Protokoll der Sitzung vom 14.11.2002

Das ist sogar sehr radikal geworden, so radikal, wie wir es selbst gar nicht wollten. Das heißt, die Körperschaften haben das bekommen, was Sie alle wollen, nämlich Steuersenkungen auf breiter Front. Und was ist das Ergebnis? Leider nicht das, was Sie uns hier immer erzählen wollen, was alles an positiven wirtschaftlichen Effekten eintritt, wenn man Steuern senkt.

(Abg. Hauk CDU: Weil Sie die wichtigste Gruppe nicht berücksichtigt haben!)

Also, ich bitte darum, da ein bisschen auf dem Teppich zu bleiben.

Zweitens sind es natürlich die strukturellen Schwächen der Volkswirtschaft und die ganzen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und die Rahmenbedingungen durch die Sozialsysteme. Auch da erwarten wir endlich einmal Ihre Vorschläge. Wir werden sie machen. Die Reformanliegen liegen auf dem Tisch. Wir bestreiten nicht die Versäumnisse, die in den letzten Jahren passiert sind, aber es wäre schön, wenn auch Sie einmal Ihre eigenen Versäumnisse auf diesem Gebiet eingestehen würden.

Beispielsweise hat das, was wir gestern von der Union bei der Gesundheitsdebatte gehört haben, nichts Gutes erwarten lassen. Das war doch eine Koalition der Besitzstandswahrer, die Sie in der ganzen Gesundheitsdiskussion angeführt haben. Jede Lobby, die geschrien hat, haben Sie an diesem Pult verteidigt.

(Abg. Hauk CDU: Wer hat denn die Reform 1999 zurückgenommen?)

Und, Leute, wie wollen wir diese Probleme hier lösen, wenn wir nicht allen sagen: „Es gibt auch Einschnitte bei allen Leistungen“? Dies ist unabdingbar.

(Beifall der Abg. Heike Dederer GRÜNE – Abg. Hauk CDU: Sie haben doch das Gegenteil dessen gemacht!)

Wenn es gemacht wird wie bei der Eigenheimzulage, wo jetzt festgestellt wird, dass der Staat sein Füllhorn nicht mehr hat und einsparen und die Ausgaben auf das absolut Unabdingbare beschränken muss, nämlich die Förderung von Familien, Städten und Ökologie, dann veranstalten Sie hier sofort ein Heidengeschrei. Wo sind denn Ihre Einsparvorschläge? Bitte nennen Sie uns die! Wo sind Ihre Streichlisten? Ich kann sie überhaupt nicht erkennen.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Noch etwas muss ich sagen, und dazu müssen Sie endlich einmal Farbe bekennen: Der dritte Punkt sind natürlich die erheblichen Altlasten, die wir aus der Vergangenheit mitschleppen. Die größte Altlast ist unsere enorme Verschuldung.

(Abg. Hauk CDU: Die größte Altlast ist die SED! Das ist der Punkt!)

Sollen wir bei der riesigen Verschuldung, die wir haben, den Weg gehen, den Sie offensichtlich wollen, uns noch weiter zu verschulden? Das müssen Sie hier klipp und klar sagen. Ich glaube, dass dieser Weg falsch wäre. Sie haben diesen Weg schon bei der Hochwasserkatastrophe angedeutet. Sie wollen in die Verschuldung gehen und haben kritisiert, dass wir die Steuerreform um ein Jahr verschieben.

(Beifall des Abg. Walter GRÜNE – Abg. Walter GRÜNE: So ist es! Genau!)

Ich möchte Ihnen dazu etwas vorlesen, was Professor Robert von Weizsäcker dazu gesagt hat, und ich glaube, dass Sie das hart trifft. Er sagte:

Die Wahl zwischen Steuer- und Kreditfinanzierung ist tatsächlich nur eine Wahl des Timings der Besteuerung, nicht zwischen höherer oder geringerer Steuer. Die Steuererhöhung liegt aber meist erst hinter dem wahltaktisch begründeten Zeithorizont gewählter Regierungen. Das verleitet die an Machterhaltung interessierten Regierungen, aber auch die auf Gegenwartskonsum fixierten Wähler zu nicht umkehrbaren Umverteilungen zulasten zukünftiger Generationen.

Wir wollen von Ihnen hier klar wissen, ob Sie diesen Weg der Verschuldung gehen wollen

(Abg. Dr. Birk CDU: Nein!)

oder nicht.

(Abg. Dr. Birk CDU: Sie gehen doch diesen Weg, Herr Kretschmann! Die rot-grüne Bundesregierung geht doch diesen Weg!)

Alle Vorschläge, die Sie in der letzten Zeit gemacht haben, waren eine Kritik am Abbau der Steuersubventionen. Sie gingen alle in die Richtung, die Verschuldung zu erhöhen. Wir sagen Ihnen: Diesen Weg gehen wir nicht einfach mit. Wir kommen mit Sicherheit bei dieser dramatischen Finanzlage auch nicht um eine weitere Verschuldung herum. Aber wir werden sie, so gut es geht, vermeiden.

Nur wenn wir über das Ziel „Welchen Weg wollen wir zur Belebung der Konjunktur gehen, zur Sanierung der Rentenund Gesundheitssysteme und beim Abbau der Altlasten?“ streiten, kann in der Wirtschaft und in der Bevölkerung überhaupt wieder Vertrauen in die Politik entstehen, anders nicht.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Da haben Sie doch vier Jahre Zeit gehabt!)

Diese Dinge müssen wir auf den Tisch legen, und ich sage noch einmal und bitte sogar darum: Wir brauchen selbstverständlich Ihre kritische, aber konstruktive Begleitung. Das wäre für alle sehr hilfreich. Nur draufhauen und nicht sagen, welchen Weg man beschreiten will, das ist unproduktiv und setzt Signale in der Bevölkerung, die negativ sind und nicht positiv. Das können wir uns in einer so dramatischen Situation nicht leisten.

