Protokoll der Sitzung vom 23.01.2003

30 % unserer Fraktion sind anwesend.

(Abg. Dr. Caroli SPD: Wo er Recht hat, hat er Recht! – Abg. Heike Dederer GRÜNE: Zur Not helfen wir wieder aus beim Klatschen! – Heiter- keit)

Gerne. Wir würden Sie unter Umständen auch sonst in der Fraktion aufnehmen, Frau Kollegin Dederer, wenn Sie einmal einen Antrag stellen und Ihre liberale Gesinnung deutlich zum Ausdruck kommt.

(Abg. Heike Dederer GRÜNE: Ich habe schon seri- ösere Angebote erhalten! – Heiterkeit des Abg. Bo- ris Palmer GRÜNE)

Sie sind ja eine der wenigen Liberalen in der grünen Landtagsfraktion.

(Heiterkeit – Abg. Bebber SPD: Schmeichler! – Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Das ist aber plumpe Anmache! – Abg. Walter GRÜNE: Wirk- lich Liberale gibts bei euch ja nicht! – Abg. Heike Dederer GRÜNE: Wir haben unterschiedliche Vor- stellungen von Liberalität, das habe ich heute Mor- gen gemerkt!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, selbstkritisch halte ich hier noch einmal fest, dass die von den Ländern zu gründende gemeinsame Kommission für Jugendmedienschutz wieder eine typische Politikerantwort ist: Es wird eine neue Kommission gegründet. Wir halten es für richtig, dass die Maßnahmen zum Jugendschutz besser koordiniert werden, stellen aber auch selbstkritisch fest, dass man über

solche Maßnahmen allein leider nicht jeglichen Missbrauch verhindern kann.

(Abg. Hofer FDP/DVP: Sehr gut! – Beifall des Abg. Pauli CDU – Abg. Boris Palmer GRÜNE: Klatschen, Herr Hofer! – Abg. Bebber SPD zur FDP/DVP: Man kriegt ja Mitleid mit euch! – Ge- genruf des Abg. Theurer FDP/DVP: Wenn der Pal- mer da ist, wirds immer schwierig! – Gegenruf des Abg. Boris Palmer GRÜNE: Welcher jetzt? – Ge- genruf des Abg. Theurer FDP/DVP: Der Boris!)

Das Wort erhält Herr Abg. Walter.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zunächst gibt es, wenn wir hier Staatsverträge diskutieren, ein grundlegendes Problem – egal, ob wir ihnen zustimmen und den Inhalt mittragen oder nicht –: Wir diskutieren eigentlich immer erst dann, wenn alles gelaufen ist. Der letzte Ministerpräsident, der für diesen Staatsvertrag noch seine Unterschrift zu leisten hatte, hat sie bereits am 27. September geleistet. Das heißt, egal, was wir heute dazu sagen und was hier diskutiert wird: Das wird an diesem Staatsvertrag nichts mehr ändern. Ich weiß nicht, ob das für das Selbstverständnis eines Landtags besonders gut ist in einer Zeit, in der wir immer darüber diskutieren, wie wir Kompetenzen, die wir verloren haben, wieder zurückgewinnen können.

(Abg. Theurer FDP/DVP: Und was wollen Sie jetzt ändern? – Abg. Birgit Kipfer SPD: Es geht doch gar nicht anders!)

Ja, aber es ist ein Problem, dass wir als Landtag, wenn wir darüber diskutieren, nicht vorher einen gewissen Input haben können.

(Abg. Birgit Kipfer SPD: Das müssen Sie halt über die anderen Länder machen!)

Ja, natürlich. Trotzdem: Wenn auf Bund-Länder-Ebene eine solche Diskussion ansteht, wäre es angesagt, hier eine Diskussion darüber zu führen, was eigentlich nach Meinung des Landtags von Baden-Württemberg in einem solchen Staatsvertrag zu stehen hätte. Es kann ja sein, dass es dasselbe ist, was jetzt drinsteht, weil das in diesem Fall inhaltlich nicht zu kritisieren ist.

(Abg. Theurer FDP/DVP: Aber wir wollen das ja, was da drinsteht!)

Mit geht es nur um die Frage, welches Selbstverständnis wir im Landtag haben.

Trotzdem möchte ich noch zwei, drei Punkte aufgreifen, die in diesem Staatsvertrag enthalten sind.

