Protokoll der Sitzung vom 12.12.2002

Natürlich muss die Außenpolitik zwischen dem Beauftragten des Rates – das ist jetzt Solana – und dem für Außenpolitik zuständigen Kommissionsmitglied zwingend vereinheitlicht werden. Zurzeit sind vier Persönlichkeiten in Europa in außenpolitischen Angelegenheiten weltweit unterwegs – das macht keinen Sinn –: der Hohe Beauftragte des Rates, Solana, der Außenkommissar Patten und der Präsident der Kommission, Prodi, und manchmal auch noch der jeweilige Ratsvorsitzende, wenn er in der Säule der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik tätig wird. Da schaut niemand in der Welt durch. Deshalb brauchen wir zwingend eine Vereinheitlichung in den Institutionen der Außenpolitik.

Lassen Sie mich auf ein zweites Thema eingehen, den Gottesbezug, den Wertbezug. Er hängt, lieber Kollege Kretschmann, auch mit Ihrem Thema Türkei, aber nur mittelbar, zusammen. Die Menschen in Europa sind seit Jahrhunderten vom jüdisch-christlichen Glauben geprägt. Wertorientiert fußen unsere Kultur und unsere Geschichte auf diesen Grundlagen. Die Aufklärung mit ihrem Erbe kommt hinzu. Es ist für die Landesregierung schlechterdings unvorstellbar, dass man in der neuen Verfassung die Begrenzung des Menschen, seine Verantwortung vor Gott nicht explizit benennt.

(Beifall bei der CDU)

Das 21. Jahrhundert wird von den Möglichkeiten der Technik unglaublich stark geprägt sein: Klonung des Menschen, Reproduzierbarkeit, Massenvernichtungsmittel, Manipulierbarkeit des Erbguts. Den Rückgriff auf unsere sittliche Wertordnung halten wir für schlechterdings unverzichtbar. Ich glaube, wir müssen diese Überzeugungsarbeit auch denen vermitteln, die eine andere nationalstaatliche Verfassungstradition haben, und vielleicht auch zu einem Kompromiss kommen, wie ihn die polnische Verfassung kennt, wo ausdrücklich der Wertbezug formuliert ist. Ich darf vielleicht die Präambel als eine Möglichkeit der Orientierung verlesen:

Die Unionswerte schließen die Werte derjenigen ein, die an Gott als Quelle der Wahrheit, Gerechtigkeit, des Guten und des Schönen glauben, wie auch derjenigen, die diesen Glauben nicht teilen, sondern diese universellen Werte als aus anderen Quellen abgeleitet respektieren.

Das wäre ein Weg, hier zu einer Lösung zu kommen.

Drittes Thema: Regionen. Leider ist große Zurückhaltung im Konventsprozess spürbar, was die Rechte und die Absicherung der Regionen betrifft. Insbesondere die spanische

Position ist außerordentlich zurückhaltend. Aber die Regionen müssen Aufnahme in die Verfassung finden. Ihre Funktion muss beschrieben werden. Sie brauchen ein Klagerecht vor dem Europäischen Gerichtshof. Und wir müssen auch innerstaatlich die Landtage in diesem Prozess aufwerten, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Lassen Sie mich das vierte und letzte Thema benennen, von Herrn Kretschmann in die Debatte eingeführt: Türkei. Herr Theurer hat darauf hingewiesen: Wir müssen die Diskussion um die endgültige Gestalt Europas führen, nicht nur in Bezug auf die Türkei. Bisher hat diese Frage nicht angestanden. Aber wie halten wir es denn in Zukunft mit dem Kaukasus, mit der Ukraine, mit Weißrussland, mit dem Maghreb, mit dem Nahen Osten? In diesen Zusammenhang, lieber Herr Kollege Kretschmann, muss die Problematik der Türkei eingeordnet werden. Natürlich ist die Frage der Türkei noch schwieriger zu lösen, weil sie ein Land ist, das in zwei Kontinenten angesiedelt ist, weil sie in zwei Kulturen zu Hause ist. Aber wir müssen insgesamt die Diskussion über die Grenzen Europas führen und können dann auch zu einer realistischen und, glaube ich, verständlichen Position zur Türkei kommen. Die religiösen Gründe stehen dabei – da gebe ich Ihnen ausdrücklich Recht – nicht im Vordergrund, zumal uns die religiöse Argumentation spätestens in einigen Jahren bei den zweifelsohne zu Europa gehörenden Ländern des Balkans, wie etwa Bosnien, einholen wird. Auch deshalb müssen wir die Diskussion aus einer anderen Motivation heraus führen, und zwar – neben den innenpolitischen Erwägungen – der Einschätzung der Verfassungssituation der Türkei, die natürlich auch eine wichtige Rolle spielt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir können optimistisch sein, dass wir Kernanliegen der Länder im Konventsprozess durch die Vertretung unseres Ministerpräsidenten im Auftrag der deutschen Bundesländer erfüllen können, dass wir vor allem die Grundprinzipien des Tätigwerdens der Europäischen Union präzisieren, konkretisieren und damit auch eingrenzen können. Es liegt noch viel Arbeit vor uns. Bisher ist die Zusammenarbeit zwischen Parlament und Regierung im Konventsprozess außerordentlich konstruktiv. Ich hoffe, dass das so bleibt. Wir werden gerne wieder Bericht erstatten und uns dann auch wieder darüber unterhalten können.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Kann ich davon ausgehen, dass Sie der Beschlussempfehlung Drucksache 13/1572 zustimmen? – Es erhebt sich kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.

