Frau Präsidentin, meine Damen, meine Herren! Ich darf meinem Vorredner, dem Kollegen Maurer, in dem zustimmen, was er zum Schluss als Folgerung in Bezug auf die Diskussion zur Zwischenbilanz des Konvents ausgeführt hat. Es ist richtig, dass wir klare Abgrenzungen brauchen. Es ist auch richtig, dass wir von zu vielen Mischkompetenzen wegkommen müssen. Ich stimme ihm schließlich auch darin zu, dass wir darin einig sind, dass hier eine große Chance besteht, gerade auch in der Frage des Subsidiaritätsprinzips.
Der Ständige Ausschuss hat eine sehr gute Anhörung mit acht Vertretern durchgeführt, die teilweise Mitglieder des Konvents sind. Der Ministerpräsident hat gesprochen, und die Mitglieder Hänsch und Meyer des Konvents haben ihren Beitrag geliefert. Ich hatte den Eindruck, in Deutschland besteht Einigkeit darüber, dass wir als Anhänger des Föderalismus und als Anhänger eines Bundesstaates in Europa eine klare subsidiäre Abgrenzung wollen und dass folglich Europa vom Kopf auf die Füße gestellt werden muss, wie das der Ministerpräsident auch in seinen Ausführungen eindrucksvoll dargestellt hat. Wir müssen schauen, dass es nicht weiterhin eine schleichende Kompetenzerweiterung der darüber liegenden Zuständigkeiten gibt,
Wir haben hier die einmalige Chance, dass erstmals überhaupt eine Verfassung für das gemeinsame Europa diskutiert wird. Wir wollen keine schwache, sondern eine starke Europäische Union. Diese Union braucht auch Zuständigkeiten, nämlich dort, wo der Nationalstaat zu klein ist und wo auch die Länder eine Aufgabe nicht regeln können.
Ich will Beispiele nennen. Nehmen Sie die grenzüberschreitende Bekämpfung der Kriminalität. Nehmen Sie die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Wir haben gerade nach dem 11. September 2001 erlebt, dass Europa nicht mit einer Stimme gesprochen hat, während die USA diesbezüglich als Supermacht auftreten. Ich denke, es muss auch bei der Außen- und Sicherheitspolitik darum gehen, dass wir mit einer Stimme sprechen. Nehmen Sie die Terrorismusbekämpfung oder die Befugnisse von Europol oder einer europäischen Grenzpolizei.
Wir als Länder, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen in dem Prozess der Verfassungsdiskussion darauf achten, dass
die Länderkompetenzen nicht auf der Strecke bleiben und dass auch die Rechte der Regionen und der Regionalparlamente mit Inhalt erfüllt werden.
Länder wie Spanien und Frankreich sind zentralistisch orientiert. Es gibt eben Nationen, die keinen Bundesstaat haben, in dem die Länder Staatsqualität haben. Dort vertritt man andere Auffassungen. Deshalb müssen wir auch Hüter der kommunalen Selbstverwaltung sein. Wir müssen darauf achten, dass für die Länderparlamente ein eigenständiges Klagerecht – nicht nur über die Nationalparlamente – installiert wird.
Europa wird immer größer. Wir haben heute einen historischen Tag: Heute beginnt in Kopenhagen die Gemeinsame Konferenz über die Osterweiterung der Europäischen Union. Dabei geht darum, dass zehn Nationalstaaten der großen Gemeinschaft zusätzlich beitreten. An einem solchen Tag ist es auch wichtig, denke ich, darauf hinzuweisen, dass man, je größer Europa wird, umso mehr darauf achtet, dass Europa auf seine eigenen Zuständigkeiten beschränkt bleibt, dass aber auch umgekehrt Aufgaben, die, beispielsweise auf Länderparlamente, rückübertragen werden können, den Weg in diese Richtung gehen.
