidentin)

Herr Abg. Theurer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Boris Palmer?

Ausnahmsweise.

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Herzlichen Dank!)

Bitte, Herr Abg. Palmer.

Herr Kollege Theurer, Sie haben gerade ausgeführt, dass die Bürgerinnen und Bürger gar kein Interesse an mehr direkter Demokratie hätten. Ich frage Sie: Ist Ihnen bekannt, dass die Initiative „Mehr Demokratie in Baden-Württemberg“ ein solches Bürgerbegehren angestrebt hat und vom Innenministerium in schmählicher Weise abgeschmettert wurde?

(Abg. Schmiedel SPD: Aha!)

Erstens: Herr Kollege Palmer, Sie haben mich falsch wiedergegeben. Ich habe nicht gesagt, dass die Bürger kein Interesse daran haben.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Doch, das haben Sie gesagt! Genau das! – Gegenruf des Abg. Alfred Haas CDU: Nein, das hat er nicht gesagt!)

Nein, da haben Sie mich falsch verstanden. Ich habe gesagt: Wenn die Bürgerinnen und Bürger das wollten, was die SPD in ihrem Gesetzentwurf vorschlägt, dann hätten sie es schon längst als Volksbegehren auf den Weg bringen können.

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Die wollten sogar mehr! Die wollten doch mehr, als die SPD vor- schlägt!)

Zweiter Punkt: Ich kenne auch die Initiative „Mehr Demokratie in Baden-Württemberg“, deren Volksbegehren gescheitert ist.

Jetzt komme ich auf die entscheidende Frage zurück. Diejenigen, die wie wir bereit sind, über eine Absenkung von Quoren oder über erweiterte Mitwirkungsrechte zu sprechen, möchten damit die Bürgerinnen und Bürger ermutigen, das zu machen. Ich glaube, dass hierin der Dissens liegt. Ich glaube, dass es in einem Schlagabtausch zwischen den beiden großen Volksparteien nicht zu einer sachlichen Lösung, zu einem Fortschritt in der Sache kommt. Wir müssten uns zunächst einmal darüber verständigen, ob wir eine

andere Demokratiekultur haben wollen, die aktive Bürgermitwirkung auch in Einzelsachfragen, also Gesetzgebungsverfahren, ermutigen möchte, oder ob wir das nicht für erforderlich halten.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Schmiedel SPD: Was wollen Sie?)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Birzele.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Kollegen! Zunächst zum Kollegen Theurer: Herr Theurer, nach unserer Verfassung müssten bei einer Verfassungsänderung 50 % der Stimmberechtigten abstimmen. Wir haben 7,3 Millionen Stimmberechtigte. 50 % sind ungefähr 3,65 Millionen Stimmberechtigte. CDU und FDP/DVP zusammen haben 2,4 Millionen Stimmen von Stimmberechtigten auf sich vereinigt. Daher können Sie sich doch vorstellen, dass eine solche Initiative keine Chance hat, weil Sie nicht genügend Stimmberechtigte mobilisieren können.

Zweite Bemerkung: Herr Kollege Herrmann, ich habe diesen Punkt vorhin extra nicht angesprochen, weil ich dachte, Sie kommen wieder mit Nordrhein-Westfalen. Aber Sie sollten dann schon ganz zitieren. Artikel 68 Abs. 4 der nordrheinwestfälischen Landesverfassung bestimmt über den Volksentscheid: „Es entscheidet die Mehrheit der abgegebenen Stimmen.“ Ohne jedes Quorum!

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Abg. Ursula Haußmann SPD: So ist es!)

Dritte Bemerkung: Nachdem Sie gerade dargelegt haben, dass Sie die Menschen in Baden-Württemberg für entscheidungsfähig halten, erklären Sie mir einmal, warum Sie sie dann nicht entscheiden lassen wollen.

(Beifall bei der SPD – Abg. Fischer SPD: So ist es! – Abg. Scheuermann CDU: Bei der Landtagswahl entscheiden sie!)