Damit ist Punkt 10 der Tagesordnung erledigt.

Ich rufe den neuen Punkt 11 der Tagesordnung auf:

Beschlussempfehlung und Bericht des Ständigen Ausschusses zu dem Antrag der Landesregierung vom 5. Dezember 2002 – Berufung von Frau Corinna Werwigk-Hertneck zur Justizministerin; hier: Antrag auf

(Stellv. Präsidentin Christa Vossschulte)

Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach Artikel 53 Abs. 2 Satz 3 LV – Drucksachen 13/1594, 13/1610

Berichterstatter: Abg. Herrmann

Wünscht der Berichterstatter das Wort?

(Abg. Herrmann CDU: Ja!)

Bitte sehr.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Der Ständige Ausschuss hat heute in der Mittagspause des Plenums den Antrag der Landesregierung auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach Artikel 53 der Landesverfassung beraten. Da man übereingekommen ist, dazu eine Aussprache im Plenum zu führen, kann ich darauf verzichten, über die unterschiedlichen Stellungnahmen der Fraktionen, die im Ausschuss abgegeben worden sind, zu berichten, und kann mich darauf beschränken, das Ergebnis mitzuteilen: Der Ständige Ausschuss hat bei zehn Jastimmen und acht Neinstimmen dem Plenum empfohlen, dem Antrag der Landesregierung zuzustimmen.

Meine Damen und Herren, die Fraktionen haben vereinbart, eine Aussprache mit einer Redezeit von fünf Minuten je Fraktion zu führen.

Wem darf ich das Wort in der Aussprache erteilen? – Herr Abg. Oelmayer.

(Abg. Drexler SPD zu Abg. Oelmayer GRÜNE: Frag mal, warum sie nicht reden wollen! – Abg. Seimetz CDU: Den schwarzen Schal finde ich gut!)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir haben den heutigen Sitzungstag mit einer Debatte über die Frage der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung für die neu berufene Justizministerin begonnen. Ich habe für unsere Fraktion heute Morgen schon kundgetan, dass wir das Verfahren für abträglich halten, innerhalb der Kürze der Zeit eine Ausnahmegenehmigung zu erteilen, wie sie in diesem Landtag, jedenfalls nach unserer Recherche, bisher noch nicht erteilt worden ist.

Wir haben im Ständigen Ausschuss unsere Argumente nochmals präzise vorgetragen. Ich darf Ihnen noch einmal die Argumente benennen, weshalb unsere Fraktion der Auffassung ist, dass die Ausnahmegenehmigung, wie sie beantragt ist, nicht erteilt werden kann.

Der erste Grund ist formalrechtlicher bzw. formeller Art. Der Antrag, der dem Landtag vorliegt, geht dahin, für die Justizministerin eine Ausnahmegenehmigung für das Halten eines Gesellschaftsanteils an einer Anwaltskanzlei zu erteilen. Dieser Sachverhalt trifft heute so nicht zu. Die Justizministerin ist nach wie vor Alleininhaberin der Kanzlei, sodass der Sachverhalt, über den der Landtag jetzt abstimmen soll und der ihm als Begründung geliefert wird, so nicht zutrifft. Schon allein deswegen kann meines Erachtens über diesen Antrag mit der nicht zutreffenden Begründung gar nicht abgestimmt werden.

Ein zweiter Punkt: Verfassungsrechtlich müssen wir von Artikel 53 der Landesverfassung ausgehen. In Absatz 1 des Artikels 53 ist zu Recht die Inkompatibilität aufgeführt. In

kompatibilität heißt: Eine Unvereinbarkeit von politischen Ämtern und Regierungsämtern mit sonstigen beruflichen Tätigkeiten ist immer dann gegeben, wenn Interessenkonflikte entstehen können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es liegt ja auf der Hand, dass unabhängig von der Form des gehaltenen Anteils, ob in Form einer Alleininhaberschaft oder in Form einer gesellschaftsrechtlichen Konstruktion, natürlich Interessenkonflikte für die Justizministerin vorprogrammiert sind, weil sie nämlich zum einen als Justizministerin Richterinnen und Richter beruft, um nur einmal ein Beispiel zu nennen, gleichzeitig aber ihre eigene Kanzlei bei verschiedenen Verfahren an verschiedenen Gerichten des Landes auftritt. Insofern besteht natürlich schon eine Konnexität, ein Zusammenhang zwischen dem Amt und dem tatsächlichen Halten eines Gesellschaftsanteils an einer Anwaltskanzlei.