Herr Kollege Pauli hat schon darauf hingewiesen: Es ist sehr positiv, dass technische Entwicklungen, die es in den letzten Jahren gegeben hat, in diesen Staatsvertrag eingeflossen sind. Natürlich stellen wir uns auch die Frage, inwieweit der Staat beispielsweise im Internet Rahmenbedingungen setzen kann. Gerade das Internet soll und will ein Kommunikationsmittel sein, das völlig frei ist, frei auch von jedweder Zensur. Wenn aber – Sie haben zu Recht auf

die Zunahme von Kinderpornographie hingewiesen – Inhalte transportiert werden, die wir eindeutig ablehnen, dann ist der Staat gefordert.

Auch weil die technische Entwicklung so schnell voranschreitet, halte ich es für gut und richtig, dass man in den Staatsvertrag die Absicht hineingeschrieben hat, die Umsetzung des Beschlossenen nach drei bzw. fünf Jahren zu überprüfen – Frau Kollegin Kipfer hat darauf hingewiesen, dass zum Teil neue Instrumente eingeführt wurden –: Greift der Staatsvertrag wirklich? Wird wirklich das erreicht, was wir mit diesem Staatsvertrag erreichen wollen?

Ein weiterer Punkt, der auch schon angesprochen wurde, ist die Medienkompetenz. Wir sind da schon im Kindergartenbereich gefordert und noch mehr in der Schule, um den Jugendlichen die Kompetenz zu vermitteln, mit diesen modernen Technologien umzugehen. In den letzten vier, fünf Jahren gab es eine rasante Entwicklung, die man vorher nicht für möglich gehalten hätte. Das fängt beispielsweise bei den Handys an und reicht bis hin zu Video und Computern, die auch schon von Jugendlichen im Alter von 9 bis 13 Jahren oder noch früher genutzt werden. Der Aufbau von Medienkompetenz muss deshalb wesentlich früher anfangen, als wir bisher geglaubt haben. Deswegen ist es auch richtig, zu fordern, dass die Lehrpläne darauf künftig mehr Rücksicht nehmen und Medienkompetenz stärker fördern.

Ein letzter Punkt, den ich noch erwähnen möchte: Bei allem, was wir hier von staatlicher Seite tun können, was die Politik tun kann, um Jugendliche beispielsweise von gewaltverherrlichenden Medien fernzuhalten, bleibt dies eine gesellschaftliche Aufgabe, der wir uns alle stellen müssen. Das allein kann nicht mit den Rahmenbedingungen, die ein Staatsvertrag vorgeben kann, letztendlich umgesetzt werden.

Erinnern Sie sich daran, wie vor knapp einem Jahr, im Mai 2002, nach dem Amoklauf von Erfurt die Diskussion durch die Republik ging, welche Aufregung es gegeben hat und wie schnell diese Diskussion, die richtig und wichtig war, wieder von anderen Themen überlagert wurde und wie wenig heute über dieses Ereignis noch diskutiert wird. Warum haben in unserer Gesellschaft gewisse gewaltverherrlichende Berichte oder Computerspiele, was es da auch alles gibt, einen solchen Zulauf? Warum nimmt auch die Gewalt im Alltag zu? Das will ich nicht den Medien allein anlasten. Diese Diskussion, die vor knapp einem Jahr intensiv geführt wurde, ist leider wieder verstummt. Ich glaube, wir sind alle aufgefordert, unabhängig von einem Staatsvertrag, der wirklich nicht alles leisten kann, diese Diskussion in all unseren Fraktionen, in allen Veranstaltungen, die wir zu diesem Thema haben, weiter am Leben zu erhalten.

(Beifall bei den Grünen)

Das Wort erhält Herr Minister Dr. Palmer.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Natürlich ist es unbefriedigend, zu einem Staatsvertrag in toto Ja oder Nein sagen zu müssen. Aber immerhin, Herr Kollege Walter, sollte man ja darauf hinweisen, dass wir in einem eingespielten

(Minister Dr. Christoph Palmer)

Verfahren eine Vorabinformation bewerkstelligen. Wir haben das auch in diesem Fall so gehandhabt. Gleich nach der parlamentarischen Sommerpause im vergangenen Jahr ist der Staatsvertrag vor der Ratifikation an das Parlament gegangen und hat im Ständigen Ausschuss vorgelegen. Gleichwohl ist nichts so gut, dass man es nicht noch verbessern kann. Ich bin ganz offen dafür, dass wir über Erörterungen in der Medienkommission der Länder vielleicht noch früher berichten, damit eine Rückkopplung der Meinungsbildung möglich ist. Im Sinne des Zusammenspiels von Parlament und Regierung kann man darüber immer sprechen.