Meine Damen und Herren, wir brauchen mehr Transparenz, vor allem öffentliche Tagungen, und Mehrheitsentscheidungen in größerer Zahl als bisher. Wir werden mit Sicherheit auch die Staatsqualität der deutschen Länder beachten müssen, wenn es um die Frage der Verankerung im Konvent geht. Die britische Vertreterin hat in der Anhörung klar gemacht, dass man in der Konventsdiskussion bisher noch sehr unterschiedlicher Auffassung darüber ist, wie die Staatsqualität der Regionen verankert werden kann. Es wird darum gehen, dass dieser Verfassungsvertrag einen konzeptionellen und einen operativen Teil erhält. Ganz wichtig aber ist: Erstmals werden wir auch eine europäische Grundrechtecharta bekommen. Die Diskussion darüber wurde zu Beginn von unserem Freund Roman Herzog geleitet. Nunmehr wird die europäische Verfassung eine Neugestaltung erhalten, bei der gerade der europäische Grundrechtekatalog ein wesentlicher Bestandteil ist.
Die Verfassung wird sich entwickeln müssen, und zwar gerade im Rahmen der heute diskutierten EU-Erweiterung. Aber es wird auch darum gehen, dass der Artikel 308 des EG-Vertrags, in dem auch Rückholrechte der Parlamente verankert sind, erhalten bleibt, sodass der Zug auch wieder in die andere Richtung fahren kann.
Wichtiger aber ist für uns als Vertreter des Landes – das will ich noch einmal festhalten –, dass das Subsidiaritätsprinzip nicht nur als allgemeines Prinzip, sondern auch als Prinzip in der Grundrechtecharta verbindlich festgelegt und damit Teil der Verfassung wird.
Wichtig ist zum Zweiten auch, dass wir einen dreigeteilten Kompetenzkatalog erhalten – mit ausschließlichen Europakompetenzen, mit gemeinsamen Kompetenzen und mit komplementären Kompetenzen – und dass hier eine klare Abgrenzung erfolgt, um eben den Bedenken, dass die Rechte der Länder ausgehöhlt werden könnten, entgegenzutreten.
Wir haben im Ständigen Ausschuss keine Debatte geführt, weil, wie ich festgestellt habe, sich die vier Fraktionen in diesem Landesparlament in diesen Fragen einig sind. Es wird darum gehen, den europäischen Auftrag jetzt mit Inhalt und mit Leben zu erfüllen. Wir befinden uns, was die europäische Integration angeht, in einer sehr spannenden Zeit. Neben Vertiefung und Erweiterung geht es vor allem darum, dass im Europäischen Konvent eine gute europäische Verfassung verabschiedet wird, in der wir auch unsere Rechte wiederfinden. Insoweit haben wir mit unserem Ministerpräsidenten im Konvent einen guten Vertreter. Lassen Sie uns gemeinsam ihn in der Verankerung dieser Rechte, die wir als Länderparlamente brauchen, unterstützen. Dann ist Europa auf einem guten Weg.
Sehr verehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich mir die Anhörung des Ständigen Ausschusses hier noch einmal vergegenwärtige, dann stelle ich fest, dass dies eine sehr gute Veranstaltung war. Die große Resonanz, die wir mit dieser Anhörung auch in den anderen Landtagen gefunden haben, zeigt, dass wir als deutsche Bundesländer gut daran getan haben, miteinander zu reden, um die Vorschläge des Konvents zu bewerten und uns zu überlegen, wie wir auch in Gesprächen mit Europaparlamentariern und anderen Mitgliedern des Konvents darauf hinwirken können, dass die Landtage, die Regionen mit gesetzgeberischer Kompetenz in Europa diese Kompetenz auch in einer erweiterten Europäischen Union behalten können.
Es gibt Ansätze, bei denen wir sagen können: Wir sind auf dem richtigen Weg; es sind Erfolge erzielt worden. Andererseits wird sich aber erst noch herausstellen, wie diese Länderrechte dann in der Praxis tatsächlich gewahrt werden können.
Ich denke, dass das Informationsrecht des Bundesrats bei europäischen Gesetzgebungsverfahren eine ganz wichtige Einrichtung sein wird. Dies wird aber auch die Arbeitsweise unseres Parlaments verändern. Wir werden dann mit Sicherheit nicht nur im Ständigen Ausschuss, sondern in allen Fachausschüssen die europäischen Richtlinienentwürfe zeitnah diskutieren müssen, damit wir überhaupt noch über den Bundesrat auf die europäische Gesetzgebung Einfluss nehmen können.