Einmal ganz abgesehen davon, dass sie das Gewinnbezugsrecht an dem Gesellschaftsanteil natürlich auch behalten soll, entsteht ein weiterer Zusammenhang zwischen ihrer amtlichen Tätigkeit als Regierungsmitglied und dem Halten ihres Anteils. Je erfolgreicher – das unterstelle ich einmal – sie ihr Amt als Ministerin ausübt, umso erfolgreicher wird vielleicht auch die Tätigkeit ihrer Kanzlei sein. Auch deswegen ist, glaube ich, die Inkompatibilität in der Verfassung zu Recht so geregelt, und sie trifft in diesem Fall explizit zu.

Einen weiteren Punkt möchte ich noch benennen. Die Verfassung sieht in Artikel 53 Abs. 2 in Verbindung mit dem Ministergesetz Ausnahmen vor. Jetzt ist es so, dass in unserem rechtsstaatlichen System Ausnahmen vom Grundsatz immer dann möglich sind, wenn es dafür entsprechende Begründungen gibt. Ich habe Ihnen gerade dargetan, welche Begründung es für die Inkompatibilität gibt, nämlich die Vermeidung von Interessenkonflikten.

Bisher hat mir jedenfalls Herr Minister Palmer, der den Antrag für die Landesregierung begründet hat, nicht schlüssig dargetan, welche Begründung es denn dafür geben soll, hier eine Ausnahmegenehmigung zu erteilen. Bisher sind in diesem Landtag Ausnahmegenehmigungen dann erteilt worden, wenn Mitglieder der Landesregierung in Aufsichtsorganen von Unternehmen tätig sind, die ganz oder mehrheitlich im Besitz des Landes sind. Das macht in einem gewissen Umfang, in beschränktem Maße und mit der erforderlichen Transparenz auch Sinn. Deshalb haben wir solchen Ausnahmegenehmigungen auch zugestimmt.

Gleiches trifft hier aber nicht zu. Das heißt, das Landesinteresse kann nicht der Grund sein, weshalb eine Ausnahmegenehmigung erteilt werden soll.

Ein weiterer Grund neben dem Landesinteresse, der immer für solche Ausnahmegenehmigungen angegeben worden ist, ist die geringe berufliche Belastung durch mögliche Tätigkeiten neben dem Regierungsamt. Aber bisher war es dann so – das ist entscheidend, und das möchte ich noch anführen –: Wenn Ausnahmegenehmigungen erteilt worden sind, waren und sind die Regierungsmitglieder nach dem Beamtengesetz und nach den Nebentätigkeitsverordnungen verpflichtet, die aus dieser Nebentätigkeit neben der Mitgliedschaft in der Regierung und dem Regierungsmandat erziel

ten Einkünfte in wesentlichem Umfang abzuführen. Auch hier würde im Vergleich zum jetzigen Rechtszustand eine Ungleichbehandlung entstehen.

Ein Allerletztes: Nach meinen Recherchen ist es so, meine Damen und Herren, dass zumindest die große Fraktion der Regierungskoalition bisher aus Gründen der politischen Kultur immer zu Recht darauf bestanden hat, dass Mitglieder der Landesregierung gerade ihre Tätigkeit in Anwaltskanzleien ruhen lassen und ihre Anteile abgeben, um die Inkompatibilitätsbestimmung einzuhalten, die in der Verfassung steht. Es stünde dem Parlament wirklich gut zu Gesicht, das Abstimmungsergebnis aus dem Ständigen Ausschuss – Sie kennen es, meine Damen und Herren – zu korrigieren oder die Abstimmung im Plenum zumindest zu vertagen

(Glocke der Präsidentin)

ich komme zum Ende –...

Herr Abg. Oelmayer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Professor Reinhart?

... – sofort –, um dann eine verfassungsgemäße, verfassungspolitisch einwandfreie und der politischen Kultur in diesem Landtag entsprechende Regelung zu finden.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Herr Kollege Oelmayer, ist Ihnen bekannt, dass Ihr Kollege Schlauch vor wenigen Wochen in gleicher Weise einen OLG-bestellten Vertreter für sich in seine Kanzlei hat bestellen lassen, weil er als Staatssekretär in die Bundesregierung berufen wurde?

Herr Kollege Reinhart, ich habe schon heute Vormittag solch abstruse Begründungen vom inzwischen ausgeschiedenen Justizminister gehört. Wir entscheiden jetzt konkret über die Frage, ob wir die Ausnahmegenehmigung für die künftige Justizministerin dieses Landes erteilen wollen oder nicht.

(Abg. Dr. Reinhart CDU: Dann beantworten Sie es doch! Gilt im Bund etwas anderes als im Land?)

Da will ich nicht über die Ausnahmegenehmigungen für die Mitglieder anderer Regierungen diskutieren.

(Zuruf des Abg. Dr. Reinhart CDU)

Es geht um eine ganz konkrete Regelung, die Sie hier im Land treffen wollen.

(Zuruf des Abg. Dr. Reinhart CDU)