Protokoll der Sitzung vom 13.11.2002

(Abg. Alfred Haas CDU: Überhaupt nicht! – Abg. Dr. Reinhart CDU: Schlüssig und stringent war das!)

Man kann nicht einerseits fordern, dass man die Freiheitsansprüche der Menschen respektiert, zugleich aber den Eindruck erwecken, als sei es Aufgabe der Politik, die Leute dazu anzuhalten, zumindest standesamtlich, aber besser eigentlich noch kirchlich zu heiraten. Ich glaube, das steht uns einfach nicht zu.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Hauk CDU: Das hat er doch gar nicht gesagt! – Abg. Oettinger CDU: Ich habe Artikel 6 zitiert! – Abg. Dr. Reinhart CDU: Ein Grundrecht, ein Freiheitsrecht, eine Institutsgarantie!)

Darauf komme ich noch.

(Abg. Oettinger CDU: Eine Aufgabe der Politik!)

Das ist nun einmal keine Aufgabe der Politik. Schon Kant hat gesagt: Es ist unmöglich, in Fragen der persönlichen Lebensführung einen Konsens herzustellen.

(Abg. Hauk CDU: Das will ja niemand! Aber die In- stitution! – Abg. Dr. Reinhart CDU: Sie lenken ab!)

200 Jahre später ist es völlig illusorisch, zu glauben, wir könnten den Leuten vorschreiben, wie sie ihre Partnerschaft gestalten.

(Abg. Hauk CDU: Das sagt niemand! – Abg. Oet- tinger CDU: Das ist unstrittig!)

Das ist nun einmal unmöglich, und so weit reicht der Arm der Politik nicht.

(Abg. Dr. Reinhart CDU: Ein Scheingegensatz!)

Gott sei Dank, möchte ich einmal sagen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Deswegen ist der harte Gegensatz, den Sie hier in ganz klassischer Manier kolportiert haben – hier „privat“ Familie, dort „öffentlich“ Staat –, in Wirklichkeit überholt.

(Abg. Dr. Reinhart CDU: Überholt? In welcher Rich- tung?)

Es ist genau die Aufgabe einer modernen Familienpolitik, endlich wahrzunehmen, dass dieser schroffe Gegensatz die Wahlfreiheit behindert und nicht fördert.

Es ist doch nun von allen Rednerinnen und Rednern festgestellt worden: Wenn wir wollen, dass Leute wieder verantwortlich eine Partnerschaft übernehmen und auch Kinder zeugen und aufziehen, müssen wir sehen, dass sie das eben nur dann machen,

(Abg. Dr. Reinhart CDU: Dazu gehört mehr!)

wenn der Staat ihnen Infrastruktureinrichtungen anbietet, die es ihnen ermöglichen, Familie und Beruf zu vereinbaren.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Es geht also nicht darum, den Gegensatz von Staat und Familie, wie er traditionell bestand, weiter zu betonen, sondern es geht genau darum, vor allem in der staatlich und kommunal organisierten Kinderbetreuung die Grundlagen zu gewährleisten,

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Aber auch privat organi- siert! Und privat!)

damit ein wichtiger Bestandteil der Vereinbarkeit von Familie und Beruf gewährleistet ist und Menschen ihre Wahlfreiheit,

(Abg. Hauk CDU: Da sind wir völlig d’accord!)

auch Kinder zu haben und aufzuziehen, überhaupt wahrnehmen können. Darum geht es.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Hauk CDU: Da gibt es ja keinen Dissens! Aber es soll keinen Zwang geben! – Glocke der Präsidentin)

Nein. – Nur wenn wir die Infrastrukturmaßnahmen schaffen, ist die Wahlfreiheit faktisch überhaupt erst gegeben.

(Abg. Oettinger CDU: Kein Thema!)

Deswegen ist der Gegensatz, den Sie aufgemacht haben, falsch.

Herr Abg. Kretschmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Dr. Noll?

(Abg. Capezzuto SPD: Nur wenn sie qualifiziert ist!)

Bitte, Herr Dr. Noll.

Herr Kollege Kretschmann, haben Sie es vergessen, oder haben Sie bewusst wieder nur von den staatlichen Einrichtungen zur Kinderbetreuung gesprochen?

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Nein, hat er nicht!)

Sie haben nämlich nicht die privaten Initiativen und die Tageselternbetreuung genannt.

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Die Tagespflege!)

Sie haben nur von der staatlichen Betreuung gesprochen.

Selbstverständlich geht es auch um Einrichtungen, die aus der Zivilgesellschaft heraus entstehen. Das ist gar keine Frage.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Dann sollten Sie es auch sagen!)

Aber auch diese muss der Staat fördern, und er muss Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass sie auch wirklich agieren können. Dabei sollten wir uns nichts vormachen: Heute kommt es darauf an – das erwarten junge Mütter auch –, dass die Betreuungsangebote eine hohe Qualität besitzen. Nur dann werden sie überhaupt angenommen.

Sie haben die Vorwürfe gegen uns zu präzisieren versucht, indem Sie gesagt haben, wir wollten durch unsere Pläne zum Ehegattensplitting die Ehe aushöhlen.

(Abg. Drexler SPD: Eben! – Abg. Dr. Reinhart CDU: Das ist ja bekannt!)

Auch da muss man eines nüchtern feststellen. In der Verfassung heißt es eigentlich nur: Ehe und Familie.

(Abg. Oettinger CDU: Beides! Das ist kumulativ! – Abg. Dr. Reinhart CDU: Kumulativ! „Und“ bedeutet kumulativ und nicht alternativ!)

Das heißt, beides tritt immer nur im Zusammenhang auf. So sehe ich das. Lassen Sie mich das einfach einmal erläutern.

(Abg. Hauk CDU: Es heißt nicht „oder“! – Abg. Oettinger CDU: Beides! – Abg. Hauk CDU: Beides! – Abg. Oettinger CDU: Das ist so klar wie nur ir- gendwas! – Abg. Dr. Reinhart CDU: Herr Kollege Kretschmann, verrennen Sie sich nicht!)

Ehe und Familie war früher etwas anderes als heute.

(Abg. Dr. Reinhart CDU: Schreiben Sie die Verfas- sung nicht neu, Herr Kollege!)

Früher konnte man davon ausgehen, dass Menschen, die eine Ehe eingehen, in der Regel auch Kinder bekommen. Das war die gesellschaftliche Wirklichkeit, die dahinter stand. So war es auch in weit, weit über 90 % der Fälle. Heute ist es aber nicht mehr so.

(Abg. Dr. Reinhart CDU: In der Regel hat man noch nie Kinder gezeugt!)