Strittig und offen ist ja auch noch die Frage des Klagerechts. Es ist noch offen, ob dieses Klagerecht lediglich dem Bundesrat als der Kammer aller deutschen Länderparlamente eingeräumt wird oder ob jedem Land – jedem Landtag – und natürlich auch jeder anderen Region mit gesetzgeberischer Kompetenz dieses Klagerecht zugestanden wird. Ich bin gemeinsam mit der FDP/DVP-Fraktion letzterer Auffassung, dass die Länder selbst das Recht haben müssen,
beim Europäischen Gerichtshof zu klagen, wenn sie sich in ihren eigenen Zuständigkeiten, in ihren eigenen Rechten verletzt fühlen.
Die Prinzipien Subsidiarität – das heißt, dass alles, was auf einer niedrigeren Ebene geregelt werden kann, dort auch geregelt werden soll – und Verhältnismäßigkeit müssen nach unserem Dafürhalten in die Verfassung der Europäischen Union aufgenommen werden.
Die aktuelle Diskussion im Konvent zeigt, dass eine große Chance besteht, die in den bisherigen Verträgen der Europäischen Union niedergelegten Inhalte im Rahmen eines europäischen Verfassungsvertrags zu straffen und dabei auch der Forderung nach mehr Transparenz nachzukommen. Ich denke, es ist tatsächlich ein Unding, dass heute noch europäische Gesetze im Rat verabschiedet werden und dieses Legislativorgan praktisch nichtöffentlich tagt. Ich kann mich nur der Forderung anschließen, die verschiedene Mitglieder des Konvents erhoben haben, dass künftig die Beratung und Beschlussfassung in diesem Legislativorgan der Europäischen Union auch öffentlich und damit für die Bürgerinnen und Bürger nachvollziehbar durchgeführt werden müssen.
Aktuell geht es um die Frage der Osterweiterung. Zehn mittel- und osteuropäische Länder sollen zum 1. Mai 2004 in die Europäische Union aufgenommen werden. Die Beitrittsverhandlungen sind im Moment an einem Punkt, der sehr kritisch ist. Das Problem ist wieder einmal die Frage der Finanzierung. Wir merken, wie schwer sich die Europäische Union heute schon tut, die Finanzverfassung der EU auf eine neue Grundlage zu stellen. Wir sehen ja im Geflecht der Bundesländer in der Bundesrepublik Deutschland, wo auch eine Neuregelung der Finanzverfassung und des Länderfinanzausgleichs gerade aus der Sicht eines Zahler- und Geberlandes wie Baden-Württemberg dringend erforderlich ist, wie schwierig das schon bei 16 Bundesländern ist. Um wie viel schwieriger ist es auf europäischer Ebene! Insofern, glaube ich, werden wir nicht darum herumkommen, als Deutsche, als Baden-Württemberger den Ruf nach einer Neuregelung der Finanzverfassung zu erheben.
Die Stabilität, die wir durch die Europäische Union erhalten haben, die Möglichkeit, in Frieden mit unseren Nachbarn zu leben und diese Stabilitätszone nun auch auf Länder in Mittel- und Osteuropa auszudehnen, sind es wert, dass wir dafür auch finanzielle Leistungen erbringen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Ein Problem sehen wir als FDP/DVP im Bereich der Grundrechtecharta. Diese Grundrechtecharta enthält allgemeine Ausführungen, Staatszielbestimmungen, die, zum Beispiel das Recht auf Arbeit, als Anspruch ausgelegt werden könnten. Hier ist noch ungeklärt, ob nicht durch Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof Einzelpersonen, also
EU-Bürger, eine EU-Gesetzgebung auch in Fragen in Gang setzen könnten, die eigentlich Aufgabe der Mitgliedsstaaten oder der Landtage sind. Auf diese Gefahr möchten wir hinweisen und möchten als FDP/DVP eine klare Kompetenzabgrenzung zwischen der Europäischen Union, den Mitgliedsstaaten und den Ländern erreichen.
Die gemeinschaftlichen Aufgaben sehen wir vor allen Dingen im Bereich des Binnenmarktes, der Währungspolitik und des Außenhandels. Die konkurrierenden Kompetenzen sollte man auf ein Mindestmaß reduzieren. Wir haben ja im deutschen Föderalismus gemerkt, dass die höhere Ebene doch sehr oft Dinge aus politischen Gründen an sich zieht und damit die Entscheidungskompetenzen der unteren Ebenen einschränkt.
Wir bekennen uns klar zum Prinzip des Wettbewerbs der Systeme. Wir fordern, dass künftig nicht alles harmonisiert und vergemeinschaftet wird. Es muss auch künftig möglich sein, dass es Niedrigsteuerländer gibt. Derjenige, der seine Verwaltung effizienter, schlanker, kostengünstiger organisieren kann als andere, soll dadurch einen Standortvorteil erzielen können.
Wer dann seinen Bürgern geringere Steuern abverlangen muss, hat einen Wettbewerbsvorteil und wird dadurch Arbeitnehmer, Einwohner, Steuerzahler und Unternehmen anziehen. Diesen Wettbewerb wollen wir ausdrücklich zulassen.
Lassen Sie mich abschließend noch ein Wort zur Türkei sagen. Die Türkei, meine Damen und Herren, hat einen Antrag auf Aufnahme in die EU gestellt. Ich denke, wir sollten bei dieser Diskussion sehr genau prüfen, welche Auswirkungen dies auf die Europäische Union hat. Wer mit anderen Ländern spricht, die in einer ähnlichen Situation sind wie die Türkei, stellt fest, dass sich auch andere Länder an der Europäischen Union orientieren: Weißrussland und die Ukraine, Russland und selbstverständlich auch die so genannten Maghreb-Staaten in Nordafrika. Ich bin der Meinung, dass wir einmal überlegen sollten, ob es zur Aufnahme all dieser Länder in die Europäische Union noch Alternativen gibt. Ich glaube, wir müssen Bewegung in die europäische Debatte bringen und uns fragen, ob wir nicht durch Assoziationslösungen oder durch andere Lösungen auch für diese Länder – etwa in Nordafrika oder eben auch Russland, das einerseits ja ein europäisches Land ist, andererseits aber auch große asiatische Gebiete auf seinem Territorium hat – eine Perspektive der Assoziation schaffen können, damit wir diesen Raum der Stabilität, des Friedens und des wirtschaftlichen Wohlstands auch über die eigentlichen Grenzen der Europäischen Union hinaus ausdehnen können.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Der EU-Konvent zur Erarbeitung eines europäischen Verfassungsentwurfs hat seine Arbeit vor acht Monaten in Brüssel aufgenommen. Inzwischen wurde bereits ein hohes Maß an Konsens unter den Konventsmitgliedern erreicht. Weitgehende Einigkeit besteht über die Notwendigkeit eines europäischen Verfassungsvertrags, die Aufhebung der bisherigen Drei-Säulen-Struktur der EU, die Schaffung einer Rechtspersönlichkeit, die Integration der Grundrechtecharta in den künftigen Verfassungsvertrag und eine Institutionenordnung.
Im Januar beginnt die eigentliche Kärrnerarbeit des Konvents. Vor allem zu den institutionellen Fragen liegen sehr weit auseinander gehende Vorschläge vor. Es stimmt aber, glaube ich, optimistisch, dass die Bereitschaft der Konventsmitglieder zu Kompromissfindung und Kooperation groß ist.
Ministerpräsident Teufel hat in seinem Einführungsvortrag zur Eröffnung der Anhörung, die unser Ständiger Ausschuss zum Thema „Konvent zur Zukunft Europas“ durchgeführt hat, der Zusammenarbeit der deutschen Konventsmitglieder ein „sehr gut“ bescheinigt. Damit ist die Chance gegeben, dass sich unser Land mit seinem ganzen Gewicht für eine integrative Ausrichtung der EU einsetzt und die stärker auf intergouvernementale Zusammenarbeit ausgerichteten Konzepte zurückweist.
Entscheidungsprozesse in Europa müssen transparent gemacht werden. Demokratisch legitimierte Parlamentarier müssen an allen Stellen in die Entscheidungsstrukturen eingebunden sein.
Meine Damen und Herren, wir sind uns einig: Auf der einen Seite muss die EU ihre Kompetenzen stärken: in der Außen- und Sicherheitspolitik, bei der grenzüberschreitenden Bekämpfung der internationalen Kriminalität und des Terrorismus und bei allen Aufgaben, die mit dem Binnenmarkt, der Außenhandelspolitik, der grenzüberschreitenden Umweltpolitik, der Großforschungspolitik sowie der Währungs- und der Steuerpolitik zusammenhängen. Ich glaube, Kollege Theurer, dazu gehört auch, dass es in Europa keine Billigsteuerländer und keine Steueroasen geben darf.