Aber wichtig ist festzuhalten – das war auch im Konsens deutlich –, dass der Föderalismus sich bei dieser wichtigen Frage des Jugendmedienschutzes handlungsfähig gezeigt hat. Es hatten uns viele nicht zugetraut, dass wir in einem zweijährigen Prozess zum ersten Mal in Deutschland zu einem Staatsvertrag kommen, der gezielt nur den Jugendmedienschutz regelt. Die Regelungen waren bisher versteckt in anderen Rechtsmaterien enthalten. Es gab noch nie einen Jugendmedienschutz-Staatsvertrag der Länder. Erfreulicherweise ist es damit ganz gegen die Tendenz gelungen, in einem wichtigen Bereich eine Zuständigkeit vom Bund zurückzuholen. Der Bund hat sich in einem langen Ringen, wofür ich mich auch ausdrücklich bei den Medienpolitikern der A-Länder bedanken darf, bereit erklärt, im Wege der Systematisierung die Zuständigkeit für die Telemedien auf die Länder zu übertragen. Damit wurde ein wirklicher Geländegewinn für den Föderalismus erzielt, sodass wir jetzt beispielsweise für die Überwachung und Bewertung des Internets als Länderverwaltungen zuständig sind.

Die Kommission für Jugendmedienschutz ist angesprochen worden. Da will ich, Herr Kollege Theurer, den Eindruck zurückweisen, dass Politiker halt mit der Gründung einer Kommission antworten, wenn ein Problem auftaucht. Diese Kommission für Jugendmedienschutz ist insofern etwas ganz Neues, als sie die Landesjugendbehörden der Länder, die Jugendfachverwaltung des Bundes für den Zuständigkeitsbereich, der dem Bund verbleibt, und die Landesmedienanstalten zu einer einheitlichen Bewertungsinstitution zusammenführt. Wenn man bündeln will und die Schlagkraft erhöhen will, bedeutet diese Kommission, die sich im Übrigen als Instrumentarium des bestehenden „jugendschutz.net“ in Mainz bedient, wo dann die operative Arbeit erfolgt, eine echte Verbesserung der Situation und zeigt auch die Handlungsfähigkeit des Föderalismus.

Meine sehr verehrten Damen, meine Herren, ich glaube, dass uns das Debattenthema die nächsten Jahre leider als Dauerthema begleiten wird. Gewaltverherrlichende Darstellungen, Erniedrigung von Menschen, Kinderpornographie, Rassismus, all das wird in einem weiter wachsenden Medienangebot ein Hauptproblem, vielleicht sogar das Hauptproblem sein. Die Relevanz kann jeder von uns an den immer wiederkehrenden Bluttaten und verheerenden Ereignissen national und international studieren – ich nenne hierzu auch nur das Stichwort Erfurt.

Deshalb ist es eigentlich schade, dass dieser so wichtige Staatsvertrag, obwohl er natürlich auch nur ein Mosaikstein im Kampf gegen solche Entartungen ist, so wenig öffentliche Aufmerksamkeit findet. Ich meine, wir als Parlament

müssen auch einmal sagen: Man darf sich dem Thema nicht immer nur dann zuwenden, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, sondern dem Thema „Kinder- und Jugendmedienschutz“ muss dauerhaft unsere Aufmerksamkeit gelten. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Deshalb ist es wichtig, dass wir nicht nur ankündigen, sondern auch handeln: in Zukunft absolutes Verbreitungsverbot für jugendgefährdende Angebote, klare Begrenzungen für entwicklungsbeeinträchtigende Angebote in Form von Zeitgrenzen oder technischen Vorkehrungen, Kombination von Aufsicht und Selbstkontrolle, massive Erhöhung der Bußgelder. Ich bin stolz darauf, dass Baden-Württemberg dies im Prozess durchgesetzt hat; Kollege Pauli hat es erwähnt.

Wir haben also jetzt erfolgreich einen weiteren Schritt gemacht, aber wir sind noch lange nicht am Ende. Wir müssen auch gegenüber dem Bundesgesetzgeber handeln. Deshalb habe ich wenig Verständnis dafür, verehrte Kolleginnen und Kollegen, dass eine Bundesratsinitiative, die auf Antrag Bayerns am 27. September vom Bundesrat mehrheitlich beschlossen worden ist, im Bundestag unlängst keine Mehrheit gefunden hat. Der Bundesrat begehrt vom Bundestag als nächsten Schritt ein absolutes Verbot von Killerspielen; der Bundesrat begehrt vom Bundestag ein Verbot für Darstellungen von Kindern und Jugendlichen in unnatürlicher, geschlechtsbetonter Körperhaltung auf Trägermedien und vieles andere mehr. Was machen denn die Anbieter? Die Anbieter verfremden und stellen nicht reale Kinder und Jugendliche dar, sondern Stellvertreter. Solche Darstellungen sind heute mit den digitalen Techniken möglich. Wir müssen jetzt weiter gehen. Ich kann nur darum bitten, für diese Aufgabe nicht alleine den Föderalismus in Anspruch zu nehmen, sondern dass auch der Bundesgesetzgeber handelt. Aber im Augenblick ist im Bundestag für die Beschlussfassung des Bundesrats keine Mehrheit in Sicht, weil gesagt wird, dass für derlei Dinge die polizeiliche Generalklausel ausreichen würde. Eine ganz sachliche und wichtige Maßnahme, die der Bundesrat beschlossen hat, findet zurzeit keine Mehrheit. Hier müssen wir weiterkommen.

Wir müssen auch im Land bei einer Vielzahl von einzelnen Bausteinen weitermachen. Ich will in aller Kürze ein paar Themen ansprechen. Wir brauchen einen erweiterten Einsatz von Filter-Software. Heute gibt es gute Systeme. Die Schulen sind relativ sauber; wenn kein Fehler passiert, kommt keine Darstellung in eine Schule, die man nicht haben möchte. Wir müssen diese Filter-Software in Zukunft zusammen mit den Kommunen auch in den Jugendeinrichtungen einsetzen, dort, wo öffentliche Zugänge für junge Menschen vorhanden sind. Wir brauchen eine Beschleunigung von Maßnahmen gegen unzulässige Angebote. Ich habe eine Taskforce mit Vertretern aus den zuständigen Ministerien, der Kriminalpolizei und den Jugendschutzstellen eingerichtet, die weiter gehende Vorschläge erarbeitet. Wir brauchen auch – das ist gesagt worden und ist völlig richtig – mehr die Prävention. Wir haben jetzt über die Landesstiftung 2,5 Millionen € für die Stärkung der Medienkompetenz von Jugendlichen zur Verfügung gestellt. Das ist auch wieder ein Beispiel dafür, dass man heute nur noch dann flexibel reagieren kann, wenn man mit der Landes

(Minister Dr. Christoph Palmer)

stiftung handeln und wenn man auf sie für gute, neue Aufgaben zurückgreifen kann.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich richte jedenfalls den dringenden Appell an uns alle, sich jetzt mit diesem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag nicht zurückzulehnen. Eine der zentralen Fragen wird sein, ob wir in Zukunft in unseren Gesellschaften humanes Miteinander organisieren können oder nicht, ob wir Kindern, jugendlichen Heranwachsenden den ganzen Schund ersparen und ob wir dafür wirkungsvolle Instrumentarien national, aber auch international finden. Denn über das Internationale haben wir heute überhaupt nicht gesprochen. Das können wir vermutlich hier im Landtag von Baden-Württemberg auch nicht mit einem befriedigenden Ergebnis tun. Der nächste Schritt ist dann, dass wir in den internationalen Gremien bei einer weltweiten Einspeisung des Netzes und der Angebote zu einem vergleichbaren Standard der Instrumentarien kommen, der Abhilfe gegenüber all diesen Exzessen ermöglicht.

Ich danke Ihnen für die Zustimmung zum Staatsvertrag. Ich danke Ihnen dafür, dass der Landtag diese Arbeit der Regierung konstruktiv begleitet hat.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

Wir kommen in der Zweiten Beratung zur A b s t i m m u n g. Der Ständige Ausschuss empfiehlt Ihnen einstimmig, dem Gesetzentwurf unverändert zuzustimmen. Ich stelle deshalb den Gesetzentwurf insgesamt zur Abstimmung.

Wer dem Gesetzentwurf Drucksache 13/1551 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Dem Gesetzentwurf wurde einstimmig zugestimmt.

Die Einleitung

lautet: „Der Landtag hat am 23. Januar 2003 das folgende Gesetz beschlossen:“.

Die Überschrift

lautet: „Gesetz zum Staatsvertrag über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien (Jugendmedienschutz-Staatsvertrag – JMStV)“. – Sie stimmen der Überschrift zu.

Wir kommen zur