Ich kann nur noch einmal klipp und klar sagen: Wir werden uns mit all den Vorschlägen, die Sie hier machen, kritisch auseinander setzen. Wir werden uns der Verantwortung im Landeshaushalt stellen. Wir werden auch dabei sein, wenn es um Zumutungen und schwere Einschnitte für die Bevölkerung geht, um den Haushalt des Landes zu sanieren und im Gleichgewicht zu halten. Ich erwarte von Ihnen, dass Sie im Bundesrat und als Opposition im Bundestag dasselbe machen. Dann kommen wir voran.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, unter den Gästen auf der Zuhörertribüne befindet sich der Botschafter der Republik Ungarn in der Bundesrepublik, Herr Gergely Pröhle, in seiner Begleitung der ungarische Generalkonsul in Baden-Württemberg, Herr Tamás Mydlo. Herr Botschafter, ich begrüße Sie sehr herzlich im Landtag von BadenWürttemberg und wünsche Ihnen einen angenehmen, informativen Aufenthalt bei uns im Haus des Landtags und in unserer Landeshauptstadt Stuttgart.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Das Wort erteile ich dem Herrn Ministerpräsidenten.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute Morgen las ich in einer Zeitung, auch den berufsmäßigen Schönrednern in Berlin sei gestern nichts mehr eingefallen. Und in der Tat: Wem es bei dieser Dreifachmeldung des gestrigen Tages nicht die Sprache verschlägt, dem ist wirklich nicht mehr zu helfen.

Ich muss sagen, außer dem Kollegen Kretschmann ist allen anderen Oppositionsrednern immer noch sehr viel Beschö

(Ministerpräsident Teufel)

nigendes eingefallen. Herr Kollege Kretschmann, ich werde mich deshalb nachher vor allem mit Ihren Argumenten auseinander setzen. Denn ich glaube, wir müssen die Wirklichkeit betrachten, so, wie sie sich seit dem gestrigen Tag darstellt. Dann müssen wir versuchen, Folgerungen zu ziehen.

Ich möchte nicht damit beginnen, dass ich den Sachverhalt selbst aus meiner Sicht darstelle. Das werde ich anschließend tun. Sie sagen ja immer, das sei die Sicht der Opposition und wir würden grundsätzlich blockieren. Deshalb möchte ich den Sachverhalt einmal darstellen, indem ich zunächst die Wirklichkeit anhand der Fakten, die der Sachverständigenrat gestern auf den Tisch gelegt hat, und anhand dessen betrachte, was Wirtschaftsjournalisten von drei großen deutschen Tageszeitungen heute zu diesem Thema schreiben.

Sie sagen ja, wenn sich Wirtschaftsverbände meldeten, wolle man mit ihnen nicht mehr reden, sie betrieben das Geschäft der Opposition. Uns machen Sie den Vorwurf der Obstruktion. Aber bitte befassen Sie sich doch einmal mit dem, was unabhängige Sachverständige sagen. Von den fünf Wirtschaftsweisen sind vier von der Regierung Schröder berufen worden,

(Abg. Oettinger CDU: Sozialdemokraten!)

und drei der fünf Weisen sind Sozialdemokraten. Also wird man doch auch von Ihnen heute erwarten können, dass Sie nicht beschönigen, sondern sich in dieser schwierigen Situation, in der sich Deutschland befindet, einmal sachlich mit dem auseinander setzen,

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

was die Sachverständigen sagen. Sie analysieren ja nicht nur, sondern sie machen auch praktische Vorschläge.

Ich zitiere nun also aus der heutigen Ausgabe von drei großen deutschen Tageszeitungen.

„Die Welt“ schreibt: „Vernichtendes Zeugnis für Rot-Grün – Wirtschaftsweise verurteilen Reformprojekte“. Dies bezieht sich auch auf die Reformprojekte, Herr Kollege Kretschmann, denen wir nach Ihrer Meinung im Bundesrat zustimmen sollten.

Die „Süddeutsche Zeitung“ schreibt: „Wirtschaftsweise fordern eine andere Politik“.

Nun zu den Fakten selbst. Ich zitiere dazu aus dem Bericht der „Frankfurter Allgemeinen“ über den Bericht der Sachverständigen, der uns ja im Original noch nicht vorliegt:

Sachverständigenrat geht mit Bundesregierung hart ins Gericht...

Für die schlechten Aussichten trage die Politik hohe Mitverantwortung... Deutschland leide unter einer auch hausgemachten Wachstumsschwäche mit negativen Folgen für die Beschäftigung. Dem müsse mit tief greifenden Reformen am Arbeitsmarkt und bei den sozialen Systemen begegnet werden... „Es mangelt an einer klaren Perspektive, die geeignet ist, Vertrauen bei den Konsumenten aufzubauen“...

Der Rat hält

gegen die Vorschläge der Bundesregierung –

dagegen viele der von der Regierung geplanten Maßnahmen, auch das Hartz-Konzept, für unzureichend...

Bitte befassen Sie sich also doch zunächst einmal mit der Analyse und mit den Vorschlägen des Sachverständigenrats. Messen Sie Ihre Vorschläge aus der Koalitionsvereinbarung und das, was Sie jetzt in Gesetzesform vorlegen wollen, an diesen Aussagen. Korrigieren Sie nicht nur Tag für Tag von Ihren eigenen Ministerien erkannte Fehler, sondern korrigieren Sie Ihre Politik.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Die „Frankfurter Allgemeine“ schreibt unter der Überschrift „Der Absturz“: