Das Land Baden-Württemberg brüstet sich ja auch gerne damit, dass es das erste Land war, das das Landeserziehungsgeld eingerichtet hat. Wenn man sich aber einmal anschaut, was das Landeserziehungsgeld bedeutet, stellt man fest: Das sind Gelder, die in die Kleinkinderbetreuung gehen. Andere Länder zahlen kein Landeserziehungsgeld, sondern finanzieren dafür die Kleinkinderbetreuung, das heißt die Betreuung für Kinder unter drei Jahren im Bereich von Kinderkrippen oder auch Tagespflege. Das Land gibt wenig Geld in die außerhäusliche Kleinkinderbetreuung, dafür zahlt es Landeserziehungsgeld, damit die Frauen daheim bleiben.
Der Bund hat am 1. Januar 2001 die Einkommensgrenzen, die zum Bezug von Erziehungsgeld berechtigen, erhöht, übrigens zum ersten Mal seit 1986, seit das Bundeserziehungsgeld eingeführt worden ist.
Dieser Anpassung ist auch die Landesregierung gefolgt. Aber alle anderen Änderungen, die eine Verbesserung für Frauen im Berufsleben und Männer im Familienleben bewirkt hätten, wurden abgelehnt. Beispielsweise ist beim Bundeserziehungsgeld die zulässige Teilzeitarbeit während der Elternzeit von 19 auf 30 Stunden erweitert worden. Das Land Baden-Württemberg ist dem nicht gefolgt. Damit hätten zum ersten Mal junge Väter eine realistische Chance gehabt, sich an den Erziehungsaufgaben zu beteiligen. Die Landesregierung will dies anscheinend nicht.
Die Landesregierung steht nach wie vor für ein konservatives Familienbild und lehnt nahezu alle Regelungen ab, die die traditionelle Aufgabenverteilung infrage stellen. Die Ernährerrolle wird nach wie vor den Vätern zugeschrieben, und die Mutter hat sich mindestens für die ersten drei Jahre
fast ausschließlich um die Kinderbetreuung zu kümmern. Dieses Weltbild entspricht leider nicht mehr den Realitäten.
Das konnte man auch daran sehen, dass 52 % der Frauen bei der Bundestagswahl Rot-Grün gewählt haben, da unsere frauen- und familienpolitischen Vorstellungen eher den Realitäten entsprechen.
80 % aller jungen Männer und Frauen, zeigen die Umfragen, möchten beides: Sie möchten arbeiten, und sie möchten Kinder haben. Es kann doch nicht sein, dass wir hier nach wie vor eine solche Ausschlusspolitik machen, bei der Männer vom Familienleben und Frauen vom Erwerbsleben ausgeschlossen werden. Ich finde, damit muss Schluss sein. Im Augenblick ist die Familienpolitik von Baden-Württemberg bestimmt nicht familienfreundlich.
(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Abg. Alfred Haas CDU: Dürftiger Beifall für eine dürftige Rede!)
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es spricht ja schon Bände, dass wir uns über den Wirtschaftsstandort unterhalten und unser Wirtschaftsminister abgetaucht ist. Ich habe ihn nirgends gesehen. Wenn Sie ihn finden, richten Sie ihm einen Gruß aus.
Die bisherige Familienpolitik der Landesregierung von Baden-Württemberg – ich weiß auch, warum er weg ist – ist für den Wirtschaftsstandort und für den Arbeitsmarkt in Baden-Württemberg ineffektiv, und sie ist natürlich zunehmend belastend. Gemäß einem alten Leitbild von Familie „Der Mann geht hinaus ins feindliche Leben, und drinnen waltet die züchtige Hausfrau“ hat diese Landesregierung – und Sie in Vertretung – über Jahre hinweg den planbaren und verlässlichen Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen verweigert. Sie haben ignoriert, was immer zu ignorieren ging. Es hat Sie nicht interessiert, was junge Frauen wollen. Diese wollten immer wissen, wie sie Kinder und Beruf verbinden können.
Übrigens ist dieses Problem auch Ihrer Kollegin – man sieht ja an ihrer Präsenz, welche Bedeutung die CDU diesem Bereich zumisst – im Bundestag
Es ist kein Zufall, dass alle drei weiblichen Abgeordneten, die der CDU angehören, aus BadenWürttemberg, die in den Bundestag gewählt worden sind, keine Kinder haben.
Dass sich diese Regierung nicht um die Meinung von Frauen kümmert, ist bekannt. Dass sie sich zunehmend auch nicht um die Meinung der Wirtschaft kümmert, muss uns allerdings jetzt schon sehr nachdenklich stimmen. Herr Wirtschaftsminister Döring betont doch unentwegt, sich dafür einzusetzen. Und was fordert die IHK, was fordert der Bund Deutscher Arbeitgeber, was fordert die Handwerkskammer? Sie alle fordern von Ihnen den Ausbau von Ganztagskinderbetreuungseinrichtungen.
Warum fordern sie das? Damit die gut qualifizierten Frauen, die arbeiten wollen und die die Wirtschaft braucht, auch arbeiten können.
Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung sagt: Die Betreuung der Kinder ist der Schlüssel zur Erschließung des weiblichen Arbeitskräftepotenzials. Was lesen wir im Abschlussbericht der Enquetekommission des Bundestags „Globalisierung der Weltwirtschaft“? Ihre Kollegen in der Opposition haben daran mitgewirkt. Er empfiehlt Deutschland, die niedrige Frauenerwerbsquote zu erhöhen, um dem Mangel an Fachkräften zu begegnen. Weiter sagt er:
Als Drittes, wenn Sie das alles schon nicht wahrnehmen wollen, noch ein Punkt, an dem Sie auch Interesse haben müssten. In diesem Abschlussbericht wird mit den Stimmen von CDU/CSU geschrieben:
Eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie erleichtert nicht nur die Erwerbstätigkeit der Frauen, sondern steigert nach internationalen Vergleichen auch die Geburtenrate.
Frau Stolz hat die Zahlen schon genannt, aber das Problem ist, dass Sie nichts tun. Von den 35- bis 40-jährigen Hochschulabsolventinnen haben 34 % keine Kinder, und 41 % der entsprechenden Männer haben auch keine Kinder. Sie werden zugeben, dass das ein Alter ist, wo auch nicht mehr sehr viele Kinder kommen können. Die Genannten verzichten unfreiwillig auf Kinder, weil sie einfach schwer mit dem Beruf zu vereinbaren sind. In Frankreich haben Hochschulabsolventinnen Kinder, bei uns nicht.
Wenn dann in der Stellungnahme des Sozialministeriums zum Antrag der CDU steht, zu diesem Problem der Vereinbarkeit von Beruf und Familie plane man eine Zukunftswerkstatt, ist das doch eine Lachnummer. Was wollen Sie denn in der Werkstatt noch lernen?
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und Abgeordne- ten der Grünen – Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Es gibt immer etwas zu lernen! Jeder kann lernen!)
Sie haben in dieser Antwort auch auf die McKinsey-Studie verwiesen. Frau Lichy, ich glaube, Sie haben einen Realitätsverlust. Wir sind leider nicht überall auf dem vordersten Platz, wobei ich als Baden-Württembergerin gern vorne wäre. Aber bei der Kinderbetreuung hat Baden-Württemberg nach der McKinsey-Studie den schlechtesten Platz, nämlich Platz 13, erreicht.
Herr Repnik, was Ihr Haus bewogen hat, sich den Wunsch zu backen und nicht von der Wirklichkeit zu reden, würde mich schon interessieren. In Ihrer Stellungnahme sagen Sie, dass Baden-Württemberg bei der Geburtenhäufigkeit an erster Stelle liege. Da muss ich Sie aber enttäuschen: Es sind drei sozialdemokratisch regierte Bundesländer – Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen –, die vor Baden-Württemberg liegen.
Der Herr Ministerpräsident war gerade noch da. Vielleicht kann er einmal bei seinen Kollegen nachfragen, was diese tun und was er unterlässt.