Protokoll der Sitzung vom 13.11.2002

Was glauben Sie eigentlich!“

Es ist schon eigenartig, dass, wenn hier ein Zahnarzt spricht, er sofort als Lobbyist verschrien wird.

(Abg. Capezzuto SPD: Natürlich!)

Jetzt warte ich nur noch darauf, dass Sie sagen: Du bist Apotheker von Beruf, also auch Lobbyist. Ich sage Ihnen eines:

(Zuruf des Abg. Schmiedel SPD – Abg. Alfred Haas CDU: Frau Haußmann ist doch Kranken- schwester!)

Als Sozialminister bin ich Lobbyist der Patienten.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Dr. Noll FDP/ DVP – Zurufe von der CDU: Sehr gut!)

Lobbyist der Patienten zu sein wurde leider über vier Jahre hinweg sträflich verschlafen.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Das sagen alle!)

Frau Lösch, ich spreche jetzt nicht mehr über die Lügen, die im Bundestagswahlkampf verbreitet wurden.

(Zuruf der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)

Darüber spreche ich gar nicht mehr. Ich kann nur sagen: Frau Haußmann, seien Sie froh, dass Sie als Krankenschwester hier im Landtag Diäten bekommen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Zuruf der Abg. Ursula Haußmann SPD)

Doch, Frau Haußmann. – Denn das, was jetzt vorgesehen ist, wird nicht nur auf dem Rücken der Patienten, sondern auch auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Dr. Noll FDP/ DVP)

Frau Lösch, Sie haben gesagt, man brauche eine Notoperation. Wir brauchen schon seit Jahren eine Notoperation.

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Seien Sie doch froh, dass wir es jetzt machen!)

Sie hatten vier Jahre lang Zeit – zwei Jahre lang unter Andrea Fischer, die Ihrer Partei angehört, und zwei Jahre unter der lächelnden Frau Superministerin Schmidt von der SPD.

(Abg. Alfred Haas CDU: Nur gelächelt! – Abg. Car- la Bregenzer SPD: Und davor Seehofer! – Weitere Zurufe von der SPD)

Moment! Lieber Herr Präsident, ich kann mich wahrscheinlich nicht an den vereinbarten Redezeitrahmen halten. Denn wenn wir vor 1998 zurückgehen, muss ich einmal die Geschichten erzählen, die in Bezug auf das Reformgesetz von 1999 gelaufen sind.

(Zuruf des Abg. Rudolf Hausmann SPD)

Wenn Sie das wollen, dann brauche ich noch eine halbe Stunde, aber nur für diese Vorgeschichte.

(Abg. Rudolf Hausmann SPD: Zur Sache! – Zuruf des Abg. Hoffmann CDU)

Sie haben die Reform von Seehofer 1999 zurückgenommen

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Eben!)

(Minister Dr. Repnik)

und haben gesagt: „Wir machen alles besser.“ Sie haben mehr Leistungen aufgenommen und haben schon damals über die Arbeitslosenversicherung gleichzeitig gekürzt. Sie haben dem System 1,4 Milliarden DM entzogen. Jetzt geht es gerade so weiter mit der ganzen Entzieherei. Über die Umsetzung des Hartz-Papiers werden 1,3 Milliarden € entzogen.

(Abg. Hofer FDP/DVP: Entziehungskur!)

Jetzt stehen die Krankenkassen vor einer desolaten Finanzlage. In diesem Bereich besteht in diesem Jahr ein Defizit zwischen 2,4 und 3 Milliarden €. Auch wenn bestimmt worden ist, dass der Beitragssatz nicht mehr erhöht werden darf, so musste ich vorgestern noch fünf Betriebskrankenkassen eine Erhöhung der Beitragssätze genehmigen, weil ich nicht verantworten konnte, dass sie ihre Ausgaben auf Dauer mit Krediten finanzieren. Das wäre nämlich nicht zulässig.

Heute wurde mir gemeldet, dass die AOK Berlin ihren Beitragssatz auf 15,5 % erhöht.

(Abg. Alfred Haas CDU: Guten Tag!)

Die DAK und die BEK wiederum haben angekündigt, ihren Beitragssatz zum 1. Januar auf 15 % zu erhöhen,

(Abg. Kübler CDU: Sehr schön!)

und dies trotz der Spargesetze. Ich möchte nur wissen, wen Sie, Frau Lösch, für diese Spargesetzgebung mit Vorschaltgesetz, für die so genannte Notoperation vorbereiten wollen: die Patienten

(Abg. Hofer FDP/DVP: Notschlachtung!)

oder die Krankenkassen? Ich weiß es nicht. Aber Sie haben es gesagt.

Jetzt soll das Ganze im Schweinsgalopp durchgepeitscht werden. Es soll eine parlamentarische Beratung stattfinden. Am 7. November hat die erste Runde stattgefunden. Am 15. November, gerade eine Woche später, soll die Verabschiedung erfolgen, und der Bundesrat soll am 6. Dezember eine Sondersitzung abhalten. Was entspricht daran parlamentarischem Brauch? So etwas ist völlig unparlamentarisch.

Das Vorschaltgesetz, die Nullrunde ist ein Griff in die Mottenkiste und eine klare Kampfansage an die Leistungserbringer. Frau Haußmann, Sie haben sich im Prinzip ein bisschen demaskiert, als Sie gesagt haben: „Jetzt sind endlich einmal die Leistungserbringer dran.“

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Bis jetzt waren es ja nur die Patienten!)

Ja, wo denn?

(Zuruf des Abg. Rudolf Hausmann SPD)

Frau Haußmann, in welcher Welt leben Sie denn? Wo waren nur die Patienten dran?

(Abg. Schmiedel SPD: Bei Seehofer!)

Die Patienten sind doch die Geschädigten.

(Abg. Schmiedel SPD: Bei Seehofer!)

Statt echte Reformen durchzuführen, wird jetzt nur eine Verschärfung der Budgetierung vorgenommen. Anstatt 3 bzw. 3,4 Milliarden €, die Sie einsparen wollen, rechnen die Krankenkassen, die ja weiß Gott nicht unbedingt immer auf der Seite von CDU/CSU und FDP stehen, nur mit 900 Millionen bis maximal 1,4 Milliarden € – die Umsetzung des Hartz-Papiers noch gar nicht eingerechnet.

Ich glaube, ein Gesundheitssystem kann durch pauschale Kürzungen nicht kuriert werden. Wir haben dies im letzten Jahr bei jeder öffentlichen Veranstaltung bis zum Erbrechen gesagt. Herr Noll, Sie waren oft dabei.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Genau, immer wieder!)

Lassen Sie mich einmal ein paar Punkte ansprechen: Nullrunde im ambulanten Bereich heißt doch nichts anderes, als dass Sie davon ausgehen, dass die Ärzte, die Zahnärzte, die Zahntechniker oder wer auch immer den Hals sowieso nie voll kriegen und überhaupt nur voll gestopft sind. Sie sollten einmal sehen, wie die Einkommen vor Steuern in den letzten Jahren zurückgegangen sind. Die Betreffenden hatten doch jetzt schon gedeckelte Vergütungen. Wir hatten doch schon jetzt den floatenden Punktwert. Wir hatten jetzt schon eine Zeit, in der Arztpraxen schließen mussten, weil die Ärzte sagten: „Ganz umsonst schaffen will ich auch nicht mehr; dann muss ich ein bisschen länger Urlaub machen.“ Und dies alles bei steigenden Ausgaben, weil die Gesundheitsangebote nachgefragt werden.

Wissen Sie, über die 130 € reden wir doch gar nicht. Aber die Praxiskosten werden doch steigen, weil die Beiträge für die Sozialversicherung und für die Rentenversicherung steigen. Das wird auch im Krankenhausbereich eine Rolle spielen. Ich bin mir ganz sicher – die klatschen jetzt –, dass ver.di jetzt schon sagt: „Mindestens 3 %, als untere Grenze.“ Die Ausgaben für die Arzthelferinnen werden steigen. Man sollte sich wirklich einmal die Mühe machen, die Kosten in solchen Praxen zu untersuchen – nicht die von den hoch frequentierten Praxen, sondern die der Durchschnittspraxen. Ich sage Ihnen schon heute: Es ist vorprogrammiert, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entlassen werden müssen.